Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 49/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 77/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.03.2003 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für einen schwenkbaren Autositz.
Die bei der Beklagten versicherte 1964 geborene Klägerin leidet an einer chronischen Polyarthritis, die zu einer massiven Gelenkdeformität mit einer hochgradigen Gebrauchsunfähigkeit der großen Gelenke geführt hat. Wegen der Erkrankung kann sie weder gehen noch stehen und ist ständig auf den Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen. Der Rollstuhl der Klägerin ist mit einem Hilfsantrieb ausgestattet, ferner verfügt sie über ein sogenanntes Rollfiets. Nach ihrer Angabe kann sie wegen der Behinderung an den Händen keinen Elektrorollstuhl bedienen.
Einen Antrag der Klägerin auf Gewährung eines elektrisch verstellbaren Autoschwenksitzes lehnte die Beklagte zunächst mit Schreiben vom 26.08.2000 ab, da eine Einstiegshilfe für ein Kraftfahrzeug keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei. In diesem Schreiben verwies sie auf einen möglichen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz. Nachdem der Landschaftsverband Rheinland mit Bescheid vom 07.11.2000 einen entsprechenden Antrag der Klägerin abgelehnt hatte, weil für Fahrten zu Arztterminen und stationären Behandlungen die Zuständigkeit der Beklagten gegeben und für den privaten Bereich kein von der Sozialhilfe zu deckender Bedarf erkennbar sei, beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut diese Leistung.
Mit Bescheid vom 19.12.2000 lehnte die Beklagte den Antrag wiederum unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06.08.1998 (SozR 3-2500 § 33 Nr. 29) ab. Die Benutzung eines KFZ sei kein Grundbedürfnis im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass die behindertengerechte Ausstattung eines KFZ als Hilfsmittel nicht in Betracht komme. Für Fahrten zu Arztterminen könnten öffentliche Verkehrsmittel, ggf. bei medizinischer Notwendigkeit ein Krankentransportwagen benutzt werden. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie könne mit ihrem Rollstuhl öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen. Die Kosten für die Fahrten zu Arztterminen seien langfristig höher als der beantragte Schwenksitz. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin hat sich schon vor Erlass des Widerspruchsbescheides den Schwenksitz selbst beschafft, hierfür sind ihr Kosten in Höhe von 6.200,00 DM (3.170,01 Euro) entstanden.
Zur Begründung der Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie benötige den Autoschwenksitz vor allem für Fahrten zu Arztterminen, bei denen sie öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen könne.
Das Sozialgericht hat Berichte von dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. N vom 23.08.2002, von dem Orthopäden Dr. B vom 04.09.2002 und von dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B1 vom 21.10.2002 eingeholt. Alle Ärzte haben bestätigt, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, in ein Fahrzeug allein einzusteigen. Sie sei auch außerhalb ihres Hauses ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Berichte verwiesen.
Mit Urteil vom 11.03.2003 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Erstattung der für die Beschaffung des Autoschwenksitzes entstandenen Kosten verurteilt. Es hat gemeint, dieser sei zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse erforderlich, und auf die Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 26.02.1991 (SozR 3-2500 § 33 Nr. 3) hingewiesen.
Die Beklagte vertritt im Berufungsverfahren die Auffassung, nach dem Urteil des BSG vom 06.08.1998 zähle das eigenständige Führen eines PKW nicht zu den von der Krankenversicherung zu befriedigenden Grundbedürfnissen. Insoweit könne es keinen Unterschied machen, ob der PKW selbst geführt oder als Beifahrer genutzt werde. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung hätten die Kassen nur die Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die zur Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums im Sinne eines Basisausgleichs erforderlich seien, wobei Besonderheiten am Wohnort des Versicherten unbeachtlich seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.03.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und meint, die Entscheidung des BSG vom 06.08.1998 betreffe nur die Frage, ob das selbständige Führen eines PKW ein Grundbedürfnis sei. In ihrem Fall sei jedoch der Schwenksitz zur Schaffung eines körperlichen Freiraums notwendig, denn sie könne ohne fremde Hilfe sich weder mit dem Rollstuhl noch dem PKW fortbewegen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, denn das Sozialgericht hat sie zu Unrecht verurteilt, der Klägerin 3.170,01 Euro zu erstatten. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Kostenerstattung für den selbstbeschafften Autoschwenksitz nicht zu.
Unabhängig davon, ob ein Kostenerstattungsanspruch auf § 13 Abs. 2 oder dessen Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ((SGB V) jeweils in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung) gestützt wird, setzt dieser voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 9; SozR 3-2500 § 135 Nr. 14). Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Versorgung mit einem elektrisch verstellbaren Autoschwenksitz bestand jedoch entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der seit 01.07.2001 geltenden Fassung) haben Versicherte Anspruch unter anderem auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Diese genannten Ausschlussgründe liegen nicht vor. Weder ist ein Autoschwenksitz ein in der nach § 34 Abs. 2 SGB V erlassenen Verordnung vom 13.12.1989 (Bundesgesetzblatt (BGBl.) I, 2237) ausgeschlossenes Hilfsmittel noch handelt es sich offenkundig um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
Der Schwenksitz ist jedoch nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Dabei kann zu Gunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, dass sie ohne den Schwenksitz nicht in zumutbarer Weise in einen PKW gelangen kann.
Ein Hilfsmittel ist zum Ausgleich einer Behinderung nur dann erforderlich, wenn sein Einsatz der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient (vgl. zuletzt BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 44). Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden, wenn das Hilfsmittel die beeinträchtigte Körperfunktion unmittelbar ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Soweit dagegen - wie hier - das Hilfsmittel die ausgefallene oder beeinträchtigte Organfunktion nur mittelbar ersetzt, muss besonders geprüft werden, in welchen Lebensbereichen sich der Ausgleich auswirkt, ob also das Hilfsmittel zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. Zu diesen Grundbedürfnissen gehören zum einen die körperlichen Grundfunktionen (Gehen, Stehen und Treppen steigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung), darüber hinaus die elementare Körperpflege und das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfasst (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 32 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Eine über die Befriedigung eines solchen Grundbedürfnisses hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 29).
Der Autoschwenksitz ist nicht erforderlich, um das elementare Grundbedürfnis der Klägerin im Rahmen der Fortbewegung zu gewährleisten. Das Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums ist nur im Sinne eines Basisausgleichs und nicht als ein vollständiges Gleichziehen mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten des Gesunden zu verstehen. Dieser Basisausgleich umfasst lediglich die Fähigkeit, sich in der Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu gelangen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 32). Der Mobilitätsausgleich ist in diesem Sinne mittels des von der Beklagten zur Verfügung gestellten Rollstuhls und des Rollfietsaufsatzes sichergestellt.
Die Benutzung eines PKW - sei es als Fahrer oder Mitfahrer - zählt nicht zu dem Grundbedürfnis auf Mobilität. Zwar ist der 8. Senat des BSG in seinem Urteil vom 26.02.1991 (a. a. O.) davon ausgegangen, dass auch das Mitfahren in einem PKW zur Befriedigung des Grundbedürfnisses auf Fortbewegung benötigt werden kann. In der weiteren Rechtsprechung des BSG ist allerdings das Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung verstanden worden. Das BSG hält es nunmehr für ausreichend, wenn mit den zur Verfügung stehenden Mitteln (wie hier dem Schieberollstuhl) die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen erreicht werden können, an denen Alltagsgeschäfte (wie etwa das Einkaufen von Lebensmitteln, Gegenständen des täglichen Bedarfs) erledigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R mit Nachweisen zur Entwicklung der Rechtsprechung). Da es insoweit auf die besonderen Verhältnisse des Wohnortes und -gebietes nicht ankommt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 31), ist auch unbeachtlich, ob die Klägerin in einem ländlichen Bereich wohnt, in dem selbst für Alltagsgeschäfte längere Wegstrecken zurückgelegt werden müssen. Da somit die Bewegungsfreiheit als Grundbedürfnis sich nur auf einen begrenzten räumlichen Bereich bezieht, hat das BSG in der Entscheidung vom 06.08.1998 (a. a. O.) folgerichtig das selbständige Führen eines PKW nicht zu den Grundbedürfnissen gerechnet. Ebenso wenig zählt entgegen der Auffassung der Klägerin das Mitfahren in einem PKW zu den Grundbedürfnissen (so schon Senat, Urteil vom 06.02.2001 - L 5 KR 156/00). Wenn der Mobilitätsausgleich auf den Nahbereich begrenzt ist, kann das Mitfahren in einem PKW, dessen Einsatzbereich typischerweise außerhalb des räumlichen Anspruchsbereichs im Sinne von § 33 SGB V liegt, nicht anders beurteilt werden als das selbständige Führen eines PKW.
Da die Klägerin immer auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, wird ihrer Unfähigkeit zum selbständigen Fortbewegen auch durch den schwenkbaren Autositz nicht abgeholfen; den PKW kann sie ebenso wenig wie den Rollstuhl selbständig nutzen. Unselbständig kann die Klägerin dagegen mit Hilfe Dritter bereits mit dem Schieberollstuhl die für die medizinische Rehabilitation im Sinne von § 33 SGB V maßgeblichen Entfernungen bewältigen.
Unerheblich ist auch, dass die Klägerin von ihrem Ehemann mit dem PKW zu ärztlichen Behandlungen gebracht wird. Das Aufsuchen von Ärzten und Therapeuten ist kein selbständiges Grundbedürfnis, sondern ein konkreter Anwendungsfall des Bedürfnisses nach Mobilität, das, wie dargelegt, von der gesetzlichen Krankenversicherung nur in eingeschränktem Umfang gewährleistet wird. Der Autoschwenksitz ist insoweit auch nicht erforderlich, um im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGB V den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Davon abgesehen, das schon fraglich ist, ob die Klägerin nur mit Hilfe ihres Ehemannes die Ärzte aufsuchen kann, betrifft die genannte Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur Gegenstände, die aufgrund ihrer Hilfsmitteleigenschaft spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu ihrem Erfolg beizutragen (Senat, Urteil vom 11.09.2003 - L 5 KR 234/02). Soweit es um die Ermöglichung des Aufsuchens von Therapeuten geht, wird in § 60 SGB V die Reichweite der Leistungspflicht der Krankenkassen geregelt; insoweit kommen Hilfsmittel, die nur dazu dienen sollen, die Wege zu den Leistungserbringern zurückzulegen, nicht in Betracht.
Der Senat verkennt nicht, dass der schwenkbarer Autositz für die Klägerin und ihren Ehemann eine große Erleichterung bedeutet und auch der Klägerin ermöglicht, in größeren Umfang gesellschaftliche Kontakte zu pflegen. Der von den Krankenkassen zu gewährleistende Behinderungsausgleich bedeutet jedoch nicht, dass damit auch sämtliche direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen wären. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Da, wie dargelegt, im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung das Erschließen eines körperlichen Freiraums nur im Sinne eines Basisausgleichs zu verstehen ist, betrifft die durch Benutzung eines PKW ermöglichte größere Mobilität Lebensbereiche, die der sozialen Rehabilitation zuzurechnen sind, so dass insoweit eine Leistungspflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat dem Rechtsstreit im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 26.02.1991 (a. a. O.) grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für einen schwenkbaren Autositz.
Die bei der Beklagten versicherte 1964 geborene Klägerin leidet an einer chronischen Polyarthritis, die zu einer massiven Gelenkdeformität mit einer hochgradigen Gebrauchsunfähigkeit der großen Gelenke geführt hat. Wegen der Erkrankung kann sie weder gehen noch stehen und ist ständig auf den Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen. Der Rollstuhl der Klägerin ist mit einem Hilfsantrieb ausgestattet, ferner verfügt sie über ein sogenanntes Rollfiets. Nach ihrer Angabe kann sie wegen der Behinderung an den Händen keinen Elektrorollstuhl bedienen.
Einen Antrag der Klägerin auf Gewährung eines elektrisch verstellbaren Autoschwenksitzes lehnte die Beklagte zunächst mit Schreiben vom 26.08.2000 ab, da eine Einstiegshilfe für ein Kraftfahrzeug keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei. In diesem Schreiben verwies sie auf einen möglichen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz. Nachdem der Landschaftsverband Rheinland mit Bescheid vom 07.11.2000 einen entsprechenden Antrag der Klägerin abgelehnt hatte, weil für Fahrten zu Arztterminen und stationären Behandlungen die Zuständigkeit der Beklagten gegeben und für den privaten Bereich kein von der Sozialhilfe zu deckender Bedarf erkennbar sei, beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut diese Leistung.
Mit Bescheid vom 19.12.2000 lehnte die Beklagte den Antrag wiederum unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06.08.1998 (SozR 3-2500 § 33 Nr. 29) ab. Die Benutzung eines KFZ sei kein Grundbedürfnis im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass die behindertengerechte Ausstattung eines KFZ als Hilfsmittel nicht in Betracht komme. Für Fahrten zu Arztterminen könnten öffentliche Verkehrsmittel, ggf. bei medizinischer Notwendigkeit ein Krankentransportwagen benutzt werden. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie könne mit ihrem Rollstuhl öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen. Die Kosten für die Fahrten zu Arztterminen seien langfristig höher als der beantragte Schwenksitz. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin hat sich schon vor Erlass des Widerspruchsbescheides den Schwenksitz selbst beschafft, hierfür sind ihr Kosten in Höhe von 6.200,00 DM (3.170,01 Euro) entstanden.
Zur Begründung der Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie benötige den Autoschwenksitz vor allem für Fahrten zu Arztterminen, bei denen sie öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen könne.
Das Sozialgericht hat Berichte von dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. N vom 23.08.2002, von dem Orthopäden Dr. B vom 04.09.2002 und von dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B1 vom 21.10.2002 eingeholt. Alle Ärzte haben bestätigt, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, in ein Fahrzeug allein einzusteigen. Sie sei auch außerhalb ihres Hauses ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Berichte verwiesen.
Mit Urteil vom 11.03.2003 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Erstattung der für die Beschaffung des Autoschwenksitzes entstandenen Kosten verurteilt. Es hat gemeint, dieser sei zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse erforderlich, und auf die Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 26.02.1991 (SozR 3-2500 § 33 Nr. 3) hingewiesen.
Die Beklagte vertritt im Berufungsverfahren die Auffassung, nach dem Urteil des BSG vom 06.08.1998 zähle das eigenständige Führen eines PKW nicht zu den von der Krankenversicherung zu befriedigenden Grundbedürfnissen. Insoweit könne es keinen Unterschied machen, ob der PKW selbst geführt oder als Beifahrer genutzt werde. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung hätten die Kassen nur die Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die zur Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums im Sinne eines Basisausgleichs erforderlich seien, wobei Besonderheiten am Wohnort des Versicherten unbeachtlich seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.03.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und meint, die Entscheidung des BSG vom 06.08.1998 betreffe nur die Frage, ob das selbständige Führen eines PKW ein Grundbedürfnis sei. In ihrem Fall sei jedoch der Schwenksitz zur Schaffung eines körperlichen Freiraums notwendig, denn sie könne ohne fremde Hilfe sich weder mit dem Rollstuhl noch dem PKW fortbewegen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, denn das Sozialgericht hat sie zu Unrecht verurteilt, der Klägerin 3.170,01 Euro zu erstatten. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Kostenerstattung für den selbstbeschafften Autoschwenksitz nicht zu.
Unabhängig davon, ob ein Kostenerstattungsanspruch auf § 13 Abs. 2 oder dessen Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ((SGB V) jeweils in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung) gestützt wird, setzt dieser voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 9; SozR 3-2500 § 135 Nr. 14). Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Versorgung mit einem elektrisch verstellbaren Autoschwenksitz bestand jedoch entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der seit 01.07.2001 geltenden Fassung) haben Versicherte Anspruch unter anderem auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Diese genannten Ausschlussgründe liegen nicht vor. Weder ist ein Autoschwenksitz ein in der nach § 34 Abs. 2 SGB V erlassenen Verordnung vom 13.12.1989 (Bundesgesetzblatt (BGBl.) I, 2237) ausgeschlossenes Hilfsmittel noch handelt es sich offenkundig um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
Der Schwenksitz ist jedoch nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Dabei kann zu Gunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, dass sie ohne den Schwenksitz nicht in zumutbarer Weise in einen PKW gelangen kann.
Ein Hilfsmittel ist zum Ausgleich einer Behinderung nur dann erforderlich, wenn sein Einsatz der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient (vgl. zuletzt BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 44). Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden, wenn das Hilfsmittel die beeinträchtigte Körperfunktion unmittelbar ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Soweit dagegen - wie hier - das Hilfsmittel die ausgefallene oder beeinträchtigte Organfunktion nur mittelbar ersetzt, muss besonders geprüft werden, in welchen Lebensbereichen sich der Ausgleich auswirkt, ob also das Hilfsmittel zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. Zu diesen Grundbedürfnissen gehören zum einen die körperlichen Grundfunktionen (Gehen, Stehen und Treppen steigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung), darüber hinaus die elementare Körperpflege und das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfasst (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 32 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Eine über die Befriedigung eines solchen Grundbedürfnisses hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 29).
Der Autoschwenksitz ist nicht erforderlich, um das elementare Grundbedürfnis der Klägerin im Rahmen der Fortbewegung zu gewährleisten. Das Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums ist nur im Sinne eines Basisausgleichs und nicht als ein vollständiges Gleichziehen mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten des Gesunden zu verstehen. Dieser Basisausgleich umfasst lediglich die Fähigkeit, sich in der Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu gelangen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 32). Der Mobilitätsausgleich ist in diesem Sinne mittels des von der Beklagten zur Verfügung gestellten Rollstuhls und des Rollfietsaufsatzes sichergestellt.
Die Benutzung eines PKW - sei es als Fahrer oder Mitfahrer - zählt nicht zu dem Grundbedürfnis auf Mobilität. Zwar ist der 8. Senat des BSG in seinem Urteil vom 26.02.1991 (a. a. O.) davon ausgegangen, dass auch das Mitfahren in einem PKW zur Befriedigung des Grundbedürfnisses auf Fortbewegung benötigt werden kann. In der weiteren Rechtsprechung des BSG ist allerdings das Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung verstanden worden. Das BSG hält es nunmehr für ausreichend, wenn mit den zur Verfügung stehenden Mitteln (wie hier dem Schieberollstuhl) die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen erreicht werden können, an denen Alltagsgeschäfte (wie etwa das Einkaufen von Lebensmitteln, Gegenständen des täglichen Bedarfs) erledigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R mit Nachweisen zur Entwicklung der Rechtsprechung). Da es insoweit auf die besonderen Verhältnisse des Wohnortes und -gebietes nicht ankommt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 31), ist auch unbeachtlich, ob die Klägerin in einem ländlichen Bereich wohnt, in dem selbst für Alltagsgeschäfte längere Wegstrecken zurückgelegt werden müssen. Da somit die Bewegungsfreiheit als Grundbedürfnis sich nur auf einen begrenzten räumlichen Bereich bezieht, hat das BSG in der Entscheidung vom 06.08.1998 (a. a. O.) folgerichtig das selbständige Führen eines PKW nicht zu den Grundbedürfnissen gerechnet. Ebenso wenig zählt entgegen der Auffassung der Klägerin das Mitfahren in einem PKW zu den Grundbedürfnissen (so schon Senat, Urteil vom 06.02.2001 - L 5 KR 156/00). Wenn der Mobilitätsausgleich auf den Nahbereich begrenzt ist, kann das Mitfahren in einem PKW, dessen Einsatzbereich typischerweise außerhalb des räumlichen Anspruchsbereichs im Sinne von § 33 SGB V liegt, nicht anders beurteilt werden als das selbständige Führen eines PKW.
Da die Klägerin immer auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, wird ihrer Unfähigkeit zum selbständigen Fortbewegen auch durch den schwenkbaren Autositz nicht abgeholfen; den PKW kann sie ebenso wenig wie den Rollstuhl selbständig nutzen. Unselbständig kann die Klägerin dagegen mit Hilfe Dritter bereits mit dem Schieberollstuhl die für die medizinische Rehabilitation im Sinne von § 33 SGB V maßgeblichen Entfernungen bewältigen.
Unerheblich ist auch, dass die Klägerin von ihrem Ehemann mit dem PKW zu ärztlichen Behandlungen gebracht wird. Das Aufsuchen von Ärzten und Therapeuten ist kein selbständiges Grundbedürfnis, sondern ein konkreter Anwendungsfall des Bedürfnisses nach Mobilität, das, wie dargelegt, von der gesetzlichen Krankenversicherung nur in eingeschränktem Umfang gewährleistet wird. Der Autoschwenksitz ist insoweit auch nicht erforderlich, um im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGB V den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Davon abgesehen, das schon fraglich ist, ob die Klägerin nur mit Hilfe ihres Ehemannes die Ärzte aufsuchen kann, betrifft die genannte Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur Gegenstände, die aufgrund ihrer Hilfsmitteleigenschaft spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu ihrem Erfolg beizutragen (Senat, Urteil vom 11.09.2003 - L 5 KR 234/02). Soweit es um die Ermöglichung des Aufsuchens von Therapeuten geht, wird in § 60 SGB V die Reichweite der Leistungspflicht der Krankenkassen geregelt; insoweit kommen Hilfsmittel, die nur dazu dienen sollen, die Wege zu den Leistungserbringern zurückzulegen, nicht in Betracht.
Der Senat verkennt nicht, dass der schwenkbarer Autositz für die Klägerin und ihren Ehemann eine große Erleichterung bedeutet und auch der Klägerin ermöglicht, in größeren Umfang gesellschaftliche Kontakte zu pflegen. Der von den Krankenkassen zu gewährleistende Behinderungsausgleich bedeutet jedoch nicht, dass damit auch sämtliche direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen wären. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Da, wie dargelegt, im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung das Erschließen eines körperlichen Freiraums nur im Sinne eines Basisausgleichs zu verstehen ist, betrifft die durch Benutzung eines PKW ermöglichte größere Mobilität Lebensbereiche, die der sozialen Rehabilitation zuzurechnen sind, so dass insoweit eine Leistungspflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat dem Rechtsstreit im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 26.02.1991 (a. a. O.) grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).
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