L 17 U 187/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 5 U 79/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 187/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22. Juni 2001 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin am 18.09.1989 einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall erlitten hat.

Die 1957 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur Balletttänzerin und war als solche bis zum 12.08.1989 beschäftigt. Aufgrund eines Intendantenwechsels an den Städtischen Bühnen N wurde ihr gekündigt. Die Klägerin war danach arbeitslos und bezog Leistungen des Arbeitsamtes. Da nach ihren Angaben der Beruf der Balletttänzerin tägliches Training erfordert, wurde sie ordentliches Mitglied bei dem gemeinnützigen Tanztheater I e.V. (TT). Dieser hatte sich am 25.08.1989 gegenüber dem Kommunikationszentrum "C" in X zu einer Tanzvorführung verpflichtet. Während der Aufführung am 18.09.1989 verspürte die Klägerin einen heftigen Schlag im linken Kniegelenk. Anlässlich einer Arthroskopie am 22.09.1989 in der Klinik und Poliklinik für Unfall- und Handchirurgie der Universität N wurde ein Teilriss des vorderen Kreuzbandes diagnostiziert. Auf ärztlichen Rat gab die Klägerin ihren Beruf auf. Umschulungsmaßnahmen, die vom Arbeitsamt und von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für angezeigt gehalten wurden, kamen aufgrund der in der Folgezeit geänderten persönlichen Verhältnisse der Klägerin (Heirat, Kinder) nicht zustande.

Im Dezember 1990 beantragte die Klägerin die Gewährung von Entschädigungsleistungen. Im Rahmen ihrer Ermittlungen zog die Beklagte die medizinischen Unterlagen der Klägerin sowie eine Stellungnahme von Oberarzt Priv. Doz. C, Klinik und Poliklinik für Unfall- und Handchirurgie der Universität N vom 31.10.1992 bei, in der dieser ausführte, nach den von der Klägerin gemachten Angaben zum Verletzungsmechanismus habe ein direktes Trauma nicht vorgelegen. Durch eine willentlich kontrollierte Bewegung könne keine Verletzung gesunder Strukturen im Kniegelenksbereich erfolgen. Eine Teilruptur des vorderen Kreuzbandes könne daraus nur dann resultieren, wenn degenerative Vorschädigungen vorgelegen hätten. Ein Unfall im Sinne des Gesetzes habe daher nicht vorgelegen.

Mit Bescheid vom 10.03.1993, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 16.12.1993, lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 10.09.1989 mit der Begründung ab, die Klägerin habe seinerzeit nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Sie sei weder im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden noch wie eine Beschäftigte gemäß § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Vielmehr sei sie bei der Tanzvorführung aufgrund ihrer Mitgliedschaft im TT tätig geworden.

Im nachfolgenden Klageverfahren S 15 (1) U 95/93 vor dem Sozialgericht (SG) Münster hat das SG die Satzung des TT sowie eine Auskunft vom 16.08.1994 eingeholt und mit Urteil vom 30.08.1995 die Klage abgewiesen. Im anschließenden Berufungsverfahren L 17 U 235/95 schlossen die Beteiligten am 18.09.1996 vor dem erkennenden Senat folgenden Vergleich:

1. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass Versicherungsschutz der Klägerin für das Ereignis vom 18.09.1989 weder nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO noch in Verbindung dieser Vorschrift mit Abs. 2 in Betracht kommt.

2. Die Beklagte wird auf den Antrag vom Dezember 1990 prüfen, ob Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO bestanden hat. Sie wird nach Abschluss der Ermittlungen der Klägerin einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid erteilen.

3. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der vorliegende Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist.

Nach Beiziehung des Gastspielvertrages über die Aufführung vom 18.09.1989 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.11.1997 erneut die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab und begründete dies damit, die Voraussetzungen des § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO seien nicht erfüllt. Es habe zwischen der Klägerin und dem Kommunikationszentrum "C" in X keine vertragliche Verpflichtung bestanden. Nur das TT habe sich gegenüber dem Veranstalter zur Leistungserbringung verpflichtet. § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO erfasse nur die freiberuflich Tätigen, die sich selbst gegenüber einem Anderen - hier dem Veranstalter - zu einer Leistung verpflichtet hätten. Die Klägerin sei nach alledem zum Unfallzeitpunkt im Rahmen ihrer Vereinsmitgliedschaft beim TT tätig gewesen, so dass Versicherungsschutz nicht bestanden habe. - Den dagegen fristgerecht erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.1998 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 09.06.1998 Klage erhoben. Sie hat weiterhin die Auffassung vertreten, es reiche aus, wenn zwischen dem TT und dem Veranstalter vertragliche Beziehungen bestanden hätten, was hier der Fall sei.

Das SG hat - nachdem es die Klägerin zum Geschehen vom 18.09.1989 befragt hat - mit Urteil vom 22.06.2001 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und - entsprechend dem Antrag der Klägerin - festgestellt, dass sie bei der Tanzaufführung am 18.09.1989 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO gestanden hat. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 13.07.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.07.2001 Berufung eingelegt. Sie ist unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Verwaltungs- und Klageverfahren der Auffassung, mangels vertraglicher Beziehungen zwischen der Klägerin und dem Kulturzentrum "C" habe Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO nicht bestanden. Die Klägerin sei lediglich im Rahmen ihrer Mitgliedschaft im TT bei der Tanzveranstaltung tätig gewesen. Dies schließe Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung indes aus.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.06.2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Vorprozessakten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet.

Das SG hat zu Unrecht im Rahmen einer Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden, dass die Klägerin am 18.09.1989 bei der Tanzaufführung nach § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO versichert war. Es kann dahinstehen, ob die Feststellungsklage, die gegenüber der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage subsidiär ist und ein besonderes Feststellungsinteresse erfordert (vgl. dazu Meyer- Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 55 Rdnr. 19, 19c m.w.N.) nicht schon deshalb unzulässig ist, weil die Klägerin in der Sache - worüber die Beklagte auch entschieden hat - die Gewährung von Entschädigungsleistungen wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles begehrt. Zum anderen wäre aber - wenn allein darüber gestritten wird, ob eine Gesundheitsstörung Unfallfolge ist - § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die speziellere Anspruchsgrundlage, wobei dann allerdings auch darüber zu befinden gewesen wäre, ob die Teilruptur des vorderen Kreuzbandes im linken Kniegelenk i.S. der unfallrechtlichen Kausalitätslehre Folge eines Unfalles, d.h. eines zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses war (vgl. dazu jetzt § 8 Abs. 1 S. 2 des Siebten Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - [SGB VII]). Letztlich können die Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit der vom SG angenommenen Klage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG deshalb auf sich beruhen, weil - die Zulässigkeit einer solchen Klage unterstellt - diese jedenfalls unbegründet ist.

Ob die Klägerin am 18.09.1989 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand und einen Arbeitsunfall erlitten hat, beurteilt sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, weil das als Arbeitsunfall geltend gemachte Ereignis vor dem Inkrafttreten des SGB VII zum 01.01.1997 eingetreten ist (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz [UVEG]; § 212 SGB VII). Aufgrund des im Vorprozess vor dem Senat abgeschlossenen Vergleiches ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO ebenso wie nach § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht in Betracht kommt. Dementsprechend hat die Beklagte in Ausführung des Vergleiches mit dem Bescheid vom 18.11.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.05.1998 allein darüber entschieden, ob die Klägerin bei der Tanzaufführung nach § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO versichert war und deshalb ein Arbeitsunfall vorgelegen hat. Eine derartige Überprüfung war auch deshalb sinnvoll, weil in dem früheren Verwaltungsverfahren, das mit dem Bescheid vom 10.03.1993/Widerspruchsbescheid vom 16.12.1993 endete, diese Vorschrift, die mit Inkrafttreten des SGB VII ersatzlos entfallen ist, nicht von der Beklagten geprüft worden war. Danach waren in der gesetzlichen Unfallversicherung Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die zur Schaustellung oder Vorführung künstlerischer oder artistischer Leistungen vertraglich verpflichtet waren. Während abhängig beschäftigte Schausteller nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichert waren (vgl. dazu LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1983 S. 130), erfasst § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO freiberuflich Tätige, die zwar vertraglich gegenüber einem Anderen zu einer Leistung verpflichtet sind, aber nicht in einem Arbeits- bzw. Dienstverhältnis stehen, wobei unerheblich ist, wie das vertragliche Verhältnis zu dem Veranstalter rechtlich zu beurteilen ist. Auch muss kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Veranstalter und Künstler bestehen (vgl. dazu Bereiter-Hahn/Schieke/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar], § 539 RVO Rdnr. 8 m.w.N.; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 472 n; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar -, § 539 Rdnr. 20). Erfasst werden von dieser Vorschrift auch Personen, die im Rahmen einer Nebentätigkeit Vorführungen künstlerischer oder artistischer Art erbringen (BSG SozR 2200, § 539 Nr. 28).

Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Klägerin bei der Ballettaufführung eine künstlerische Vorführung i.S. von § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO erbracht hat. Indes bestand insoweit keine vertragliche Verpflichtung zwischen der Klägerin als der Vorführenden und dem Veranstalter, dem Kulturzentrum "C". Dass ein Gastspielvertrag zwischen Letzterem und dem TT bestand, ist - entgegen der Auffassung des SG - nicht ausreichend, weil es sich nach dem Regelungszweck der Vorschrift um eine vertragliche Verpflichtung zwischen der Person, die diese Leistung erbringen soll und dem Veranstalter handeln muss. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die an der Tanzvorführung Mitwirkenden im Vertrag namentlich aufgeführt worden wären und der Vertrag vom TT zugleich auch mit unmittelbarer Wirkung für die Mitwirkenden abgeschlossen worden wäre. Das war hier aber - wie aus der vertraglichen Vereinbarung eindeutig folgt - nicht der Fall. Auch Sinn und Zweck der durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) von 1963 unverändert übernommenen Vorläufervorschrift des § 537 Nr. 6 RVO i.d.F. des 6. Änderungsgesetzes sprechen für diese Auslegung. Diese Vorschrift diente nämlich ihrer Zielsetzung nach der Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf alle im Arbeitsleben stehenden Personen (vgl. BSGE 13, 217, 219). Als Mitglied des TT stand die Klägerin aber gerade nicht im Arbeitsleben; sie war vielmehr arbeitslos. Schließlich bestand - wie schon im Urteil des SG Münster vom 30.08.1995 zutreffend ausgeführt worden ist - auch keine spezielle vertragliche Verpflichtung zwischen der Klägerin und dem TT. Sie ist insoweit vielmehr als Vereinsmitglied tätig geworden. Als Angehörige der sog. Tanzkompanie und als ordentliches Vereinsmitglied war sie danach an der Vorführung satzungsgemäß verpflichtet. Dabei handelte es sich aber nicht um eine Verpflichtung gegenüber dem Veranstalter, sondern gegenüber dem Verein. Werden aber Schaustellungen oder die Vorführung künstlerischer oder artistischer Leistungen von Personen dargeboten, die in Musik, Gesang- oder Theatervereinen o.ä. als Vereinsmitglieder künstlerisch tätig sind, unterfällt dies nach herrschender Meinung nicht dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO (vgl. dazu Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, a.a.O.; Lauterbach, a.a.O., Rdnr. 19).

Da nach alledem der angefochtene Verwaltungsakt der Sach- und Rechtslage entspricht, konnte das Urteil des SG keinen Bestand haben. Auf die Berufung der Beklagten war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die hier zu entscheidende Rechtsfrage der Auslegung des § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO im Hinblick auf den Wegfall dieser Vorschrift mit Wirkung zum 01.01.1997 und das Fehlen einer entsprechenden Regelung im SGB VII keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat.
Rechtskraft
Aus
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