L 4 (8) RA 70/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 3 RA 98/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 (8) RA 70/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 7/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 08.11.2001 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer 1990 bis 1992 in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Ausbildung in der Altenpflege als Anrechnungszeiten i.S.d. § 58 Abs 1 Satz 1 Nr. 4 b Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis 1996 geltenden Fassung (aF).

Die am 00.00.1969 geborene Klägerin schloss am 14. September 1990 mit dem vom Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW seit 1975 als Ausbildungsstätte für Altenpflege anerkannten "Fachseminar für Altenpflege" des Kreises X einen Ausbildungsvertrag. Dieser Vertrag nahm in § 1 Absatz 1 ausdrücklich Bezug auf die nordrhein-westfälische Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Altenpfleger/Innen vom 25. Mai 1990 (APO NW), Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen (GV NW) Seite 378.

Nach § 2 Absatz 3 des Ausbildungsvertrages bestand die Ausbildung aus einem 24-monatigen unentgeltlichen Lehrgang am Fachseminar und sah 1800 Stunden theoretischen Unterricht sowie 1200 Stunden fachpraktischen Unterricht in Einrichtungen der Altenhilfe und in Krankenhäusern unter Weisung des Fachseminars vor. In einem späteren Zeitplan wurden 1876 Stunden theoretischer und 972 fachpraktischer Unterricht festgesetzt.

Zu dessen Durchführung schlossen die Klägerin, das Fachseminar und das Evangelische D-werk e.V. am 28. Februar 1992 mit Wirkung ab dem 1. Oktober 1990 einen weiteren Vertrag. Darin vereinbarten sie unter Ziffer 4 für den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 30. September 1992 eine "Vergütung" in Höhe von 1.048, 11 DM und als "Nebenleistungen Urlaubsgeld (bei Anspruch), Sonderzuwendung, Arbeitgeberanteil zum 5. Vermögensbildungsgesetz sowie einen Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung (maximal 50 % der Kosten für die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung)". Diese Vergütung war den Teilnehmern der Ausbildung auch dann zu gewähren, wenn "er/sie beim Fachseminar oder bei anderen Trägern ausgebildet werde, sowie für die Dauer von sechs Wochen bei unverschuldeter Krankheit oder aus sonstiger in der Person liegender unverschuldeter Verhinderung".

Die Barmer Ersatzkasse, bei der die Klägerin krankenversichert war, bewertete die Ausbildung der Klägerin als Schulausbildung. Eine Abführung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung erfolgte nicht. Die Klägerin schloss den Lehrgang beim Fachseminar am 10. September 1992 erfolgreich ab und erhielt nach ihrem anschließenden Anerkennungsjahr am 8. November 1993 durch den Regierungspräsidenten Düsseldorf die staatliche Anerkennung als Altenpflegerin. Danach war sie versicherungspflichtig im erlernten Beruf tätig.

Aufgrund eines Rückenleidens bewilligte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 5. Juni 1997 mit Wirkung ab dem 10. Oktober 1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit bis zum 30. November 1997. Bezüglich der - hier allein streitigen - Berechnung der Rente lehnte die Beklagte die Anerkennung der Ausbildung der Klägerin zur Altenpflegerin als rentenrechtliche Anrechungszeit ab. Den dagegen erhobenen Rechtsbehelf der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 9. September 1998 mit der Begründung zurück, es handele sich nicht um eine Lehrzeit, Schul-, Fachschul-, Fachhochschul- oder Hochschulbildung, da Altenpflegeschüler während ihrer gesamten Ausbildung gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in Verbindung mit (i.V.m.) § 7 Absatz 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlägen.

