L 10 SB 18/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 14 SB 12/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 18/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 31.07.2002 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Köln zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1951 geborene Klägerin begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Mit Teil-Abhilfebescheid vom 19.05.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.1995 stellte der Beklagte bei ihr einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest. Dieser Entscheidung lag das ärztliche Gutachten des Dr. X vom 18.04.1994 zugrunde, in dem
1. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreiz, Senk-Spreizfüße, Degeneration rechtes Kniegelenk, Hüftdysplasie beiderseits, Degeneration linkes Handgelenk, Fehlstellung beider Großzehen, schwache Leiste rechts" mit einem Einzel-GdB von 30 und
2. Gebärmuttersenkung, Zwölffingerdarmdivertikulose, chronische Bronchitis, Hypotonie, Struma" mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet wurden.

Mit Bescheid vom 10.07.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.1997 ergänzte der Beklagte die Leidensbezeichnung zu 1. um Fibromyalgie", die Feststellung eines höheren GdB lehnte er hingegen ab. Ein weiterer Änderungsantrag der Klägerin blieb erfolglos (Bescheid vom 13.05.1998).

Am 23.06.1999 beantragte die Klägerin erneut, einen höheren GdB festzustellen. Sie gab an, zusätzlich an Rheuma, Blutunterdruck, Migräne und Beschwerden der rechten Hand zu leiden. Der Beklagte holte einen Befundbericht von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. E sowie eine gutachtliche Stellungnahme, nach der eine wesentliche Verschlimmerung nicht zu erkennen sei, ein. In der Stellungnahme wird eine Fibromyalgie" nicht aufgeführt. Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 24.09.1999 und Widerspruchsbescheid vom 13.12.1999 ab.

Mit ihrer Klage vom 13.01.2000 hat die Klägerin vorgetragen, dass die bei ihr bestehenden Erkrankungen progredient seien; im Übrigen werde nicht deutlich, aus welchen Gründen eine anerkannte Fibromyalgie keine Behinderung mehr darstelle.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24.09.1999 und des Widerspruchsbescheides vom 13.12.1999 zu verurteilen, bei ihr ab 23.06.1999 das Vorliegen eines GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das SG hat u.a. über die Frage, ob in den mit Bescheid vom 10.07.1996 anerkannten Behinderungen eine wesentliche Änderung eingetreten sei, Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten von dem Facharzt für Innere Krankheiten Dr. L, dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C und dem Arzt für Orthopädie Dr. C1.

Dr. L (Gutachten vom 22.05.2001) hat u.a. unter Auswertung von Berichten der praktischen Ärztin H und des Prof. Dr. S den Gesundheitsstörungen "Duodenaldivertikel, Colondivertikel", "Pollinose, Neigung zu wiederkehrender Bronchitis" und "Gebärmuttersenkung" einen GdB von jeweils 10 zugemessen und insoweit einen "Gesamtgrad der Behinderung" von 10 gebildet. Eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung hat er verneint. In seinem Gutachten vom 04.10.2001 hat Dr. C eine depressive Erkrankung mit einem GdB von 20 und ein Karpaltunnelsyndrom mit einem GdB von 10 beschrieben. Gegenüber Dr. C hat die Klägerin angegeben, seit acht Jahren von Dr. H1 wegen Unruhe, Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen behandelt zu werden.

Dr. C1 (Gutachten vom 23.10.2001 und ergänzende Stellungnahme vom 04.03.2002) hat einem Gesamtwirbelsäulensyndrom bei Aufbrauchveränderungen, einer chronisch venösen Insuffizienz beider Unterschenkel sowie einer Funktionsstörung beider Hände einen GdB von jeweils 20 und einer Vorfußdeformität einen GdB von 10 zugemessen. Unter Berücksichtigung der internistischen und nervenärztlichen Gesundheitsstörungen hat er den Gesamt-GdB seit Juni 1999 mit 50 eingeschätzt. Im Funktionssystem Beine, dem er einen GdB von 20 zugemessen hat, komme es zu einer Verstärkung durch das Zusammenwirken der chronisch venösen Insuffizienz und der Fußdeformität; entsprechendes gelte für das Funktionssystem Arme, das einen GdB von 20 bedinge, aufgrund des Zusammenwirkens von Fingergelenksarthrose und beidseitigem Karpaltunnelsyndrom. Es bestehe eine chronisch venöse Insuffizienz beider Unterschenkel. Es hätten sich nämlich an beiden Unterschenkeln und Füßen Zinkleimverbände befunden, die zu einer teilweisen Abschwellung der Unterschenkel geführt hätten. Im Bereich der Sprunggelenke hätten die Verbände wegen noch bestehender Wassereinlagerung fest gesessen. Der behandelnde Kollege habe diese Verbände wegen einer massiven venösen Insuffizienz angelegt. Seine Aufgabe könne es nicht sein, diese Verbände zu entfernen und ggf. neu anzulegen.

