L 10 SB 17/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 31 SB 197/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 17/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.12.2002 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).

Bei der 1934 geborenen unter Betreuung ihres Sohnes stehenden Klägerin sind mit Bescheid vom 02.10.2000 für die Funktionsstörungen "Hirninfarkt, spastische Halbseitenlähmung rechts, Sprachstörung, hirnorganisches Psychosyndrom" der Grad der Behinderung (GdB) mit 80 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche Gehbehinderung), "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) und "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) festgestellt worden. Die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" hatte der Beklagte verneint.

Am 08.10.2001 beantragte die Klägerin unter Übersendung einer Bescheinigung des praktischen Arztes Dr. C die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleich "RF". Nach Auswertung des Attests durch seinen beratenden Arzt lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 17.12.2001 ab, weil die Behinderung nicht so schwerwiegend sei, dass die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen jeder Art auf Dauer, auch mit Hilfe einer Begleitperson oder technischen Hilfsmitteln (z. B. Rollstuhl), unmöglich sei.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, der rechte Arm und das rechte Bein seien gelähmt; das Sprachzentrum und Teile des Gedächtnisses seien erheblich gestört. Da sie alleine in ihrer Wohnung lebe und diese ohne fremde Hilfe nicht verlassen könne, seien Radio und Fernsehen der einzige Kontakt zur Außenwelt. Das Telefon werde nur für die Notrufeinrichtung des DRK und Kontrollanrufe der Pflegepersonen genutzt.

Nach Beiziehung des zur Pflegebedürftigkeit erstatteten Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein vom 15.02.2002 und dessen Auswertung durch seinen beratenden Arzt wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2002 zurück.

Zur Begründung ihrer am 14.05.2002 beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin unter Übersendung des auf Veranlassung des Vormundschaftsgerichts, Amtsgericht Düsseldorf, eingeholten Gutachtens der Ärztin für Psychiatrie-Psychotherapie H (vom 30.08.2000) vorgetragen, sie könne wegen der Folgen des schweren Schlaganfalles auch nicht mit leichter Hilfestellung eine öffentliche Veranstaltung besuchen. Sie benötige zur Teilnahme an einer solchen Veranstaltung eine Vollzeitbetreuung einschließlich des An- und Abtransportes. Außerdem könne sie sich wegen ihrer Sprachbehinderung sehr schlecht bzw. gar nicht verständlich machen. Der einzige Kontakt zur Außenwelt bestehe aus gelegentlichen Besuchen ihres Sohnes und Enkels sowie dem Fernsehen. Das Telefon besitze sie lediglich wegen des Notrufgerätes, da sie auf Grund ihrer Behinderung kaum telefonieren könne. Die Ärztin H hat die Klägerin wegen der Folgen des Schlaganfalles als nicht in der Lage erachtet, für sich selbst zu sorgen und deshalb eine Betreuung (Sorge für die Gesundheit, Bestimmung des Aufenthaltes, Wohnungsangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten, Vertretung vor Behörden) für erforderlich gehalten. Sie hat u.a. ausgeführt, es sei aufgrund der Sprachstörungen - bei erhaltenem Sprachverständnis - nur bedingt möglich, sich mit der Klägerin zu verständigen.

Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt ,

den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 17.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2002 den Nachteilsausgleich "RF" festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das SG hat unter Berücksichtigung des Gutachtens der Ärztin H mit Urteil vom 23.12.2002 den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" verurteilt. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) festgestellt, dass ein Behinderter, der von einem Dritten im Rollstuhl geschoben werden müsse, nicht grundsätzlich von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Diese Entscheidung dürfe jedoch nicht so ausgelegt werden, dass praktisch jeder Behinderter als in der Lage erachtet werde, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Beschränke man die Feststellung des BSG allein auf die Tatsache, dass ein Behinderter noch zu einer öffentlichen Veranstaltung hingeschoben werden könne, so sei der Besuch öffentlicher Veranstaltungen praktisch jedermann möglich. Denn nur in seltenen Ausnahmefälle und bei schwersten akuten Erkrankungen werde es nicht möglich sein, einen behinderten Menschen in einem Rollstuhl zu einer öffentlichen Veranstaltung zu transportieren. Entscheidend sei deshalb, ob der behinderte Mensch im ähnlichen Umfang von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei wie der in der Nr. 33 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) aufgeführte Personenkreis, dem der Nachteilsausgleich "RF" grundsätzlich ohne weitere Prüfung gewährt werde, obwohl dieser Personenkreis gesundheitlich häufig besser gestellt und eher in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen als die Klägerin, die wegen der Halbseitenlähmung ständig auf einen Rollstuhl angewiesen sei, an schwersten Bewegungsstörungen leide und nicht in der Lage sei sich zu artikulieren.

Gegen das am 13.01.2003 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10.02.2003 Berufung eingelegt und vorgetragen, die Klägerin sei noch in der Lage, in Begleitung in einem Rollstuhl sitzend an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei die Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d. h. allgemein und umfassend vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen sei, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Die gebotene enge Auslegung führe dazu, dass praktisch eine Bindung an das Haus vorliegen müsse. So lange ein Schwerbehinderter mit technischen Mitteln (Rollstuhl) und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen können, sei er von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen. Selbst wer an öffentlichen Veranstaltungen zwar noch körperlich teilnehmen, aber infolge einer Beeinträchtigung seiner geistigen Aufnahmefähigkeit solchen Veranstaltungen nicht bis zum Ende folgen könne, habe keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebühr.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.12.2002 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.12.2002 zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Selbst wenn sie trotz ihrer Behinderung an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, müssten dafür erst einmal einige Bedingungen geschaffen werden. Diese wären u.a. ein Begleiter, behindertengerechter Transfer mit einem Rollstuhl sowie eine Behindertenrampe oder Rollstuhlauffahrt bzw. Fahrstuhl. Des Weiteren müsse während der gesamten Veranstaltung eine Begleitung anwesend sein, die sie zur Toilette bringen könne, da sie den Rollstuhl nicht selbständig fortbewegen könne. Außerdem könne man nur sehr eingeschränkt mit ihr kommunizieren, so dass es für fremde Begleitpersonen äußerst schwierig sei, sie zu verstehen, wenn sie Wünsche oder Vorstellungen äußern möchte. Genauso schwierig sei es für sie, Zusammenhänge zu verstehen; das bedeute, dass die meisten öffentlichen Veranstaltungen für sie keinen Sinn machten. Alleine auf Grund dieser Feststellungen könnten die meisten für sie vorgeschlagenen Aktivitäten gestrichen werden, wie z. B. Theater, Kino, Vortragsveranstaltungen sowie Versammlungen. Außer ihrem Sohn und ihrem Enkel, die sie am Besten kennen würden, könne niemand sie wirklich verstehen. Deswegen sei es sinnlos, sie mit einer anderen Begleitperson zu irgendwelchen Veranstaltungen zu schicken. Sowohl ihr Sohn als auch ihr Enkel seien berufstätig bzw. hielten sich aus gesundheitlichen Gründen im Ausland auf, so dass sie als Begleitpersonen nicht zur Verfügung stünden. Im Übrigen opferten diese ihr schon ihre gesamte Freizeit, damit sie in der eigenen Wohnung weiter leben könne. Hinzu komme noch die finanzielle Seite. Sie frage sich, wer denn die Krankentransporte, die von ihrer Wohnung zu irgendwelchen Veranstaltungen notwendig wären, bezahle.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Befundberichtes des praktischen Arztes Dr. C vom 08.09.2003, dem Arztbriefe über die stationäre Behandlung der Klägerin in der Fachklinik S von Juni bis August 2000 und des Krankenhauses N über die stationäre Behandlung im Juli 2003 beigefügt waren. Ferner hat der Senat das Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Dr. H1, Oberärztin in den Rheinischen Kliniken E - Abteilung Neurologie - vom 21.05.2004 eingeholt. Die Sachverständige hat einen Zustand nach Durchblutungsstörung der linken Gehirnhälfte mit ausgeprägter Halbseitenlähmung und eine Sprachstörung festgestellt. Der rechte Arm und das Bein seien gelähmt; der rechte Arm sei praktisch nicht gebrauchsfähig. Sie könne den Transfer vom Rollstuhl ins Bett selbständig durchführen, d. h. sie sei - allenfalls ein- oder zweimal hintereinander - noch in der Lage, sich aus dem Sitz zu erheben und wieder hinzusetzen. Die Klägerin könne zwei bis drei Schritte mit Unterstützung oder Gehhilfe machen. Sie sei an den Rollstuhl gebunden, der von einer anderen Person geschoben werden müsse. Aufgrund der erworbenen ausgeprägten Störung sowohl der expressiven Sprachfunktionen als auch des Sprachverständnisses sei die Klägerin nur zu einer sehr eingeschränkten Kommunikation fähig. An öffentlichen Veranstaltungen - z. B. Kino, Theater, Konzert und Vortragsveranstaltungen, öffentliche "Feste", Versammlungen, Sportveranstaltungen im Freien oder in geschlossenen Räumen - könne sie noch teilnehmen, sofern sie begleitet und hingebracht werde, es dort eine Behindertenrampe für die Rollstuhlauffahrt und eine Behindertentoilette gebe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand mündlicher Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat trotz Ausbleibens des gesetzlichen Vertreters der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten entscheiden können, weil diese vom Termin zur mündlichen Verhandlung mit entsprechendem Hinweis benachrichtigt worden sind (§§ 110, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 17.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2002 ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts rechtmäßig.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF".

