L 17 U 106/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 111/94
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 106/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 24/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 26. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. Die Klage auf Entfernung der ärztlichen Stellungnahmen von Dr. Q aus den Akten der Beklagten wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist in der Hauptsache, ob bei der Klägerin eine berufsbedingte Atemwegserkrankung nach den Nrn. 4301 und/oder 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vorliegt und Anspruch auf Verletztenrente besteht. Im Berufungsverfahren begehrt sie von der Beklagten zudem die Entfernung beratungsärztlicher Gutachten bzw. Stellungnahmen aus den Verwaltungsakten.

Die 1941 geborene Klägerin war ab 1976 als Restaurantfachfrau bei der G-Werke AG in L und ab September 1986 in der neueröffneten Direktionskantine als Serviererin beschäftigt. Nachdem mehrere Mitarbeiter im Jahre 1991 gesundheitliche Beschwerden insbesondere in Form von Kopfschmerzen und Augenbrennen geäußert hatten, veranlasste das Unternehmen eine Messung der Emissionswerte der dortigen Einbauschränke. Nach dem Untersuchungsbericht des Arbeitshygiene-Laboratoriums des Unternehmens vom 10.09.1991 wurden beim Öffnen der Einbauschränke nach längeren Standzeiten Konzentrationen von über 2 ppm Formaldehyd gemessen, womit der MAK-Wert (maximale Arbeitsplatzkonzentrationen) nicht eingehalten war. Nach Auswechslung der Holzeinbauten lagen erneute Messungen allesamt unterhalb der Nachweisgrenze von ( 0,1 ppm Formaldehyd (Untersuchungsbericht vom 03.02.1992). Nach Untersuchung der betroffenen Mitarbeiter durch den Betriebsarzt Dr. M konnte dieser die vorliegenden gesundheitlichen Beschwerden nicht auf die Formaldehydeinwirkung zurückführen.

Im Juni 1992 teilte Dr. I, Leiter des Gesundheitsdienstes und Arbeitssicherheit der G-Werke AG diese Ergebnisse der Beklagten mit und bat um Überprüfung. Eine im Juni 1992 durch das Institut für Umweltschutz und Energietechnik des TÜV Rheinlandes durchgeführte Untersuchung ergab, dass der Richtwert von 0,1 ppm für den Aufenthalt in Innenräumen sicher eingehalten wurde. Zwar wurde im geschlossenen Schrank eine Restkonzentration von ca. 0,5 ppm Formaldehyd festgestellt, dazu nach Rücksprache mit dem Bundesgesundheitsamt aber ausgeführt, dass die Richtwerte für Räume gelten, in denen sich Menschen aufhielten. Nachdem der Hausarzt Dr. T in L im Oktober 1992 eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit (BK) übersandt hatte und diese in der Folgezeit dahingehend konkretisierte, dass die bei der Klägerin bestehende Belastungsdyspnoe und die Gelenkbeschwerden auf eine Formaldehydintoxikation zurückzuführen seien, zog die Beklagte das Vorerkrankungsverzeichnis der Betriebskrankenkasse und Behandlungs- und Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte bei. Der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. N in L teilte in seinem Befundbericht vom 29.12.1992 mit, die Klägerin leide unter einem sinu- bronchialem Syndrom mit cortisonpflichtiger Bronchitis, eine obstruktive Reaktion i.S.e. Hyperreagibilität der Atemwege habe ganzkörperplethysmographisch nicht ermittelt werden können. Weitere Berichte erstatteten der Werksarzt Dr. T1 (08.09.1992), der HNO-Arzt Dr. C (22.12.1992) die Internistin Dr. H (28.12.1992) und der Orthopäde Dr. T2 (28.01.1993). Auf den Inhalt dieser Unterlagen wird verwiesen. Die Klägerin legte zur Stützung ihres Anspruches Untersuchungsberichte des Nervenarztes Dr. C1 und der Dipl.-Psych. I1 vom 16.07.1993 vor. Die Beklagte, die Stellungnahmen des Staatlichen Gewerbearztes eingeholt hatte, veranlasste sodann eine Begutachtung der Klägerin durch Prof. Dr. P, Leiter der pneumologischen Funktionseinheit der Medizinischen Universitäts- und Poliklinik in C. Dieser gelangte unter dem 28.09.1993 zu der Auffassung, die Voraussetzungen für die Anerkennung von BKen nach Nrn. 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV seien nicht erfüllt. Bei der Allergietestung sei Formaldehyd im RAST negativ gewesen. Die Lungenfunktionsprüfung habe einen unauffälligen Befund ergeben; auch habe eine bronchiale Hyperreagibilität mittels inhalativer Histamin-Provokation nicht nachgewiesen werden können. Dabei sei allerdings zu berücksichtigen, dass die Klägerin am Untersuchungstag bereits Dosieraerosole inhaliert habe. Weitergehende Provokationsuntersuchungen mit Formaldehyd seien von ihr abgelehnt worden. Nach Beiziehung einer Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes Dr. L vom 20.10.1993 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.11.1993 die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, BKen nach Nrn. 4301 bzw. 4302 der Anlage zur BKV lägen nicht vor, weil ein relevanter krankhafter Befund der Lunge nicht habe erhoben worden können. Die gemessene Formaldehyd-Konzentration in der Raumluft habe unter dem vorgeschriebenen Richtwert gelegen; für eine Einwirkung anderer Gefahrstoffe in toxikologisch relevanter Konzentration hätten sich keine Hinweise ergeben. Insbesondere habe auch eine Einwirkung von Methanol nicht vorgelegen.