Der Beklagte hat auf die vom Sozialgericht (SG) Köln eingeholten Gutachten u.a. vorgetragen, dem Gutachten des Dr. C1 seien keine genauen Umfangsmaße der Beine zu entnehmen; Hinweise auf akute entzündliche Veränderungen oder abgelaufene Entzündungen der Haut im Bereich der Beine fehlten; ein GdB von 20 für die diagnostizierte chronisch venöse Insuffzienz beider Unterschenkel sei somit nicht nachvollziehbar. Im Übrigen widerspreche auch ein Gesamt-GdB von 50 aus vier Einzel-GdB von 20 und einem Einzel-GdB von 10 den Vorgaben der Nr. 19 Abs. 4 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP).

Die 14. Kammer des SG hat der Klage mit Urteil vom 31.07.2002 stattgegeben und den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin ab 23.06.1999 einen GdB von 50 festzustellen.

Im November 2002 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Vorsitzende der 14. Kammer seit längerem arbeitsunfähig erkrankt und nicht abzusehen sei, wann diese ihren Dienst wieder aufnehme; eine Abfassung des Urteils sei somit zur Zeit nicht möglich.

Der Beklagte hat am 10.02.2003 Berufung eingelegt und vorgetragen, die Entscheidung des SG sei nicht nachvollziehbar; auch der Hauptgutachter habe keine Begründung für den GdB von 50 gegeben.

Er hat schriftsätzlich beantragt,

unter Abänderung des angefochten Urteils die Klage abzuweisen,
hilfsweise
den Rechtsstreit an das Sozialgericht Köln zurückzuverweisen.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen,
hilfsweise
den Rechtsstreit an das Sozialgericht Köln zurückzuverweisen.

Sie ist der Auffassung, das Urteil entspreche dem Beweisergebnis; sofern allerdings noch Aufklärungsbedarf bestehe, sei eine Zurückverweisung zwingend geboten, da ihr ansonsten eine Tatsacheninstanz genommen würde.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr entsprechendes Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die fristgemäß eingelegte und auch sonst zulässige Berufung ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Das Urteil des SG, das mit der Verkündung existent wurde, ist mit dem Rechtsmittel der Berufung anfechtbar. Denn die Zustellung des Urteils ist keine Bedingung für die Zulässigkeit der Berufung, sondern lediglich Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Berufungsfrist (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.1983 - 2 RU 3/82 - SozR 2220 § 539 Nr. 88 m.w.N.; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 135 Rdnr. 3).

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Verfahrensmangel im Sinn dieser Vorschrift ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst (Senatsurteile vom 05.09.2001 - L 10 SB 70/01 - und 23.01.2002 - L 10 SB 150/01 -; Urteil des 6. Senats des LSG NW vom 11.07.1995 - L 6 Vs 67/95 -; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 159 Rdn. 3 mwN; Zeihe, SGG, § 159 Rdn. 2a, 8a ). Gleichermaßen kommt eine Zurückverweisung bei unzureichender Begründung der angefochtenen Entscheidung (vgl. Senatsurteile vom 05.09.2001 und 23.01.2002, a.a.O.; Urteil des LSG NRW vom 14.05.1998 - L 7 SB 146/97 -), bei Verstößen gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung (Zeihe, aaO, Rdn. 8d) oder dann in Betracht, wenn sich das SG zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen

Solche Mängel liegen hier vor.

