Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KA 462/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 9/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.11.2000 abgeändert. Der Beschluss des Beklagten vom 22.09.1998 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Regress aufgrund der Verordnung von Präparaten zur Substitution fehlender Gerinnungsfaktoren bei Hämophilie (Faktor-VIII-Präparate) durch den inzwischen verstorbenen, seinerzeit bei der Klägerin beschäftigten Arzt Dr. E zugunsten des bei der Beigeladenen zu 1) - vormals der AOK O - versicherten Patienten E Q (im Folgenden: Versicherter) im Zeitraum Februar 1985 bis März 1988.
Die Medizinischen Einrichtungen der Klägerin nahmen im gesamten Streitzeitraum im Rahmen des zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) geschlossenen Poliklinik-Vertrages an der Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teil. Nach § 1 dieses Vertrages waren sie ermächtigt, "auf Überweisung von Kassenärzten" u.a. "spezifische Blutgerinnungsdiagnostik einschl. Faktorenanalyse und daraus resultierende spezifische therapeutische Maßnahmen" zu erbringen. Gemäß § 2 unterwarf sich die Klägerin "hinsichtlich der ärztlichen Tätigkeit und der Abrechnung der erbrachten ärztlichen Leistungen den für Kassenärzte geltenden Vorschriften; insbesondere den Vorschriften über die wirtschaftliche Behandlungs- und Verordnungsweise sowie den Bestimmungen über die Durchführung des Prüfverfahrens".
Der an Hämophilie A leidende Versicherte wurde vom 17.02.1985 bis zum 22.03.1985 zunächst in der Inneren, später der Orthopädischen Klinik der Klägerin und dort u.a. von dem angestellten Arzt Dr. E stationär behandelt, der ihn auf ein neues Faktor-VIII-Präparat umstellte. Auch nach seiner Entlassung erhielt der Versicherte weiter Faktor-VIII-Präparate auf vertragsärztliche Verordnung von Dr. E, wobei ihm die Medikamente jeweils von einem in der Nähe der Universitätsklinik niedergelassenen Apotheker nach Hause geliefert wurden. Mit Ausnahme der Quartale III/1985 und I/1987 geschah dies, ohne dass dabei ein Berechtigungsschein zur Inanspruchnahme poliklinischer Behandlung vorlag. Im Zeitraum vom 22.02.1985 bis zum 25.03.1985 wurden dabei Faktor-VIII-Präparate im Gesamtwert von 1.687.884,00 DM verordnet. Im Zuge staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen fand beim Versicherten im Sommer 1988 eine Hausdurchsuchung statt, bei der Faktor-VIII-Präparate im Gesamtwert von 645.559,20 DM, größtenteils mit überschrittenem Verfallsdatum, aufgefunden wurden. Der Versicherte erklärte die Nichteinnahme dieser Medikamente mit seiner Sorge vor einer HIV-Infektion.
Am 30.11.1988 beantragte die AOK O die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 Abs. 1 der Vereinbarung über das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung sowie das Verfahren vor den Prüfungsausschüssen und dem Beschwerdeausschuss (Prüfvereinbarung) in Höhe von 645.559,20 DM gegen die Klägerin und die Prüfung ihrer Verordnungsweise gemäß § 12 Abs. 1 Prüfvereinbarung. Mit Beschluss vom 29.06.1989 setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 645.559,20 DM als sonstigen Schaden und einen Regress in Höhe von 41.432,00 DM wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise fest. Auf den Widerspruch der Klägerin hob der Beklagte den Verordnungsregress auf und hielt den Regress im Übrigen in Höhe von netto 599.255,99 DM für die Quartale I/1985 bis II/1986, IV/1986 und II/1987 bis I/1988 aufrecht. Zur Begründung führte er u.a. aus, Dr. E habe die sog. Heimselbstbehandlung des Versicherten nicht sachgemäß durchgeführt, weil er die erforderlichen Kontrolluntersuchungen und Aufzeichnungen unterlasse und den Versicherten nicht ordnungsgemäß ausgewählt habe. Dies müsse sich die Klägerin zurechnen lassen.