Mit dem hiergegen am 26.11.1993 erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei einer Reihe weiterer gesundheitsschädigender Noxen ausgesetzt gewesen, die Beklagte habe ihre Prüfung zu Unrecht lediglich auf Formaldehyd beschränkt. Die Untersuchungsbefunde von Prof. Dr. P seien unzureichend, da sie im Rahmen der Inhalationstests unter Erstickungsanfällen gelitten habe. Der Gutachter sei schließlich auch nicht auf die bei ihr bestehenden Hautveränderungen und Gelenkschmerzen eingegangen und habe zudem die vielfältigen Befunde der behandelnden Ärzte, die eine obstruktive Atemwegserkrankung belegten, zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.1994 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Klägerin, die seit Juni 1992 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht, am 31.05.1994 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhoben und ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren unter Vorlage einer Bescheinigung der behandelnden Hautärztin Dr. H1 in L vom 21.06.1994 und eines Berichtes von Dr. C1 vom 13.03.1994 bekräftigt. Unter Vorlage eines Attestes von Dr. T vom 16.05.1995 hat sie geltend gemacht, die bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen in Form eines Immundefektes bei beruflicher Schadstoffbelastung, Polyneuropathie, chronische Bronchitis, inhalative, toxische, irritative Atemwegserkrankung, hyperkeratotisches Ekzem, Infektneigung, chronische Otitis externa und Sinusitis, generalisierte Fibromyalgie, palindromer Rheumatismus und allergisch bedingte Stomatitis seien als BKen zu entschädigen. Desweiteren verwies sie auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Nordrhein zur Pflegebedüftigkeit vom 28.03.1995, in dem ihr wegen eines "multifaktoriellen Krankheitsbildes durch chronische Formaldehyd-Intoxikation" Leistungen der Pflegestufe II zugebilligt worden waren. Auch sei - so hat sie behauptet - im Rahmen einer SPECT-Untersuchung und kernspintomographischen Befundung eine Encephalopathie gesichert worden. Der Neurologe und Psychiater Dr. S habe eine Polyneuropathie durch Formaldehyd diagnostiziert. Schließlich habe der Umweltmediziner Doz. Dr. L1 1998 ihre Multiorganerkrankung auf eine chronische Aldehyd- bzw. Ketonexposition zurückgeführt und eine Encephalo- und Neuropathie, eine Arthro- und Myopathie, eine Immundysbalance, ein Multiple-Chemical-Sensivity-(MCS)- Syndrom und eine chronisch asthmoide Bronchitis sowie eine Migräne diagnostiziert.

Das SG hat nach Beiziehung einer Stellungnahme von Prof. Dr. P vom 03.03.1995 auf Anregung der Klägerin ein Gutachten nach Aktenlage von dem Toxikologen Prof. Dr. X, Universität Ulm eingeholt. Darin hat dieser unter dem 04.10.1998 zusammenfassend aufgeführt, aufgrund der zu korrigierenden Daten im Gutachten von Prof. Dr. P und der zwischenzeitlich durchgeführten Untersuchungen der behandelnden Ärzte sei vom Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung auszugehen, so dass die Voraussetzungen einer BK nach Nr. 4302, möglicherweise auch nach Nr. 4301 der Anlage zur BKV gegeben seien. Da in der wissenschaftlichen Literatur ein Kausalzusammenhang zwischen Formaldehydeinwirkungen und einer Polyneuropathie bzw. einer Encephalopathie nicht beschrieben bzw. nicht gesichert sei, komme eine Anerkennung insoweit nicht in Betracht. Auch sei ein Zusammenhang zwischen Fibromyalgie und Formaldehydexposition epidemiologisch bislang nicht gesichert, gleichwohl werde diese in einer Untersuchung im Kontext mit dem Krankheitsbild eines MCS gesehen. Die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) müsse durch ein entsprechendes medizinisches Gutachten erfolgen. Die Beklagte ist dieser Beurteilung unter Vorlage einer Stellungnahme des Dipl.-Chem. und Arbeitsmediziners Dr. Q in D vom 14.12.1998, auf deren Inhalt verwiesen wird, entgegengetreten. Die Klägerin hat zur Stützung ihres Vorbringens, dass sie gesundheitliche Schäden durch Formaldehyd erlitten habe, einen Bericht über eine SPECT-Untersuchung von dem Radiologen Dr. M1 vom 01.04.1999 vorgelegt und darauf verwiesen, dass Dr. L2, Institut für Umwelt und Arbeitsmedizin in Moers in einem Streitverfahren gegen die Krankenkasse bestätigt habe, dass sie an MCS leide. Prof. Dr. X verblieb in Kenntnis der Ausführungen von Dr. Q in einer ergänzenden Stellungnahme vom 14.10.1999 bei seiner Auffassung und begründete diese damit, dass bei empfindlichen Patienten auch bei niedrigeren Formaldehydkonzentrationen gesundheitliche Beeinträchtigungen festzustellen seien und ein einziger negativer RAST-Test das Nichtvorliegen einer Formaldehyd-Allergie nicht beweise und die von Prof. Dr. P durchgeführten Lungenfunktionsprüfungen aufgrund der vorherigen Einnahme eines Bronchodilators nicht aussagekräftig seien. Demgegenüber bekräftigte Dr. Q in einer von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme vom 09.12.1999 seine gegenteilige Auffassung und führte aus, Folgen einer BK lägen bei der Klägerin nicht vor. Diese erklärte sodann, zu weiteren Provokationstests wegen der bereits nachgewiesenen Sensibilisierung gegen Formaldehyd nicht mehr bereit zu sein. Eine weitere medizinische Beweisaufnahme wurde durch das SG daraufhin nicht mehr durchgeführt.