Das angefochtene Urteil verstößt insbesondere gegen die zwingenden Verfahrensvorschriften der §§ 134 Satz 1, 135 SGG, die unter anderem bestimmen, dass das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen vom Vorsitzenden zu unterschreiben und den Beteiligten zuzustellen ist. Auch liegt - u.a. - ein Verstoß gegen die §§ 136 Abs. 1 Nr. 6, 128 Abs. 1 SGG vor, nach denen ein Urteil Entscheidungsgründe enthalten muss und die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

Eine vollständige Heilung dieser Mängel kommt nicht mehr in Betracht. Eine nachträgliche Abfassung des Urteils, Unterschriftsleistung der mitwirkenden Kammervorsitzenden und Zustellung dieses Urteils sind ggf. tatsächlich noch möglich; jedoch würden dann weiterhin die schriftlichen Urteilsgründe fehlen. Seit der Verkündung des Urteils sind nämlich bereits neun Monate vergangen. Nach Ablauf dieser Zeit ist nicht mehr gewährleistet, dass eine Urteilsbegründung den Verlauf der mündlichen Verhandlung sowie das Beratungsergebnis zutreffend wiedergibt. Auch bei einer nachträglichen schriftlichen Absetzung und Ausfertigung der Urteilsgründe bliebe zumindest ein wesentlicher Verfahrensmangel bestehen. Denn die mit der schriftlichen Urteilsabfassung erstrebte Sicherung der Beurkundungsfunktion ist so lange Zeit nach Verkündung des Urteils nicht mehr erreichbar (s. dazu z.B. BSG, Urteil vom 22.09.1993 - 12 RK 39/93 - SozR3-1750 § 551 Nr. 5; Urteil vom 22.09.1993 - 12 RK 93/92 - Die Beiträge 1994, 224; Urteil vom 03.03.1994 - 1 RK 6/93 - SozR3-1750 § 551 Nr. 7; Urteil vom 10.03.1994 - 12 RK 47/93 - Die Beiträge 1994, 508; Urteil vom 06.03.1996 - 9 RVg 3/94 -). Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat mit Beschluss vom 27.04.1993 (GmS-OGB 1/92, NJW 1993, 2603 = ZIP 1993, 1341) einheitlich für alle Gerichtsbarkeiten entschieden, dass selbst ein Urteil, das formal vollständig ist, als nicht mit Gründen versehen gilt, wenn es nicht innerhalb von fünf Monaten nach Verkündung unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt ist. Damit stellt die Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe nach Ablauf von mehr als fünf Monaten einen so erheblichen und nicht heilbaren Verfahrensmangel dar, dass vorliegend von dem Versuch, von dem SG eine nachträgliche Urteilsbegründung mit Unterschriftsleistung einzuholen, abzusehen war.

Der Senat macht von dem ihm durch § 159 SGG eingeräumten Ermessen zur Zurückverweisung unter Abwägung der Interessen der Beteiligten an einer Sachentscheidung und dem Grundsatz der Prozessökonomie einerseits und dem Verlust einer Instanz - hier der erneuten Eröffnung des erstinstanzlichen Verfahrens - andererseits im entschiedenen Sinne Gebrauch.

a)

Wenn auch der Wille der Beteiligten nicht den Gang des Verfahrens bestimmt, ist dennoch zu berücksichtigen, dass die Klägerin, deren Interesse auf eine formell und sachlich-inhaltlich richtige Entscheidung in angemessener Zeit gerichtet ist, eine Zurückverweisung für sinnvoll erachtet und auch anregt.

b)

Welche Umstände des Einzelfalles das SG bewogen haben mögen, der Klage stattzugeben, ist mangels dokumentierter Entscheidungsgründe nicht ersichtlich. Zwar kann dem Sachzusammenhang entnommen werden, dass das SG sich zumindest im Gesamtergebnis der Beurteilung des Sachverständigen Dr. C1 angeschlossen hat. Dies reicht jedoch nicht aus, eine Urteilsbegründung zu ersetzen. Vielmehr müssen die Erwägungen, die das Gericht zum Urteilsausspruch führten, den Entscheidungsgründen zu entnehmen sein. Das Urteil muss aus sich heraus verständlich sein; insoweit notwendige Ausführungen können nicht schon durch Bezugnahme auf andere Unterlagen ersetzt werden. Zum Mindestinhalt eines Urteils gehört die Angabe der angewandten Rechtsnorm und der für erfüllt bzw. nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale sowie der dafür ausschlaggebend gewesenen tatsächlichen und rechtlichen Gründe. Diese Anforderungen können nicht durch Heranziehung des übrigen Akteninhalts erfüllt werden (vgl. Senatsurteile vom 23.01.2002 - L 10 SB 150/01 -, vom 18.12.2002 - L 10 SB 101/02 - und vom 22.01.2003 - L 10 SB 105/02 -). Liegen aber letztlich die für die richterliche Entscheidung leitenden Gründe nicht vor, kann der Senat das Urteil inhaltlich nicht überprüfen.