Auf die dagegen erhobene Klage der Klägerin hat das Sozialgericht (SG) Duisburg die Beklagte durch Urteil vom 8. November 2001 verpflichtet, die streitbefangene Ausbildungszeit gemäß § 58 Abs 1 Satz 1 Nr. 4 b SGB VI aF als Anrechnungszeit zu berücksichtigen und sich dabei zur Begründung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12.Oktober 2000 - B 12 KR 7/00 R gestützt. Danach nämlich, so das SG, fehle es auch im Fall der Klägerin mangels Eingliederung in einen Betrieb oder Betriebsteil während der Ausbildungszeit bei dem Fachseminar für Altenpflege als selbständigem nicht-betrieblichen Träger an den sozialrechtlich erforderlichen Kriterien einer "Beschäftigung" im Sinne des § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Anderes folge auch nicht aus § 7 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über die Berufsausbildung in der Altenpflege vom 19. Juni 1994 (AltPflG NW - GV NW 1994, 395), da dieses Gesetz auf die bereits 1992 beendete Ausbildung der Klägerin zeitlich nicht anwendbar sei.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung trägt die Beklagte vor, das SG habe die vorgenannte Entscheidung des BSG zu Unrecht auf die vorliegende Fallkonstellation angewandt. Zudem sei davon auszugehen, dass die vom BSG zugrunde gelegte Auffassung nicht dem gesetzgeberischen Willen entspreche. Mit dem zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Job-AQTIV-Gesetz sei § 1 Satz 1 SGB VI vielmehr um eine Nr 3a erweitert und für Auszubildende nach dem Berufsbildungsgesetz ausdrücklich eine Versicherungspflicht in der Rentenversicherung angeordnet worden. Dies habe nach der amtlichen Begründung des Gesetzes (Bundestagsdrucksache 14/6944) der Beseitigung von durch die vom SG herangezogene BSG-Entscheidung entstandenen Unklarheiten gegolten.

Die - zugegebenermaßen - andere Rechtsauffassung und Verwaltungspraxis der örtlichen Renteneinzugsstellen und der übrigen Rentenversicherungsträger, die die Altenpflegeausbildung in NRW als Schulausbildung werteten, habe sich zudem seit 1995 mit Erlass des AltPflG NW, welches keine Zweifel mehr an der Versicherungspflicht von Altenpflegeschülern in NRW zulasse, im Sinne der Beklagten geändert. Abzustellen sei daher auf die frühere BSG-Rechtsprechung aus dem Jahr 1964 (BSG, Band 21, 247), nach der Lernschwestern eines Krankenhauses ungeachtet ihrer theoretischen Unterweisung in einer dem Krankenhaus angegliederten Krankenpflegeschule sozialversicherungsrechtlich als beschäftigt" angesehen worden waren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 8 November 2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wendet gegenüber der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung ein, diese verstoße gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, da ein 2001 erlassenes Gesetz die zehn Jahre zurückliegende Ausbildung der Klägerin nicht rückwirkend der Versicherungspflicht unterwerfen könne, zumal etwaige Ansprüche der Klägerin gegen die Ausbildungsstätte verjährt seien.

Wegen der Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die Sitzungsniederschriften vom 8. Oktober 2003 und vom 28. November 2003 Bezug genommen. Ergänzend wird auf die Gerichtsakte L 4 (8) RA 70/01 nebst beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Dem SG ist in Ausgangspunkt, Begründung und Ergebnis zuzustimmen, denn die von der Beklagten verweigerte Berücksichtigung der streitgegenständlichen Ausbildungszeit zum Beruf der Altenpflegerin beschwert die Klägerin in Sinne des § 54 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren sozialen Rechten aus § 58 Abs 1 Satz 1 Nr. 4 b SGB VI aF. Wegen des Rentenbeginns per 10. Oktober 1996 findet hinsichtlich der leistungsrechtlichen Beurteilung die bis zum 31. Dezember 1996 geltende Fassung der Vorschrift Anwendung, § 300 Absatz 1 und Absatz 3 SGB VI.