Mit Urteil vom 26.10.2001 hat das SG die Klage, mit der die Gewährung von Verletztenrente wegen einer BK nach Nrn. 4301 und/oder 4302 der Anlage zur BKV geltend gemacht wurde, abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 03.04.2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24.04.2002 Berufung eingelegt. Sie hat zunächst die Auffassung vertreten, die vom SG vorgenommene Beschränkung des Klagegegenstandes auf die genannten Listen-BK s sei unzulässig. Streitgegenstand seien sämtliche von ihr geltend gemachten Erkrankungsfolgen, wie auch eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO. Darauf habe sich die Beklagte auch während des Klageverfahrens rügelos eingelassen. Schließlich habe und das SG nicht zum Ausdruck gebracht, dass die letztgenannten Ansprüche nicht Gegenstand des Verfahrens seien. Die von ihr beigebrachten Behandlungs- und Befundberichte von Dr. C1, Dr. S und Doz. Dr. L1, die ihren umfassenden Entschädigungsanspruch stützten, seien zu Unrecht unberücksichtigt geblieben. Soweit aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse der Nachweis einer obstruktiven Lungenerkrankung nicht erbracht worden sei, bestünden anderweitige Erkenntnismöglichkeiten durch weniger beeinträchtigende Untersuchungsmethoden. Auch bestehe weiter ein Aufklärungsbedarf zur Formaldehydexposition am Arbeitsplatz sowie durch Einwirkung von Reinigungsmitteln, Zigarettenrauch, Desinfektionsmitteln u.ä ...