Mit der Klage zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat die Klägerin vorgetragen: Der Beklagte habe sich zu Unrecht auf § 14 Prüfvereinbarung gestützt, obwohl allenfalls ein Verordnungsregress nach § 12 Prüfvereinbarung in Betracht komme. Entsprechend fehle es an einem ordnungsgemäßen Prüfantrag. Zumindest sei dieser für die Quartale bis II/1997 einschließlich verfristet. Zu Unrecht habe ihr der Beklagte das Verhalten von Dr. E zugerechnet und überdies unzureichende Feststellungen zum Schaden getroffen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 22.09.1998 aufzuheben.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat seinen Beschluss verteidigt und dabei insbesondere ausgeführt, er sei zu Recht von einem "sonstigen Schaden" im Sinne von § 14 Prüfvereinbarung ausgegangen, weil die im Vordergrund stehende Frage, ob die streitigen Verordnungen zugunsten des Versicherten überhaupt hätten erfolgen dürfen, keine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern der Verletzung vertragsärztlicher Pflichten sei. Dem hat sich die Beigeladene zu 1) angeschlossen.
Mit Urteil vom 22.11.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Es ist von einem Regress nach § 14 Prüfvereinbarung ausgegangen und hat den hierfür erforderlichen Schaden darin gesehen, dass dem nicht einnahmewilligen Versicherten Medikamente unnötig verordnet worden seien. Die darin liegende Verletzung vertragsärztlicher Pflichten müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Das SG habe verkannt, dass eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten ausscheide, weil zwischen dem Versicherten und Dr. E ein privatärztlicher Behandlungsvertrag zustande gekommen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.11.2000 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 22.09.1998 aufzuheben.
Die übrigen Beteiligten stellen keine Anträge.
In der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2003 haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, den die Klägerin innerhalb der ihr eingeräumten Frist widerrufen hat. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie die Akten der Klägerin, des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) Bezug genommen, die beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und daher aufzuheben.
Für die Quartale I und II/1985, IV/1985 bis II/1986, IV/1986 und II/1987 bis I/1988 fehlt es an einer Rechtsgrundlage, auf die der Beklagte einen Regress stützen könnte. Insbesondere scheiden insoweit sowohl § 12 als auch § 14 Prüfvereinbarung aus. Denn Dr. E hat in diesen Quartalen keine vertragsärztlichen Leistungen erbracht, die der Überwachung oder Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach dieser Vereinbarung unterliegen.
Zwar hat sich die Klägerin nach § 2 Poliklinikvertrag hinsichtlich der ärztlichen Tätigkeit und der Abrechnung der erbrachten ärztlichen Leistungen den für Kassen- bzw. Vertragsärzte geltenden Vorschriften unterworfen. Das gilt insbesondere für die Bestimmungen über die wirtschaftliche Behandlungs- und Verordnungsweise sowie die Regelungen über die Durchführung des Prüfverfahrens, jedoch entsprechend dem Gesamtzusammenhang des Vertrages nur hinsichtlich solcher Leistungen, die vom Ermächtigungsgegenstand erfasst werden. Die Ermächtigung umfasst nach § 1 Poliklinikvertrag jedoch nur solche ambulanten ärztlichen Leistungen, die "auf Überweisung von Kassenärzten" erbracht werden.
