L 16 KR 201/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 (16) KR 84/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 201/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19. Juli 2002 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten einer intrazytoplasmatischen Spermainjektion (ICSI).

Der Gynäkologe Dr. C bescheinigte der Klägerin und ihrem Ehegatten eine ungewollte Kinderlosigkeit infolge einer erheblichen männlichen Subfertilität. Letztere stelle eine Indikation zur Behandlung mittels In-vitro-Fertilisation (IVF) im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung dar. Zusätzlich empfahl er die Anwendung von ICSI. Er verordnete am 31.05.2000 die erforderlichen Medikamente, die sich die Klägerin am 05.06.2000 beschaffte. Aufgrund dieser Bescheinigung beantragte die Klägerin am 06.06.2000 bei der beklagten Kasse die Übernahme der Kosten für eine IVF-/ICSI- Therapie. Mit Bescheid vom 09.06.2000 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil nach einem Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ICSI nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zähle. Soweit die IVF-Behandlung nur in Kombination mit ICSI erbracht werde, könnten auch für erstere Behandlung die Kosten nicht übernommen werden. Den hiergegen am 30.06.2000 eingelegten Widerspruch, mit dem sich die Klägerin darauf berief, dass es sich um die einzig mögliche Therapie zur Behebung der Kinderlosigkeit bei ihr handele, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2000 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 22.09.2000 vor dem Sozialgericht (SG) Detmold Klage auf Erstattung der Kosten der IVF-/ICSI-Behandlung, deren weitere ärztliche und labortechnische Maßnahmen vom 18. bis 29.06.2000 bei ihr durchgeführt worden waren, einschließlich der Kosten der Medikamente in Höhe von insgesamt 8.037,61 DM erhoben. Sie hat geltend gemacht, bei der zuvor durchgeführten IVF-Behandlung sei es nicht zu einer Befruchtung gekommen. Infolgedessen biete die zusätzliche ICSI-Behandlung die Möglichkeit eines Behandlungserfolges, so dass die Kosten durch die Beklagte zu übernehmen seien.

Die Beklagte, die die grundsätzliche Möglichkeit der Erbringung von ICSI zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr in Abrede gestellt hat, hat die Auffassung vertreten, ein Kostenerstattungsanspruch scheitere daran, dass die Kinderlosigkeit der Klägerin ursächlich auf die männliche Subfertilität ihres Ehemannes zurückzuführen sei. Dieser sei aber zum 29.02.2000 aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschieden und habe sich bei seiner privaten Krankenversicherung ab März 2000 nicht mehr gegen das Risiko der Kinderlosigkeit versichert. Nach § 33 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) müssten bei der Ausgestaltung von Rechten, deren Inhalt nicht im Einzelnen bestimmt sei, die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten Berücksichtigung finden. Das Verhalten des Ehegatten der Klägerin führe aber zu einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der Solidargemeinschaft.

Mit Urteil vom 19.07.2002 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin die Kosten der im Zusammenhang mit der im Juni 2000 durchgeführten ICSI-Behandlung zu erstatten. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 26.08.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.09.2002 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte sei die Zeugungsunfähigkeit als Krankheit anzusehen. Nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen der privaten Krankenversicherung bestehe für die Heilbehandlung einer solchen Krankheit ein Leistungsanspruch, soweit die Ursache beim eigenen Versicherten liege, der auch die erforderliche Mitbehandlung des gesunden Ehepartners umfasse. Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei davon auszugehen, dass ein Ehegatte Anspruch auf entsprechende Leistungen nicht habe, wenn der andere Ehegatte diese Leistungen von seiner privaten Krankenversicherung beanspruchen könne. Unter diesen Umständen könne das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Detmold vom 19.07.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die Kinderlosigkeit sei nicht allein auf eine Fertilitätsstörung ihres Ehemannes zurückzuführen, sondern auch bei ihr sei eine Teilundurchlässigkeit eines Eileiters festgestellt worden. Im Übrigen knüpfe das Gesetz nicht an den einzelnen Ehepartner bezüglich des Behandlungsanspruches an. Klargestellt werden müsse ferner, dass der Ehemann, der sich als Selbständiger zum 01.03.2000 privat gegen Krankheit versichert habe, auf Veranlassung der Versicherungsgesellschaft im Hinblick auf seine Vorerkrankung einen entsprechenden Risikoausschluss infolge der bestehenden Fertilitätsstörung vereinbart habe.

Der Senat hat Ermittlungen bezüglich des Zeitpunkts der Ablehnung der begehrten Leistung durch die Beklagte durchgeführt. Diese hat schriftliche Erklärungen ihrer Mitarbeiter/innen C1, E, G, I, O, S und X vorgelegt, dass sie sich an ein Gespräch mit der Klägerin nicht erinnern können bzw. ein solches nicht geführt haben. Der Senat hat den Zeugen Q schriftlich befragt, der eine entsprechende Erklärung abgegeben hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, denn auch wenn, wie das SG mit überzeugenden Gründen angenommen hat, die Beklagte der Klägerin die Behandlung mittels ICSI schuldete, scheitert der hier allein in Betracht zu ziehende Kostenerstattungsanspruch, nachdem sich die Klägerin die Leistung selbst beschafft hat, an der Nichteinhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Beschaffungsweges.

