L 19 (12) AL 324/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AL 36/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 (12) AL 324/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7a AL 38/05 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 12.11.2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Angefochten ist die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.11.2002 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2004 hob die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 07.02. bis 31.12.2001 teilweise auf. Der Kläger habe während dieser Zeit Nebeneinkünfte in Höhe von DM 18154,69 (Euro 9282,35) erzielt, die gemäß § 141 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) auf das Arbeitslosengeld anzurechnen seien. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) werde die Bewilligung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse insoweit aufgehoben. Die Erstattungspflicht ergebe sich aus § 50 Abs. 1 SGB X.

Mit seiner hiergegen am 23.03.2004 erhobenen Klage macht der Kläger, wie auch schon zuvor mit seinem Widerspruch vom 05.12.2002, geltend, die Beklagte dürfe nicht die in seinem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2001 ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von insgesamt DM 28779,00 berücksichtigen. Dass der Einkommenssteuerbescheid Einkünfte in dieser Höhe und danach ein für die Berechnung der Einkommenssteuer maßgebliches Einkommen von DM 18495,00 aufweise, beruhe auf dem Umstand, dass er sich am 27.01.2002 dazu entschieden habe, eine im Jahr 1999 gebildete Ansparabschreibung in Höhe eines Betrages von DM 20.000,- sowie eine im Jahr 2000 gebildete Ansparabschreibung in Höhe eines Betrages von DM 5.000,-, mithin eines Gesamtbetrages an Sonderabschreibung von DM 25.000,-, aufzulösen. Diese Sonderabschreibungen dienten dazu, Steuervorteile zu erlangen, obwohl die Investitionen noch nicht getätigt worden seien. Für den Fall, dass diese nicht getätigt würden oder werden sollten, müsse die Ansparabschreibung wieder aufgelöst werden mit der Folge, dass der Betrag für die aufgelöste Ansparabschreibung als Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Einkommenssteuerbescheid auftauchten. Der Kläger habe vor Auflösung der Ansparabschreibung sich bei Herrn B im Arbeitsamt I am 13.12.2001 danach erkundigt, ob eine etwaige Auflösung der Ansparabschreibung zu Einbußen im Bezug auf seinen Arbeitslosenanspruch führen könnte. Dies habe der Sachbearbeiter B verneint.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29.11.2002 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat weiterhin an ihrer schon im Verwaltungsverfahren vertretenen Auffassung festgehalten, die eingereichte Einnahmen- Ausgaben- Rechnung für das Jahr 2001 weise einen Gewinn von DM 25557,85 (Euro 11553,65). Daraus ergebe sich ein Anrechnungsbetrag von insgesamt DM 18154,69 (Euro 9282,35) aus. In Höhe dieses Anrechnungsbetrages sei die Bewilligungsentscheidung aufzuheben gewesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 12.01.2004 hat das Sozialgericht - nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - die Klage abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung sei rechtmäßig. Die Anrechnung von Nebeneinkommen erfasse gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch Einkommen aus selbständiger Tätigkeit. Dabei sei das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nach § 15 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) zu bestimmen. Arbeitseinkommen sei danach der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechtes ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit oder aus einem Gewerbebetrieb. Die vom Kläger aufgelösten Ansparabschreibungen seien in der endgültigen Einnahmen- Ausgaben- Rechnung für 2001 als Erträge ausgewiesenen und in den im Einkommenssteuerbescheid 2001 ausgewiesenen Einkünften aus Gewerbebetrieb enthalten. Sie seien somit als Einnahmen aus seiner selbständigen Tätigkeit gemäß § 141 Abs. 1 SGB III auf das Alg anzurechnen. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger in früheren Jahren durch Bildung der Ansparabschreibungen geldwerte Steuervorteile erzielt habe.

Gegen den ihm am 18.11.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.12.2004 Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter und macht geltend, § 15 SGB IV sei nicht auf die Bestimmung des § 7 EstG anwendbar. Eine bloße Steuererleichterung könne nicht als Einnahme im Wege einer Gewinnerzielung angesehen werden. Die Auflösung der Ansparabschreibung stelle gewissermaßen nur einen fiktiven Rechnungsposten dar und könne nicht als Einnahme aus einer selbständigen Tätigkeit gelten. Darüberhinaus erscheine es unbillig, wenn ihm auf konkrete Nachfrage bei der Beklagten erst versichert werde, ihn erwarteten keine negativen Folgen, er aber dann durch die angefochtenen Bescheide einer anderen Auffassung belehrt werde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 12.11.2004 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 29.11.2002 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer bislang vertretenen Auffassung fest.

Die Verwaltungsakte der Beklagten (Kunden-Nr. 000) hat neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Auch zur Überzeugung des Senats ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte der Anrechnung von Nebeneinkommen aus selbständiger Tätigkeit gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 SGB III die in der Einnahmen- Ausgaben- Rechnung für das Jahr 2001 bzw. im "Bescheid für 2001 über Einkommenssteuer und Solidaritätszuschlag" ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von DM 28.779,00 zugrundegelegt hat.

Denn sowohl nach dem einschlägigen Gesetzeswortlaut als auch nach dem aus den Gesetzesmotiven erkennbaren Willen des Gesetzgebers bestimmt sich das persönliche Arbeitseinkommen des Klägers aus seiner selbständigen Tätigkeit in seinem Großküchen-Planungsbüro - dem Grunde und der Höhe nach - nach Maßgabe des Einkommenssteuerrechts.

Arbeitseinkommen als sozialrechtlicher Begriff wird in § 15 Abs. 1 SGB IV inhaltlich durch die Bezugnahme auf das Einkommenssteuergesetz (EStG) definiert: "Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommenssteuerrecht zu bewerten ist." § 15 SGB IV wurde mit Wirkung vom 01.07.1977 durch Gesetz vom 23.12.1976, BGBl. I 3845, eingeführt. Mit Wirkung ab 01.01.1995 - also maßgeblich für den hier streitigen Zeitraum - erfolgte eine Neufassung des § 15 SGB IV durch Artikel 3 Nr. 2 Agrarsozialreformgesetz 1995 (ASRG 1995). § 15 Satz 1 SGB IV alte Fassung blieb unverändert. Dessen Satz 2 ("bei der Ermittlung des Gewinns sind steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen") wurde ersatzlos gestrichen und durch § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV neue Fassung ersetzt ("Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommenssteuerrecht zu bewerten ist"). Die Begründung im Gesetzentwurf (BT-Drucks. 12/5700 S 92 zu Artikel 3 Nr. 2) führt dazu an, die ersatzlose Streichung des § 15 Satz 2 SGB IV alte Fassung erfolge aus Gründen der Praktikabilität. Mit der Einfügung des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV werde "eine volle Parallelität von Einkommenssteuerrecht und Sozialversicherungsrecht sowohl bei der Zuordnung zum Arbeitseinkommen als auch bei der Höhe des Arbeitseinkommens erreicht". Zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung solle es den zuständigen Versicherungsträgern erlaubt sein, den steuerrechtlichen Gewinn "unverändert aus dem Steuerbescheid des Selbständigen zu entnehmen" (BT-Drucks. 12/5700 S 93).

Nach Auffassung des Senats begründet § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine echte Drittbindungswirkung (so auch Klattenhoff in Hauck/Haines, SGB IV Kommentar, Stand April 2004, § 15 Rdz. 8 und Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand August 2004, § 15 Rdz. 15). Da somit - abgesehen von der hier nicht einschlägigen Sonderregelung des § 15 Abs. 2 SGB IV - eine volle Identität zwischen dem steuerrechtlichen und dem sozialversicherungsrechtlichen Arbeitseinkommen besteht, sind spezifisch sozialversicherungsrechtliche Bewertungen unzulässig.

Was unter den "allgemeinen " Gewinnermittlungsvorschriften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV in Abgrenzung zu etwaigen besonderen Regelungen zu verstehen ist, erläutert das Gesetz nicht näher. Da das Gesetz seit der Novellierung im Jahre 1995 von einer vollen Identität zwischen Steuer- und Sozialversicherungsrecht ausgeht, erscheint diese Einschränkung jedoch gegenstandslos (Klatthoff, a.a.O., § 15 Rdz. 14). Zurückzugreifen ist nach Auffassung des Senats deshalb auf die Begriffsbestimmungen des Steuerrechts. Eine Legaldefinition von Einkünften enthält § 2 Abs. 2 EStG. Nach § 2 Abs. 2 Ziffer 1 EStG sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit "der Gewinn (§§ 4-7 k)". Durch die vorstehende Legaldefinition ist auch § 7 g EStG und darin dessen Absatz 4 in Bezug genommen, wonach die Anspar- Rücklage gewinnerhöhend aufzulösen ist. Auch im Falle fehlender Investition ist die Rücklage in vollem Umfang nach § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG zwingend gewinnerhöhend aufzulösen (Schmidt/Drenseck, EStG Kommentar, 2003, § 7g Rdz. 24).

Der Kläger kann mit seiner gegen vorstehende Auffassung vorgebrachten wirtschaftlichen Argumentation nicht durchdringen.Dabei ist dem Senat bewusst, dass sich die Ansparabschreibung wirtschaftlich nur wie eine Stundung der Steuerschuld auswirkt, wenn der betreffende Betrieb nicht tatsächliche Rücklagen gebildet und lediglich den Steuervorteil in Anspruch genommen hat. Eine entsprechende wirtschaftliche Betrachtung hat die Familiengerichtssenate sowohl des Schleswig-Holsteinschen Oberlandesgerichts als auch des OLG Hamm veranlasst, unterhaltsrechtlich die Ansparabschreibung gem. § 7 g EStG nicht anzuerkennen, da ihr kein konkreter Wertverzehr zugrundeliegt bzw. keine tatsächliche Gewinnminderung durch die Ansparabschreibung eingetreten ist (Schleswig- Holsteinsches OLG, 5. Senat für Familiensachen, Urteil vom 09.08.2001, 15 UF 67/00 und OLG Hamm, 11. Senat für Familiensachen, Urteil vom 18.01.2002 - 11 UF 63/01 - FamRZ 2002, 885 - 887).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen, weil der Senat der hier zugrundeliegenden Rechtsfrage - in welcher Weise die steuerrechtliche Gewinnerhöhung bei Auflösung einer sogenannten Ansparabschreibung gemäß § 7g Abs. 4 EStG bei der Anrechnung des Arbeitseinkommens aus selbständiger Tätigkeit gemäß § 141 SGB III zu berücksichtigen ist - grundsätzliche Bedeutung beimisst, § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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