Der Senat hat die Rentenakten der LVA Rheinprovinz, die Schwerbehindertenakten des Versorgungsamtes L, die Akten der Ford-BKK und der Pflegekasse Ford-BKK sowie die Vorprozessakten des SG Köln (S 12 VS 349/95 und S 9 Kr 72/98) beigezogen. Sodann ist nach § 109 SGG Beweis erhoben worden durch die Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. C2, Ordinariat für Arbeitsmedizin der Universität Hamburg. Darin ist dieser unter dem 06.06.2003 zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, ausreichende Hinweise für eine obstruktive Atemwegserkrankung i.S.d. BK-Nrn. 4301 bzw. 4302 hätten sich weder nach den Aktenunterlagen noch nach dem Ergebnis der durchgeführten Untersuchungen ergeben. Bei der Klägerin bestehe eine Atemwegsüberempfindlichkeit ohne obstruktive Ventilationsstörung i.S.e. sensorischen Hyperreaktivität, die nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand weder eine BK im Sinne der BK-Liste noch eine solche nach § 9 Abs. 2 des Siebten Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) darstelle. Die weiteren festgestellten Erkrankungen stünden sicher nicht im Zusammenhang mit einer Formaldehydbelastung. Insbesondere ergäben sich keine ausreichend abgesicherten Hinweise dafür, dass Formaldehyd eine Erkrankung des Nervensystems, insbesondere eine Encephalopathie oder eine Polyneuropathie, verursache. Den daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag, den Sachverständigen (SV) wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, hat der Senat nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. C2 vom 11.08.2003 mit Beschluss vom 06.10.2003 zurückgewiesen. Die Klägerin hat weitere Bescheinigungen von Dr. C1 (02.08.2003), Doz. Dr. L1 (11.11.2003), Dr. T (26.11.2003) und Dr. N (22.12.2003) vorgelegt. Auf den Inhalt dieser Unterlagen wird verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2004 hat die Klägerin auf einen entsprechenden Hinweis des Senates den Entschädigungsanspruch auf die BKen Nrn. 4301 bzw. 4302 beschränkt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Ausführungen des SV Prof. Dr. C2 könnten nicht überzeugen. Auch sei das Gutachten von Prof. Dr. P nicht verwertbar, denn dieser habe bei der Befunderhebung und Diagnosestellung wesentliche Fehler gemacht. Weiter hat sie unter Hinweis auf ein Schreiben des Bundesversicherungsamtes vom 03.12.2003 und des Bundesbeauftragten für Datenschutz vom 09.02.2004, die andere Versicherte betreffen, geltend gemacht, das Gutachten bzw. die Stellungnahmen von Dr. Q seien unter Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII zustande gekommen und müssten daher von der Beklagten aus ihren Akten entfernt werden. Im Übrigen habe der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 11.12.1991 - L 17 U 54/90 - festgestellt, dass die Bestimmungen des Sozialdatenschutzes auch im Gerichtsverfahren zu beachten seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 26.10.2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.11.1993 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 28.04.1994 zu verurteilen, ihr wegen einer BK nach Nrn. 4301 bzw. 4302 der Anlage zur BKV Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 v.H. zu gewähren, hilfsweise Prof. Dr. C2 vor dem Senat mündlich zu hören sowie die Beklagte zu verurteilen, die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. Q aus den Akten zu entfernen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht sich durch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren in ihrer Beurteilung, wonach eine berufsbedingte Atemwegserkrankung bei der Klägerin nicht vorliege, bestätigt. Zu der Klage auf Entfernung der beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. Q aus ihren Akten vertritt sie die Ansicht, die Rechtsauffassung der Klägerin könne nicht überzeugen, denn § 200 Abs. 2 SGB VII sei weder im Gerichtsverfahren anwendbar, noch in Bezug auf Gutachten bzw. Stellungnahmen, die vom Versicherungsträger zu Gerichtsgutachten eingeholt würden. Auch habe das Bundesversicherungsamt seine frühere anderslautende Rechtsauffassung inzwischen aufgegeben. Schließlich gebiete es auch der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, dass sie sich zu Gutachten - insbesondere solchen nach § 109 SGG - medizinisch beraten lasse. Durch die Zurverfügungstellung der medizinischen Unterlagen an einen solchen Beratungsarzt, der zudem einer besonderen ärztlichen Schweigepflicht unterliege, würde der Sozialdatenschutz auch nicht verletzt. Es könne keinen Unterschied machen, ob eine solche Stellungnahme von eigenen Ärzten, solchen mit denen sie regelmäßig vertraglich zusammenarbeite oder im Einzelfall aufgrund einer Einzelberatung erstattet werde. Dies habe der Senat im Urteil vom 11.12.1991 (a.a.O.) entschieden. Die Klage sei daher abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die vorerwähnten beigezogenen Akten waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten konnten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG über die Berufung und die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

I. Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen, insbesondere auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach §§ 580, 581 der Reichsversicherungsordnung (RVO), die hier gem. Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG) i.V.m. §§ 213, 214 Abs. 3 SGB VII noch anwendbar sind, weil weder eine BK nach Nr. 4301 noch eine nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV, die nach dem Inhalt der angefochtenen Bescheide und den Sachanträgen im Klage- und Berufungsverfahren allein streitbefangen sind, bei ihr vorliegt.

BKen sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Die BK Nr. 4301 erfasst durch allergiesierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die BK Nr. 4302 der Anlage zur BKV durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen. Bei beiden Krankheiten ist erforderlich, dass sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Die Feststellung einer BK setzt voraus (vgl. zum Folgenden: Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar] § 9 SGB VII Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung [Kommentar] E § 9 SGB VII Rdnr. 14), dass in der Person des Versicherten die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d. h., dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der streitigen BK ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen - wie das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung (vgl. z. B. SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2) entschieden hat - die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, bewiesen seien. Für den ursächlichen Zusammenhang (haftungsausfüllende Kausalität) als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Unfallversicherungsrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung (BSGE 61, 127, 129; 63, 272, 278; Mehrtens, a.a.O. Rdnr. 12) zu beurteilen ist, reicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - aus (BSGE, a.a.O. sowie BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1; Mehrtens/Perlebach, a.a.O. Rdnr. 26). Dieser Zusammenhang ist unter Zugrundelegung der herrschenden arbeits- bzw. unfallmedizinischen Lehrauffassung, die bei der Beurteilung maßgebend ist, erst dann gegeben, wenn mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel an einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG Breithaupt 1963, 60, 61; BSGE 32, 303, 309; 45, 285, 286). Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen danach die gegenteiligen deutlich überwiegen (vgl. Schulz-Weidner, SGb 1992, 59).

Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend, fehlt es jedenfalls am Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität. Ob die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit im Direktionscasino der G-Werke von 1986 bis 1991 Schadstoffeinwirkungen - insbesondere durch Formaldehyd - ausgesetzt gewesen ist, die nach gesicherter arbeitsmedizinischer Erkenntnis nach Art und Intensität geeignet waren, dauerhafte Gesundheitsschäden bei der Klägerin insbesondere in Form einer obstruktiven Atemwegserkrankung zu bewirken, ist nach den arbeitstechnischen und medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nicht nachgewiesen. Zwar ist unbestritten, dass innerhalb der Schränke der Direktionskantine vor der Sanierung bei den durchgeführten Messungen Formaldehydwerte gefunden wurden, die zum Teil deutlich oberhalb des damaligen MAK-Wertes von 0,5 ppm - dieser ist nach Angaben des SV Prof. Dr. C2 seit 2000 auf 0,3 ppm herabgesetzt worden - lagen und bis zu 2,8 ppm reichten. Die Messungen bezüglich der Raumluft ergaben indes deutlich niedrigere Werte und keine Grenzwertüberschreitungen. Wenn die Klägerin seinerzeit beim Öffnen der Schränke oder bei Arbeiten in deren unmittelbarer Nähe Beschwerden in Form von Reizungen der Augen und Bronchien bzw. Kopfschmerzen verspürte, so können diese - wie Prof. Dr. C2 dargelegt hat - zwanglos auf Formaldehydeinwirkungen zurückgeführt werden (vgl. dazu auch Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 7. Aufl. S. 1121). Davon sind auch übereinstimmend der SV Prof. Dr. X wie auch Dr. Q, dessen Ausführungen rechtlich als qualifiziertes Parteivorbringen zu werten sind und - wie im Folgenden noch näher ausgeführt werden wird - hier auch zu berücksichtigen waren, ausgegangen. Indes ist - wie das SG ebenso eingehend wie zutreffend dargelegt hat und worauf deshalb nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird -, nicht der Nachweis geführt, dass die Formaldehydbelastung nach Art und Intensität so gravierend war, dass mit einer dauerhaften Schädigung der Atmungsorgane zu rechnen war. Davon kann erst Recht nicht nach dem Gutachten des nach § 109 SGG gehörten SV Prof. Dr. C2 ausgegangen werden. Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, da der Anspruch auf Entschädigung daran scheitert, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung bei der Klägerin überhaupt nicht gesichert ist.

Die streitigen BKen erfordern zunächst einmal den Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Damit sind verschiedene akute und chronische Krankheitsbilder gemeint, die charakterisiert sind durch vorübergehende, sich wiederholende, meist reversible Zustände und Anfälle von Atemnot, die durch eine Erhöhung der Atemwegswiderstände verursacht werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 1115 ff.; Mehrtens/Perlebach, a.a.O. M 4301 Rdnr. 3). Hiervon ausgehend fehlt es im Falle der Klägerin bereits an dem notwendigen Vollbeweis einer solchen Erkrankung. Die eingehende klinische und die lungenfunktionsanalytische Begutachtung der Klägerin durch Prof. Dr. C2 hat in Übereinstimmung mit der Untersuchung durch Prof. Dr. P, dessen Gutachten urkundsbeweislich zu verwerten war, keine Anzeichen für eine relevante Atemwegsobstruktion ergeben. Soweit Dr. T und Dr. N als behandelnde Ärzte der Klägerin eine obstruktive Atemwegserkrankung behauptet haben, ist dies - worauf Prof. Dr. C2 zutreffend hingewiesen hat - nicht durch entsprechende pathologische Lungenfunktionsbefunde belegt. Vielmehr fanden sich sowohl bei der Untersuchung durch den Gesundheitsdienst der G-Werke AG L durch Dr. T1 (Bericht vom 08.09.1992) als auch bei der Untersuchung durch Dr. N im Juni 1991 im Rahmen der Lungenfunktionsprüfung lediglich Normalbefunde. Selbst wenn - wie Dr. N in seiner letzten Stellungnahme vom 22.12.2003 dargelegt hat - in den Folgejahren Ventilationsstörungen obstruktiver Art vorgelegen haben sollten, ist dieser Umstand nicht geeignet, die überzeugenden Ausführungen der in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten Ärzte Prof. Dr. P und Prof. Dr. C2 in Zweifel zu ziehen. Ist aber eine Obstruktion überhaupt nicht vorhanden, liegt ein Krankheitsbild im Sinne der BKen Nrn. 4301 und 4302 der Anlage zur BKV nicht vor, denn durch diese sollen nur Atemwegserkrankungen mit einem bestimmten Schweregrad erfasst werden (vgl. Schönberger/ Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 1116; Mehrtens/Perlebach, a.a.O.). Damit stellt sich aber die Zusammenhangsfrage gar nicht. Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass auch eine Sensibilisierung der Klägerin gegenüber Formaldehyd nicht nachgewiesen ist. Davon geht auch letztlich der im ersten Rechtszug gehörte toxikologische SV Prof. Dr. X aus, wenn dieser der Auffassung war, es sprächen mehr Argumente für die Möglichkeit des Vorliegens einer Sensibilisierung. Dies ersetzt indes nicht den im Sinne des Vollbeweises zu fordernden Nachweis. Selbst wenn der von Prof. Dr. P durchgeführte negative Formaldehyd-RAST-Test das Nichtvorliegen einer Formaldehydallergie nicht beweisen sollte, so hat gleichwohl Prof. Dr. X insoweit eine weitere Aufklärung für erforderlich gehalten, die die Klägerin aber in der Folgezeit abgelehnt hat. Die Nichterweislichkeit einer Sensibilisierung auf Formaldehyd geht aber nach allgemeinen Beweisgrundsätzen, die auch im sozialgerichtlichen Verfahren gelten, zu ihren Lasten (vgl. BSGE 13, 52, 54; 58, 76, 79; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 14; Mehrtens, a.a.O. § 8 Rdnr. 10.6).

