L 15 U 9/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 11 U 67/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 9/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 15/05 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09. November 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit wird um die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung - bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können - (im folgenden BK 2108) geführt.

Der 1942 geborene Kläger war ab 1956 bei verschiedenen Arbeitgebern unter anderem im Bereich des Kranbaus, des Straßenbaus, des Stahl- und Süßwarenhandels tätig. Ab 1975 war er im Schaustellerbetrieb seiner Ehefrau beschäftigt. Er bereiste mit zwei Verkaufswagen Kirmesveranstaltungen und Weihnachtsmärkte. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Verkaufswagen auf- und abzubauen, die zur Herstellung von Mandeln und anderen Süßwaren erforderlichen Maschinen aufzustellen und die für die Herstellung und den Verkauf erforderlichen Materialien zu transportieren.

Am 19.07.1994 verspürte der Kläger beim Abbau eines Mandelwagens plötzlich starke Rückenschmerzen und veranlasste eine Unfallanzeige. Im August 1994 wurde in der Orthopädischen Klinik des Allgemeinen Krankenhauses für die Stadt I eine funktionelle Störung im Segment L5/S1 der Lendenwirbelsäule diagnostiziert. In einem von der Beklagten eingeholten Gutachten kam Dr. C, Oberarzt der Orthopädischen Klinik W, zu dem Ergebnis, beim Kläger liege eine spondylarthrotische und osteochondrotische Veränderung im Segment L5/S1 der Lendenwirbelsäule vor. Diese sei aber nicht Folge eines Arbeitsunfalls. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 14.09.1994 und Widerspruchsbescheid vom 07.06.1995 die Entschädigung des Ereignisses vom 19.07.1994 als Arbeitsunfall ab. Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Senats vom 07.07.1998 - L 15 U 251/96 -).

Im November 1998 machte der Kläger die Entschädigung wegen einer BK 2108 geltend und führte zur Begründung aus, er habe sich die bei ihm festgestellten erheblichen degenerativen Veränderungen der unteren Lendenwirbelsäule bei seiner beruflichen Tätigkeit als Mandelbrenner zugezogen.

Am 14.07.1999 besichtigte der Technische Aufsichtsbeamte (TAB) der Beklagten, der Zeuge T, die Mandelbrennerei und befragte Ehefrau, Sohn und Schwiegersohn des Klägers. Er kam zu dem Ergebnis, der Kläger habe über einen Zeitraum von 17 Jahren an 125 Tagen pro Jahr Lasten von mindestens 20 kg gehoben und getragen. Die Hebe- und Tragezeit pro Schicht mit gefährdender Belastung habe aber netto an den Tagen, an denen die Kirmeswagen auf- oder abgebaut worden seien, in der Zeit bis 1981 2,5 Minuten und in der Zeit von 1982 bis 1994 7 Minuten jeweils pro Verkaufswagen betragen. Damit seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht erfüllt, weil eine tägliche Hebe- und Tragezeit von mindestens 30 Minuten nicht erreicht werde. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25.08.1999 die Gewährung von Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 seien nicht gegeben. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die von ihm zu tragenden Gewichte seien vom Technischen Aufsichtsdienst (TAD) sämtlich falsch geschätzt worden. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass er jeweils zwei Verkaufswagen auf- bzw. abgebaut habe. Die Beklagte holte einen weiteren Bericht ihres TAD ein und wies den Rechtsbehelf mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2001 mit der Begründung zurück, die Hebe- und Tragezeiten betrügen nur 21 Minuten pro Arbeitsschicht. Eine differenzierte Berechnung nach dem sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) erfolge erst dann, wenn eine Mindestzeit von 30 Minuten erreicht sei.

Mit seiner Klage zum Sozialgericht Dortmund hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und vorgetragen, er habe schwere Arbeiten verrichten müssen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass er die Stromanschlüsse legen und die Lebensmittel habe transportieren müssen. Es sei fraglich, ob das MDD die geeignete Methode zur Feststellung der Voraussetzungen der streitigen Berufskrankheit sei. Er vermisse die Berücksichtigung des "Faktors Mensch", wobei personenspezifische Eigenheiten zu berücksichtigen seien wie die Tatsache, dass er von der Statur her eher schmächtig sei. Eine starre Anwendung des MDD müsse daher zu falschen Ergebnissen führen. Im Übrigen sei die Entschädigung des Unfallereignisses aus dem Juli 1994 mit der Begründung abgelehnt worden, die Wirbelsäule sei degenerativ geschädigt gewesen. Diese degenerativen Veränderungen seien aber auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen.

