L 2 B 16/03 KR

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 269/02 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 B 16/03 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.09.2003 geändert. Der Streitwert wird auf 48,30 Euro festgesetzt. Die Beschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat sich auf die Versorgung Laryngektomierter und Tracheotomierter mit Hilfsmitteln für die enterale Ernährung spezialisiert. Sie ist als Leistungserbringerin von Hilfsmitteln bundesweit zugelassen (§ 126 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V)). Für die Beklagte sandte die "Deutsches Dienstleistungszentrum für das Gesundheitswesen GmbH" eine Vielzahl von Rechnungen wegen Beanstandungen unbeglichen an die Klägerin zurück. Daraufhin hat die Klägerin im Oktober 2002 in mehr als 250 Fällen getrennt nach einzelnen Versicherten und Beanstandungen Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben und zugleich in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt, die Beklagte zu verurteilen, den jeweils sich aus der zurückgesandten Rechnung ergebenden konkreten Betrag - hier: 483,01 Euro - nebst einem Zinssatz von 8 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz ab dem 10.10.2002 abzüglich aufgrund der einstweiligen Anordnung etwaig geleisteter Zahlungen zu zahlen und der Beklagten zu untersagen, eingereichte Rechnungen im Hinblick auf die durchgeführte Versorgung des/r Versicherten unter Hinweis auf die angeblich bestehende Pflicht, vor der Lieferung Kostenvoranschläge einzureichen, (oder) fehlende Vertragspartnerschaft unbeglichen zurückzusenden und der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro aufzuerlegen.

Alle Verfahren haben sich durch Vergleich erledigt (29.10.2002; Aktenzeichen (Az.) S 4 KR 272/02). Das SG hat den Streitwert auf 2.241,51 Euro festgesetzt (Beschluss vom 19.09.2003).

Zur Begründung ihrer Beschwerde gegen den Beschluss vom 19.09.2003 trägt die Klägerin vor, der Unterlassungsantrag sei nach § 17 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) zu bewerten. Es bestünden dauerhafte Rechtsbeziehungen. Ohne Bedeutung sei, dass die Dauer zukünftiger Verordnungen nicht feststehe. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG greife nicht ein, da hinreichende Anhaltspunkte bestünden, um die Bedeutung des Unterlassungsantrages zu bestimmen.

Zur Begründung ihrer Beschwerde gegen den Beschluss vom 19.09.2003 trägt die Beklagte vor, es begegne grundsätzlichen Bedenken, für jeden Einzelfall den Streitwert festzusetzen. Es liege ein und dieselbe vertragsrechtliche Auseinandersetzung zugrunde. Die Aufspaltung in Einzelverfahren widerspreche dem Gebot der Fairness und treibe den Bearbeitungsaufwand und die Kosten der Gesamtauseinandersetzung für die Beklagten unkalkulierbar in die Höhe. Bis zum 29.10.2002 habe die Klägerin ohne Rücksicht darauf Klagen erhoben, ob die geltend gemachten Zahlungs- und Unterlassungsansprüche tatsächlich erfüllbar, mehrfach anhängig oder sachdienlich gewesen seien. Der Streitwert sei nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG festzustellen. Der Unterlassungsantrag habe häufig schon deshalb keine eigenständige Bedeutung, weil die Versicherten schon vor Klageerhebung verstorben seien.

Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die Beschwerden der Klägerin und der Beklagten sind zulässig (§ 25 Abs. 3 GKG). Insbesondere haben die Beteiligten ihre Beschwerden fristgerecht eingelegt. Nach § 66 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 67 Abs. 2 SGG gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend (§ 66 Abs. 2 SGG). Die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG haben die Beschwerdeführer beachtet. Diese Frist gilt, weil das SG mit der Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig generell auf die Statthaftigkeit der Beschwerde hingewiesen hat, während diese nach § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 25 Abs. 3 GKG nur stattfindet, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,00 Euro übersteigt. Diese Voraussetzung ist indes für beide Beschwerden erfüllt.

Die Beschwerde der Beklagten ist begründet, diejenige der Klägerin unbegründet. Zutreffend hat sich das SG auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGG gestützt. Die Norm bestimmt: Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen, werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben. Nach § 13 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der [ ...] Sozialgerichtsbarkeit der Streitwert vorbehaltlich der folgenden Vorschriften nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der bisherige Sach- und Streitstand hierfür keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 4.000 Euro anzunehmen. § 13 Abs. 2 GKG besagt: Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, so ist deren Höhe maßgebend.