Soweit Prof. Dr. C2 bei der Klägerin eine sensorische Hyperreaktivität in Form einer Atemwegsüberempfindlichkeit auf Reizstoffe ohne obstruktive Ventilationsstörung diagnostiziert hat, stellt diese keine Gesundheitsstörung im Sinne der vorgenannten Listen-BKs dar, noch ist sie - was nicht Streitgegenstand ist - wie eine solche nach § 551 Abs. 2 RVO zu entschädigen. Die diesbezüglichen Ausführungen des vom Senat gehörten SV entsprechen der dargelegten herrschenden arbeitsmedizinischen Lehrauffassung. Nach alledem hat damit die im zweiten Rechtszug durchgeführte Beweisaufnahme die Richtigkeit der angefochtenen Bescheide und der erstinstanzlichen Entscheidung bestätigt.

Soweit die Klägerin im Verlaufe des Gerichtsverfahrens der Verwertung des Gutachtens von Prof. Dr. P widersprochen hat, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Eine inhaltliche Unrichtigkeit des Gutachtens von Prof. Dr. P ist nicht nachgewiesen. Seine Beurteilung, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung bei der Klägerin nicht nachgewiesen ist, ist vielmehr durch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren bestätigt und die gegenteilige Auffassung des Nichtmediziners Prof. Dr. X widerlegt worden. Im Übrigen würde eine sachliche Unrichtigkeit des Gutachtens auch kein Befangenheitsgrund im Sinne von § 21 Abs. 3 des Zehnten Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) i.V.m. § 406 Zivilprozessordnung (ZPO) darstellen. Eine Verletzung des Auswahlrechtes nach § 200 Abs. 2, 1. Halbsatz SGB VII scheidet aus, weil diese Vorschrift im Zeitpunkt der Gutachtenerstattung von Prof. Dr. P noch nicht existierte.

Der Senat hat auch keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen des medizinischen Sachverhaltes gesehen, da dieser geklärt ist. Soweit die Klägerin zuletzt die Ladung des SV Prof. Dr. C2 zur Erläuterung seines Gutachtens beantragt hat, bestand hierzu keine Veranlassung. Die mit Schriftsatz vom 17.11.2003 aufgeworfenen Fragen sind im Hinblick darauf, dass die Klägerin zuletzt ihre Berufung auf die BKen nach Nr. 4301 und 4302 der Anlage zur BKV beschränkt hat, nicht mehr von Bedeutung. Auch die Ausführungen des behandelnden Lungenarztes Dr. N in seiner Stellungnahme vom 22.12.2003 geben keine Veranlassung, die überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. C2, die mit den Erkenntnissen des im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachter Prof. Dr. P in Einklang stehen, in begründete Zweifel zu ziehen. Dass die Klägerin unter einer Empfindlichkeit der Atemwege, nicht aber an einer obstruktiven Atemwegserkrankung leidet, hat Prof. Dr. C2 zutreffend dargelegt. Davon abweichende Lungenfunktionsbefunde, die für eine Obstruktion beweisend wären, hat Dr. N auch zuletzt nicht mitgeteilt. Seiner Zusammenhangsbeurteilung kann daher nicht beigetreten werden.