Das Sozialgericht Dortmund hat mit Urteil vom 09.11.2001, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er trägt vor, er sei hinsichtlich der Belastung der Wirbelsäule einem Möbel-, Kohlen-, Fleisch- oder Lastenträger gleichzustellen. Er habe auch in Rumpfbeugehaltung gearbeitet, wenn er sich bei der Herstellung gebrannter Mandeln über die jeweilige Maschine habe beugen müssen. Den Feststellungen des TAD sei zu widersprechen. Er habe zwischen dreieinhalb und vier Stunden allein für den Aufbau des Mandelwagens gebraucht. Im Betrieb seiner Ehefrau seien in der Vergangenheit zwei Wagen parallel betrieben worden. Berücksichtigt werden müsse auch, dass seine Familie häufig im Campingwagen habe übernachten müssen. Der Kläger hat eine die Feststellungen des TAD hinsichtlich der Lastgewichte, der Häufigkeit und Dauer der Hebe- und Tragevorgänge modifizierende Aufstellung vorgelegt. Alle beim Aufbau, beim Abbau und beim Verkauf anfallenden Lastenmanipulationen habe er allein erbracht. Seine Frau habe ihm dabei nicht geholfen, wohl aber die Kinder, als sie dann älter gewesen seien. Eine Kirmes laufe so ab, dass ein Tag vor Beginn die Wagen aufgebaut würden. Die Kirmes dauere dann drei bis vier Tage. In manchen Städten habe er am letzten Kirmestag abbauen müssen, in anderen am Folgetag. Die Firma seiner Frau habe zwischen 25 und 30 Kirmesplätze im Jahr beschickt. Dazu sei der Hagener Weihnachtsmarkt mit einer Dauer von vier Wochen gekommen.

Auch vor seiner Tätigkeit als Schausteller habe er schwer heben und tragen müssen. Von August bis Oktober 1957 und von Oktober 1960 bis Juli 1962 habe er im Asphaltbau als Bauhelfer gearbeitet und jeweils zwei Asphalteimer mit einem Joch getragen. Von Oktober 1969 bis November 1970 habe er als Gabelstaplerfahrer gearbeitet. Dabei hätten auch Europaletten mit einem Gewicht von 22 bis 25 kg von Hand aufeinandergestapelt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.11.2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.08.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2001 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung Entschädigungsleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 seien nicht gegeben. Sie hat durch ihren TAD am 22.07.2002 erneut eine Berechnung der Belastung nach dem MDD durchführen lassen und ist dabei davon ausgegangen, dass der Kläger im Zeitraum von 1975 bis 1977 einen Verlosungs- und einen Mandelwagen, im Zeitraum von 1977 bis 1992 einen Mandel-, einen Kuchen- und zusätzlich noch einen Verlosungs- bzw. Eiswagen sowie von 1993 an einen Mandel- und einen Kuchenwagen auf- und abgebaut. Der TAD ist zunächst zu dem Ergebnis gekommen, in keinem Betrachtungszeitraum werde die erforderliche Tagesbelastungsdosis von 5500 Newton-Stunden (Nh) erreicht. Im Termin zur Erörterung vor dem Berichterstatter am 19.11.2002 hat die Beklagte dieses Rechenwerk dahin erläutert, dass im Zeitraum von 1975 bis 1992 an den Tagen, an denen drei Wagen auf- bzw. abgebaut worden seien, die Tagesbelastungsdosis mit 7800 Nh erfüllt worden sei, an den Tagen, an denen Mandel-, Kuchen- und Eiswagen auf- bzw. abgebaut worden seien und zugleich verkauft worden sei, ergebe sich eine Belastungsdosis von 8700 Nh und an reinen Verkaufstagen eine Belastungsdosis von 5600 Nh. Daraus errechne sich eine Lebensbelastungsdosis von 12,6 x 106 Nh (12,6 Mega-Newton Stunden - MNh -).

Auf Veranlassung des Berichterstatters hat der TAD der Beklagten eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 01.03.2004 abgegeben und ist zu dem Ergebnis gekommen, die Gesamtdosis, der der Kläger vom 01.01.1975 bis 31.07.1994 ausgesetzt gewesen sei, liege bei 18,8 MNh, wenn man davon ausgehe, dass der Kläger an 131 Schichten im Jahr sowohl verkauft als auch die Verkaufswagen abgebaut habe. Auf die 105 Schichten pro Jahr, an denen nur verkauft worden sei, entfalle eine Gesamtdosis von 12,4 MNh. Der TAD der Beklagten ist dabei davon ausgegangen, dass der Kläger im Zeitraum vom 01.01.1975 bis 31.12.1976 und vom 01.01.1993 bis 31.07.1993 mit zwei Verkaufswagen, im Zeitraum vom 01.01.1977 bis 31.12.1992 mit drei Verkaufswagen unterwegs und in der Zeit ab 01.08.1993 nur noch mit dem umgebauten Mandelwagen unterwegs war und dass er im Jahr an 28 Tagen aufgebaut, an 105 Tagen nur verkauft und an 26 sowohl verkauft als auch abgebaut hat. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme vom 01.03.2004 Bezug genommen.

Das Gericht hat ein Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. T aus T vom 31.03.2003 eingeholt. Dieser ist zu dem Ergebnis gekommen, beim Kläger liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Diese sei mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen, wenn man das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen theoretisch voraussetze. Für den ursächlichen Zusammenhang spreche der späte Zeitpunkt der Erstmanifestation der Erkrankung, der röntgenologische Vergleich mit der Altersgruppe sowie die Akzentuierung der Befunde im exponierten Wirbelsäulenabschnitt. Gegen den ursächlichen Zusammenhang spreche lediglich das röntgenologische Verteilungsmuster an der Lendenwirbelsäule. Der Zwang, die gefährdende Tätigkeit aufzugeben, sei ab 20.07.1994 gesichert. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage vom 20.07.1994 bis 14.03.1996 10 % und ab 15.03.1996 auf Dauer 20 %.

Die Beklagte hat diesem Gutachten unter Vorlage einer Stellungnahme des Prof. Dr. F, Klinikum N, vom 24.02.2004 widersprochen. Es fehle sowohl an den arbeitstechnischen Voraussetzungen als auch an begleitenden degenerativen und dem Alter des Klägers vorauseilenden Veränderungen der oberen Lenden-, der Hals- und der Brustwirbelsäule. Des Weiteren ist eine Stellungnahme des TAD der Tiefbau-Berufsgenossenschaft vom 11.03.2004 eingeholt worden, der für die Beschäftigungszeit des Klägers im Asphaltbau eine Gesamtdosis von 3,15 MNh errechnet. Schließlich sind der TAB der Beklagten T, die Ehefrau des Klägers M C und sein Sohn Q C in Terminen und zur Beweisaufnahme am 11.02.2004 und am 05.07.2004 uneidlich vernommen worden.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten sowie auf die Terminsniederschriften, wegen des weitere Vorbringens der Beteiligten und des Sach- und Streitstandes im Einzelnen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtwidrig. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, eine BK 2108 anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung setzt den Eintritt eines Versicherungsfalls voraus. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden BK 2108 sind nicht erfüllt. Der Kläger leidet zwar an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Insoweit folgt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen Dr. T. Diese Erkrankung ist aber nicht durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht. Es fehlt an den arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser Berufskrankheit.

Erforderlich ist nämlich, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht wird. Die unbestimmten Rechtsbegriffe "lang- jähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten" bedürfen der Konkretisierung. Dafür stellt das MDD nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung einen geeigneten Maßstab dar (BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 1; Urteil vom 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R -; LSG Nordrhein-Westfalen, Breithaupt 2000, 1025 ff.; Urteile des Senats vom 11.12.2001 - L 15 U 206/99 - und vom 01.07.2003 - L 15 U 63/01 -). Das MDD basiert auf einer rückschauenden Belastungseinschätzung für Tätigkeitsfelder, bei denen aufgrund epidemiologischer Studien ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen unterstellt wird, nämlich den Bereich der Kranken- und Altenpflege, des Stahlbetonbaus und des Hafenumschlags (siehe dazu im Einzelnen Jäger u.a., Mainz-Dortmunder-Dosismodell, Teil 1: Retrospektive Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder, ASUMed 1999, 101 ff.). Es ermöglicht damit auf wissenschaftlicher Grundlage eine Beurteilung der generellen Geeignetheit belastender Tätigkeiten. Nach diesem Modell sind - stark vereinfacht dargestellt - bei Männern nur Hebe- und Tragevorgänge zu berücksichtigen, die zu einer Druckkraft von 3200 Newton (N) auf die Bandscheibe L5/S1 führen. Aus diesen Hebe- und Tragevorgängen wird unter Einbeziehung ihrer zeitlichen Dauer in einem zweiten Schritt die Schichtdosis ermittelt. Die Berechnung erfolgt durch Summation der mit der Expositionsdauer multiplizierten Druckkraft im Quadrat aller Teiltätigkeiten einer Arbeitsschicht. Überschreitet die so ermittelte Tagesdosis 5500 Nh so wird dieser Arbeitstag als wirbelsäulenbelastend angesehen und für die weitere Berechnung berücksichtigt. Bei einer Summe der Werte dieser belastenden Arbeitstage (Gesamtdosis) von über 25 MNh wird das Vorliegen einer Einwirkung im Sinne der BK Nr. 2108 bejaht (siehe dazu im Einzelnen Hartung u.a. Mainz-Dortmunder-Dosismodell, Teil 2; Vorschlag zur Beurteilung der arbeitstechnischen Voraussetzungen in Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren, ASUMed 1999, 112 ff.; BSG vom 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R -).

Zwar stellen die im MDD zusammengefassten Dosiswerte für die arbeitstägliche Druckbelastung der Bandscheibe im Lendenwirbelsäulenbereich und für die Lebensarbeitsdosis keine festen Grenzwerte dar, sondern lediglich Orientierungswerte. Sie sind aber im vorliegenden Fall derart deutlich unterschritten, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 verneint werden müssen.

Der TAD der Beklagten hat auf der Grundlage der Angaben des Klägers eine Schichtbelastungsdosis von 4500 bis 4600 Nh für die Tage, an denen die Verkaufswagen lediglich aufgebaut worden sind, von 5000 bis 5200 Nh für die Tage, an denen lediglich verkauft worden ist, und von 6000 bzw. 6700 Nh für die Tage, an denen sowohl verkauft als auch die Wagen abgebaut worden sind, ermittelt. Soweit der TAD für den Zeitraum vom 01.01.1977 bis 31.12.1992 höhere Schichtbelastungsdosen errechnet hat, so beruht dies auf der irrtümlichen Annahme, der Kläger habe drei Verkaufswagen auf- und abgebaut und während der Verkaufszeiten die an drei Verkaufwagen anfallenden Hebe- und Trageverrichtungen ausgeübt. Dieser vom Kläger in den Erörterungsterminen am 19.11.2002 und 11.02.2004 zunächst nicht richtig gestellte irrtümliche Annahme des TAD kann nicht berücksichtigt werden.

Die im MDD als "Richtwert" vorgegebene Schichtbelastung von 5500 Nh ist also nur an 26 Tagen im Jahr überschritten worden.