Diese Auslegung des Vertrages steht in Übereinstimmung mit der ständigen, auch höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Prüfkompetenz der Prüfgremien bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung für Vertragsärzte. Nach § 106 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen durch gemeinsame Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse (§ 106 Abs. 4 SGB V) die Wirtschaftlichkeit der "vertragsärztlichen Versorgung" (entsprechend § 368n Abs. 5 Satz 1 der bis zum 31.12.1998 geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO)). Ihre Kompetenz besteht demzufolge bei und ist gleichzeitig beschränkt auf Leistungen, die im System der vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden. Demgegenüber liegt ein im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung feststellbarer, insbesondere "sonstiger" Schaden dann nicht (mehr) vor, wenn ein Vertragsarzt oder ermächtigter Arzt gar nicht als solcher, sondern außerhalb des Systems der vertragsärztlichen Versorgung tätig wird, z.B. weil er seine vertragsärztliche Tätigkeit nur vorgetäuscht hat (BSG, Urt. v. 18.04.1984 - 6 RKa 38/82 - SozR 5540 § 34 Nr. 1), Leistungen nicht oder nicht selbst erbracht hat (BSG, Urt. v. 21.11.1986 - 6 RKa 5/86 - SozR 2200 § 368 f Nr. 11; Urt. v. 18.12.1996 - 6 RKa 66/95 - SozR 3-5545 § 19 Nr. 2) oder weil die Ermächtigung nicht bestand (BSG, Urt. v. 12.03.1996 - 1 RK 13/95 - USK 96167). Nicht anders verhält es sich, wenn eine ermächtigte Einrichtung eine Leistung außerhalb des Systems der vertragsärztlichen Versorgung erbringt, weil die Voraussetzungen für ihren Zugang zu dieser Versorgung - z.B. in Ermangelung einer vertragsärztlichen Überweisung - nicht vorliegen. So verhält es sich hier. Denn die Berechtigung der Klägerin zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung hängt, wie dargelegt, nach § 1 Poliklinikvertrag vom Vorliegen einer vertragsärztlichen Überweisung ab. Eine solche hat - in Gestalt eines Berechtigungsscheins für die Inanspruchnahme poliklinischer Behandlung - nur in den Quartalen III/1985 und I/1987 vorgelegen, wobei allerdings für das Quartal I/1987 ein Regress nicht festgestellt worden ist.
Das bedeutet keineswegs, dass die Erbringung von Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung außerhalb einer vertragsärztlichen Zulassung oder Ermächtigung sanktionslos bliebe. Vielmehr entsteht hierdurch unmittelbar ein Schadenersatzanspruch der betroffenen Krankenkasse(n) gegen den Leistungserbringer (BSG, Urt. v. 07.12.1988 - 6 RKa 35/87; BSG, Urt. v. 21.06.1995 - 6 RKa 60/94 - Senat, Urt. v. 19.04.1989 - L 11 Ka 94/87), der sich der Höhe nach auf die durch die Leistung veranlassten Kosten beläuft, ohne dass eine Vorteilsausgleichung - etwa mit dem Argument, die Leistung hätte auch im Rahmen des vertragsärztlichen Systems erbracht werden können oder müssen - möglich wäre (sog. normativer Schadensbegriff; BSG, Urt. v. 21.06.1995 - a.a.O.). Nur kann er eben nicht als Regress seitens der Prüfgremien, sondern muss als Schadenersatzanspruch unmittelbar von der geschädigten Krankenkasse geltend gemacht werden, wobei der Senat ausdrücklich auch mit Blick auf den vorliegenden Fall offen lässt, ob dieser Schadenersatzanspruch bei vorsätzlicher Schadensverursachung der vierjährigen oder nicht vielmehr der dreißigjährigen Verjährungsfrist unterliegt.
Der angefochtene Bescheid erweist sich jedoch ebenso für das Quartal III/1985 als rechtswidrig, obwohl in diesem Quartal eine kassenärztliche Überweisung vorgelegen hat.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Prüfvereinbarung kann sich ein Regress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise nur auf den Zeitraum der letzten fünf Vierteljahre erstrecken, beginnend mit dem letzten den Krankenkassen gegenüber abgerechneten Vierteljahr. Da zum Zeitpunkt des Antrags der AOK O am 30.11.1988 zuletzt das Quartal III/1988 abgerechnet war, kam ein Regress mithin nur bis längstens zum Quartal III/1987 in Betracht.
Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 3 Prüfvereinbarung ist einschlägig, weil es - entgegen der Auffassung des Beklagten und des SG - im vorliegenden Fall nicht um die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 Prüfvereinbarung, sondern eine Überprüfung der Verordnungsweise im Sinne von § 12 Prüfvereinbarung gegangen ist.
Bei Regressen wegen Verstoßes gegen die Arzneimittelrichtlinien (AMR) handelt es sich stets um einen Verordnungsregress, nicht um einen Regress wegen eines sonstigen Schadens (vgl. BSG, Urt. v. 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 2). Der Sache nach liegt hier ein solcher Regress vor. Denn der Beklagte hat der Klägerin vorgeworfen, gegen Ziff. 5 AMR verstoßen zu haben, wonach Arzneimittelverordnungen grundsätzlich nur dann erfolgen dürfen, wenn sich der behandelnde Arzt vom Zustand des Kranken überzeugt hat oder ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Dafür spielt es keine entscheidende Rolle, ob man den Aspekt der Zuvielverordnung oder die Auswahl eines für die Heimselbstbehandlung ungeeigneten Patienten in den Vordergrund steht. Sowohl das richtige Ausmaß der Verordnung als auch die Auswahl des Patienten können nämlich nur aufgrund der von Ziff. 5 AMR geforderten Untersuchung festgestellt werden und unterliegen daher ersichtlich ihrem Schutzzweck.
Auch der Art des festgestellten Schadens nach handelt es sich um einen Verordnungsregress. Dieser besteht hier nämlich in Höhe des Betrages, den die AOK O an die Apotheke für Faktor-VIII-Präparate gezahlt hat, welche dem Versicherten gegen Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung von Dr. E ausgehändigt wurden. Demgegenüber ist der typische Schadensregress außerhalb des Verordnungsverhaltens dadurch gekennzeichnet, dass das Verhalten des Arztes Folgekosten der Kassen ähnlich einem "Mangelfolgeschaden" nach bürgerlichem Recht ausgelöst hat (vgl. BSG, Urt. v. 14.03.2001 - a.a.O.). Um einen solchen "Mangelfolgeschaden" geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht. Denn der Beklagte hat der Klägerin ersichtlich nicht vorgeworfen, dass durch die fehlerhafte Behandlung Schäden an anderer Stelle (z.B. weitere vermeidbare Erkrankungen des Versicherten) eingetreten wären.
Gegen das in § 12 Abs. 1 Satz 3 Prüfvereinbarung geregelte Fristerfordernis für den Prüfantrag bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Vorschrift beruht auf § 368n Abs. 5 Satz 3 RVO, wonach die Vertragsparteien des Gesamtvertrages das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit sowie das Verfahren vor den Ausschüssen regeln. Hiervon ist die Vereinbarung einer Antragsfrist gedeckt (vgl. zu § 106 SGB V BSG, Urt. v. 27.06.2001 -B 6 KA 66/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 35; zur vergleichbaren Problematik im Rahmen von § 17 Nr. 3 Satz 1 Bundesmantelvertrag Ärzte-/Ersatzkassen a.F. BSG, Urt. v. 16.12.1987 - 6 RKa 9/87 - SozR 5550 § 17 Nr. 1).
Im Hinblick hierauf kann dahingestellt bleiben, ob die Fristwahrung zusätzlich daran scheitert, dass der Prüfantrag zunächst von der AOK O gestellt worden ist (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 Prüfvereinbarung), oder ob die spätere schlüssige Genehmigung durch den AOK-Landesverband insoweit Rückwirkung entfaltet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung. Der Senat hatte keinen Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), nachdem alle für die Beurteilung des Falles wesentlichen Rechtsfragen bereits vom BSG geklärt worden sind.