c)

Der Rechtsstreit ist in der Sache nicht zur Entscheidung reif.

Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis wäre der Rechtsstreit auch bei rechtzeitiger Abfassung des Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden; denn das SG hätte sich zu weiterer Beweiserhebung gedrängt fühlen müssen. Es hat den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Auf die eingeholten Gutachten, zumindest in der derzeit vorliegenden Form, hätte die Verurteilung des Beklagten nicht gestützt werden können.

Rechtsgrundlage des Verfahrens ist § 48 SGB X i.V.m. §§ 3 und 4 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw. ab 01.07.2001 §§ 2, 69 SGB IX. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X ist auch eine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin seit Erlass des letzten bindenden Bescheides zu sehen. Die Prüfung einer solchen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse setzt im Wesentlichen zunächst einen Vergleich zwischen den gesundheitlichen Verhältnissen, die bei Erlass des letzten bindenden Bescheides vorgelegen haben, und denen voraus, die nunmehr - bzw. im Zeitpunkt der beabsichtigten oder gebotenen Änderung der GdB-Feststellung - vorliegen. Ergibt sich dabei eine Änderung, ist zu prüfen, ob diese wesentlich und darauf beruhend der seinerzeit festgestellte GdB zu ändern ist.

Das SG hätte unter Berücksichtigung der von ihm in der Beweisanordnung vom 29.03.2001 dem Grunde nach zutreffend zugrunde gelegten Anspruchsgrundlage der Frage nach der wesentlichen Änderung weiter nachgehen müssen. Abstellen müssen hätte das SG allerdings auf den Bescheid vom 19.05.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.1995; der von ihm zugrunde gelegte Bescheid vom 10.07.1996 erschöpft sich lediglich in einer ablehnenden Entscheidung und stellt keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar; die Aufnahme der Diagnose Fibromyalgie" im Bescheid vom 10.07.1996 ist ebenfalls keine Regelung mit Dauerwirkung, sondern lediglich Teil der Entscheidungsbegründung des Beklagten.

Zu der Frage nach einer Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin gelangen die Sachverständigen in ihren Gutachten zwar zu dem Ergebnis, dass - im Einzelnen beschriebene - Änderungen eingetreten sind. Inwieweit und aus welchen Gründen aber daraus eine bzw. keine Erhöhung des Ausmaßes der zuvor bindend mit einem GdB von 40 beurteilten Gesamt-Beeinträchtigung resultiert, ist keinem Gutachten zu entnehmen.

Bereits aus dem Gesetz - § 4 Abs. 3 SchwbG bzw. ab 01.07.2001 § 69 Abs. 3 SGB IX - folgt im Übrigen, dass bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen der GdB nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist, wobei die AHP, insbesondere in ihrer Nr. 19, weitere Beurteilungsvorgaben enthalten. Nur bei deren Beachtung wird ein sachgerechtes Ergebnis erzielt werden können. Voraussetzung ist dabei, dass das Ausmaß der Beeinträchtigung einer jeden einzelnen Gesundheitsstörung und der daraus resultierende GdB annähernd sicher bestimmt und dann geprüft wird, in wieweit die durch die schwerwiegendste Gesundheitsstörung bedingte Beeinträchtigung durch die Auswirkungen der zusätzlichen Gesundheitsstörung erhöht wird. Dies gilt auch, wenn zusätzliche, neu hinzugetretene Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen sind.

