L 3 B 7/02 P

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 P 196/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 B 7/02 P
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 08.03.2002 wird geändert. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin U. B. aus E. beigeordnet.

Gründe:

I. Der im Jahre 1936 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert und lebt in dem Altenwohn- und Pflegeheim St. F ... Seit 01.10.1991 bezieht er eine Regelaltersrente i.H.v. 1.500,42 DM, Leistungen der vollstationären Pflege nach der Pflegestufe II des Sozialgesetzbuchs - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) und - zur Begleichung der restlichen Heimkosten - Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Seinen Antrag vom 26.03.2001, ihm Leistungen wegen Schwerstpflegebedürftigkeit zu bewilligen, lehnte die Beklagte auf der Grundlage eines Gutachtens des MDK mit Bescheid vom 01.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2001 ab. Hiergegen hat der Kläger mit einem am 12.11.2001 bei dem Sozialgericht Münster eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Er hat vorgetragen, aus dem vom Altenwohn- und Pflegeheim St. F. erstellten Gutachten ergebe sich, dass bei ihm die Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen nach der Pflegestufe III des Pflegeversicherungsgesetzes erfüllt seien. Die noch beizuziehende Pflegedokumentation, die Vernehmung der Pflegedienstleiterin Frau B. und die Anhörung weiterer Pflegepersonen werde ergeben, dass die durch den MDK ermittelten Zeitwerte für seinen konkreten Hilfebedarf unzutreffend seien.

Die Beklagte hat sich im Hinblick auf die Diskrepanzen zwischen ihren eigenen Feststellungen und den Angaben des Klägers dessen Anregung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens angeschlossen.

Das Sozialgericht hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 08.03.2002 abgelehnt. Die Rechtsverfolgung erscheine mutwillig, da eine verständige Person in der Situation des Klägers eine Klage nicht erheben würde. Der Kläger, der seine Heimkosten nicht durch seine Einkünfte und die Leistungen der Pflegekasse decken könne, erhalte durch die Zuordnung zur Pflegestufe III zwar höhere Leistungen. Wegen des dann wesentlich höheren Heimentgelts müsse er jedoch gleichzeitig in höherem Maße Sozialhilfe in Anspruch nehmen, ohne andere oder bessere Leistungen von seinem Heim zu erhalten. Ein Pflegebedürftiger, der hinreichend vermögend sei oder unterhaltspflichtige Angehörige habe, werde in der Situation des Klägers aus wirtschaftlichen Gründen eine Höherstufung bei einer vollstationären Pflege nicht begehren. Wenn der Kläger mit seiner Klage die Interessen seines Pflegeheimes verfolge, könne er dies jedenfalls nicht unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe tun.

Mit seiner Beschwerde vom 02.04.2002, der das SG nicht abgeholfen hat, hat der Kläger geltend gemacht, die vom SG vertretene Ansicht bedeute eine Einschränkung seiner Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG). Es sei unzulässig, dass das Gericht ausschließlich auf die wirtschaftliche Seite abstelle, und nicht berücksichtige, dass er im Falle seines Obsiegens die ihm gebührende Pflege erhalte. In der Konsequenz bedeute die Auffassung des Gerichts, dass ein großer Anteil von pflegebedürftigen Personen kein Klagerecht mehr habe, da diese mit ihrem noch vorhandenen Vermögen den Zuzahlungsbetrag im Rahmen einer Höherstufung nicht entrichten könnten.

II. Der Beschluss des SG vom 08.03.2002 war zu ändern, da Prozesskostenhilfe nach § 73a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu bewilligen ist.

Der Kläger ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten für die Prozessverfolgung ganz oder teilweise aufzubringen. Die im Prozesskostenhilfeverfahren regelmäßig zugrunde zu legende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt nach dem umfangreichen Klagevortrag zu den Einzelheiten des Hilfebedarfes des Klägers eine hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung. Dies wird auch darin deutlich, dass die Beteiligten übereinstimmend die Einholung eines Sachverständigengutachtens anregen.

Der Ansicht des SG, die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei - trotz hinreichender Erfolgsaussicht - mutwillig, kann der Senat schon im Ansatz nicht folgen. Er teilt die von der Bevollmächtigten hiergegen vorgebrachte Argumentation in vollem Umfang.

Die im sozialgerichtlichen Verfahren (wegen der i.d.R. bestehenden Beitreibbarkeit eines Anspruchs) seltene Mutwilligkeit einer Rechtsverfolgung soll nach der vom Sozialgericht zitierten Kommentarliteratur vorliegen, wenn ein verständiger Beteiligter sein Recht nicht in gleicher Weise verfolgen (Thomas/Putzo, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Auflage 1999, § 114 Rdnr. 7) bzw. ein nicht bedürftiger Beteiligter den Prozess nicht oder nicht in vollem Umfang führen würde, etwa weil ein günstiges Urteil für ihn auf absehbare Zeit keinen Vorteil haben würde (Meyer- Ladewig, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 6. Auflage 1998, § 73a Rdnr. 8). Derartige Sachverhaltskonstellationen liegen hier eindeutig nicht vor. Im Gegenteil: Von der Feststellung einer höheren Pflegestufe kann der Kläger dagegen durchaus profitieren. Im Falle eines Obsiegens kann er die seinem Pflegebedarf tatsächlich entsprechenden Pflegeleistungen erhalten, die er ansonsten schwer durchsetzen könnte. Die vom SG vertretenen Ansicht, das den Kläger betreuende Heim erbringe die erforderlichen Pflegeleistungen unabhängig von der festgelegten Pflegestufe, ist unter Berücksichtigung der Vergütungsstruktur nach dem SGB XI nicht haltbar. Die stationären Pflegeeinrichtungen sind zu wirtschaftlichem Verhalten verpflichtet (vgl. z.B. § 72 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Die Pflege- und Versorgungssituation des Klägers ist unmittelbar von der nach dem SGB XI festgestellten Pflegestufe abhängig. Bei der Bemessung der Pflegesätze bestimmt sich der Versorgungsaufwand, den ein Pflegebedürftiger nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit in Anspruch nehmen kann, regelmäßig nach seiner Zuordnung zu den Pflegestufen gemäß § 15 SGB XI (vgl. § 84 Abs. 2 SGB XI). Hieran orientieren sich auch die ergänzenden Leistungen des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Hilfe zur Pflege (§ 68a BSHG).

Vor diesem Hintergrund werden auch "verständige" Pflegebedürftige mit unterhaltspflichtigen Angehörigen nicht umhin kommen, die Sicherstellung ihrer Grundpflege durch die Verfolgung eines Anspruchs auf eine höhere Pflegestufe geltend zu machen.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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