Nach § 13 Abs. 3 SGB V a.F. (jetzt inhaltsgleich § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V) sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil die streitigen Kosten nicht durch die Ablehnungsentscheidung der Beklagten entstanden sind. Die Voraussetzungen der Ersten Alternative (Notfall) sind ersichtlich nicht erfüllt, weil diese voraussetzt, dass es dem Versicherten unmöglich oder unzumutbar ist, sich mit der Krankenkasse vor Behandlungsbeginn ins Benehmen zu setzen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22 S. 105 ff.). Wurde zum Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch angenommen, dass eine solche Unzumutbarkeit auch dann gegeben war, wenn von vornherein feststand, dass die Krankenkasse nicht leisten werde (vgl. BSG SozR 2200 § 182 Nr. 86; jetzt auch noch zu § 13 Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung - Kommentar - Rdn. 28 zu § 13 SGB V unter Bezugnahme auf letztere Entscheidung des BSG), gilt dies mit Inkrafttreten des SGB V nicht mehr (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 15 S. 75). Es muss vielmehr ein echter Hinderungsgrund der Kontaktaufnahme des Versicherten mit der Krankenkasse entgegenstehen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22 S. 106). Der Klägerin wäre es aber ohne Weiteres möglich gewesen, nach erstmaliger Beratung durch Dr. C zwecks der weiteren Vorgehensweise und Behandlung mittels ICSI die Beklagte einzuschalten und deren baldige Entscheidung abzuwarten.

Fehlt es aber vor der Selbstbeschaffung der Leistung an einer vorherigen Befasstheit der Beklagten mit der Angelegenheit, so sind die Kosten nicht durch die ablehnende Entscheidung verursacht worden, wie dies die Zweite Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V a.F. verlangt.

Der Klägerin sind die für die erfolgversprechende Durchführung von ICSI notwendigen Medikamente bereits am 31.05.2000 verordnet worden, die sie sich am 05.06.2000 auf eigene Kosten beschafft hat. Dagegen lässt sich nicht feststellen, dass bereits vor der Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 09.06.2000, die die Klägerin frühestens am 10.06.2000 erhalten haben kann, eine mündliche Absage bezüglich der streitigen Leistung erteilt worden ist. Keiner für eine entsprechende Beratung der Klägerin in Betracht kommenden Mitarbeiter der Beklagten konnte sich an ein solches Gespräch erinnern. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass eine Kontaktaufnahme zur Beklagten zwecks Klärung deren Einstandspflicht für die beabsichtigte ICSI-Behandlung rechtzeitig erfolgt ist, so kann es doch nicht als erwiesen angesehen werden, dass schon vor dem schriftlichen Bescheid vom 09.06.2000 eine mündliche Ablehnung gegenüber der Klägerin erklärt worden ist.

Dieser Kausalitätsmangel erfasst auch diejenigen Behandlungskosten, die nach der ablehnenden Entscheidung entstanden sind. Allerdings wird letztere regelmässig als Zäsur angesehen, so dass Kosten, die aufgrund der Selbstbeschaffung der Leistung nach Bekanntgabe der Ablehnung entstanden sind, als durch diese entstanden gelten (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22 S. 106). Dies gilt jedoch nur, soweit die nachträglich getroffene Entscheidung noch geeignet war, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen (BSG SozR 3-2500 § 28 Nr. 6 S. 35 m.w.N.). War mit dem eigenmächtigen Beginn der Behandlung das weitere Vorgehen bereits endgültig festgelegt, fehlt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der Kasse und der Kostenbelastung des Versicherten auch für den Teil der Behandlung, der zeitlich nach dem ablehnenden Bescheid liegt (BSG wie vor; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S. 53; Wagner a.a.O.). Danach muss hier die ICSI-Behandlung, die mit der Verordnung der erforderlichen Medikamente begonnen worden ist, aber als einheitlicher Vorgang bewertet werden, der sich nicht in Einzelleistungen aufspalten lässt. Die am 31.05.2000 verordneten Medikamente Menogon und Puregon, deren Kosten mehr als ein Drittel des streitigen Erstattungsbetrages ausmachen, dienen der Stimulation des Follikelwachstums bei indizierter künstlicher Befruchtung. Die Einnahme dieser Arzneimittel ist daher unverzichtbarer Bestandteil der ICSI-Behandlung. Die vom 18.06. bis 29.06.2000 durchgeführten weiteren ärztlichen und labortechnischen Maßnahmen sind demzufolge als einheitliche Gesamtbehandlung zur Durchführung der künstlichen Befruchtung anzusehen. Verordnung und Beginn der medikamentösen Behandlung zeigen daher den endgültigen Entschluss der Versicherten, die künstliche Befruchtung durchführen zu lassen, so dass die Entscheidung der Beklagten auch für die Entstehung der weiteren Kosten hinsichtlich der ärztlichen und labortechnischen Behandlungsmaßnahmen nicht mehr kausal gewesen ist.

Auf die Berufung der Beklagten musste daher das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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