Tatbestand:
Streitig ist ein Regress aufgrund der Verordnung von Präparaten zur Substitution fehlender Gerinnungsfaktoren bei Hämophilie (Faktor-VIII-Präparate) durch den inzwischen verstorbenen, seinerzeit bei der Klägerin beschäftigten Arzt Dr. E zugunsten des bei der Beigeladenen zu 1) - vormals der AOK O - versicherten Patienten E Q (im Folgenden: Versicherter) im Zeitraum Februar 1985 bis März 1988.
Die Medizinischen Einrichtungen der Klägerin nahmen im gesamten Streitzeitraum im Rahmen des zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) geschlossenen Poliklinik-Vertrages an der Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teil. Nach § 1 dieses Vertrages waren sie ermächtigt, "auf Überweisung von Kassenärzten" u.a. "spezifische Blutgerinnungsdiagnostik einschl. Faktorenanalyse und daraus resultierende spezifische therapeutische Maßnahmen" zu erbringen. Gemäß § 2 unterwarf sich die Klägerin "hinsichtlich der ärztlichen Tätigkeit und der Abrechnung der erbrachten ärztlichen Leistungen den für Kassenärzte geltenden Vorschriften; insbesondere den Vorschriften über die wirtschaftliche Behandlungs- und Verordnungsweise sowie den Bestimmungen über die Durchführung des Prüfverfahrens".
Der an Hämophilie A leidende Versicherte wurde vom 17.02.1985 bis zum 22.03.1985 zunächst in der Inneren, später der Orthopädischen Klinik der Klägerin und dort u.a. von dem angestellten Arzt Dr. E stationär behandelt, der ihn auf ein neues Faktor-VIII-Präparat umstellte. Auch nach seiner Entlassung erhielt der Versicherte weiter Faktor-VIII-Präparate auf vertragsärztliche Verordnung von Dr. E, wobei ihm die Medikamente jeweils von einem in der Nähe der Universitätsklinik niedergelassenen Apotheker nach Hause geliefert wurden. Mit Ausnahme der Quartale III/1985 und I/1987 geschah dies, ohne dass dabei ein Berechtigungsschein zur Inanspruchnahme poliklinischer Behandlung vorlag. Im Zeitraum vom 22.02.1985 bis zum 25.03.1985 wurden dabei Faktor-VIII-Präparate im Gesamtwert von 1.687.884,00 DM verordnet. Im Zuge staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen fand beim Versicherten im Sommer 1988 eine Hausdurchsuchung statt, bei der Faktor-VIII-Präparate im Gesamtwert von 645.559,20 DM, größtenteils mit überschrittenem Verfallsdatum, aufgefunden wurden. Der Versicherte erklärte die Nichteinnahme dieser Medikamente mit seiner Sorge vor einer HIV-Infektion.
Am 30.11.1988 beantragte die AOK O die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 Abs. 1 der Vereinbarung über das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung sowie das Verfahren vor den Prüfungsausschüssen und dem Beschwerdeausschuss (Prüfvereinbarung) in Höhe von 645.559,20 DM gegen die Klägerin und die Prüfung ihrer Verordnungsweise gemäß § 12 Abs. 1 Prüfvereinbarung. Mit Beschluss vom 29.06.1989 setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 645.559,20 DM als sonstigen Schaden und einen Regress in Höhe von 41.432,00 DM wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise fest. Auf den Widerspruch der Klägerin hob der Beklagte den Verordnungsregress auf und hielt den Regress im Übrigen in Höhe von netto 599.255,99 DM für die Quartale I/1985 bis II/1986, IV/1986 und II/1987 bis I/1988 aufrecht. Zur Begründung führte er u.a. aus, Dr. E habe die sog. Heimselbstbehandlung des Versicherten nicht sachgemäß durchgeführt, weil er die erforderlichen Kontrolluntersuchungen und Aufzeichnungen unterlasse und den Versicherten nicht ordnungsgemäß ausgewählt habe. Dies müsse sich die Klägerin zurechnen lassen.