In keinem der Gutachten wird dazu auch nur in annähernd ausreichendem Umfang Stellung genommen. Der Sachverständige Dr. C1 gibt zwar eine Bewertung des Gesamt-GdB ab; eine Begründung dafür enthält sein Gutachten aber nicht. Soweit er Ausführungen zu einem verstärkenden bzw. negativen Zusammenwirken einzelner Beeinträchtigungen in den Funktionssystemen Beine bzw. Arme macht, steht dies nicht im Zusammenhang mit der Frage nach dem Gesamt-GdB, d.h. nach dem Zusammenwirken aller Gesundheitsstörungen. Den Funktionssystemen Beine und Arme hat er im Übrigen jeweils einen GdB von 20 zugemessen, wobei dieser GdB jeweils bereits dem Einzel-GdB der schwerwiegendsten Gesundheitsstörung (venöse Insuffizienz bzw. Funktionsstörung beider Hände) entspricht und somit nach seiner Beurteilung die Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 10 (Fußdeformität bzw. Karpaltunnelsyndrom) schon nicht zu einer Veränderung des GdB für das jeweilige Funktionssystem geführt haben.

Ungeachtet dessen vermag sich der Senat derzeit auch nicht den Einzelbewertungen z.B. der depressiven Erkrankung und der chronisch venösen Insuffizienz anzuschließen.

Die Beurteilung des Dr. C, die depressive Erkrankung bedinge einen GdB von 20, mag zutreffend sein. Zu beachten ist aber, dass gerade die Diagnose einer psychischen Erkrankung und die Bewertung derer Auswirkungen zu einem großen Teil auf der Kenntnis der gesamten Krankheitsgeschichte und einer eingehenden Exploration des Probanden beruht. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2002 der Hilfe eines Dolmetschers bedurfte, stellt sich bereits die Frage, in welcher Weise die Exploration bei Dr. C erfolgte und inwieweit die dabei gefundenen Ergebnisse tatsächlich verwertbar sind. Unabhängig davon hätte es sich - zumindest nach Eingang des Gutachtens des Dr. C - aufgedrängt, noch ergänzend einen Bericht des die Klägerin langjährig behandelnden Dr. H1 einzuholen (nach entsprechender Erklärung der Klägerin, dass dieser Arzt von der Schweigepflicht entbunden wird), um nachfolgend Dr. C sowohl zu der Frage der Verständigung mit der Klägerin als auch zu den Befunden des Dr. H1 um eine ergänzende Stellungnahme zu bitten.

Weit stärkerer Aufklärungsbedarf besteht aber hinsichtlich der von Dr. C1 diagnostizierten chronischen venösen Insuffizienz beider Unterschenkel. Der Beklagte hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die von Dr. C1 erhobenen Befunde für diese Diagnose und eine Bewertung der von dieser Erkrankung ausgehenden Beeinträchtigung nicht ausreichen. Dieser Beurteilung vermag der Senat sich nur anschließen, erfolgten die - bis zum Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkenden - Feststellungen des Dr. C1 offensichtlich lediglich aufgrund angelegter Zinkleimverbände und der Art ihres Sitzes am 28.08.2001. Die an seiner Diagnose einer chronisch venösen Insuffizienz bestehenden Bedenken werden dadurch verstärkt, dass sich zum einen in der gesamten, bisher ermittelten medizinischen Vorgeschichte der Klägerin keine Hinweise auf eine derartige Beeinträchtigung finden und zum anderen Dr. L bei seiner Untersuchung am 15.05.2001 noch festgestellt hat, dass keine Krampfaderbildung und keine Hauternährungsstörungen vorliegen.

Zumindest Bedenken begegnet im Übrigen die Verfahrensweise des SG, von Dr. L in seine Bewertung einbezogene Befundberichte (Ärztin H und Prof. Dr. S) nicht auch zum Akteninhalt zu machen bzw. nicht selber zur Kenntnis zu nehmen.

Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind wesentlich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das SG bei ordnungsgemäßer Beweisaufnahme und Beweiswürdigung eine andere Entscheidung getroffen hätte.

Die trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG nicht zwingend vorgeschriebene Zurückverweisung ist angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens und im Hinblick darauf, dass den Beteiligten eine weitere Tatsacheninstanz - zur sachgerechten Aufklärung des Sachverhalts - erhalten bleiben soll, geboten

Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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