Nach § 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitlichen Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Zu den Nachteilsausgleichen gehört gemäß der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 30.11.1993 des Landes Nordrhein-Westfalen (GVBl. NRW 1993, S. 970) die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht.

Die in § 1 Abs. 1 Nrn. 1- 3. der Verordnung aufgeführten erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen, die abschließend geregelt sind, erfüllt die Klägerin nicht.

Sie gehört weder zum Kreis der Sonderfürsorgeberechtigten im Sinne des § 27 c BVG, der Blinden oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderten Personen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung noch zu den Hörgeschädigten, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (§ 1 Nrn. 1 und 2 a und b).

Ebenso wenig ist sie nach der Nr. 3 der genannten Verordnung von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien. Diese Vorschrift setzt voraus, dass der Behinderte, bei dem nicht nur vorübergehend ein GdB von wenigstens 80 besteht, wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann.

Unter öffentlichen Veranstaltungen in diesem Sinne sind alle Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a Rvs 7/91 -, SozR 3-3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 16.03.1994 - 9 RVs3/83 -; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 -, SozR 3-3780 § 4 Nr. 17). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Bei der vom BSG vertretenen Auslegung muss der Schwerbehinderte praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können. Das BSG hält es zunehmend für zweifelhaft, ob durch den Nachteilsausgleich "RF" tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen wird, ob es sozial geboten erscheint, bestimmten finanziell nicht bedürftigen Personengruppen die Benutzung von Rundfunk- und Fernsehgeräten, die im Normalfall zur Ausstattung eines Haushaltes gehören, zu finanzieren. Diese Frage - so das BSG - bedürfe keiner abschließenden Klärung, bedeute aber, dass an einer engen Auslegung für das Merkzeichen "RF" festgehalten werde (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a Rvs 7/91 - a.a.O.).

Bei der Klägerin liegt zwar eine schwere vom Beklagten mit einem GdB von 100 bewertete gesundheitliche Gesamtbeeinträchtigung vor. Unter Beachtung der gebotenen engen Auslegung ist sie jedoch nicht dauernd gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Sie gehört insbesondere nicht zu den Personen, bei denen gemäß der Nr. 33 Abs. 2 c der AHP die genannten Voraussetzungen als erfüllt angesehen werden:

- Behinderte Menschen, bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können,
- Behinderte Menschen, die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirken (z.B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können),
- Behinderte Menschen mit - nicht nur vorübergehend - ansteckungsfähiger Lungentuberkulose,
- Behinderte Menschen nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden. Nachprüfungen sind in kurzen Zeitabständen erforderlich.
- geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.

Dies steht nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme fest. Das von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren übersandte Gutachten der Ärztin H widerspricht dem nicht. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung dauernd gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, sind dem für das Vormundschaftsgericht Düsseldorf erstatteten Gutachten nicht zu entnehmen. Der körperliche und geistige Zustand der Klägerin wird durch die Folgen des im Jahre 2000 erlittenen Schlaganfalles bestimmt. Aufgrund der rechtsseitigen Hemiparese, die lediglich ein ein- bis zweimaliges Erheben aus dem Sitzen und wieder Hinsetzen und ein kurzzeitiges nicht freihändiges Stehen zulässt, ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen, den sie nicht allein handhaben kann. Darüber hinaus bestehen bei ihr ausgeprägte Sprachstörungen, die sowohl die Sprachproduktion als auch das Sprachverständnis betreffen und somit ihre Kommunikationsfähigkeit deutlich reduzieren. Zwar ist die Klägerin wegen der erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen für die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen auf einen Rollstuhl und auf fremde Hilfe bei dessen Benutzung sowie aufgrund der Sprachstörungen auf eine Begleitperson angewiesen. Solange jedoch ein Behinderter mit technischen Mitteln und/oder einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen besuchen kann, ist er von der Teilnahme am öffentlichen Leben nicht ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 03.06.1987 - 9a RVs 27/85 -, SozR 3870 § 3 Nr. 25; Urteil vom 09.08.1995 - 9 RVs 3/95 -). Eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen durch Rollstuhlfahrer mit und ohne Begleitpersonen wird heute als normal empfunden. Für diesen Personenkreis sind in den meisten Fällen entsprechende Vorkehrungen geschaffen (Rampen, verbreiterte Türen, geeignete Toiletten). Auch auf das Fehlen einer Begleitperson kann die Klägerin sich nicht berufen. Insofern muss sie im Einzelfall von der Möglichkeit eines Hin- und Rücktransportes durch die im allgemeinen gut organisierten Sozialdienste Gebrauch machen (Urteile des BSG vom 03.06.1987 - 9a RVs 27/85 -, a.a.O.; vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 -, a.a.O.). Ebensowenig führt ihr Einwand, sie sei finanziell nicht in der Lage, für die mit der Inanspruchnahme von Hilfsdiensten verbundenen Kosten aufzukommen, weiter; denn insoweit ist die Nichtteilnahme nicht behinderungsbedingt.

Die Klägerin zählt auch nicht zu den geistig und seelisch behinderten Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie während einer öffentlichen Veranstaltung durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stört. Insbesondere wirkt sich die Sprachstörung nicht störend auf ihre Umgebung aus. Dafür, dass der Klägerin nicht verständlich gemacht werden kann, dass sie in bestimmten Veranstaltungen nicht ständig nachfragt und damit die übrigen Veranstaltungsbesucher stört, ergibt sich aus den medizinischen Unterlagen kein Anhalt.

Der Einwand der Klägerin, es sei schwierig für sie, Zusammenhänge zu verstehen, weshalb die meisten öffentlichen Veranstaltungen für sie keinen Sinn machten, führt ebenfalls nicht weiter. Denn der Begriff der Teilnahme im Sinne der Vorschriften über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, die eng auszulegen und einer Analogie nicht zugänglich sind, erstreckt sich nicht auf behinderte Menschen, die in ihrer Verständnisfähigkeit beschränkt sind und deshalb trotz körperlicher Anwesenheit den Darbietungen im Theater, Kino oder in der Oper sowie den Ausführungen bei Vortragsabenden oder öffentlichen Diskussionen nicht zu folgen vermögen. Das ergibt sich aus dem Grundgedanken des Befreiungstatbestandes des § 1 Abs. 1 Nr. 3 der oben zitierten Verordnung: Behinderte Menschen, denen wegen ihres Leidens öffentliche Veranstaltungen nicht zugänglich sind, hören statt dessen zu Hause Rundfunk oder sehen fern; die dafür zu zahlenden Gebühren sind behinderungsgerechter Nachteil, von dem die Verordnung befreit. Wenn die Klägerin in der Lage ist, zu Hause Rundfunk- und Fernsehsendungen zu verstehen, müsste sie auch entsprechenden öffentlichen Veranstaltungen folgen können. Anderenfalls kann der häusliche Fernseh- und Rundfunkempfang kein Ersatz für sonst besuchte öffentliche Veranstaltungen sein (BSG, Urteil vom 16.03.1994 - 9 RVs 3/93).

Die Auffassung des BSG (Urteil vom 28.06.2000 - B 9 SB 2/00 R -, SozR 3-3870 § 4 Nr. 6), dass der in der Nr. 33 Abs. 2 c der AHP aufgeführte Fallkatalog offen für weitere Fälle ist, ohne dass es einer ausdrücklichen Gleichstellungsklausel bedarf, wie sie die in Nr. 27 Abs. 4 der AHP wiedergegebenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Straßenverkehrsordnung (Parkerleichterungen für außergewöhnliche Gehbehinderung) enthält, ist vorliegend nicht relevant. Denn die Klägerin ist - wie vorstehend dargelegt - aufgrund ihres Behinderungszustandes nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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