Mit der Klage zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat die Klägerin vorgetragen: Der Beklagte habe sich zu Unrecht auf § 14 Prüfvereinbarung gestützt, obwohl allenfalls ein Verordnungsregress nach § 12 Prüfvereinbarung in Betracht komme. Entsprechend fehle es an einem ordnungsgemäßen Prüfantrag. Zumindest sei dieser für die Quartale bis II/1997 einschließlich verfristet. Zu Unrecht habe ihr der Beklagte das Verhalten von Dr. E zugerechnet und überdies unzureichende Feststellungen zum Schaden getroffen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 22.09.1998 aufzuheben.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat seinen Beschluss verteidigt und dabei insbesondere ausgeführt, er sei zu Recht von einem "sonstigen Schaden" im Sinne von § 14 Prüfvereinbarung ausgegangen, weil die im Vordergrund stehende Frage, ob die streitigen Verordnungen zugunsten des Versicherten überhaupt hätten erfolgen dürfen, keine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern der Verletzung vertragsärztlicher Pflichten sei. Dem hat sich die Beigeladene zu 1) angeschlossen.
Mit Urteil vom 22.11.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Es ist von einem Regress nach § 14 Prüfvereinbarung ausgegangen und hat den hierfür erforderlichen Schaden darin gesehen, dass dem nicht einnahmewilligen Versicherten Medikamente unnötig verordnet worden seien. Die darin liegende Verletzung vertragsärztlicher Pflichten müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Das SG habe verkannt, dass eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten ausscheide, weil zwischen dem Versicherten und Dr. E ein privatärztlicher Behandlungsvertrag zustande gekommen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.11.2000 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 22.09.1998 aufzuheben.
Die übrigen Beteiligten stellen keine Anträge.
In der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2003 haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, den die Klägerin innerhalb der ihr eingeräumten Frist widerrufen hat. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie die Akten der Klägerin, des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) Bezug genommen, die beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und daher aufzuheben.
Für die Quartale I und II/1985, IV/1985 bis II/1986, IV/1986 und II/1987 bis I/1988 fehlt es an einer Rechtsgrundlage, auf die der Beklagte einen Regress stützen könnte. Insbesondere scheiden insoweit sowohl § 12 als auch § 14 Prüfvereinbarung aus. Denn Dr. E hat in diesen Quartalen keine vertragsärztlichen Leistungen erbracht, die der Überwachung oder Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach dieser Vereinbarung unterliegen.
Zwar hat sich die Klägerin nach § 2 Poliklinikvertrag hinsichtlich der ärztlichen Tätigkeit und der Abrechnung der erbrachten ärztlichen Leistungen den für Kassen- bzw. Vertragsärzte geltenden Vorschriften unterworfen. Das gilt insbesondere für die Bestimmungen über die wirtschaftliche Behandlungs- und Verordnungsweise sowie die Regelungen über die Durchführung des Prüfverfahrens, jedoch entsprechend dem Gesamtzusammenhang des Vertrages nur hinsichtlich solcher Leistungen, die vom Ermächtigungsgegenstand erfasst werden. Die Ermächtigung umfasst nach § 1 Poliklinikvertrag jedoch nur solche ambulanten ärztlichen Leistungen, die "auf Überweisung von Kassenärzten" erbracht werden.