Auch der Richtwert für die Gesamtdosis nach dem MDD von 25 MNh ist deutlich unterschritten. Der Kläger war während seiner Beschäftigung im Asphaltbau nach den unbestrittenen Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Tiefbau-Berufsgenossenschaft einer Gesamtdosis von 3,15 MNh ausgesetzt. Aus seiner Beschäftigung im Betrieb seiner Ehefrau im Zeitraum vom 01.01.1975 bis 31.07.1994 resultiert eine Gesamtdosis, die deutlich unter 14 MNh liegt. Der TAD der Beklagten hat für diesen Zeitraum zwar eine Gesamtdosis von 18,8 MNh errechnet, dabei über unterstellt, dass der Kläger an 131 Arbeitsschichten im Jahr sowohl verkauft als auch die Verkaufswagen abgebaut hat. Tatsächlich hat der Kläger aber nur an 26 Tagen pro Jahr unter dieser Höchstbelastung gearbeitet. An 105 weiteren Tagen hat er lediglich verkauft und war dabei nach den Berechnungen des TAD einer Gesamtbelastung von 12,4 MNh ausgesetzt. Bei der gebotenen Differenzierung zwischen beiden Tagesbelastungen errechnet sich eine Gesamtdosis von 16,1 MNh. Aber auch diese ist erheblich zu hoch, weil der TAD in seinem Rechenwerk davon ausgegangen ist, der Kläger sei in der Zeit vom 01.01.1977 bis 31.12.1992 statt mit zwei mit drei Verkaufswagen unterwegs gewesen. Vergleicht man die Schichtbelastungsdosen auf Blatt 10 des Rechenwerks des TAD vom 01.03.2004, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die Schichtbelastungsdosis bei zwei Verkaufswagen circa 20 % unter der bei drei Verkaufswagen liegt. Der TAD der Beklagten hat die Schichtbelastung an den Tagen, an denen der Kläger lediglich die Verkaufswagen aufgebaut hat, zu Recht nicht berücksichtigt, weil an diesen Tagen - ausgehend von zwei Verkaufswagen - die Schichtbelastungsdosis mit 4500 bzw. 4600 Nh deutlich unter dem Orientierungswert für die Schichtdosis liegt. Der TAD der Beklagten hat zu Recht auch die Belastungszeiten vom 01.08.1993 bis 31.07.1994 außer Acht gelassen. Die Schichtbelastungsdosis lag zwischen 3300 und 4500 Nh. Seit 1993 war der Kläger nach seinem Vorbringen im Schriftsatz vom 04.06.2002 nur noch mit dem Mandelwagen unterwegs.

Der Senat hat keine Bedenken, bei der Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen die Berechnungen des Technischen Aufsichtsdienstes zugrundezulegen. Ihnen liegt die Annahme ungünstigster Belastungsbedingungen zugrunde. Der Zeuge T hat im Termin zur Beweisaufnahme am 11.02.2004 glaubhaft bekundet, dass er die Schichtdosis nach den Angaben berechnet hat, die der Kläger selbst im Schriftsatz vom 04.06.2002 gemacht hat. Er hat dabei in Übereinstimmung mit der Aussage des Sohnes und der Ehefrau unterstellt, dass allein der Kläger alle relevanten Lasten bewegt hat, obwohl der Kläger selbst im Termin zur Erörterung am 19.11.2002 angegeben hat, seine Kinder hätten ihm, als sie älter waren, auch beim Heben und Tragen geholfen. Es wurden die vom Kläger angegebene Häufigkeit der Hebe- und Tragevorgänge sowie die von ihm behaupteten - von den Feststellungen des TAD zum Teil erheblich nach oben abweichenden - Lastgewichte zugrundegelegt. Der Zeuge hat bei der Berechnung auch die Zahl der belastenden Arbeitsschichten pro Jahr und die zeitliche Dauer der Hebe- und Tragevorgänge den Angaben des Klägers entnommen, wobei für Hebevorgänge die standardisierten Vorgaben des MDD zugrundegelegt worden sind.

Es gibt keinen Hinweis darauf und ist auch nicht vom Kläger vorgetragen, dass der TAD der Beklagten die Schichtbelastungs- und die Lebensbelastungsdosis nicht entsprechend der Vorgaben des MDD berechnet hat.

Weitere relevanten Belastungen i.S.d. BK 2108 sind nicht ersichtlich. Der Kläger konnte - was die Zeit der Beschäftigung als Staplerfahrer betrifft - keine Angaben über die Anzahl der von ihm pro Tag zu stapelnden Paletten machen. Von daher lässt sich eine relevante Schichtbelastungsdosis nicht feststellen.

Da es bereits an einer geeigneten Exposition fehlt, kann offenbleiben, ob die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Zwar hat der gerichtliche Sachverständige Dr. T den Ursachenzusammenhang aus medizinischer Sicht bejaht. Er hat aber ausdrücklich ausgeführt, er habe dabei das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen theoretisch vorausgesetzt. Tatsächlich haben diese aber nicht vorgelegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Es besteht kein Grund, nach § 160 Abs. 1 SGG die Revision zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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