II. Die in der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2004 erhobene Klage auf Entfernung des Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahmen von Dr. Q aus der Verwaltungsakte der Beklagten stellt eine Klageänderung im Sinne von §§ 153 Abs. 1, 99 SGG dar. Der Rechtsweg des § 51 Abs. 3 SGG ist gegeben (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1993, 518; von Wulffen/Roos, SGB X, 4. Aufl. Vor § 67 SGG Rdnrn. 2122). Zwar hätte der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch im Wege der Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG (vgl. LSG Rheinland-Pfalz a.a.O.; LSG Berlin, Urteil vom 03.09.1997 - L 9 Kr 99/95 -; Hauck/Steinbach, SGB I - Allgemeiner Teil - K § 35 Rdnr. 144; von Wulffen/Roos, a.a.O.) bereits im ersten Rechtszug geltend gemacht werden können, weil dort mit Schriftsatz der Beklagten vom 12.01.1999 das Aktengutachten von Dr. Q vorgelegt worden ist, wodurch nach der Ansicht des jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagte gegen § 200 Abs. 2 i.V.m. § 76 Abs. 2 SGB X und § 78 SGB X verstoßen haben soll. Seinerzeit ist indes von der Klägerin, die durch den Schriftsatz der Beklagten vom 11.11.1998 darüber informiert war, dass die Beklagte sich zum Gutachten von Prof. Dr. X durch einen Arbeitsmediziner und Chemiker wolle beraten lassen, nicht nur nicht widersprochen worden, sondern im Gegenteil hat sie durch ihre damalige Prozessbevollmächtigte unter dem 29.12.1998 beantragt, der Beklagten zur Abgabe dieser Stellungnahme eine Frist zu setzen. Erst mit Schriftsatz vom 14.12.2000 ist - nachdem von Prof. Dr. X und Dr. Q ergänzende Stellungnahmen vorgelegt worden sind - die Unverwertbarkeit der Ausführungen von Dr. Q unter Hinweis auf § 200 Abs. 2 SGB VII und das den Prozessbeteiligten bekannten Urteil des erkennenden Senats vom 11.12.1991 - L 17 U 54/90 - geltend gemacht worden. Erscheint im Hinblick darauf, dass dieser Anspruch - auch in Form eines auf §§ 67 d, 84 Abs. 2 SGB X gestützten Löschungsbegehrens - in der Folgezeit vor dem SG gegen die Beklagte nicht mehr geltend gemacht worden ist und ein Rechtschutzbedürfnis für die erst mehr als fünf Jahre später insoweit erhobene Klage deshalb zweifelhaft sein kann, so geht der Senat hier zugunsten der Klägerin unter Berücksichtigung der vom BSG im Revisions-Urteil vom 28.01.1993 - 2 RU 8/92 - (= USK 93, 117) genannten Erwägungen davon aus, dass hier ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist, weil die Ausführungen von Dr. Q in Zukunft noch einmal - z. B. im Rahmen eines weiteren Feststellungsverfahrens nach 551 Abs. 2 RVO bzw. wegen einer anderen Listenkrankheit - Bedeutung erlangen könnten.

Die Klage ist aber unbegründet; einen diesbezüglichen Löschungsanspruch nach § 84 Abs. 2 SGB X hat die Klägerin nicht. Er würde voraussetzen, dass die Beklagte bei der Übermittlung der Gesundheitsdaten der Klägerin an Dr. Q gegen §§ 199 Abs. 1 und 2, 200 Abs. 2 SGB VII bzw. gegen §§ 69, 76 SGB VII verstoßen hätte. Beides ist indes nicht der Fall. Soweit die Klägerin eine Verletzung des § 200 Abs. 2 1. Halbsatz SGB X behauptet und sich insoweit auf - in anderen Angelegenheiten - abgegebene Stellungnahme des Bundesversicherungsamtes sowie des Bundesdatenschutzbeauftragten gestützt hat, vermag diese Auffassung nicht zu überzeugen. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Das Verwaltungsverfahren war mit der Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 28.04.1994 abgeschlossen. § 200 SGB VII wurde mit Wirkung vom 01.01.1997 durch Art. 1 § 200 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG) vom 07.08.1996 eingeführt. Diese Vorschrift kann dementsprechend für das Verwaltungsverfahren der Klägerin keine Geltung beanspruchen. Schon daher sind die Ausführungen des Bundesversicherungsamtes und des Bundesdatenschutzbeauftragten, auf die die Klägerin sich stützt, hier nicht einschlägig. Unabhängig davon wäre - die Anwendbarkeit dieser Vorschrift unterstellt - § 200 Abs. 2 1. Halbsatz SGB VII durch die Verfahrensweise der Beklagten nicht verletzt. Die Ausführungen von Dr. Q, mit denen die Beklagte dem Gutachten von Prof. Dr. X entgegengetreten ist, sind rechtlich als qualifiziertes Parteivorbringen zu werten (BSG Urteil vom 06.04.1989 - 2 RU 55/88 - = USK 8999). Ein solches Gutachten bzw. eine beratungsärztliche Stellungnahme, die nach herrschender Meinung prozessrechtlich zulässige Mittel zur Wahrnehmung des auch für den Sozialleistungsträger bestehenden grundgesetzlich verbrieften Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. dazu BSG SozR 3 - 1500 § 62 Nrn. 5, 14) darstellen (so zutreffend Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 11. Aufl. S. 244 x; Meyer- Ladewig, SGG, 7. Aufl. § 109 Rdnr. 3; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit § 109 SGG Rdnr. 8), ist von einem Gutachten, das der Unfallversicherungsträger nach Maßgabe der §§ 20, 21 SGB X im Rahmen des Feststellungsverfahrens zur Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Entschädigungsleistungen einholt, zu unterscheiden. Die letztgenannten Gutachten, auf die § 200 Abs. 2 1. Halbsatz SGB VII Bezug nimmt, stellten keine "Parteigutachten" dar, können nach der Rechtsprechung des BSG im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden und ggf. auch alleinige medizinische Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein (BSG SozR § 118 SGG Nr. 3; SozR § 128 Nr. 66; BSG Urteil vom 08.12.1988 - 2/9b RU 66/87 - = MESO B 40/39; Urteil vom 06.04.1989, a.a.O.; Meyer-Ladewig, a.a.O., § 118 Rdnr. 12b; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens 3. Aufl. Abschnitt III Rdnrn. 49, 50). Daraus folgt, dass derartige beratungsärztliche Stellungnahmen zu im Gerichtsverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten - auch wenn sie über eine kurze Stellungnahme hinausgehen und den Charakter eines Aktengutachtens haben - nicht dem § 200 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz SGB VII unterfallen, der zu dem auch keine datenschutzrechtliche Bestimmung ist sondern dazu dient, die Rechte des Versicherten im Verwaltungsverfahren zu stärken und die Transparenz des Verfahrens zu verbessern (so Urteil des Senats vom 15.10.2003 - L 17 U 85/00 - unter Hinweis auf die Begründung in BT-Drucksache 13/4853 S. 22). Diese Auffassung ist auch im Schrifttum vorherrschend (vgl. Brackmann/Burchard, Handbuch der Sozialversicherung - Gesetzliche Unfallversicherung - § 200 SGB VII Rdnr. 13; Kater/Leube, Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII - § 200 Rdnr. 7; Kass. Komm. - Ricke - § 200 SGB VII Rdnr. 3). Daraus folgt, dass andere ärztliche Stellungnahmen, die der Beratung des Unfallversicherungsträgers dienen, - z.B. auch zu im Gerichtsverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten wie der Senat bereits in dem angeführten Urteil vom 15.10.2003 gleichfalls entschieden hat -, dieser Vorschrift nicht unterfallen (so Brackmann/Burchard, a.a.O., Rdnr. 18; Kass. Komm. - Ricke -, a.a.O.). Die Vorschrift ist - im Hinblick auf den durch sie herbeigeführten ausnahmsweisen Eingriff in den Grundsatz der Amtsermittlung mit der grundsätzlichen Auswahlfreiheit der Gutachter durch den Versicherungsträger - eng auszulegen. Ein Bedarf für eine erweiternde Auslegung ist weder erkennbar und - insbesondere datenschutzrechtlich - nicht zu begründen. Sie würde zudem mit den sich aus Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und § 62 SGG ergebenden Rechten der Beklagten kollidieren.

Ist daher in der Vorgehensweise der Beklagten ein Verstoß gegen § 200 Abs. 2 1. Halbsatz SGB VII nicht zu sehen - er würde nach zutreffender Ansicht regelmäßig auch nicht zur Nichtigkeit der Verwaltungsentscheidung in der Sache führen (vgl. Brackmann/Burchard, a.a.O., Rdnr. 21; Kass. Komm. - Ricke -, a.a.O., Rdnr. 7, Ricke NZS 2002, 357, 358) -, so sind auch die Vorschriften des Sozialdatenschutzes in §§ 67 a ff. SGB X nicht verletzt worden. Der Senat hat in dem den Prozessbeteiligten bekannten Urteil vom 11.12.1991 eingehend dargelegt, dass die Einholung beratungsärztlicher Stellungnahmen durch den Versicherungsträger und die damit einhergehende Information über besonders schutzwürdige Sozialdaten des Versicherten keine Übermittlung bzw. Offenbarung i.S.v. § 69, 76 SGB X darstellen. An dieser Rechtsauffassung, die durch die Reform des Sozialdatenschutzes durch das 2. SGB ÄndG vom 13.06.1994 (BGBl. I 1229) und die nachfolgenden Änderungen nicht berührt wird, hält der Senat nach Überprüfung fest. Soweit § 76 Abs. 2 SGB X ein Widerspruchsrecht des Versicherten statuiert - nach § 200 Abs. 2 2. Halbsatz SGB VII ist vom Versicherungsträger jetzt darauf hinzuweisen - handelt es sich, wie im Urteil vom 11.12.1991 im Einzelnen ausgeführt, um ein höchstpersönliches Recht, bei dem nach praktisch unbestrittener Auffassung eine Vertretung durch berufsmäßige Bevollmächtigte unzulässig ist (vgl. z.B. von Wulffen/Roos, a.a.O., § 67b Rdnrn. 6 m.w.N.; Mehrtens, a.a.O., § 67b SGB VII Rdnr. 4.3; Pickel, SGb 1999, 493, 496). Die Klägerin, der - wie dargelegt - die Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme zu dem Gutachten von Prof. Dr. X durch die Beklagte bekannt war, hat selbst aber dieser Verfahrensweise weder damals noch später widersprochen. Nach alledem kann weder im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 27.01.2004 noch in dem Klageantrag vor dem Senat die Ausübung des Widerspruchsrechts durch die Klägerin selbst i.S.v. § 76 Abs. 2 SGB X gesehen werden.

Da somit das angefochtene Urteil der Sach- und Rechtslage entspricht, musste die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben. Die im Berufungsverfahren erhobene Klage auf Löschung des Gutachtens bzw. der Stellungnahmen von Dr. Q war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Problematik des vorliegenden Streitverfahrens hat der Senat nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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