L 11 B 17/03 KA ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 146/02 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 B 17/03 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 14.02.2003 abgeändert. Der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 16.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002 und der Hilfsantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen diesen Bescheid werden abgelehnt. Die Antragsgegnerin wird verurteilt, von den bereits einbehaltenen Beträgen 46.077,24 EUR an den Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits S 2 KA 79/02 auszuzahlen, unter der Auflage, dass dieser in Höhe der einbehaltenen Beträge Sicherheit durch unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft eines öffentlich-rechtlichen Kreditinstituts oder einer Großbank mit Sitz in der Europäischen Union leistet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Von den Verfahrenskosten beider Rechtszüge trägt der Antragsteller drei Viertel, die Antragsgegnerin ein Viertel. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Klage des Antragstellers gegen einen Sicherungseinbehalt seines Honorars aufschiebende Wirkung hat und die Antragsgegnerin verpflichtet ist, bereits einbehaltene Honoraranteile an den Antragsteller auszukehren.

Der Antragsteller ist als Zahnarzt in S niedergelassen. Mit Beschluss vom 11.09.2002 hat der Zulassungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe ihm die Zulassung als Vertragszahnarzt entzogen. Mit Bescheid vom 16.01.2002 ordnete die Antragsgegnerin zur Sicherung gegen Regressforderungen der Krankenkassen einen Sicherungseinbehalt von 50 % der jeweils fälligen Honorare (einschließlich Material- und Laboratoriumskosten) an. Den Einbehaltungsbetrag begrenzte sie vorerst auf 102.258,37 EUR. Sie ließ dem Antragsteller nach, die Einbehaltung durch eine unbedingte, unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft einer bundesdeutschen Bank oder öffentlichen Sparkasse abzuwenden. Zugleich ordnete sie die sofortige Vollziehung des Bescheides an. In rechtlicher Hinsicht berief sie sich auf §§ 6, 7 Abs. 1 ihrer Satzung vom 07.05.1994 (zuletzt geändert durch Beschluss der Vertreterversammlung vom 07.06.2002). In tatsächlicher Hinsicht warf sie dem Antragsteller sog. Abrechnungsverschiebungen vor: Leistungen, die er bzw. seine Assistentin Dr. I erbracht hätten, seien von dem mit ihm in Praxisgemeinschaft tätigen Vertragszahnarzt S abgerechnet worden, um Honorarkürzungen nach dem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) bzw. aufgrund der Degressionsbestimmungen zu umgehen. Die sofortige Vollziehbarkeit begründete sie zunächst nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2002, dem Antragsteller zugestellt am 14.06.2002, wies sie den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 16.01.2002 zurück. In der Begründung des Widerspruchsbescheides führte sie aus, es entspreche dem Sicherungszweck des Einbehalts, dass die Honorareinbehalte sofort durchgeführt würden und demzufolge dem Widerspruch keine aufschiebende Wirkung zukomme. Bis zum 27.05.2002 (letzter Zahlungstermin vor der Zustellung des Widerspruchsbescheides) behielt die Antragsgegnerin 46.077,24 EUR ein.

Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid am 28.06.2002 Klage erhoben (Az S 2 KA 79/02 SG Münster) und am 09.12.2002 einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Hierzu hat er sich darauf berufen, die Klage habe aufschiebende Wirkung, und der Sicherungseinbehalt sei auch materiell rechtswidrig: Es komme gegebenenfalls nur eine Haftung des Zahnarztes S für das von ihm zu Unrecht erhaltene Honorar in Betracht. Im Übrigen sei der Sicherungseinbehalt der Höhe nach unangemessen, da allenfalls Verschiebungen in einem Gesamtbetrag von 10.438,84 EUR belegbar seien.

Der Antragsteller hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Klage gegen den Bescheid vom 16.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12.06.2002 aufschiebende Wirkung hat, hilfsweise, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen

2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die bereits einbehaltenen Beträge an ihn auszuzahlen.