Danach sind zur leistungsrechtlichen Bestimmung der Rentenhöhe maximal 72 Monate als Anrechnungszeit zu berücksichtigen, wenn in dieser Zeit Versicherte nach dem vollendeten sechzehnten Lebensjahr eine Fachschule oder Hochschule besucht und abgeschlossen hatten. Fachschulen im Sinne der Vorschrift sind Ausbildungsstätten, die in ihrer Organisationsform wesentliche Merkmale einer Schule aufweisen (Löns in: Kreikebohm SGB VI Kommentar, 2. Auflage 2003 - zitiert: Kreikebohm -, § 58 Randnummer (RdNr) 19 mit weiteren Nachweisen (mwN) - was bei dem Fachseminar mit der Erteilung theoretischen Unterrichts in Klassen durch Lehrer nach einem vorgegeben Zeit- und Lehrplan mit entsprechenden ausbildungsbegleitenden Leistungskontrollen gegeben war - und die dabei mindestens einen Halbjahreskurs mit Ganztagsunterricht umfassen (Löns am angegebenen Ort (aaO) mwN) - dies traf bei der insgesamt zweijährigen Ganztagsausbildung am Fachseminar ebenfalls zu. Praktische Übungen, wie sie auch die von der Klägerin am Fachseminar durchlaufene Ausbildung vorsah, ändern hieran solange nichts, wie der theoretische Unterricht die Ausbildung zeitlich insgesamt bestimmend prägt - auch diese vom 4. Senat des BSG mit Urteil vom 30. März 1994 - 4 RA 11/93 - hervorgehobene Voraussetzung ist bzw war angesichts des deutlichen Überwiegens von 1876 Stunden theoretischen gegenüber lediglich 972 Stunden fachpraktischen Unterrichts im Fall des Fachseminars erfüllt. Wie von § 58 SGB VI in der maßgeblichen Fassung ferner (noch) vorausgesetzt, hat die Klägerin die erforderliche Abschlussprüfung am 10. September 1992 erfolgreich bestanden.

Schließlich steht der Berücksichtigung des streitbefangenen Zeitraums als Anerkennungszeit auch keine gleichzeitige sozialversicherungspflichtige "Beschäftigung" der Klägerin im Sinne des § 1 SGB VI iVm § 7 SGB IV entgegen. Abzustellen ist dabei ausschließlich auf die § 1 SGB VI und § 7 SGB IV in der während der streitbefangenen Ausbildungszeit von 1990 bis 1992 geltenden Fassung, denn § 300 SGB VI enthält - anders als für die leistungsrechtliche Bewertung - bezüglich der versicherungsrechtlichen Beurteilung zurückliegender Sachverhalte keinen Rechtsanwendungsbefehl für die Anwendung neuen Rechts auf die Vergangenheit (Jörg in: Kreikebohm, § 300 RdNr 3 mwN).

Zu dieser Fassung der genannten Vorschriften hat das BSG durch Urteil vom 12. Oktober 2000 - B 12 KR 7/00 R - ,wie vom SG zutreffend zitiert, bereits entschieden, dass für eine "Beschäftigung" im Sinne des damaligen Rechts unter anderem eine Eingliederung in eine fremdbestimmte betriebliche Organisation mit deren Produktions- bzw Dienstleistungsprozessen und eine Unterordnung unter das Arbeitgeber-Weisungsrecht bezüglich Zeit, Ort und Art der Arbeitsleistung gegeben sein muss, was dann fehlt, wenn die praktische Ausbildung - wie hier - unselbständiger Teil einer nicht-betrieblichen Ausbildung ist. Das SG hat diese Rechtsprechung entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht zu Unrecht auf den Fall der Klägerin übertragen, denn die Ausbildung am Fachseminar war - wie insbesondere die obigen tatsächlichen Feststellungen zum zeitlichen Umfang der jeweiligen Theorie- und Praxisstunden belegen - deutlich von einem Überwiegen der theoretisch-schulischen Anteile geprägt und brachte wegen des vertraglich ausdrücklich fortbestehenden Weisungsrechts des Fachseminars auch während der berufspraktischen Phasen keine arbeits- und sozialrechtliche Eingliederung der Klägerin in den Arbeitsprozess der betrieblichen Träger (hier des Evangelischen D-werkes e.V.) mit sich.

Auch aus der Vergütungsregelung folgt nichts anderes. Diese mag zwar äußerlich den Anschein eines Berufsbildungsverhältnisses im Sinne des § 3 Berufsbildungsgesetz (BBiG) erwecken, was grundsätzlich die Sozialversicherungspflichtigkeit der nach §§ 4, 10, 12 BBiG vereinbarten Vergütung nach sich zöge (Leinemann/ Taubert BBiG Kommentar, 2002, § 10 RdNr 6 mwN). Indes sind die genannten Vorschriften des BBiG vorliegend weder direkt noch entsprechend anwendbar. Der direkten Anwendung steht die fehlenden Bundeskompetenz zur Regelung der Ausbildungsverhältnisse in der Altenpflege entgegen, so dass die Bestimmungen der APO NW, die keinen Vergütungsanspruch begründen, vorgehen (vgl § 107 Absatz 1 BBiG; hierzu Leinemann Taubert aaO § 107 RdNr 2 mwN).

Auch eine entsprechende Anwendung des BBiG scheidet aus. Eine solche nämlich hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 7. März 2000 (Arbeitsrechtliche Praxis -AP- Nr. 28 zu § 611 Bürgerliches Gesetzbuch - Ausbildungsverhältnis) für Altenpflegeschülerinnen nur unter der Voraussetzung bejaht, dass der betriebliche Ausbildungsbereich im Vordergrund steht. Daran fehlt es hier, denn nach den vom Senat getroffenen tatsächlichen Feststellungen haben gerade die theoretischen Anteile der Ausbildung am Fachseminar das deutlich überwiegende Gepräge gegeben. Wie vom SG zutreffend dargelegt, handelte es sich daher bei der an die Klägerin gezahlten Vergütung" lediglich um einen überobligatorischen Aufwendungsersatz.

Die von der Beklagten vertretene Auffassung wäre nach alledem vom erkennenden Senat nur dann rechtlich zu halten gewesen, wenn in der am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Neuregelung des § 1 Satz Nr. 3a SGB VI durch das Job-AQTIV-Gesetz tatsächlich eine zulässige authentische Interpretation des Gesetzes durch den Gesetzgeber läge. Dies ist indes aus den nachstehenden Gründen nicht der Fall:

Authentische Interpretation meint, dass der Gesetzgeber durch eine Klarstellung (also durch eine eigene nachträgliche Interpretation seiner selbst) anordnet, wie die schon bisher bestehenden gesetzlichen Bestimmungen von Anfang an zu verstehen waren. Eine solche Klarstellung ist von den Gerichten in den Grenzen einer verfassungsrechtlichen rückwirkenden Gesetzesänderung zu beachten, auch bei einer zusätzlichen Belastung des Bürgers, wenn das Vertrauen auf die zuvor bestehende Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war, insbesondere, wenn das geltende Recht, das durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde, unklar und verworren war oder wenn der Bürger sich ohnedies nicht auf den durch die Norm erzeugten Rechtsschein verlassen konnte (BSG Urteil vom 27. September 1989 - 11 RAr 53/88 - unter Hinweis auf BVerfGE 50, 177, 193f). Inwieweit der Gesetzgeber der Neufassung Rückwirkung beimessen will, ist jeweils durch Auslegung zu ermitteln (BSG aaO).

Gegen die Annahme einer Rückwirkung spricht hier, dass der Gesetzgeber in der entsprechenden Neuregelung durch das Job-AQTIV-Gesetz untrennbar Elemente der Auslegung des ursprünglich Gewollten mit denen einer Rechtsänderung verbunden hat. Das belegt insbesondere die Regelung des § 162 Nr 3 a SGB VI, die ebenfalls mit dem Job-AQTIV-Gesetz in das SGB VI eingefügt wurde und die - erstmals - anordnet, dass und in welcher genauen Höhe die Träger außerbetrieblicher Ausbildungsmaßnamen Rentenversicherungsbeiträge für die Auszubildenden zu tragen haben. Nur so ist auch die - von der Beklagten ausdrücklich eingeräumte und von ihr auch nicht durch (aufsichts-)rechtliche Maßnahmen angegriffene - Verwaltungspraxis der örtlichen Beitragseinzugsstellen und Rentenversicherungsträger während des streitbefangenen Zeitraums in Bezug auf Altenpflegeschüler in NRW erklärbar.

Zudem haben der 4. und der 7. Senat des BSG übereinstimmend hervorgehoben, dass eine authentische Interpretation durch den Gesetzgeber, der eine Vorschrift entgegen der Auslegung durch die zuständigen Gerichte (jetzt) in einem anderen gewünschten Sinn angewandt wissen will, wegen der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes (GG), die allein die rechtsprechende Gewalt mit der Anwendung (und Auslegung) des Rechts betraut (Art 20 Absatz 2 Satz 2 GG), nicht zulässig ist, es sei denn, der Gesetzgeber fasst das gewollte Ergebnis mit ausdrücklicher Rückwirkungsanordnung in unmissverständlichen "Klartext" (Urteil des 4. Senats vom 10. April 2003 - B 4 RA 43/02 - und Urteil des 7. Senats vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 18/02 R -), woran es vorliegend ungeachtet des im Gesetzgebungsverfahren angeführten Klarstellungsbedürfnisses in der Gesetz gewordenen Formulierung des § 1 Satz 1 Nr 3 a SGB VI fehlt.

Der Senat lässt vor diesem schon einfach-rechtlich ungenügenden Hintergrund ausdrücklich offen, ob einer in die Vergangenheit gerichteten Neufassung des § 1 SGB VI durch das Job-AQTIV-Gesetz darüber hinaus das verfassungsrechtliche Verbot der Rückwirkung bzw. in neuerer Terminologie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) der - grundsätzlich unzulässigen - Rückbewirkung von Rechtsfolgen (Nachweise zB bei Jarras in Jarrass/Pieroth, GG Kommentar, 6. Auflage 2002, Art 20 RdNr 68 ff) auf abgeschlossene in Sachverhalte der Vergangenheit entgegenstünde, weil die tatsächliche Ausgestaltung des von 1990 bis 1992 bestehenden Ausbildungsverhältnisses der Klägerin in der Altenpflege als abgeschlossener Sachverhalt in der Vergangenheit nicht mehr änderbar ist. Die rechtliche Frage nach der damaligen Versicherungspflicht nicht am damaligen Recht, sondern heute - hypothetisch - an der nunmehr durch das Job-AQTIV-Gesetz bewirkten Rechtslage zu messen, wie es der Rechtsauffassung der Beklagten entspräche, könnte insofern im Ergebnis eine rückwirkende Fiktion zu Lasten der Versicherten bedeuten, für die es nach Art 20 Absatz 3 GG i.V.m. § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfe, die hier indes fehlt (vergleiche zu dem Beispiel der durch Gesetz ausdrücklich neu bewerteten Ausfallzeiten nach altem Recht: BVerfG Urteil vom 1. Juli 1981 - 1 BvL 10/81-).

Keiner weiteren Ermittlungen bedurfte ferner auch die Frage, ob der Beklagten bei Zugrundelegen der von ihr selbst vertretenen Rechtsauffassung die damalige Duldung fehlender Beitragsabführung durch die zuständigen Einzugsstellen nach sozialrechtlichen Herstellungsgrundsätzen (hierzu zB Gagel, in: Die Sozialgerichtsbarkeit 2000, Seite 517 ff) zuzurechnen und inwieweit danach gemäß § 197 Absatz 1 und 3 SGB VI iVm § 25 SGB IV Verjährung eingetreten wäre oder ob die Klägerin danach im Verhältnis zur Beklagten sogar so behandelt werden müsste, als habe sie in der streitbefangenen Zeit Pflichtbeiträge entrichtet.

Schließlich bietet auch das nordrhein-westfälische Landesrecht keine hinreichende Grundlage für die von der Beklagten im streitbefangenen Zeitraum angenommene Versicherungspflicht von Altenpflegeschülerinnen wie der Klägerin. Denn eine entsprechende Regelung über das Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen findet sich nur in § 7 Absatz 2 AltPflG NW. Dessen § 13 bestimmt jedoch ausdrücklich, dass dieses Gesetz mit Wirkung ab dem 1. Januar 1995 in Kraft getreten ist, so dass für den davor liegenden Zeitraum von 1990 bis 1992 ausschließlich auf die APO NW abzustellen ist, die eine solche Bestimmung gerade nicht enthält. Ob Landesrecht mit Blick auf Art 31 GG rechtlich in der Lage ist, die oben genannte zum höherrangigen Bundesrecht des SGB VI und SGV IV ergangene Rechtsprechung des BSG in Frage zu stellen, kann daher ebenfalls offen bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Es bestand Anlass, die Revision zuzulassen, da über die zeitliche Reichweite des Job-AQTIV-Gesetzes im Bezug auf die sozialversicherungsrechtliche Bewertung überbetrieblicher Ausbildungsabschnitte im Sinne des § 1 Satz 1 Nr 3 a SGB VI höchstrichterlich noch nicht entschieden ist und diese Frage, wie aus den Verwaltungsakten der Beklagten ersichtlich, eine Vielzahl vergleichbarer Fälle betrifft (§ 160 Absatz 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved