Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AL 50/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 28/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 08. Januar 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) hat.
Der im Jahre 1965 geborene Kläger war zuletzt in der Zeit vom 01.06.1993 bis 05.12.1996 als Metallbaumeister bei der M Metall GmbH beschäftigt. Der Zeitraum vom 06.12.1996 bis 08.01.1997 ist ohne Nachweis. Vom 09.01.1997 bis 31.05.2000 übte der Kläger als Inhaber der B Maschinen-, Konstruktion-, Anlagen- und Tribünenbau in N eine selbständige Tätigkeit aus, wobei er seinen Gewerbebetrieb zum 06.06.2000 wegen Insolvenz abmeldete. Im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit seiner Ehefrau ab 01.06.2000 übernahm der Kläger seit diesem Tag die Betreuung seiner mit ihm und seiner Ehefrau in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kinder. Das jüngste Kind des Klägers ist am 00.00.1998 geboren.
Den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Alg vom 28.12.2001 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2002 mit der Begründung ab, der Kläger habe in der (verlängerten) Rahmenfrist nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden und daher die Anwartschaftszeit nach § 123 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) nicht erfüllt. Die Zeiten der selbständigen Tätigkeit könnten nur begrenzt zur Verlängerung der Rahmenfrist führen, da die Rahmenfrist bei diesem Verlängerungstatbestand spätestens nach 5 Jahren seit ihrem Beginn ende (§ 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III).
Der Kläger, der sich auch nach seiner Arbeitslosmeldung am 28.12.2001 regelmäßig in der Vermittlung gemeldet und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden hat, hat mit einem am 10.05.2002 bei dem Sozialgericht (SG) Münster eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, er erfülle die Anwartschaftszeit durch seine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der M Metall GmbH. Wegen der Berücksichtigung von Zeiten der Kinderbetreuung sowie der selbständigen Tätigkeit liege eine Kumulation von Verlängerungstatbeständen der Rahmenfrist vor, weshalb eine pauschale Verkürzung der Rahmenfrist auf insgesamt 5 Jahre nicht zulässig sei. § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III beziehe sich ausdrücklich auf das Vorliegen der Einzeltatbestände des § 124 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 SGB III. Im Übrigen würden Arbeitsämter im Falle von Mehrfachanrechnungen eine Verschiebung der Rahmenfrist auch über den 5-Jahres-Zeitraum hinaus vornehmen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.01.2003 abgewiesen und ausgeführt, die Beklagte habe den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Alg zu Recht abgelehnt, da der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Zwar seien Zeiten der Kindererziehung und der selbständigen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. Dies führe jedoch nicht zu einem Ende der Rahmenfrist am 10.12.1995, sondern zum 28.12.1996, da gemäß § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III die Rahmenfrist im Hinblick auf die selbständige Tätigkeit spätestens 5 Jahre nach ihrem Beginn ende. Aus dem Gesetzestext lasse sich nichts anderes entnehmen.
Gegen das ihm am 15.01.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.02.2003 Berufung eingelegt. Er trägt ergänzend vor, seine Ehefrau habe sich daran erinnert, dass er bei Insolvenz seiner Firma in einem Gespräch auf Anraten und im Beisein seines Finanzberaters mit einer Mitarbeiterin des Arbeitsamtes telefoniert und nach etwaigen Leistungsansprüchen gefragt habe. Dieses Gespräch sei mit einer abschlägigen Auskunft unter Hinweis darauf beendet worden, dass er aufgrund seiner Geschäftsführertätigkeit in der GmbH keine Ansprüche auf Leistungen habe. An den Namen der Mitarbeiterin des Arbeitsamtes N könne er sich nicht erinnern.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 08.01.2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2002 zu verurteilen, ihm auf seinen Antrag vom 28.12.2001 Alg in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Leistungs- sowie der Gerichtsakte Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von Alg hat.
Nach § 117 Abs. 1 SGB III haben Anspruch auf Alg Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Satz 1 SGB III). Nach § 124 Abs. 1 SGB III beträgt die Rahmenfrist drei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. In die Rahmenfrist werden nicht eingerechnet Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes des Arbeitslosen (Kinderbetreuungszeiten), in denen das Kind das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III in der hier maßgebenden Fassung bis 31.12.2002), Zeiten einer mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden selbstständigen Tätigkeit (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB III), Zeiten, in denen der Arbeitslose Unterhaltsgeld bezogen oder nur wegen des Vorrangs anderer Leistungen nicht bezogen hat (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB III) und Zeiten, in denen der Arbeitslose von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen hat (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB III). Die Rahmenfrist endet im Falle der Nummern 3 bis 5 spätestens nach fünf Jahren seit ihrem Beginn (§ 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III).
Der Kläger hat die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil die (verlängerte) Rahmenfrist nicht in die Zeit seines bis zum 05.12.1996 bestehenden Versicherungspflichtverhältnisses bei der M Metall GmbH hineinreicht. Die Rahmenfrist nach § 124 Abs. 1 SGB III läuft vom 28.12.1998 bis 27.12.2001 (Tag vor der Arbeitslosmeldung). Innerhalb dieses Zeitraumes liegen Kinderbetreuungszeiten vom 01.06.2000 bis 26.06.2001 (Vollendung des 3. Lebensjahres des jüngsten Kindes) von 12 Monaten und 25 Tagen, so dass sich eine zunächst um diese Zeiten verlängerte Rahmenfrist vom 03.12.1997 bis 27.12.2001 ergibt. In diesem Zeitrahmen war der Kläger wiederum vom 03.12.1997 bis 31.05.2000 (2 Jahre, 5 Monate, 28 Tage) selbstständig tätig, wobei die Begrenzungsvorschrift des § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III dazu führt, dass die Rahmenfrist im Ergebnis nur um weniger als 1 Jahr bis zum 28.12.1996 (weiter) verlängert werden kann.
§ 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III kann nicht einschränkend in dem Sinne ausgelegt werden, dass die hierin ausgesprochene Höchstdauer der Verlängerung nur in den Fällen zu berücksichtigen ist, in denen die Rahmenfrist des § 124 Abs. 1 SGB III ausschließlich um Zeiten einer selbständigen Tätigkeit (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB III), Zeiten eines Bezugs von Unterhaltsgeld (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB III) oder Zeiten eines Bezugs von Überbrückungsgeld (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB III) zu verlängern ist. Eine solche Auslegung ist dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Da sich der Begriff der Rahmenfrist in § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III einheitlich auf alle Verlängerungstatbestände des § 124 Abs. 3 Satz 1 SGB III bezieht, greift die zeitliche Begrenzung auch ein, wenn mehrere rahmenfristverlängernde Tatbestände vorliegen und es zu einer Mehrfachanrechnung kommt.
In § 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB III i.V.m. § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III kommt zum Ausdruck, dass selbständige Tätigkeiten nicht ausschießlich nach ihrer zeitlichen Dauer, sondern daneben in Abhängigkeit von ihrer zeitlichen Lage zum Beginn der Rahmenfrist nach § 124 Abs. 1 SGB III berücksichtigt werden sollen. So hat der Gesetzgeber bei der Formulierung dieser Vorschrift keinen zeitlichen Mindestumfang der Berücksichtigung (etwa: "Zeiten einer selbstständigen Tätigkeit von 2 Jahren") unabhängig vom zeitlichen Abstand der selbstständigen Tätigkeit zum Versicherungspflichttatbestand festschreiben wollen. Dies ergibt sich auch aus der Begründung zum 1. AFRG-Entwurf (BTDrs. 13/4941, Seite 177), in der es heißt:
"Zu Absatz 1 Nr. 1 Zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Arbeitnehmer, die den Versuch unternehmen, sich eine eigene, selbständige Existenz aufzubauen, wird die Rahmenfrist für diesen Personenkreis um die Zeiten - längstens auf fünf Jahre -verlängert, in denen eine selbständige Tätigkeit ausgeübt wurde. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld kann demnach künftig auch dann noch bestehen, wenn der Betroffene nach einer mindestens zwölfmonatigen versicherungspflichtigen Beschäftigung vier Jahre selbständig tätig war."
Im Unterschied zu dem Verlängerungstatbestand der Pflege von Angehörigen (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III), bei dem die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene Höchstgrenze der Verlängerung der Rahmenfrist von 6 Jahren entfallen ist (zur Entstehungsgeschichte vgl. Henke in: Hennig, Sozialgesetzbuch III, Arbeitsförderung, Stand August 2003, § 124 Rdnr. 15), sollte bei selbstständiger Tätigkeit die Rahmenfrist nur eingeschränkt verlängert werden. Trotz des von dem Kläger zu Recht hervorgehobenen Normzwecks hat der Gesetzgeber bei diesem Verlängerungstatbestand auf eine Begrenzung der Verlängerung der Rahmenfrist gerade nicht verzichtet.
Der Umstand, dass hier neben Zeiten selbstständiger Tätigkeit auch - die Rahmenfrist verlängernde - Kinderbetreuungszeiten vorliegen, führt nicht zu einer weitergehenden Berücksichtigung selbständiger Tätigkeiten, die im Falle des Klägers auch für sich allein betrachtet nicht dazu führen könnten, dass er die Anwartschaftszeit erfüllt hat. So ergibt sich bei Berücksichtigung der beiden Verlängerungstatbestände in umgekehrter Reihenfolge eine zunächst um Zeiten der selbständigen Tätigkeit vom 28.12.1998 bis 31.05.2000 (1 Jahr, 5 Monate, 3 Tage) verlängerte Rahmenfrist vom 25.07.1997 bis 27.12.2001. Da in diesem Zeitraum wiederum Kinderbetreuungszeiten von einem Jahr und 25 Tagen liegen, ist die Rahmenfrist entsprechend bis zum 28.12.1996 (Begrenzungstatbestand des § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III) zu verlängern, wobei die Anwartschaftszeit bei dieser vorrangigen Berücksichtigung selbstständiger Tätigkeiten auch ohne Begrenzungstatbestand nicht erfüllt wäre.
Der von dem Kläger vertretenen Auslegung des § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III steht schließlich der Normzweck der Rahmenfrist entgegen. Diese soll sicherstellen, dass zwischen dem Versicherungspflichttatbestand und dem Leistungsbezug eine gewisse Aktualität besteht. Zur Durchsetzung des Versicherungsprinzips muss das Versicherungspflichtverhältnis in einem engeren zeitlichen Rahmen vor der Arbeitslosigkeit bestanden haben (Brand in: Niesel, Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung, SGB III, 2. Auflage 2002, § 123 Randnr. 4; Hünnecke in: Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, Kommentar, Stand 11/2003, § 124 Randnr. 5).
Auch aus der von ihm behaupteten abweichenden Praxis anderer Arbeitsämter kann der Kläger keinen Anspruch auf Alg ableiten. Insofern entspricht es einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass weder nach dem Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) noch nach dem Vertrauensgrundsatz aus einem rechtswidrigen Verhalten einer Behörde ein Leistungsanspruch abgeleitet werden kann (BSG, Urteil vom 17.02.1981 - 7 RAr 11/80 -).
Der Kläger kann auch nicht verlangen, über das Rechtsinstitut des sozialrechtichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als habe er bereits im Zusammenhang mit der Insolvenz seiner Firma einen Antrag auf Alg gestellt. Da der Kläger in diesem Zeitraum selbstständig tätig war und im unmittelbaren Anschluss seine Kinder betreute, fehlt es an der Verfügbarkeit des Klägers für die Arbeitsvermittlung (§ 119 Abs. 1 SGB III), die nicht nachträglich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden kann (BSG SozR 4100 § 103 Nr. 36).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) hat.
Der im Jahre 1965 geborene Kläger war zuletzt in der Zeit vom 01.06.1993 bis 05.12.1996 als Metallbaumeister bei der M Metall GmbH beschäftigt. Der Zeitraum vom 06.12.1996 bis 08.01.1997 ist ohne Nachweis. Vom 09.01.1997 bis 31.05.2000 übte der Kläger als Inhaber der B Maschinen-, Konstruktion-, Anlagen- und Tribünenbau in N eine selbständige Tätigkeit aus, wobei er seinen Gewerbebetrieb zum 06.06.2000 wegen Insolvenz abmeldete. Im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit seiner Ehefrau ab 01.06.2000 übernahm der Kläger seit diesem Tag die Betreuung seiner mit ihm und seiner Ehefrau in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kinder. Das jüngste Kind des Klägers ist am 00.00.1998 geboren.
Den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Alg vom 28.12.2001 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2002 mit der Begründung ab, der Kläger habe in der (verlängerten) Rahmenfrist nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden und daher die Anwartschaftszeit nach § 123 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) nicht erfüllt. Die Zeiten der selbständigen Tätigkeit könnten nur begrenzt zur Verlängerung der Rahmenfrist führen, da die Rahmenfrist bei diesem Verlängerungstatbestand spätestens nach 5 Jahren seit ihrem Beginn ende (§ 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III).
Der Kläger, der sich auch nach seiner Arbeitslosmeldung am 28.12.2001 regelmäßig in der Vermittlung gemeldet und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden hat, hat mit einem am 10.05.2002 bei dem Sozialgericht (SG) Münster eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, er erfülle die Anwartschaftszeit durch seine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der M Metall GmbH. Wegen der Berücksichtigung von Zeiten der Kinderbetreuung sowie der selbständigen Tätigkeit liege eine Kumulation von Verlängerungstatbeständen der Rahmenfrist vor, weshalb eine pauschale Verkürzung der Rahmenfrist auf insgesamt 5 Jahre nicht zulässig sei. § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III beziehe sich ausdrücklich auf das Vorliegen der Einzeltatbestände des § 124 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 SGB III. Im Übrigen würden Arbeitsämter im Falle von Mehrfachanrechnungen eine Verschiebung der Rahmenfrist auch über den 5-Jahres-Zeitraum hinaus vornehmen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.01.2003 abgewiesen und ausgeführt, die Beklagte habe den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Alg zu Recht abgelehnt, da der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Zwar seien Zeiten der Kindererziehung und der selbständigen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. Dies führe jedoch nicht zu einem Ende der Rahmenfrist am 10.12.1995, sondern zum 28.12.1996, da gemäß § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III die Rahmenfrist im Hinblick auf die selbständige Tätigkeit spätestens 5 Jahre nach ihrem Beginn ende. Aus dem Gesetzestext lasse sich nichts anderes entnehmen.
Gegen das ihm am 15.01.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.02.2003 Berufung eingelegt. Er trägt ergänzend vor, seine Ehefrau habe sich daran erinnert, dass er bei Insolvenz seiner Firma in einem Gespräch auf Anraten und im Beisein seines Finanzberaters mit einer Mitarbeiterin des Arbeitsamtes telefoniert und nach etwaigen Leistungsansprüchen gefragt habe. Dieses Gespräch sei mit einer abschlägigen Auskunft unter Hinweis darauf beendet worden, dass er aufgrund seiner Geschäftsführertätigkeit in der GmbH keine Ansprüche auf Leistungen habe. An den Namen der Mitarbeiterin des Arbeitsamtes N könne er sich nicht erinnern.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 08.01.2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2002 zu verurteilen, ihm auf seinen Antrag vom 28.12.2001 Alg in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Leistungs- sowie der Gerichtsakte Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von Alg hat.