Mit Beschluss vom 14.02.2003 hat das Sozialgericht Münster (SG) festgestellt, dass die unter dem Aktenzeichen S 2 KA 79/02 geführte Klage gegen den Bescheid vom 16.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002 aufschiebende Wirkung habe. Zudem hat es die Antragsgegnerin verpflichtet, die bereits einbehaltenen Beträge an den Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits S 2 KA 79/02 auszuzahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Anfechtungsklage des Antragstellers nach § 86a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufschiebende Wirkung habe und diese nicht nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 85 Abs. 4 Satz 9 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) entfalle. Als "Honorarfestsetzung" im Sinne dieser Bestimmung könne nämlich nur ein solcher Verwaltungsakt angesehen werden, der konkrete Regelungen über die Honorare eines Vertragszahnarztes enthalte. Daran fehle es hier jedoch, weil die Antragsgegnerin lediglich einen Einbehalt zur Sicherung von Regressforderungen vorgenommen, hingegen das Honorar des Antragstellers nicht neu festgesetzt habe. Die Antragsgegnerin habe die sofortige Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG auch nicht wirksam angeordnet, weil es insoweit einer ausdrücklichen Anordnung, insbesondere im Tenor des Bescheides, bedürfe. Die Wiedergabe einer Rechtsauffassung in den Gründen des Widerspruchsbescheides reiche hierfür nicht aus.

Mit ihrer Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, trägt die Antragsgegnerin vor, der Sicherungseinbehalt betreffe künftige Honorarforderungen des Antragstellers ihr gegenüber und sei somit Bestandteil der Honorarfestsetzung. Das zur Auszahlung anstehende Honorar mindere sich um den Betrag des Sicherungseinbehaltes.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 14.02.2003 aufzuheben.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Prozessakten, die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin und insbesondere die Niederschrift des Erörterungstermins vom 10.12.2003 Bezug genommen, an dem der Antragsteller unentschuldigt nicht teil genommen hat.

II.

Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Bescheid ist unzulässig (1.). Es besteht kein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (2.). Der Auszahlungsanspruch ist hinsichtlich der bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides einbehaltenen Beträge begründet, aber nur gegen Sicherheitsleistung (3.).

1.

Der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 16.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002 (Hauptantrag zu 1)) ist unzulässig. Für ihn besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.

Der Senat folgt der in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Auffassung, wonach das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs feststellen kann, wenn die Behörde sie missachtet (OVG Brandenburg, NVwZ 2000, 577 f.; Bayerischer VGH, NVwZ 1999, 1363; Hessischer VGH, GewArch 1999, 38 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, NJW 1998, 1969 f.; OVG Berlin, NVwZ 1995, 399; OVG Bremen, NZV 1990, 367; LSG Niedersachsen, Beschl. v. 08.07.1997 - L 1 Rlw 20/97 eR - SGb 1998, 584 (Ls); , vgl. auch Meyer-Ladwig, SGG, 7. Aufl. (2002) § 86b Rdnr. 15 m.w.N.). Die Feststellung erfolgt gegebenenfalls aufgrund entsprechender Anwendung des § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG.

Eine entsprechende Anwendung von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kommt aber nach allgemeinen methodischen Grundsätzen nur in Betracht, wenn eine Regelungslücke besteht (BVerfGE 69, 315, 372; BVerfG, NJW 1990, 1593 m.w.N.). Sie scheidet mithin aus, wenn Rechtsschutz dem Grundsatz nach in unmittelbarer Anwendung dieser Vorschrift gewährt werden kann, insbesondere weil die Behörde nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehung ihres Bescheides angeordnet hat.

Eine solche Anordnung hat die Antragsgegnerin im Bescheid vom 16.01.2002 getroffen. Sie befindet sich auf Seite 2 des Bescheides oben, erste Zeile, unmittelbar über der Begründung. Dort ist sie zwar unbestreitbar leicht zu überlesen (selbst die Antragsgegnerin hat im Gerichtsverfahren gemeint, sie habe die sofortige Vollziehbarkeit nicht angeordnet), ihrem Wortlaut nach aber unmissverständlich gefasst.

2.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Hilfsantrag zu 1)) ist zwar zulässig, aber unbegründet.

Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist insoweit die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rdnr. 18 m.w.N.). Gegenstand der Beurteilung ist der Bescheid vom 16.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002 (entsprechende Anwendung von § 95 SGG). Die Bescheide sind insoweit einheitlich zu beurteilen.

Der Antragsteller hat nach wie vor ein Rechtsschutzbedürfnis an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, obwohl die Antragsgegnerin den Bescheid bereits in vollem Umfang vollzogen hat. Ergeht die Anordnung nämlich, so kann sie Grundlage der weitergehenden Anordnung sein, die einbehaltenen Beträge wieder an den Antragsteller auszuzahlen (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rdnr. 10 m.w.N.).

Der Antrag ist aber unbegründet.

a)

Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 16.01.2002 wirksam angeordnet. Insbesondere hat sie ihr besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich ausreichend begründet (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG), indem sie im Widerspruchsbescheid vom 12.06.2002 ausgeführt hat, es entspreche dem Sicherungszweck des Einbehalts, dass die Honorareinbehalte sofort durchgeführt würden und demzufolge dem Widerspruch keine aufschiebende Wirkung zukomme.

Die Begründungspflicht soll den Betroffenen in die Lage versetzen, seine Rechte wirksam wahrzunehmen. Gleichzeitig soll sie die Behörde zu besonders sorgfältiger Prüfung ihrer Anordnung veranlassen. Daraus folgt, dass formelhafte, allgemein gehaltene Wendungen den Begründungserfordernissen nicht genügen (vgl. ausführlich Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. (2003), § 80 Rdnr. 84 m.w.N.).

Die sich hieraus ergebenden Anforderungen an Umfang und Inhalt der Begründung lassen sich jedoch nicht schematisch, sondern nur nach Lage des jeweiligen Einzelfalles entwickeln. So ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass sich die Eilbedürftigkeit einer Regelung bereits aus ihrer Eigenart ergeben kann. In diesem Fall kann es ausreichen, auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides und darauf zu verweisen, dass seine Umsetzung keinen Aufschub duldet (so VGH Baden-Württemberg, VBlBW 1997, 305; Hessischer VGH, NVwZ-RR 1996, 205 f.; OVG Hamburg, NVwZ-RR 1994, 616 (Ls)). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung aus eigener Überzeugung an. Sie ist auf den selbstständigen Sicherungseinbehalt zu übertragen. Denn dieser entfaltet seinen Sinn, die vorläufige Sicherung vermögensrechtlicher Ansprüche der Antragsgegnerin gegen den einzelnen Vertragszahnarzt, nur dann, wenn sie unverzüglich umgesetzt wird. Andernfalls würde es ausreichen, die Entscheidung über den Zahlungsanspruch selbst abzuwarten. In diesem Fall liefe der Zweck des eigenständigen Sicherungseinbehalts jedoch leer. Daher reicht es zur Begründung des Interesses an seiner sofortigen Vollziehung aus, auf seine Rechtmäßigkeit und den ihm zugrunde liegenden Zweck zu verweisen. Diesen Anforderungen genügt die im Widerspruchsbescheid vom 12.06.2002 gegebene Begründung noch.

b)

Der Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung ist auch materiell nicht begründet.

Nach Abwägung aller Umstände ist das Interesse des Antragstellers am einstweiligen Nichtvollzug des angefochtenen Bescheides nicht höher als das öffentliche Interesse an seiner sofortigen Vollziehung.

Bei der im Rahmen des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung erweist sich der Bescheid nicht als offensichtlich rechtswidrig.

Ermächtigungsgrundlage für den Sicherungseinbehalt ist § 6 der Satzung der Antragsgegnerin. Nach §6 Abs. 1 der Satzung ist die Antragsgegnerin berechtigt, Vergütungen, die über sie abgewickelt werden, zurückzuhalten, wenn sich aus konkreten Tatsachen der begründete Verdacht ergibt, dass ein Mitglied Fehlabrechnungen vorgenommen hat und die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Beträge zurückgefordert werden können.

Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, wird sich wegen des komplizierten Sachverhaltes erst im Hauptsacheverfahren ermitteln lassen. Dessen Erfolgsaussichten sind jedoch zumindest offen. Denn auch nach dem vom Antragsteller eingeräumten Sachverhalt hat sein früherer Praxisgemeinschaftspartner, der Zahnarzt S, mit seinem Wissen und Wollen Leistungen gegenüber der Antragsgegnerin abgerechnet, obwohl er sie nicht selbst erbracht hatte. Dass der Antragsgegnerin hieraus ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, weil sie nur solche Leistungen vergüten muss, die der Vertragszahnarzt selbst erbracht und ordnungsgemäß abgerechnet hat, bedarf keiner näheren Darlegung. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nahe liegend, dass ihr nicht nur ein Honorarrückzahlungsanspruch gegen den Zahnarzt S, sondern auch - z.B. unter dem Gesichtspunkt der Haftung für die Verletzung von Rücksichtspflichten (§§ 282, 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch analog) - ein Schadenersatzanspruch gegen den Antragsteller zusteht. Im Hinblick auf die im Widerspruchsbescheid wiedergegebenen Honorarsummen, die deutliche und sprunghafte Veränderungen des Abrechnungsvolumens beider Vertragszahnärzte belegen, ist es auch keineswegs ausgeschlossen, dass dieser Schaden deutlich höher ist als die bereits jetzt feststehenden 10.438,84 EUR.

Auch ein derartiger Schadenersatzanspruch kann Gegenstand von Sicherungsmaßnahmen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Satzung der Antragsgegnerin sein. Dieser setzt schon seinem Wortlaut, erst recht seinem Sinn und Zweck nach nicht voraus, dass das "Mitglied", das die Fehlabrechnungen vorgenommen hat, und der Vertragszahnarzt, von dem die überzahlten Beträge zurückgefordert werden, personenidentisch sind.

Sind somit die Erfolgsaussichten der Hauptsache zumindest noch offen, so überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Auszahlung seines vollen Honorars nicht das Interesse der Antragsgegnerin an seiner vorläufigen Einbehaltung. Vielmehr ist das Einbehaltungsinteresse der Antragsgegnerin schon deshalb als besonders hochzu bewerten, weil sie im Hinblick auf den ungewissen Ausgang des Entziehungsverfahrens unter Umständen nur in begrenztem Maße künftig auf Honorar des Antragstellers wird zurückgreifen können. Vorrangige Interessen des Antragstellers sind demgegenüber nicht ersichtlich oder dargetan. Das gilt umso mehr, als er gegenwärtig wiederum in einer Praxisgemeinschaft tätig ist und seinen Lebensunterhalt durch vertragszahnärztliche Honorare in nach Angaben der Antragsgegnerin durchschnittlicher Höhe bestreiten kann.

3.

Demgegenüber ist der Antrag auf Auszahlung der einbehaltenen Beträge (Antrag zu 2)) in Höhe derjenigen Beträge begründet, die die Antragsgegnerin bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheides einbehalten hat, jedoch nur gegen Sicherheitsleistung.

a)

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere fehlt dem Antragsteller nicht das Rechtsschutzbedürfnis, obwohl er nicht ausdrücklich auch die Feststellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung bereits seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 16.01.2002 beantragt hat. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG gegenüber einem sofort vollziehbaren Verwaltungsakt fehlt, wenn nicht gleichzeitig auch ein Antrag nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt wird (vgl. zum Streitstand Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rdnr. 233 m.w.N.). Eines solchen Antrags bedarf es nämlich jedenfalls dann nicht, wenn der Widerspruch bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat oder daher allenfalls deren Feststellung in Betracht käme. So liegt es hier.

b)

Der Antrag ist für die Zeit bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheides begründet, weil der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 16.01.2002 bis zu diesem Zeitpunkt aufschiebende Wirkung hatte.

Das ergibt sich aus § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG.

Nach dieser Bestimmung hat die Anfechtungsklage gegen einen belastenden Bescheid aufschiebende Wirkung. Um einen solchen belastenden Bescheid handelt es sich bei dem Bescheid vom 16.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002 (vgl. zur Klageart bereits Senat, Urt. v. 08.11.1989 - Az L 11 Ka 60/89, S. 10 des Umdrucks). Richtige Klageart in der Hauptsache ist nicht etwa die Verpflichtungsklage auf ungekürzte Honorarauszahlung. Denn der Antragsteller kann sein dahingehendes Rechtsschutzziel am einfachsten dadurch erreichen, dass der auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger Honorarberechnungen gerichtete Bescheid über den Sicherungseinbehalt aufgehoben wird.