Bei der Wertberechnung in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 13 GKG) werden wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (§ 12 Abs. 1 GKG i.V.m. § 5 Zivilprozessordnung (ZPO)) mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Dass § 13 GKG nicht ausdrücklich auf § 12 Abs. 1 GKG und § 5 ZPO verweist, schließt die entsprechende Anwendung dieses Grundsatzes nicht aus (vgl. entsprechend für die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit z.B. BVerwG, Beschluss vom 22.09.1981, Az.: 1 C 23/81, DÖV 1982, 410; Beschluss vom 28.07.1993, 1 C 15/93, InfAuslR 1993, 323, m.w.N.). Die Zusammenrechnung setzt jedoch voraus, dass die Ansprüche von selbständigem Wert sind, mithin nicht wirtschaftlich denselben Gegenstand haben oder wirtschaftlich einen identischen Streitgegenstand betreffen (vgl. ebenda). Das kann etwa der Fall sein, wenn sich mehrere Kläger in Rechtsgemeinschaft gegen einen Verwaltungsakt wenden oder den Erlass eines Verwaltungsaktes erstreben oder wenn sich beide Ehegatten im Interesse ihrer ehelichen Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) gegen die Ausweisung des einen wenden, die Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung begehren oder die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ihn erstreben (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 28.01.1991, Az.: 1 B 95/90, Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 48 = NVwZ - RR 1991, 669 f.).

Vergleichbar liegt es aber hier. Zusätzlich zum Zahlungsanspruch von 483,01 Euro ist der Unterlassungsanspruch nicht von selbständigem Wert. Generell ist bei Trägern öffentlicher Verwaltung wie der Beklagten davon auszugehen, dass sie aufgrund einer Verurteilung in einem konkreten Fall sich in der Folgezeit urteilsgerecht rechtmäßig verhalten. Das begehrte Unterlassen betrifft aber gerade Punkte, die auch im Rahmen des Zahlungsanspruchs abzuhandeln sind. Ob darüber hinausgehend dem Unterlassungsanspruch mit Blick auf die geltend gemachten Ansprüche in den Parallelverfahren keine wirtschaftliche Bedeutung zukommt, bedarf keiner Entscheidung.

Zutreffend sind die Beteiligten und das SG davon ausgegangen, dass sich die Nebenforderungen nicht streitwerterhöhend auswirken (§ 22 Abs. 1 GKG).

Soweit die Klägerin die Zahlung des klageweise geltend gemachten Betrages auch im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt hat, ist dieses Begehren dahingehend auszulegen, dass die Klägerin insoweit die einstweilige Zahlung bis zur Entscheidung in der Hauptsache begehrt hat. Nach § 20 Abs. 3 GKG bestimmt sich im Verfahren über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) oder § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und in Verfahren nach § 47 Abs. 8, § 80 Abs. 5 bis 8, § 80 a Abs. 3 der VwGO, § 69 Abs. 3, 5 der FGO oder § 50 Abs. 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes der Wert nach § 13 Abs. 1 (zu ergänzen: GKG). Auch wenn der Gesetzgeber insoweit die Regelungen der §§ 86 a und 86 b SGG übersehen hat, kann für diese nichts anderes gelten. Es würde keinen Sinn machen, in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach dem SGG, die auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet sind, anders als in allen anderen Verfahrensordnungen von der Höhe des Geldbetrags für den Streitwert auszugehen, auch wenn das tatsächliche Interesse an der vorläufigen Leistung viel geringer ist. Vielmehr entspricht es gerade dem Rechtsgedanken des § 20 Abs. 3 GKG, in den - inzwischen - geregelten Fällen des einstweiligen Rechtsschutzes nach dem SGG für den Streitwert ebenfalls auf § 13 Abs. 1 GKG abzustellen, nicht aber auf die insoweit sachwidrige Regelung des § 13 Abs. 2 GKG. Infolgedessen ist grundsätzlich der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Anhaltspunkte hierfür können sich auch aus der Rechtsprechung in Parallelbereichen sowie aus dem empfehlenden Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 1996, 563 ff. = DVBI 1996, 605 ff.) ergeben, auch wenn diesen Richtwerten schon für die Praxis der Verwaltungsgerichtsbarkeit keine normative Kraft zukommt (vgl. dazu auch BVerfG NVwZ - RR 1994, 107). Nach dem Grundsatz Nr. 7 dieses Streitwertkatalogs beträgt der Streitwert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel 1/2, in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und bei allen anderen auf bezifferte Geldleistungen gerichteten Verwaltungsakten 1/4 des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes. Teilweise hat die Rechtsprechung auch einen Satz von 10 % des streitigen Hauptbetrages zugrunde gelegt (vgl. z.B. Bayerischer VGH, Beschluss vom 15.07.1985, Az.: 3 C 85 A. 945, BayVBI. 1985, 700 f.). Demgegenüber geht der BFH in Verfahren wegen einstweiliger Einstellung der Zwangsvollstreckung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung von einem Streitwert in Höhe von 1-0 vom Hundert des Betrages aus, dessentwegen die Zwangsvollstreckung befürchtet worden ist (vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 11.09.1984, VII B 5/84; Beschluss vom 20.06.1984, VII B 62/83; vgl. auch FG Köln, Beschluss vom 16.11.2001, Az.: 10 Ko 6021/01, EFG 2002, 224 f.). Die Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes für die Klägerin ergibt sich im hier relevanten Streitverfahren insbesondere aus der Zinsdifferenz zwischen den Kreditkosten und den der Klägerin zu zahlenden Zinsen auf die Hauptleistung. Insoweit geht der Senat von einem Prozentsatz von 10 % der eingeklagten Hauptforderung unter Berücksichtigung einer Gesamtverfahrensdauer von ca. 2 Jahren aus.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 25 Abs. 4 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Rechtskraft
Aus
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