L 11 KA 69/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 145/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 69/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 22/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.02.2002 abgeändert. Der Beschluss des Beklagten wird insoweit aufgehoben, als die Punktwerte der Gebührentarife C und D von 1997 um 1,43 % erhöht worden sind. Der Beklagte wird insoweit zur Neuentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates verpflichtet. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Festsetzung der Punktwerte für vertragszahnärztliche Leistungen nach den Gebührentarifen C (Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen) und D (Kieferorthopädische Behandlung) im Jahr 2000 durch das beklagte Landesschiedsamt.

Im Jahr 1999 galten im Zuständigkeitsbereich des Klägers zu 1) für die Gebührentarife C und D Punktwerte von 1,3721 DM bzw. 1,3649 DM, die sich aus einer Absenkung der Punktwerte des Jahres 1997 um 5 % für den Gebührentarif C bzw. 5,5 % für den Gebührentarif D errechneten. Auf entsprechender Berechnungsgrundlage betrugen die Punktwerte im Zuständigkeitsbereich des Klägers zu 2) 1,2759 DM für den Gebührentarif C und 1,2692 DM für den Gebührentarif D. Außerdem waren für die Tarife C und D höchstzulässige Ausgabenvolumina (sog. Vergütungsobergrenzen) von 228.876.765,57 DM für die Mitgliedskassen des Klägers zu 1) und 10.831.646,42 DM für die Mitgliedskassen des Klägers zu 2) vereinbart.

Mit dem angegriffenen Schiedsspruch vom 12.04.2000 erhöhte der Beklagte die für 1999 vereinbarten Vergütungsobergrenzen je Mitglied für die Gebührentarife A, B und E einerseits sowie die Gebührentarife C und D andererseits um jeweils 1,43 %. Ebenso hob er die Punktwerte in den Gebührentarifen A, B, E einschließlich der Prophylaxe- und Früherkennungsleistungen des Jahres 1999 um 1,43 % an. Dagegen bezog er die Erhöhung von 1,43 % für die Gebührentarife C und D auf die Punktwerte des Jahres 1997. Schließlich ließ er eine Verrechnung der Leistungen in den Gebührentarifen A, B, E sowie C und D miteinander zu.

Ausweislich der Begründung des Schiedsspruchs sah er dabei von der durch Art 15 Abs. 1 Satz 7 des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (BGBl. 1998 I, S. 3853 ff. (GKV-SolG)) für das Vorjahr "und nicht darüber hinaus gesetzlich verfügten Absenkung der Punktwerte für die prothetischen und kieferorthopädischen Leistungen" ab. Dies habe er um so leichter tun können, als er bereits zuvor die Punktwerte in diesen Tarifbereichen wegen der Mengenentwicklung dort über längere Zeit habe stagnieren lassen. Auswirkungen auf die Beitragssatzstabilität habe diese Entscheidung nicht, weil die unter Berücksichtigung der Punktwertabsenkung vereinbarten Vergütungsobergrenzen des Vorjahres fortgeschrieben worden seien.

Mit der hiergegen erhobenen Klage haben die Kläger die Auffassung vertreten, der Beklagte habe die Punktwerte auch für die Gebührentarife C und D ausgehend von den abgesenkten Punktwerten des Jahres 1999 festsetzen müssen. Art 15 Abs. 1 Satz 7 GKV-SolG habe seinem Wortlaut nach nicht nur "für" das Jahr 1999 gelten sollen, da eine entsprechende Anordnung, anders als z.B. in Art 15 Abs. 1 Satz 1 GKV-SolG, fehle. Diese Punktwertabsenkung sei kraft Gesetzes Bestandteil der Vergütungsvereinbarungen geworden. Aus § 89 Abs. 1 Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ergebe sich zudem, dass Vergütungsvereinbarungen solange weiter gälten, bis sie durch eine neue Vereinbarung abgelöst würden. Die Anwendung dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen. Im Übrigen habe er ausweislich der Gesetzesbegründung mit Art 15 GKV-SolG die Verhältnisse in der gesetzlichen Krankenversicherung "normalisieren" wollen, und zwar dauerhaft. Der Beklagte habe auch gegen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Abs. 1 SGB V) verstoßen. Denn er habe die Punktwerte des Jahres 1999 für die Gebührentarife C und D erheblich stärker angehoben, als die beitragspflichtigen Einnahmen im Jahr 2000 gestiegen seien. Schließlich widerspreche der Schiedsspruch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die Vergütung jeweils an diejenige des Vorjahres anzupassen sei, die die Vermutung der Angemessenheit in sich trage.

Die Kläger haben beantragt,

den Schiedsspruch des Beklagten aus der Sitzung vom 12.04.2000 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen: Die Punktwertabsenkung durch Art 15 Abs. 1 Satz 7 GKV-SolG sei nach Wortlaut und Systematik der Vorschrift nur auf das Jahr 1999 beschränkt gewesen. Für die Zeit danach habe der Gesetzgeber, anders als zuvor in Gestalt von §§ 85 Abs. 2b, 88 Abs. 2a Satz 2 SGB V keine Fortgeltung angeordnet. Art 15 Abs. 1 GKV-SolG sei daher seinem historischen Zweck entsprechend als Teil eines Vorschaltgesetzes im Vorgriff auf eine umfassende Strukturreform des Gesundheitswesens auszulegen. Dass es zu einer solchen nicht gekommen sei, habe seine Geltungsdauer nicht verlängert.

Die Beigeladene hat sich dieser Auffassung angeschlossen und sie durch die nachfolgenden gesetzlichen Regelungen bestätigt gefunden. Insbesondere enthalte das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (BGBl. 1999 I, S. 2626 (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000)) keinen dem Art 15 Abs. 1 GKV-SolG vergleichbaren Eingriff in die Vergütungsstrukturen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 20.02.2002). Der Beklagte habe sein nach der Rechtsprechung des BSG besonders weites Gestaltungsermessen sachgerecht ausgeübt. Zur weiteren Begründung hat es sich im Wesentlichen den Argumenten des Beklagten und der Beigeladenen angeschlossen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, mit der diese ihren erstinstanzlichen Vortrag zusammenfassend wiederholen und ergänzend auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 07.12.2000 verweisen, in dem es heißt, für die Berechnung der Vergütung des Jahres 2000 seien die relevanten Parameter die in Art 15 GKV-SolG festgesetzten Gesamtvergütungen 1999 sowie die Veränderungsrate im Jahr 2000.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.02.2002 abzuändern und den Schiedsspruch des Beklagten aus der Sitzung vom 12.04.2000 insoweit aufzuheben, als die Punktwerte der Gebührentarife C und D von 1997 um 1,43 % erhöht worden sind, und den Beklagten zur entsprechenden Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates zu verpflichten.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das Urteil des SG für zutreffend. Der Beklagte weist ergänzend darauf hin, dass maßgebend für seinen Schiedsspruch nicht allein die Auslegung von Art 15 GKV-SolG gewesen sei, sondern auch der Wille, die über einen längeren Zeitraum stagnierenden Punktwerte angemessen fortzuschreiben.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Niederschrift der mündlichen Verhandlung und die Akte des Schiedsverfahrens Bezug genommen, die beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann verhandeln und entscheiden, obwohl der Beklagte ohne Angabe von Gründen in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil er mit der ordnungsgemäßen Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung ist begründet. Der angefochtene Schiedsspruch aus der Sitzung des Beklagten vom 12.04.2000 ist rechtswidrig, soweit durch ihn die Punktwerte der Gebührentarife C und D auf der Basis des Jahres 1997 statt des Jahres 1999 um 1,43 % erhöht worden sind. Insoweit verstößt er gegen den auch vom Beklagten zu beachtenden Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Abs. 1 SGB V).

Den Schiedsämtern kommt nach ständiger Rechtsprechung bei der Festsetzung des Inhalts eines Gesamtvertrages über die vertragszahnärztliche Vergütung gemäß § 89 Abs. 1 SGB V ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der ebenso groß ist wie derjenige der Vertragspartner bei einer im Wege freier Verhandlungen erzielten Vereinbarung (BSGE 20, 74 76 f.; BSGE 36, 151, 152 f.; BSGE 51, 58, 62; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 20; BSGE 86, 126, 134 f.; BSG, Urt. v. 16.07.2003 - B 6 KA 29/02 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Da Schiedssprüche auf Interessenausgleich angelegt sind und Kompromisscharakter haben, sind sie von den Gerichten nur daraufhin zu überprüfen, ob sie die grundlegenden verfahrensrechtlichen Anforderungen und in inhaltlicher Hinsicht die zwingenden rechtlichen Vorgaben eingehalten haben. Die inhaltliche Kontrolle beschränkt sich mithin darauf, ob der zu Grunde gelegte Sachverhalt zutrifft und ob das Schiedsamt den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum eingehalten, d.h. die maßgeblichen Rechtsmaßstäbe beachtet hat (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 20; BSGE 86, 126, 135, 146; BSG, Urt. v. 16.07.2003 - a.a.O. - jeweils m.w.N.).

Zu den Vorgaben, die vom Schiedsamt zwingend zu beachten sind und deren Einhaltung von den Gerichten dementsprechend zu kontrollieren ist, gehört der Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Abs. 1 SGB V).

Wie das BSG bereits zu früheren Fassungen dieses Grundsatzes ausführlich und überzeugend dargelegt hat, handelt es sich dabei um eine verbindliche gesetzliche Vorgabe für Vergütungsvereinbarungen, der im Verhältnis zu anderen Kriterien für die Festsetzung der Gesamtvergütung sogar Vorrang zukommt (BSGE 86, 126, 136 ff.; vgl. auch schon BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 30). Für die hier anzuwendende Fassung, die § 71 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 erlangt hat, gilt dies erst recht. Denn danach haben die Krankenkassen und die Leistungserbringer in den Vereinbarungen über die Vergütung der Leistungen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität nicht mehr, wie in der Vorgängerfassung, "nur" zu beachten. Vielmehr haben sie nunmehr diese Vereinbarungen so zu gestalten, dass Beitragssatzerhöhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die notwendige medizinische Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten (§ 71 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Darüberhinaus schreibt § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB V vor, dass die vereinbarte Veränderung der jeweiligen Vergütung die sich bei Anwendung der Veränderungsrate für das gesamten Bundesgebiet nach § 71 Abs. 3 SGB V ergebende Veränderung der Vergütung, die für das Jahr 2000 1,43 % betragen hat, nicht überschreiten darf. Durch diese strikte Anbindung hat der Gesetzgeber ersichtlich einen noch höheren Grad der Bindung an den Grundsatz der Beitragssatzstabilität bezweckt, als sie ohnehin schon bis zum 31.12.1999 bestand. Dass § 85 Abs. 3 Satz 2 SGB V, der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 unverändert geblieben ist, nach wie vor eine "Beachtung" dieses Grundsatzes vorschreibt, ändert hieran nichts, weil es sich bei dieser Bestimmung aufgrund der Neufassung des § 71 Abs. 1 SGB V im Wesentlichen nur noch um eine Verweisungsvorschrift handelt.

"Vergütung" im Sinne von § 71 Abs. 1 SGB V ist entgegen der Auffassung des Beklagten, wie sie im angefochtenen Schiedsspruch zumindest angeklungen ist, nicht nur die jeweilige Vergütungsobergrenze, sondern auch der für Einzelleistungen vereinbarte Punktwert. Das ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung der Vorschrift im Zusammenhang mit § 85 Abs. 2 und 3 SGB V. Zunächst zeigt § 85 Abs. 3 Satz 2 SGB V, dass mit dem Begriff "Vergütung" in § 71 Abs. 1 SGB V im Bereich der vertrags(zahn)ärztlichen Leistungen die Gesamtvergütung im Sinne von § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB V, also das Ausgabenvolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertrags(zahn)ärztlichen Leistungen gemeint ist. Dieses Ausgabevolumen kann, wie sich aus § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB V im Weiteren ergibt, auch nach Einzelleistungen berechnet werden. Wie das BSG bereits klar gestellt hat, handelt es sich bei der Vergütung von Leistungen auf der Grundlage eines Bewertungsmaßstabes nach festen Punktwerten um eine solche Einzelleistungsvergütung (BSGE 86, 126, 141). Stellt somit der feste Punktwert den variablen Vergütungsfaktor dar, der letztlich über das Ausgabenvolumen entscheidet, so ist auch bei seiner Anpassung der Grundsatz der Beitragssatzstabilität in seiner jeweils konkreten Ausformung zu beachten.

Dem steht nicht entgegen, dass auch bei einer Vergütung nach Einzelleistungen das Ausgabenvolumen zu bestimmen, eine Regelung zur Vermeidung der Überschreitung dieses Betrages zu treffen (§ 85 Abs. 2 Satz 7 SGB V in der Fassung des GKV-SolG) und auch das Ausgabenvolumen als "Vergütung" im Sinne von § 71 Abs. 1 SGB V anzusehen ist, die dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität unterliegt. § 85 Abs. 2 Satz 7 SGB V trägt lediglich dem Umstand Rechnung, dass das gesamte Ausgabenvolumen sich bei einer reinen Einzelleistungsvergütung durch Mengenausweitung tendenziell nach oben unbegrenzt entwickeln kann. Um dies zu verhindern, muss neben die Vergütung nach Einzelleistungen ein zweiter Vergütungsparameter in Gestalt einer Vergütungsobergrenze treten (vgl. hierzu ausführlich - auch mit Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte - BSGE 86, 126, 142 ff.; Engelhard in Hauck/Haines, SGB V, § 85 Rdnr. 99). Es reicht indessen nicht aus, allein diese gemäß dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität anzupassen. Denn ebenso wenig wie § 71 Abs. 1 SGB V die Gesamtvertragsparteien zwingt, die Veränderungsrate gemäß § 71 Abs. 3 SGB V voll auszuschöpfen (vgl. zur vergleichbaren Problematik der Anpassung der Gesamtvergütung an den Grundlohnsummenanstieg bereits BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 20), lässt sich seine Reichweite auf die Anpassung der Vergütungsobergrenze beschränken, wenn - wie bei einem nach Einzelleistungen berechneten Ausgabenvolumen möglich - die tatsächlich zu entrichtende Gesamtvergütung im Ergebnis auch darunter liegen kann (vgl. Engelhard a.a.O., § 85 Rdnr. 332). Das belegen gerade auch die Verhältnisse im Streitfall, wo nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung das im Zuständigkeitsbereich des Klägers zu 1) für die Tarife C und D im Jahr 1999 festgelegte Ausgabenvolumen von 226.876.765,57 DM um 50.178.000 DM unterschritten worden ist und selbst im Jahr 2000 unter Zugrundelegung des vom Beklagten festgesetzten Punktwertes noch eine Unterschreitung von 17,9 Mio. DM stattgefunden hat. Im Zuständigkeitsbereich des Klägers zu 2) muss ausweislich des schriftsätzlichen Vortrags gegenüber dem Beklagten bei einer Vergütungsobergrenze von 10.831.646,42 DM für das Jahr 1999 von einer Unterschreitung von rund 1,8 Mio. DM ausgegangen werden. Im Übrigen kann es für die Anwendung von § 71 Abs. 1 SGB V aber auch nicht entscheidend darauf ankommen, ob die Vergütung nach Einzelleistungen im Laufe des Jahres voraussichtlich das festgesetzte Ausgabenvolumen erreichen wird mit der Folge, dass unabhängig von der Höhe des festen Punktwertes ohnehin nur ein geringerer Auszahlungspunktwert zur Anwendung kommt (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 21.05.2003 - B 6 KA 25/02 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Denn weder § 71 SGB V noch § 85 SGB V sehen insoweit einen Ausnahmetatbestand oder die Möglichkeit der Differenzierung vor.

Die Bindung an den Grundsatz der Beitragssatzstabilität auch bei Anpassung der Punktwerte führt dazu, dass die Gesamtvertragsparteien und damit auch der Beklagte sich bei der Festsetzung der Gesamtvergütung für das Jahr 2000 an den Punktwerten des Jahres 1999 und der Veränderungsrate für das Jahr 2000 gemäß § 71 Abs. 3 Satz 4 SGB V zu orientieren hatten und nicht die Punktwerte des Jahres 1997 zu Grunde legen durften.

§ 71 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB V ordnet an, dass die Vergütung sich nur nach Maßgabe der gemäß § 71 Abs. 3 SGB V festgesetzten Veränderungsrate verändern darf. Diese wird nach § 71 Abs. 3 Satz 1 SGB V jeweils für das folgende Kalenderjahr ermittelt. Speziell für die Vereinbarungen des Jahres 2000 gelten die Veränderungsraten des zweiten Halbjahres 1998 und des ersten Halbjahres 1999 (§ 71 Abs. 3 Satz 4 SGB V). Aus dieser Anbindung an Jahreszeiträume wird unmittelbar ersichtlich, dass die "Vergütung", auf welche die Veränderungsrate zu beziehen ist, nur diejenige des jeweiligen Vorjahres sein kann. Das entspricht im Übrigen der ständigen Rechtsprechung, wonach eine Vergütungsanpassung grundsätzlich auf der Basis der Vergütung des Vorjahres vorzunehmen ist, weil diese die Vermutung der Angemessenheit für sich hat (BSGE 20, 73, 84; BSGE 51, 58, 63; Senat, Urt. v. 23.03.2000 - L 11 KA 123/98). Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Vergütung durch die Gesamtvertragsparteien selbst, kraft Schiedsspruchs oder aufgrund einer gesetzlichen Regelung erfolgt ist, die den Inhalt des Gesamtvertrags ganz oder teilweise unmittelbar festlegt. Im Hinblick hierauf ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Vergütungsvereinbarungen für das Jahr 2000 auf der Grundlage der Ausgabenbudgetierung für das Jahr 1999 fortzuschreiben sind (allg.M.:BSG, Urt. v. 21.05.2003, a.a.O.; Engelhard a.a.O., § 85 Rdnr. 87c; Hess in KassKomm, § 85 SGB V Rdnr. 44).

Eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung, die Vergütung der Leistungen für Zahnersatz und Kieferorthopädie von dieser Regel auszunehmen und statt auf die Punktwerte des Jahres 1999 auf die Punktwerte eines anderen Jahres, z.B. 1997, Bezug zu nehmen, besteht nicht.

Eine solche Ausnahmeregelung ist auch nicht konkludent darin zu sehen, dass die Geltung des Art 15 Abs. 1 GKV-SolG auf das Jahr 1999 beschränkt war. An dieser beschränkten zeitlichen Geltung bestehen zwar keine Zweifel. Sie ergibt sich, wie das SG insoweit zutreffend dargelegt hat, sowohl aus dem Wortlaut als auch der systematischen Stellung der Vorschrift und schließt die in Art 15 Abs. 1 Satz 7 GKV-SolG geregelte Obergrenze für die Punktwerte für Zahnersatz und Kieferorthopädie mit ein. Denn diese Bestimmung ist lediglich als Annexregelung zu der ebenfalls vorgeschriebenen Obergrenze für das Ausgabenvolumen für Zahnersatz und Kieferorthopädie in Art 15 Abs. 1 Satz 2 GKV-SolG zu lesen, deren alleiniger Zweck darin bestand, den Vertragspartnern die Umsetzung der Vorschrift über die Ausgabenbegrenzung für das Jahr 1999 zu erleichtern (BT-Drucks. 14/24, S. 26). Die auf ein Jahr beschränkte Geltung einer gesetzlichen, erst recht vertraglichen oder auf Schiedsspruch beruhenden Regelung über die Gesamtvergütung ist indessen keine Besonderheit, sondern vielmehr die Regel, von der - wie bereits dargelegt - auch § 71 SGB V selbstverständlich ausgeht. Für den Folgezeitraum beschränkt sich die Bedeutung entsprechender Vereinbarungen, Schiedssprüche bzw. gesetzlichen Regelungen jeweils darauf, dass sie die Vermutung ihrer Angemessenheit für sich haben und die Vertragspartner daher an sie anknüpfen können und müssen. Diese Vermutung besteht jedoch auch für die Regelung zur Absenkung der Punktwerte für Leistungen bei Zahnersatz und Kieferorthopädie in Art 15 Abs. 1 Satz 7 GKV-SolG. Es gibt keinerlei Hinweise für die Annahme, der Gesetzgeber habe insoweit für das Jahr 1999 eine unangemessen niedrige Vergütung festgesetzt geschweige denn festgesetzt wissen wollen. Im Gegenteil sollte die Vorschrift die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich die zahnärztlichen Leistungen im Jahr 1999 wieder "normalisieren" konnten. Die unterschiedlichen Obergrenzen sollten dabei einer vom Gesetzgeber als langfristig angesehenen Entwicklung Rechnung tragen, die sich durch ein hohes Niveau zahnerhaltender Maßnahmen bei gleichzeitigem Rückgang prothetischer Leistungen auszeichnete (vgl. BT-Drucks. 14/157, S. 38).

Auch die Gesetzgebungsgeschichte im Übrigen gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vertragspartner und damit der Beklagte im Jahr 2000 für die Festsetzung der Vergütung und damit der Punktwerte in den Bereichen Zahnersatz und Kieferorthopädie von der Regel des § 71 Abs. 1 SGB V abweichen durften. Zwar sah der ursprüngliche Entwurf zum GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 die Bildung eines Globalbudgets in der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Ziel einer über die einzelnen Versorgungsbereiche hinaus gehenden flexiblen Verwendung der verfügbaren Finanzmittel vor (vgl. Art 1 Nr. 85 des Entwurfs der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; BT-Drucks. 14/1245, S. 26 und die Begründung S. 93). Damit sollte ermöglicht werden, die Obergrenze der Veränderungsrate in einzelnen Sektoren zu überschreiten, soweit entsprechende Einsparungen in anderen Bereichen vertraglich abgesichert waren. Auf diese Weise hätten z.B. die Punktwertabsenkung des Jahres 1999 für Zahnersatz und Kieferorthopädie - ggf. zu Lasten anderer Versorgungsbereiche - im Jahr 2000 möglicherweise wieder rückgängig gemacht werden können. Das Globalbudget ist indessen gerade am Widerstand des Bundesrates geschei tert. Stattdessen ist die in ihren Wirkungen bereits beschriebene verschärfte Fassung des § 71 SGB V in Kraft getreten (vgl. hierzu Hess a.a.O., § 85 Rdnr. 2 m.w.N.).

Schließlich lässt sich auch aus dem Fehlen einer Vorschrift wie § 85 Abs. 2b Satz 2 SGB V nichts dafür herleiten, dass andere Punktwerte als diejenigen des Jahres 1999 zur Grundlage der Vergütungsanpassung gemacht werden dürften. Denn die Punktwertabsenkung zum 01.01.1993 gemäß § 85b Abs. 2 Satz 1 SGB V einerseits, die sich kraft § 85 Abs. 2b SGB V in den Folgejahren fortsetzte, und diejenige zum 01.01.1999 durch Art 15 Abs. 1 Satz 7 GKV-SolG andererseits beruhten auf verschiedenen Regelungstechniken, die dementsprechend unterschiedlicher Anordnungen für die Folgezeit bedurften. Dabei ist § 85 Abs. 2b SGB V im Zusammenhang mit dem ebenfalls durch das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (BGBl. 1992 I, S. 2266 (GSG)) zum 01.01.1993 eingefügten § 85 Abs. 3a SGB V zu lesen. Das GSG sah für die Jahre 1993 bis 1995 eine Budgetierung der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Gesamtvergütungen durch deren strikte Anbindung an die Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen vor (§ 85 Abs. 3a Satz 1 SGB V). Die Besonderheit bestand jedoch darin, dass bei der Bestimmung der Gesamtvergütungen für Vertragszahnärzte die zahnprothetischen und kieferorthopädischen Leistungen nicht berücksichtigt wurden (§ 85 Abs. 3a Satz 3 SGB V). Für sie gab es statt dessen die Sondervorschrift des § 85 Abs. 2b Satz 1 SGB V, der zunächst nur eine Punktwertabsenkung für das Jahr 1993 vorsah. Um diese auch für die Folgejahre wirksam werden zu lassen, bedurfte es einer eigenständigen Regelung, die in Gestalt von § 85 Abs. 2b Satz 2 SGB V erfolgte. Für das Jahr 1999 hat der Gesetzgeber dagegen die Bildung zweier voneinander getrennter Gesamtvergütungsteile (Art 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GKV-SolG) und im Zusammenhang hiermit die Absenkung der Punktwerte für zahnprothetische und kieferorthopädische Leistungen angeordnet (Art 15 Abs. 1 Satz 7 GKV-SolG). Für das Jahr 2000 hat er - insoweit anders als bei § 85 Abs. 3a Satz 3 SGB V - jedenfalls rechtstechnisch die Trennung der Gesamtvergütungen jedoch nicht aufrecht erhalten, sondern stattdessen mit § 71 SGB V eine einheitliche, alle Vergütungen erfassende Anpassungsvorschrift geschaffen. Aufgrund dessen brauchte er das Schicksal der Punktwerte für Zahnersatz und Kieferorthopädie nicht mehr gesondert zu regeln. Ob sich hieraus die im Rahmen des Schiedsspruchs hergestellte Ausgleichsfähigkeit der Gebührentarife untereinander rechtfertigen lässt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, nachdem die Kläger in der mündlichen Berufungsverhandlung klar gestellt haben, dass sich ihre Klage ausschließlich gegen die Festsetzung der Punktwerte für die Gebührentarife C und D richtet.

Fehlt es nach allem an einer Regelung, die es erlaubt, für die Festsetzung der Punktwerte bei Zahnersatz und Kieferorthopädie des Jahres 2000 von den Vorgaben des § 71 Abs. 1 SGB V abzuweichen, so entspricht das Anknüpfen an die Punktwerte des Jahres 1997 mit der Begründung, die Absenkung der Punktwerte sei nur für das Jahr 1999 verfügt worden, einer unzulässigen Rechtsfortbildung. Eine solche setzt nämlich unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eine planwidrige Regelungslücke voraus (vgl. BVerfGE 69, 315, 372; BVerfG, NJW 1990, 1593 m.w.N.), an der es wegen der umfassenden Anordnung des § 71 SGB V gerade fehlt. Ebenso ist es rechtswidrig, nicht von den Punktwerten des Jahres 1999 auszugehen, weil die Punktwerte ohnehin über einen längeren Zeitraum stagniert hätten. Denn § 71 Abs. 1 SGB V ordnet die Anknüpfung an den jeweiligen Vorjahreszeitraum an, ohne eine Ausnahme mit entsprechender Begründung zu erlauben.

Der Beklagte wird mithin eine neue Regelung betreffend die Punktwerte für die Gebührentarife C und D treffen und hierbei unter Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität an die Punktwerte des Jahres 1999 anknüpfen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24). Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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