Diese Auslegung des Vertrages steht in Übereinstimmung mit der ständigen, auch höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Prüfkompetenz der Prüfgremien bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung für Vertragsärzte. Nach § 106 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen durch gemeinsame Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse (§ 106 Abs. 4 SGB V) die Wirtschaftlichkeit der "vertragsärztlichen Versorgung" (entsprechend § 368n Abs. 5 Satz 1 der bis zum 31.12.1998 geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO)). Ihre Kompetenz besteht demzufolge bei und ist gleichzeitig beschränkt auf Leistungen, die im System der vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden. Demgegenüber liegt ein im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung feststellbarer, insbesondere "sonstiger" Schaden dann nicht (mehr) vor, wenn ein Vertragsarzt oder ermächtigter Arzt gar nicht als solcher, sondern außerhalb des Systems der vertragsärztlichen Versorgung tätig wird, z.B. weil er seine vertragsärztliche Tätigkeit nur vorgetäuscht hat (BSG, Urt. v. 18.04.1984 - 6 RKa 38/82 - SozR 5540 § 34 Nr. 1), Leistungen nicht oder nicht selbst erbracht hat (BSG, Urt. v. 21.11.1986 - 6 RKa 5/86 - SozR 2200 § 368 f Nr. 11; Urt. v. 18.12.1996 - 6 RKa 66/95 - SozR 3-5545 § 19 Nr. 2) oder weil die Ermächtigung nicht bestand (BSG, Urt. v. 12.03.1996 - 1 RK 13/95 - USK 96167). Nicht anders verhält es sich, wenn eine ermächtigte Einrichtung eine Leistung außerhalb des Systems der vertragsärztlichen Versorgung erbringt, weil die Voraussetzungen für ihren Zugang zu dieser Versorgung - z.B. in Ermangelung einer vertragsärztlichen Überweisung - nicht vorliegen. So verhält es sich hier. Denn die Berechtigung der Klägerin zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung hängt, wie dargelegt, nach § 1 Poliklinikvertrag vom Vorliegen einer vertragsärztlichen Überweisung ab. Eine solche hat - in Gestalt eines Berechtigungsscheins für die Inanspruchnahme poliklinischer Behandlung - nur in den Quartalen III/1985 und I/1987 vorgelegen, wobei allerdings für das Quartal I/1987 ein Regress nicht festgestellt worden ist.
Das bedeutet keineswegs, dass die Erbringung von Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung außerhalb einer vertragsärztlichen Zulassung oder Ermächtigung sanktionslos bliebe. Vielmehr entsteht hierdurch unmittelbar ein Schadenersatzanspruch der betroffenen Krankenkasse(n) gegen den Leistungserbringer (BSG, Urt. v. 07.12.1988 - 6 RKa 35/87; BSG, Urt. v. 21.06.1995 - 6 RKa 60/94 - Senat, Urt. v. 19.04.1989 - L 11 Ka 94/87), der sich der Höhe nach auf die durch die Leistung veranlassten Kosten beläuft, ohne dass eine Vorteilsausgleichung - etwa mit dem Argument, die Leistung hätte auch im Rahmen des vertragsärztlichen Systems erbracht werden können oder müssen - möglich wäre (sog. normativer Schadensbegriff; BSG, Urt. v. 21.06.1995 - a.a.O.). Nur kann er eben nicht als Regress seitens der Prüfgremien, sondern muss als Schadenersatzanspruch unmittelbar von der geschädigten Krankenkasse geltend gemacht werden, wobei der Senat ausdrücklich auch mit Blick auf den vorliegenden Fall offen lässt, ob dieser Schadenersatzanspruch bei vorsätzlicher Schadensverursachung der vierjährigen oder nicht vielmehr der dreißigjährigen Verjährungsfrist unterliegt.
Der angefochtene Bescheid erweist sich jedoch ebenso für das Quartal III/1985 als rechtswidrig, obwohl in diesem Quartal eine kassenärztliche Überweisung vorgelegen hat.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Prüfvereinbarung kann sich ein Regress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise nur auf den Zeitraum der letzten fünf Vierteljahre erstrecken, beginnend mit dem letzten den Krankenkassen gegenüber abgerechneten Vierteljahr. Da zum Zeitpunkt des Antrags der AOK O am 30.11.1988 zuletzt das Quartal III/1988 abgerechnet war, kam ein Regress mithin nur bis längstens zum Quartal III/1987 in Betracht.
Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 3 Prüfvereinbarung ist einschlägig, weil es - entgegen der Auffassung des Beklagten und des SG - im vorliegenden Fall nicht um die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 Prüfvereinbarung, sondern eine Überprüfung der Verordnungsweise im Sinne von § 12 Prüfvereinbarung gegangen ist.
Bei Regressen wegen Verstoßes gegen die Arzneimittelrichtlinien (AMR) handelt es sich stets um einen Verordnungsregress, nicht um einen Regress wegen eines sonstigen Schadens (vgl. BSG, Urt. v. 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 2). Der Sache nach liegt hier ein solcher Regress vor. Denn der Beklagte hat der Klägerin vorgeworfen, gegen Ziff. 5 AMR verstoßen zu haben, wonach Arzneimittelverordnungen grundsätzlich nur dann erfolgen dürfen, wenn sich der behandelnde Arzt vom Zustand des Kranken überzeugt hat oder ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Dafür spielt es keine entscheidende Rolle, ob man den Aspekt der Zuvielverordnung oder die Auswahl eines für die Heimselbstbehandlung ungeeigneten Patienten in den Vordergrund steht. Sowohl das richtige Ausmaß der Verordnung als auch die Auswahl des Patienten können nämlich nur aufgrund der von Ziff. 5 AMR geforderten Untersuchung festgestellt werden und unterliegen daher ersichtlich ihrem Schutzzweck.
Auch der Art des festgestellten Schadens nach handelt es sich um einen Verordnungsregress. Dieser besteht hier nämlich in Höhe des Betrages, den die AOK O an die Apotheke für Faktor-VIII-Präparate gezahlt hat, welche dem Versicherten gegen Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung von Dr. E ausgehändigt wurden. Demgegenüber ist der typische Schadensregress außerhalb des Verordnungsverhaltens dadurch gekennzeichnet, dass das Verhalten des Arztes Folgekosten der Kassen ähnlich einem "Mangelfolgeschaden" nach bürgerlichem Recht ausgelöst hat (vgl. BSG, Urt. v. 14.03.2001 - a.a.O.). Um einen solchen "Mangelfolgeschaden" geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht. Denn der Beklagte hat der Klägerin ersichtlich nicht vorgeworfen, dass durch die fehlerhafte Behandlung Schäden an anderer Stelle (z.B. weitere vermeidbare Erkrankungen des Versicherten) eingetreten wären.
Gegen das in § 12 Abs. 1 Satz 3 Prüfvereinbarung geregelte Fristerfordernis für den Prüfantrag bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Vorschrift beruht auf § 368n Abs. 5 Satz 3 RVO, wonach die Vertragsparteien des Gesamtvertrages das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit sowie das Verfahren vor den Ausschüssen regeln. Hiervon ist die Vereinbarung einer Antragsfrist gedeckt (vgl. zu § 106 SGB V BSG, Urt. v. 27.06.2001 -B 6 KA 66/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 35; zur vergleichbaren Problematik im Rahmen von § 17 Nr. 3 Satz 1 Bundesmantelvertrag Ärzte-/Ersatzkassen a.F. BSG, Urt. v. 16.12.1987 - 6 RKa 9/87 - SozR 5550 § 17 Nr. 1).
Im Hinblick hierauf kann dahingestellt bleiben, ob die Fristwahrung zusätzlich daran scheitert, dass der Prüfantrag zunächst von der AOK O gestellt worden ist (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 Prüfvereinbarung), oder ob die spätere schlüssige Genehmigung durch den AOK-Landesverband insoweit Rückwirkung entfaltet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung. Der Senat hatte keinen Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), nachdem alle für die Beurteilung des Falles wesentlichen Rechtsfragen bereits vom BSG geklärt worden sind.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved