L 5 KR 139/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 44 KR 345/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 139/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 8/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revision d. Bekl. durch Urteil vom 17.03.2005 zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05.06.2003 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege.

Die bei der Beklagten versicherte Klägerin ist 1919 geboren. Bis zum November 2002 hat sie zusammen mit ihrem Ehemann, der selbst pflegebedürftig ist, in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Bei der Klägerin bestanden eine Herzinsuffizienz und ein hirnorganisches Psychosyndrom, sie erhielt im streitigen Zeitraum Leistungen nach der Pflegestufe I aus der Pflegeversicherung. Nach dem Pflegegutachten vom 10.07.2000 betrug der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege 100 Minuten pro Tag. Bei der Nahrungsaufnahme erfolgte das Essen und Trinken zwar alleine, teilweise jedoch erst nach Aufforderung, so dass insoweit ein Pflegeaufwand von 9 Minuten pro Tag berücksichtigt wurde. Zum Zeitpunkt der Erstattung des Pflegegutachtens erhielt die Klägerin zweimal täglich Medikamentengabe als häusliche Krankenpflege.

Arzt für Allgemeinmedizin Dr. T verordnete am 19.03.2002 für die Zeit vom 01.04.2002 bis 30.06.2002 als Folgeverordnung zweimal tägliche Medikamentengabe wegen Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.04.2002 ab. Zwar stelle die Medikamentengabe grundsätzlich eine verordnungsfähige Leistung der häuslichen Krankenpflege dar. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinem Urteil vom 30.10.2001 (SozR 3-2500 § 37 Nr. 3) jedoch klargestellt, dass Verrichtungen der Behandlungspflege, die in einem untrennbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Grundpflege (hier: Ernährung) stünden, bereits im Leistungsumfang der Pflegeversicherung enthalten seien und daher nicht mehr gesondert durch die Krankenversicherung vergütet werden könnten. Die vom BSG hierfür genannten Voraussetzungen seien erfüllt, denn die Klägerin erhalte Leistungen nach der Pflegestufe I von der Pflegekasse und die Maßnahme der Behandlungspflege in Form der Medikamentengabe stehe objektiv notwendig in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der mundgerechten Nahrungszubereitung/Nahrungsaufnahme. Auf den Widerspruch der Klägerin holte die Beklagte eine Auskunft von Dr. T auf einem von ihr vorgefertigten Formular ein, in dem Dr. T die Frage, ob alle verordneten Medikamente im zeitlichen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme eingenommen werden sollten, bejahte. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2002 wies die Beklagte den Widerspruch daraufhin zurück.

Die Klägerin hat sich die Behandlungspflege von einem Pflegedienst selbst beschafft. Dessen Rechnungen belaufen sich für den Zeitraum 01.04. bis 30.06.2002 auf insgesamt 892,42 Euro; der Betrag ist einstweilen gestundet.

Zur Begründung der am 12.07.2002 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Beklagte habe die beantragte Leistung zu Unrecht abgelehnt, so dass sie gezwungen gewesen sei, sich die Leistung selbst zu beschaffen. Es sei unzulässig, Maßnahmen der Behandlungspflege den grundpflegerischen Verrichtungen zuzuordnen, da die Aufzählung in § 14 Abs. 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) abschließend sei. Rechne man sie der Grundpflege der Pflegeversicherung zu, würde der Anspruch auf Behandlungspflege bei Gewährung von Leistungen nach dem SGB XI entfallen, obwohl ein krankenversicherungsrechtlicher Anspruch auf Behandlungspflege bestehe. Soweit sich die Beklagte auf die Entscheidung des BSG vom 30.10.2002 (a.a.O.) beziehe, stehe die Medikamentengabe mit der Verrichtung Nahrungsaufnahme nicht notwendig in einem so zeitlichen Zusammenhang wie das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen mit dem An- und Auskleiden.

Das Sozialgericht hat eine Auskunft von Dr. T zur Frage eingeholt, ob die Medikamenteneinnahmen im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme erfolgen müsse. Dieser hat mitgeteilt, dass alle Medikamente nach einer Nahrungsaufnahme eingenommen werden sollten. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf seine Antwort vom 06.01.2003 (Bl. 44 GA) Bezug genommen.

Mit Urteil vom 05.06.2003 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Freistellung von den entstandenen Kosten verurteilt. Es hat einen notwendigen Zusammenhang der Medikamentengabe mit einer Verrichtung aus dem Bereich der Grundpflege verneint, weil Dr. T nur empfohlen habe, die Medikamente nach der Nahrungsaufnahme einzunehmen.

Die Beklagte hält mit der fristgerecht eingelegten Berufung an ihrer Auffassung fest, dass hier der vom BSG geforderte objektive zeitliche Zusammenhang beider Maßnahmen vorliege. Die Medikamentengabe sei im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme vorzunehmen, um die Einnahmesicherheit zu gewährleisten. Ein zwingender medizinischer Grund für eine Verbindung beider Verrichtungen sei nach der Rechtsprechung für die Verbindung beider Maßnahmen nicht notwendig. Die Verträglichkeit der Präparate bei Einnahme nach der Mahlzeit sei ein geeigneter medizinischer Grund für die gleichzeitige Durchführung der Maßnahme.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05.06.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und wiederholt ihren Vortrag, dass eine Versorgung mit Medikamenten nicht unter den Katalog der Verrichtungen des § 14 Abs. 4 SGB XI falle. Im Übrigen habe Dr. T nur empfohlen, die Medikamente nicht nüchtern, sondern möglichst nach einer Nahrungsaufnahme einzunehmen. Somit habe sie die verordneten Medikamente auch unabhängig von der Nahrungsaufnahme einnehmen können; der Aussage von Dr. T sei jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die Medikamentengabe im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme erfolgen müsse, um die Einnahmesicherheit zu gewährleisten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat sie zu Recht zur Freistellung von den entstandenen Kosten für die Behandlungspflege verurteilt.

I. 1. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege). Dieser Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht, was auch die Beklagte grundsätzlich nicht in Frage stellt, neben den Leistungen bei häuslicher Pflege aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die von Dr. T verordnete Medikamentengabe zählt zu den im Rahmen der Behandlungspflege verordnungsfähigen Leistungen (Nr. 26 der Anlage der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 vom 16.02.2000 (BAnz Nr. 91 vom 13.05.2000)). Die medizinische Notwendigkeit der Medikamentengabe ergibt sich aus dem Pflegegutachten vom 01.08.2000, denn die Klägerin hat selbst Essen und Trinken zum Teil nur nach Aufforderung vorgenommen und erhielt schon zum damaligen Zeitpunkt Medikamentengabe als Behandlungspflege. Der Anspruch ist auch nicht nach § 37 Abs. 3 SGB V ausgeschlossen; die Beklagte hat selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht eingeräumt, dass der - selbst pflegebedürftige - Ehemann der Klägerin die Pflegemaßnahme nicht übernehmen konnte.

2. Die Leistungspflicht der Beklagten entfällt auch nicht deshalb, weil die benötigte Maßnahme der Behandlungspflege in die Hilfeleistung bei Verrichtungen der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) einbezogen und damit Gegenstand der Leistungspflicht der Pflegekasse ist.

a) Nach der Rechtsprechung des BSG zählen krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zum Grundpflegebedarf nach § 14 Abs. 4 SGB XI, wenn eine solche Maßnahme entweder (a) untrennbarer Bestandteil einer Katalogverrichtung des § 14 Abs. 4 SGB XI ist oder (b) mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 9 S. 60; SozR 3-2500 § 37 Nr. 3 S. 26; "in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich wird", so die Formulierung zu (b) in BSGE 82, 276, 279; SozR 3-3300 § 14 Nr. 11 S. 80). Bei Erfüllung einer dieser Voraussetzungen ist der zeitliche Aufwand für die Maßnahme der Behandlungspflege bei der Ermittlung des Gesamtbedarfs für die Grundpflege bei der jeweiligen Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI mit einzubeziehen und kann sich somit auf die Stufe der Pflegebedürftigkeit (§ 15 Abs. 1, 3 SGB XI) auswirken.

b) Wird die Maßnahme der Behandlungspflege insoweit in die Leistungen der Pflegeversicherung einbezogen, soll nach der Entscheidung des BSG vom 30.10.2001 (a.a.O. S. 23) grundsätzlich ein dieselbe Maßnahme betreffender Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung der Krankenversicherung ausscheiden, weil sie nicht mehr i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V notwendig sei. Unabhängig davon, ob hier die genannten Voraussetzungen für eine Einbeziehung der Maßnahme zu der Nahrungsaufnahme (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) gegeben ist, hat der Senat Bedenken, der Rechtsprechung des BSG in diesem Punkt zu folgen.

aa) Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BSG für die Einbeziehung krankheitsspezifischer Hilfeleistungen in die Verrichtungen der Grundpflege war es, eine (begrenzte) Ausweitung des Grundpflegebedarfs im Rahmen der Pflegeversicherung zu ermöglichen. Im Urteil vom 19.02.1998 (BSGE 82, 27, 30 ff.) wird darauf hingewiesen, dass die volle Einbeziehung krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen zum pflegerelevanten Hilfebedarf sogar eher dem Ziel der Pflegeversicherung, die häusliche Pflege zu fördern, entspreche. Die Versicherten müssten entweder aus der Pflegeversicherung oder der Krankenversicherung die erforderlichen Leistungen erhalten, um die elementare Lebensführung zu Hause sicherzustellen. Wegen der Regelung in § 37 Abs. 3 SGB V entlasteten sich aber die Krankenversicherungsträger vielfach zu Lasten der pflegenden Angehörigen, so dass eigentlich konsequenterweise diese krankheitsspezifischen Maßnahmen bei der Bemessung des Pflegebedarfs berücksichtigt werden müssten. Dabei hat das BSG zugleich ausgeführt, dass der Begriff der Behandlungspflege ohnehin inhaltlich nicht eindeutig zu definieren sei. Es hat insoweit gemeint, eine "sachgerechte Gesetzesauslegung" erlaube es jedenfalls, Maßnahmen der Behandlungspflege im weitesten Sinne bei der Ermittlung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen, wobei die in der Entscheidung zunächst genannten Kriterien für die Einbeziehung (zeitlicher Zusammenhang zwischen den Maßnahmen und Nichterforderlichkeit von Fachkunde, a.a.O. S. 34) in der weiteren Rechtsprechung im oben dargestellten Sinne präzisiert worden sind. Ziel der Entscheidung (und der weiteren Rechtsprechung) war es also, den Bereich der Grundpflege zu erweitern und Versicherten dadurch Leistungen aus der Pflegeversicherung einzuräumen.

bb) Soweit ersichtlich hat das Urteil vom 30.10.2001 (a.a.O.) erstmals dazu geführt, dass wegen dieser Erweiterung des Bereichs der Grundpflege eine Leistung der Krankenversicherung versagt worden ist. Zwar erscheint es auf den ersten Blick konsequent, dass eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme, die Bestandteil einer Pflegeverrichtung nach § 14 Abs. 4 SGB XI ist, als Behandlungspflege nach § 37 SGB V nicht in Betracht kommt (so Mrozynski in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 37 SGB V Rdn. 26). Jedoch muss in diesem Zusammenhang der begrenzte Leistungsumfang der Pflegeversicherung berücksichtigt werden. Die Aussage, eine gesetzliche Leistung der Krankenversicherung sei i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V nicht notwendig, wenn sie bei den Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt worden sei, trifft nur zu, wenn tatsächlich in der Pflegeversicherung unabhängig vom sonstigen Hilfebedarf bei den Katalogverrichtungen dieser medizinische "Mehraufwand" ausgeglichen wird. Dies ist jedoch in vielen Fällen nicht so. Das Gesetz sieht für die ambulanten Leistungen der Pflegeversicherung einen nach Pflegestufen (§ 15 Abs. 1, 3 SGB XI) gestaffelten Leistungsumfang vor (§§ 36 Abs. 3, 37 Abs. 1 Satz 3 SGB XI). Nach den festgelegten Obergrenzen für die einzelnen Pflegestufen können die Leistungen den Pflegebedarf allenfalls "in der Regel" (so die Begründung in BT-Drucksache 12/5262, 111 f.; kritisch dazu Kass.Komm.-Leitherer, § 36 SGB XI Rdn. 48) abdecken. Innerhalb der Pflegestufen ist es für den Leistungsumfang auch irrelevant, ob der Grundpflegebedarf am unteren oder am oberen Rand der in § 15 Abs. 3 SGB XI genannten weitgespannten Zeitgrenzen liegt. Somit wird vielfach die Berücksichtigung der krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme bei einer Katalogverrichtung nicht zu einer Zuordnung zu einer höheren Pflegestufe und damit zu einer Erweiterung der Leistungen der Pflegeversicherung führen. Zudem wird angesichts der Obergrenzen für ambulante Leistungen schon der "reine" grundpflegerische Bedarf vielfach nicht vollständig durch die Leistungen der Pflegeversicherung gedeckt. Damit führt die Rechtsprechung des BSG in den meisten Fällen durch den generellen Ausschluss eines gesetzlich eingeräumten Leistungsanspruchs zu einer Belastung der Versicherten, denn die Versicherten müssten aus den begrenzten ambulanten Leistungen der Pflegeversicherung zusätzlich den medizinischen Hilfebedarf, der "eigentlich" über § 37 Abs. 2 SGB V abgedeckt werden soll, finanzieren.

Dies macht der vorliegende Fall deutlich: Bei der Erstellung des Pflegegutachtens vom 01.08.2000 bestand bereits ein Zeitbedarf für Leistungen der Grundpflege von 100 Minuten. Den für die Einstufung in die Pflegestufe II erforderlichen Zeitaufwand für die Grundpflege von 2 Stunden (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI) könnte die Klägerin offenkundig durch die Medikamentengabe nicht erreichen, denn für diese Maßnahme könnten allenfalls 1 bis 2 Minuten zusätzlich zur Nahrungsaufnahme angesetzt werden, wenn die Klägerin zur Aufnahme von Nahrung und Getränken nur aufgefordert werden musste. Mithin ergäbe sich somit keine Erhöhung der von der Pflegeversicherung zu gewährenden Leistung.

cc) Vor diesem Hintergrund kann die Notwendigkeit i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V für eine Leistung der häuslichen Krankenpflege nur dann verneint werden, wenn - was hier nicht der Fall ist - gleichzeitig durch die Einbeziehung der krankheitsspezifischen Maßnahme in die Grundpflege ein weitergehender Leistungsanspruch aus der Pflegeversicherung begründet wird. Andernfalls würde ohne gesetzliche Grundlage ein Rechtsanspruch auf die Leistungen nach § 37 Abs. 2 SGB V ausgeschlossen. Für eine solche Einschränkung spricht auch, dass ohnehin diese Rechtsprechung auf Grund der jetzt vom Gesetzgeber im GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190) vorgenommenen Einfügung eines 2. Halbsatzes in § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V (Art. 1 Nr. 27 Buchst. a Doppelbuchst. aa) für die Zukunft aufgegeben werden muss. Das Gesetz zählt ab dem 01.01.2004 in Korrektur des Urteils des BSG vom 30.10.2001 (a.a.O.) ausdrücklich das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab der Kompressionsklasse 2 auch dann zur Behandlungspflege, wenn der Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit berücksichtigt worden ist. Diese Ergänzung ist in den Ausschussberatungen vorgenommen worden (vgl. BT-Drucksache 15/1584, S. 6), in der Begründung (BT-Drucksache 15/1600, S. 13) heißt es dazu, die Krankenkassen könnten nunmehr nicht unter Hinweis auf die Berücksichtigung dieses Hilfebedarfs bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI ihre Leistungspflicht ablehnen. Mit der Regelung würden die Zweifelsfragen, die in der Praxis nach der Entscheidung des BSG von Oktober 2001 aufgetreten seien und die zu teilweise erheblichen finanziellen Belastungen der Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege geführt hätten, zugunsten der Betroffenen geklärt. Wenn nunmehr der Gesetzgeber für eine bestimmte medizinische Hilfeleistung gleichzeitig Ansprüche sowohl gegen die Krankenkasse wie die Pflegekasse einräumt, kann für andere medizinische Hilfeleistungen nichts anderes gelten. Aus der gesetzlichen Regelung kann nicht gefolgert werden, dass in anderen Fällen des Zusammentreffens von krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen und Grundpflegeverrichtungen ein gleichzeitiger Anspruch ausgeschlossen sei. Der Umstand, dass (erstaunlich genug) eine gesetzliche Regelung für eine bestimmte Behandlungsmaßnahme erfolgt ist, erklärt sich offensichtlich allein daraus, dass der Gesetzgeber auf eine bestimmte gerichtliche Entscheidung reagiert hat (ohne - wie dies eigentlich von einem abstrakt-generellen Gesetz zu erwarten gewesen wäre - eine allgemeine Regelung zu treffen). Es wäre jedenfalls im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz angesichts der gesetzlichen Entscheidung kein sachlicher Grund für die Andersbehandlung anderer krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen ersichtlich.

c) Selbst wenn man der Rechtsprechung des BSG folgt, lägen die Voraussetzungen für eine Zuordnung der Medikamentengabe zur Verrichtung Nahrungsaufnahme (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) nicht vor. Entscheidend ist insoweit, ob tatsächlich der erforderliche zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen der Medikamentengabe und der Nahrungsaufnahme besteht. Nach dem Urteil des BSG vom 30.11.2001 (a.a.O. S. 25) soll der objektive zeitliche Zusammenhang immer dann zu bejahen sein, wenn nach objektiven Kriterien, insbesondere medizinischen Erfordernissen, die gleichzeitige Durchführung von Grundverrichtungen und medizinischer Hilfeleistung erforderlich ist. Ausgeschlossen werden nur Behandlungspflegemaßnahmen, die nur aus praktischen Gründen in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Verrichtung der Grundpflege gestellt werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt insoweit nicht, dass nur ein "geeigneter" medizinischer Grund für die gleichzeitige bzw. zeitlich unmittelbar anschließende Durchführung beider Maßnahmen besteht. Wenn das BSG verlangt, dass nach "objektiven Kriterien" die gleichzeitige Durchführung erforderlich sein müsse, kann dies nur bedeuten, dass damit ein zwingender medizinischer Grund für die zeitliche Verbindung beider Maßnahmen bestehen muss. Andernfalls würde das Abgrenzungskriterium unscharf. An einem solchen medizinischen Grund fehlt es hier nach der Auskunft von Dr. T vom 06.01.2003, denn die Tabletten sollen lediglich nach der Nahrungsaufnahme, also nur nicht auf nüchternen Magen genommen werden. Dies bedeutet auf der anderen Seite nicht, dass damit die Medikamente zeitlich zusammen mit oder unmittelbar nach den Mahlzeiten eingenommen werden müssten; ebenso gut könnte die Einnahme auch 1 bis 2 Stunden nach dem Essen erfolgen. Für das Präparat Melperon gibt Dr. T auch ausdrücklich an, das Medikament könne auch vor dem Schlafengehen genommen werden. Dass aus praktischen Gründen die Medikamente im Anschluss an die Mahlzeiten verabreicht werden, reicht dagegen nicht aus. Wenn die Beklagte insoweit darauf abstellen möchte, der zeitliche Zusammenhang sei wegen der Gewährleistung der Compliance geboten, übersieht sie, dass die Klägerin ohnehin zur Medikamenteneinnahme angehalten werden musste, also unabhängig vom Zeitpunkt der Gabe die Einnahmesicherheit nicht gewährleistet war. Die Auffassung der Beklagten, wegen der Gewährleistung der Compliance sollten Medikamente im Zusammenhang mit der Nahrung eingenommen werden, würde im Übrigen darauf hinauslaufen, dass bei allen Medikamenten, bei denen nicht ausdrücklich die Einnahme im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme ausgeschlossen ist, der sachliche Zusammenhang zwischen Behandlungspflege und Grundpflege zu bejahen wäre. Eine so weitgehende Einbeziehung der Medikamentengabe als Bestandteil der Pflegeverrichtung Nahrungsaufnahme hält der Senat für nicht sachgerecht.

II. Wegen der rechtswidrigen Ablehnung der Leistung steht der Klägerin somit nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V für die selbstbeschaffte Leistung ein von dem Kostenerstattungsanspruch mit umfasster Freistellungsanspruch (s. insoweit BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 14) in Höhe des vom Pflegedienst berechneten Vergütungsanspruchs zu. Selbst wenn die vom Pflegedienst angegebenen Beträge über den "Vertragssätzen" der Beklagten liegen würden, hätte die Klägerin Anspruch auf Erstattung der ihr tatsächlich entstandenen Kosten (vgl. Kass.Komm.- Höfler, § 13 SGB V Rdn. 12).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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