Nach § 117 Abs. 1 SGB III haben Anspruch auf Alg Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Satz 1 SGB III). Nach § 124 Abs. 1 SGB III beträgt die Rahmenfrist drei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. In die Rahmenfrist werden nicht eingerechnet Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes des Arbeitslosen (Kinderbetreuungszeiten), in denen das Kind das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III in der hier maßgebenden Fassung bis 31.12.2002), Zeiten einer mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden selbstständigen Tätigkeit (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB III), Zeiten, in denen der Arbeitslose Unterhaltsgeld bezogen oder nur wegen des Vorrangs anderer Leistungen nicht bezogen hat (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB III) und Zeiten, in denen der Arbeitslose von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen hat (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB III). Die Rahmenfrist endet im Falle der Nummern 3 bis 5 spätestens nach fünf Jahren seit ihrem Beginn (§ 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III).
Der Kläger hat die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil die (verlängerte) Rahmenfrist nicht in die Zeit seines bis zum 05.12.1996 bestehenden Versicherungspflichtverhältnisses bei der M Metall GmbH hineinreicht. Die Rahmenfrist nach § 124 Abs. 1 SGB III läuft vom 28.12.1998 bis 27.12.2001 (Tag vor der Arbeitslosmeldung). Innerhalb dieses Zeitraumes liegen Kinderbetreuungszeiten vom 01.06.2000 bis 26.06.2001 (Vollendung des 3. Lebensjahres des jüngsten Kindes) von 12 Monaten und 25 Tagen, so dass sich eine zunächst um diese Zeiten verlängerte Rahmenfrist vom 03.12.1997 bis 27.12.2001 ergibt. In diesem Zeitrahmen war der Kläger wiederum vom 03.12.1997 bis 31.05.2000 (2 Jahre, 5 Monate, 28 Tage) selbstständig tätig, wobei die Begrenzungsvorschrift des § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III dazu führt, dass die Rahmenfrist im Ergebnis nur um weniger als 1 Jahr bis zum 28.12.1996 (weiter) verlängert werden kann.
§ 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III kann nicht einschränkend in dem Sinne ausgelegt werden, dass die hierin ausgesprochene Höchstdauer der Verlängerung nur in den Fällen zu berücksichtigen ist, in denen die Rahmenfrist des § 124 Abs. 1 SGB III ausschließlich um Zeiten einer selbständigen Tätigkeit (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB III), Zeiten eines Bezugs von Unterhaltsgeld (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB III) oder Zeiten eines Bezugs von Überbrückungsgeld (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB III) zu verlängern ist. Eine solche Auslegung ist dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Da sich der Begriff der Rahmenfrist in § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III einheitlich auf alle Verlängerungstatbestände des § 124 Abs. 3 Satz 1 SGB III bezieht, greift die zeitliche Begrenzung auch ein, wenn mehrere rahmenfristverlängernde Tatbestände vorliegen und es zu einer Mehrfachanrechnung kommt.
In § 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB III i.V.m. § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III kommt zum Ausdruck, dass selbständige Tätigkeiten nicht ausschießlich nach ihrer zeitlichen Dauer, sondern daneben in Abhängigkeit von ihrer zeitlichen Lage zum Beginn der Rahmenfrist nach § 124 Abs. 1 SGB III berücksichtigt werden sollen. So hat der Gesetzgeber bei der Formulierung dieser Vorschrift keinen zeitlichen Mindestumfang der Berücksichtigung (etwa: "Zeiten einer selbstständigen Tätigkeit von 2 Jahren") unabhängig vom zeitlichen Abstand der selbstständigen Tätigkeit zum Versicherungspflichttatbestand festschreiben wollen. Dies ergibt sich auch aus der Begründung zum 1. AFRG-Entwurf (BTDrs. 13/4941, Seite 177), in der es heißt:
"Zu Absatz 1 Nr. 1 Zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Arbeitnehmer, die den Versuch unternehmen, sich eine eigene, selbständige Existenz aufzubauen, wird die Rahmenfrist für diesen Personenkreis um die Zeiten - längstens auf fünf Jahre -verlängert, in denen eine selbständige Tätigkeit ausgeübt wurde. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld kann demnach künftig auch dann noch bestehen, wenn der Betroffene nach einer mindestens zwölfmonatigen versicherungspflichtigen Beschäftigung vier Jahre selbständig tätig war."
Im Unterschied zu dem Verlängerungstatbestand der Pflege von Angehörigen (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III), bei dem die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene Höchstgrenze der Verlängerung der Rahmenfrist von 6 Jahren entfallen ist (zur Entstehungsgeschichte vgl. Henke in: Hennig, Sozialgesetzbuch III, Arbeitsförderung, Stand August 2003, § 124 Rdnr. 15), sollte bei selbstständiger Tätigkeit die Rahmenfrist nur eingeschränkt verlängert werden. Trotz des von dem Kläger zu Recht hervorgehobenen Normzwecks hat der Gesetzgeber bei diesem Verlängerungstatbestand auf eine Begrenzung der Verlängerung der Rahmenfrist gerade nicht verzichtet.
Der Umstand, dass hier neben Zeiten selbstständiger Tätigkeit auch - die Rahmenfrist verlängernde - Kinderbetreuungszeiten vorliegen, führt nicht zu einer weitergehenden Berücksichtigung selbständiger Tätigkeiten, die im Falle des Klägers auch für sich allein betrachtet nicht dazu führen könnten, dass er die Anwartschaftszeit erfüllt hat. So ergibt sich bei Berücksichtigung der beiden Verlängerungstatbestände in umgekehrter Reihenfolge eine zunächst um Zeiten der selbständigen Tätigkeit vom 28.12.1998 bis 31.05.2000 (1 Jahr, 5 Monate, 3 Tage) verlängerte Rahmenfrist vom 25.07.1997 bis 27.12.2001. Da in diesem Zeitraum wiederum Kinderbetreuungszeiten von einem Jahr und 25 Tagen liegen, ist die Rahmenfrist entsprechend bis zum 28.12.1996 (Begrenzungstatbestand des § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III) zu verlängern, wobei die Anwartschaftszeit bei dieser vorrangigen Berücksichtigung selbstständiger Tätigkeiten auch ohne Begrenzungstatbestand nicht erfüllt wäre.
Der von dem Kläger vertretenen Auslegung des § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III steht schließlich der Normzweck der Rahmenfrist entgegen. Diese soll sicherstellen, dass zwischen dem Versicherungspflichttatbestand und dem Leistungsbezug eine gewisse Aktualität besteht. Zur Durchsetzung des Versicherungsprinzips muss das Versicherungspflichtverhältnis in einem engeren zeitlichen Rahmen vor der Arbeitslosigkeit bestanden haben (Brand in: Niesel, Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung, SGB III, 2. Auflage 2002, § 123 Randnr. 4; Hünnecke in: Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, Kommentar, Stand 11/2003, § 124 Randnr. 5).
Auch aus der von ihm behaupteten abweichenden Praxis anderer Arbeitsämter kann der Kläger keinen Anspruch auf Alg ableiten. Insofern entspricht es einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass weder nach dem Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) noch nach dem Vertrauensgrundsatz aus einem rechtswidrigen Verhalten einer Behörde ein Leistungsanspruch abgeleitet werden kann (BSG, Urteil vom 17.02.1981 - 7 RAr 11/80 -).
Der Kläger kann auch nicht verlangen, über das Rechtsinstitut des sozialrechtichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als habe er bereits im Zusammenhang mit der Insolvenz seiner Firma einen Antrag auf Alg gestellt. Da der Kläger in diesem Zeitraum selbstständig tätig war und im unmittelbaren Anschluss seine Kinder betreute, fehlt es an der Verfügbarkeit des Klägers für die Arbeitsvermittlung (§ 119 Abs. 1 SGB III), die nicht nachträglich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden kann (BSG SozR 4100 § 103 Nr. 36).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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