Die aufschiebende Wirkung entfällt nicht kraft Gesetzes (§ 86a Abs. 1 Nr. 4 SGG). Als Bundesgesetz im Sinne dieser Bestimmung kommt nur § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V in Betracht.

§ 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V findet auf den Fall des Sicherungseinbehalts unmittelbar keine Anwendung. Denn die Anordnung des Sicherungseinbehalts ist weder eine Honorarfestsetzung noch ihre Änderung oder Aufhebung nach dieser Vorschrift (wie hier: Steinhilper, MedR 2003, 433, 437).

Bescheide über die Honorarfestsetzung sind neben der vorläufigen und endgültigen Honorarfestsetzung auch die sachlich-rechnerische Richtigstellung und die hierauf fußende Honorarrückforderung einschließlich der Verrechnung solcher Forderungen mit dem Honoraranspruch (vgl. hierzu bereits LSG Nordrhein-Westfalen, GesR 2003, 115 ff.; Einzelheiten bei Steinhilper, MedR 2003, 433, 434). Allen diesen Entscheidungen ist gemeinsam, dass eine Regelung über die Honorierung von Art und Umfang der vertrags(zahn)ärztlichen Leistungen im Rahmen der Verteilung der Gesamtvergütung getroffen wird (vgl. § 85 Abs. 4 Satz 3 SGB V). Indem der Gesetzgeber den Rechtsbehelfen gegen solche Entscheidungen die aufschiebende Wirkung versagt hat, wollte er die finanzielle Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Leistungserbringung gewährleisten (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 20.06.2001 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/6335, S. 35). Insbesondere im Fall massenhaft erhobener Widersprüche gegen Regelungen in Bewertungs- oder Honorarverteilungsmaßstäben könnte es, wie bereits das SG mit Recht hervorgehoben hat, andernfalls zu Liquiditätsengpässen kommen.

Diese Erwägungen gelten für den Sicherungseinbehalt nicht. Auch wenn er vom Honorar des Vertragszahnarztes erfolgt, beinhaltet er keine Entscheidung über die Vergütung der vertragszahnärztlichen Leistungen nach Art und Umfang. Wie die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid selbst hervorhebt, dient er nicht der Verwirklichung eines bescheidmäßig festgestellten Anspruchs auf Honorarrückforderung, sondern vielmehr der Sicherung gegenüber möglichen Regressforderungen seitens der Krankenkassen. Andere Kassen(zahn)ärztliche Vereinigungen haben Sicherungseinbehalte in ihren Honorarverteilungsmaßstäben ebenfalls zur vorläufigen Sicherung möglicher Rückforderungs-, aber auch Schadenersatzansprüche geregelt (so z.B. § 4 Abs. 8 Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, § 8 Abs. 7 HVM der KV Nordwürttemberg). Sie gelten damit beispielsweise auch zugunsten von Ansprüchen aus Wirtschaftlichkeitsprüfungen, insbesondere Verordnungsregressen oder "sonstigen Schäden", die keinen Bezug zum Honoraranspruch des Vertrags(zahn)arztes aufweisen. Im Hinblick hierauf wird der Sicherungseinbehalt zu einer "Honorarfestsetzung" im Sinne von § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V auch nicht aufgrund seiner Wirkung, dass das Honorar in der festgesetzten Höhe gar nicht erst zur Auszahlung gelangt (vgl. Senat, a.a.O., S. 11 des Umdrucks). Denn die Wirkung einer Maßnahme ist von ihrer Rechtsnatur zu unterscheiden. Im Hinblick hierauf hat der Senat es in der zitierten Entscheidung auch ausdrücklich offen gelassen, ob die damalige Regelung des HVM der Antragsgegnerin ihrem Gehalt nach eine solche der Honorarverteilung war (S. 13 des Umdrucks).

Demgegenüber kommt es nicht darauf an, welche Art von Forderung dem Sicherungseinbehalt zu Grunde liegt und ob es sich dabei um eine im Wege der Honorarfestsetzung konkretisierte oder konkretisierbare Forderung handelt. Denn der Sicherungseinbehalt ist eigenständiges Regelungsinstrument und insbesondere kein Institut des Vollstreckungsrechts, das akzessorisch das Schicksal der jeweiligen Grundforderung teilt. Darüber hinaus wäre eine Differenzierung nach der Grundforderung in der Praxis auch kaum durchsetzbar, da vielfach Sicherungseinbehalte zur Sicherung mehrerer Forderungen (z.B. wegen einer Berichtigung aufgrund einer Plausibilitätsprüfung und eines zeitlich stattfindenden Prüfverfahrens) stattfinden.

Der Umstand, dass Rechtsbehelfe gegen Sicherungseinbehalte bis zum Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes keine aufschiebende Wirkung hatten (vgl. wiederum Senat, a.a.O., S. 12 des Umdrucks), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn dasselbe gilt beispielsweise für die Entscheidungen von Disziplinarausschüssen oder für vom Prüfungsausschuss festgesetzte Regresse (§ 106 Abs. 5 Satz 4 SGB V). In allen diesen Fällen hat der Gesetzgeber dem Grundsatz der aufschiebenden Wirkung nunmehr Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse eingeräumt.

Diesem Ergebnis kann die Antragsgegnerin nicht erfolgreich entgegenhalten, dass nur eine sofortige Umsetzung dem Sinn und Wesen des Sicherungseinbehalts entspreche. Da der Sicherungseinbehalt nämlich aus den dargelegten Gründen keine Maßnahme der Honorarfestsetzung darstellt, könnte man mit dieser Überlegung nur eine entsprechende Anwendung einzelner oder mehrerer Vorschriften, kraft derer die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen ausgeschlossen ist, auf den Sicherungseinbehalt rechtfertigen. Eine derartige Analogie scheitert als Einzel- wie als Gesamtanalogie aber sowohl daran, dass es an der - wie bereits dargelegt - erforderlichen Regelungslücke fehlt, als auch daran, dass die jeweilige Interessenlage nicht mit derjenigen beim Sicherungseinbehalt vergleichbar ist. Die das Krankenversicherungs- und Vertragsarztrecht betreffenden Ausnahmeregelungen (§§ 85 Abs. 4 Satz 9, 89 Abs. 1a Satz 3, 106 Abs. 5 Satz 7 SGB V) sind außer § 266 Abs. 6 Satz 8 SGB V sämtlich aufgrund der Ausschussberatungen ins Gesetz eingeflossen. Es kann daher unbedenklich angenommen werden, dass sie abschließend gemeint waren. Dabei hat der Gesetzgeber keinesfalls alle die finanzielle Situation der Krankenkassen oder Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen betreffenden Entscheidungen gleich behandelt, sondern sorgfältig differenziert: So entfällt beispielsweise bei Entscheidungen der Prüfgremien die aufschiebende Wirkung nicht generell, sondern nur bei Honorarkürzungen durch den Beschwerdeausschuss, und dies auch nur bei Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung und nicht etwa bei Regressen wegen eines sonstigen Schadens, obwohl auch hier u.U. erhebliche Beträge in Streit stehen können. Die jeweiligen Interessenlagen sind überdies auch deshalb nicht vergleichbar, weil die aufschiebende Wirkung nach den gesetzlichen Bestimmungen nur bei solchen Forderungen eintritt, die die jeweils zuständige Verwaltungseinheit als feststehend ansieht (im Fall der Wirtschaftlichkeitsprüfung sogar erst nach Überprüfung durch den Beschwerdeausschuss), während es für den Sicherungseinbehalt ausreicht, dass der zugrunde liegende Anspruch nur möglicherweise besteht.

Die aufschiebende Wirkung ist auch nicht rückwirkend dadurch eingetreten, dass die Antragsgegnerin die im Bescheid vom 16.01.2002 noch fehlende Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs im Widerspruchsbescheid vom 12.06.2002 nachgeholt hat.

In Rechtsprechung und Literatur ist äußerst umstritten, ob die nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG (bzw. der entsprechenden Vorschrift des § 80 Abs. 3 VwGO) erforderliche Begründung überhaupt noch nachgeholt werden kann (dagegen: VGH Mannheim, DÖV 1996, 839; Bayerischer VGH, BayVBl 1989, 117, 118; Binder in HK-SGG, § 86a Rdnr. 21; Rower-Kahlmann, SGG, § 86a Rdnr. 17; Zeihe, SGG, § 86a Rdnr. 28a; Kopp/Schenke a.a.O. § 80 Rdnr. 87; Schoch a.a.O. Rdnr. 179; dafür: OVG Bremen, NVwZ-RR 1999, 682; OVG Greifswald, NVwZ-RR 1999, 409; Hessischer VGH, DÖV 1985, 75 f.; OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ 1995, 919, 920; OVG Nordrhein-Westfalen, NJW 1986, 1894, 1895). Der Senat hält eine Nachholung mit heilender Wirkung für die Vergangenheit für ausgeschlossen. Dagegen sprechen die mit § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG bezweckte besondere Warnfunktion für die Behörde und das Klarstellungsinteresse des betroffenen Bescheidadressaten. Den öffentlichen Interessen wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass die Behörde jederzeit (auch nachträglich) eine neue Vollzugsanordnung treffen kann. Enthält dabei der Widerspruchsbescheid die im Ausgangsbescheid fehlende Begründung, so ist dies als konkludente neue Vollzugsanordnung auch dann anzusehen, wenn der Tenor des Widerspruchsbescheides eine solche nicht ausdrücklich enthält.

Im Hinblick darauf ist der Auszahlungsanspruch des Antragstellers für diejenigen Beträge begründet, die bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheides einbehalten worden sind. Nach der von der Antragsgegnerin im Erörterungstermin überreichten Aufstellung, an deren Richtigkeit nicht zu zweifeln ist, sind bis zum Zahlungstermin 27.05.2002 insgesamt 46.077,24 EUR einbehalten worden.

c)

Der Auszahlungsanspruch besteht jedoch nur gegen Sicherheitsleistung.

Es kann dahingestellt bleiben, ob § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG nach dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung die Gerichte grundsätzlich verpflichtet, die Beseitigung rechtswidrig eingetretener Vollzugsfolgen anzuordnen. Denn es steht nach § 86b Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGG zumindest im Ermessen des Gerichts, wie es die Aufhebung der Vollziehung anordnet, insbesondere, ob es sie mit Auflagen versieht oder befristet (allg.M.; vgl. ausführlich Schoch a.a.O. Rdnr. 302 m.w.N.).

In Wahrnehmung dieses Ermessens hält der Senat es für angemessen, die Aufhebung der Vollziehung nur unter der Auflage anzuordnen, dass der Antragsteller die im Tenor des Beschlusses näher beschriebene Bürgschaft beibringt. Aus der bereits zur Begründung des Sofortvollzugs dargelegten Interessenlage (oben unter 2.b)) ergibt sich, dass die durch diese Sicherheitsleistung geschützten öffentlichen Sicherungsinteressen die schützenswerten Interessen des Antragstellers an einer Auszahlung der einbehaltenen Honoraranteile ohne Sicherheitsleistung deutlich überwiegen.

Bei der Bestimmung der Sicherheit hat sich der Senat an § 6 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin i.V.m. Art 56 Abs. 1 EG-Vertrag orientiert.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Sie berücksichtigt, dass der Antragsteller hinsichtlich des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs wirtschaftlich im Wesentlichen nur die Rechtsposition erreicht, die ihm aufgrund des angefochtenen Bescheides ohnehin zustand.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 25 Abs. 2 Gerichtskostengesetz. Maßgebend ist das Interesse des Antragstellers, die einbehaltenen Honoraranteile bereits vor einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ausgekehrt zu erhalten. Das wirtschaftliche Interesse an der sich hieraus ergebenden früheren Möglichkeit der Kapitalnutzung schätzt der Senat auf 25.000 EUR.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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