L 4 RA 57/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 15 (26) RA 342/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 RA 57/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 48/01 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 03. August 2000 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für die Berufungsinstanz keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbs-, hilfsweise Berufsunfähigkeit; streitig ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen.

Die am 00. Juni 1960 geborene Klägerin durchlief mit Erfolg vom 01. September 1979 bis 13. Juli 1981 eine Lehre als Bürokauffrau. Nach einer Zeit sich daran anschließender Arbeitslosigkeit arbeitete sie von 1982 bis Oktober 1983 als Verkäuferin. Sodann war sie erneut von November 1983 bis April 1989 arbeitslos. Von Mai 1988 bis Januar 1989 wurde sie zur Sachbearbeiterin im Personal- und Rechnungswesen/EDV-Sachbearbeiterin umgeschult. Sodann war sie vom 01. Mai 1989 bis zum 30. September 1994 als kaufmännische Angestellte mit dem Buchen von Kreditoren/Debitoren beschäftigt. Es handelte sich dabei um eine leichte Tätigkeit, überwiegend im Sitzen, in temperierten Räumen, für die eine völlig ungelernte Kraft sechs Monate lang hätte angelernt werden müssen (Arbeitgeberauskunft vom 14. Dezember 1998). Bei der Klägerin besteht ein Zustand nach kindlicher kniegelenksnaher Osteomyelitis rechts. Auch leidet sie an einer Colitis ulcerosa.

Am 16. Oktober 1997 beantragte sie die Gewährung von Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Sie sei unter anderem wegen der Colitis ulcerosa außerstande, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Beklagte ließ die Klägerin internistisch und chirurgisch/orthopädisch begutachten. In ihrem internistischen Gutachten vom 23. Dezember 1997 berichtete Frau Dr. Q/O von einem guten Allgemeinzustand sowie normalem Ernährungszustand der Klägerin. Sie diagnostizierte eine Colitis ulcerosa, ein Hals-/Brustwirbelsäulen-Syndrom sowie einen Zustand nach Osteomyelitis rechter Oberschenkel. Bezüglich der Colitis ulcerosa bestünden keine erhöhten Entzündungsparameter. Es bestehe kein Eisenmangel oder Anämie. Im Vordergrund stünden die Beschwerden seitens des Bewegungsapparates. Sie mutete der Klägerin noch leichte Tätigkeiten im Lagewechsel, ohne schweres Heben, Tragen sowie ohne besonderen Stress und Zeitdruck, vollschichtig zu. Die Klägerin könne auch vollschichtig als kaufmännische Angestellte arbeiten. Sie sei in ihrer Wegefähigkeit uneingeschränkt. In seinem chirurgisch/orthopädischen Gutachten vom 17. Februar 1998 berichtete Dr. D/O von einem normalen Barfußgang ohne Schonhinken. Der Fingerspitzen-Boden- Abstand bei der Rumpfbeuge betrage 0 cm. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule sei endgradig frei. Die Lendenwirbelsäule sei in allen Ebenen frei beweglich. Die Wirbelsäule sei insgesamt mechanisch belastbar und nicht schmerzhaft. Es fänden sich weder funktionell noch röntgenologisch wesentliche krankhafte Befunde. Insbesondere sei die Beweglichkeit dem Alter entsprechend. Neurologische Defizite seien nicht nachweisbar. Wegen der Colitis ulcerosa müsse eine Toilette jederzeit zur Verfügung stehen. Dr. D diagnostizierte die gleichen Leiden wie Frau Dr. Q. Er mutete der Klägerin noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten vollschichtig zu. Die Klägerin könne alle Büroarbeiten erledigen und sei auch als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung vollschichtig einsatzfähig. Die Wegefähigkeit sei uneingeschränkt. Gestützt auf diese Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. März 1998 die Rentengewährung ab. Die Klägerin sei weder erwerbs- noch berufsunfähig. Sie könne im bisherigen Beruf als Sachbearbeiterin weiterhin vollschichtig tätig sein.

Den dagegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin unter Vorlage eines ärztliches Attestes der praktischen Ärztin Dr. L/K vom 20. März 1998. Demnach komme es auch zu Angstsymptomen und Panikattacken unter Stress. Deswegen könne die Klägerin nicht mehr als Bürokauffrau/EDV-Sachbearbeiterin tätig sein. Die Beklagte ließ die Klägerin neurologisch-psychiatrisch begutachten. In seinem Gutachten vom 15. Juni 1998 diagnostizierte Dr. C/H eine neurotisch-depressiv introvertierte Persönlichkeitsstruktur mit erhöhten Angst- und Depressionswerten. Hinsichtlich der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als kaufmännische Angestellte bestünden keine sozialmedizinisch relevanten Leistungseinschränkungen. Die Klägerin könne als kaufmännische Angestellte weiterhin vollschichtig arbeiten. Ihre Wegefähigkeit sei uneingeschränkt. Die depressiv-neurotische Fehlentwicklung sowie das psychosomatische Leiden seien einer psychosomatischen Heilbehandlung zugänglich. Mit Widerspruchsbescheid vom 08. Oktober 1998 wies die Widerspruchsstelle bei der Beklagten den Widerspruch zurück.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 06. November 1998 Klage erhoben.

Zur Begründung hat sie behauptet, durch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf orthopädischem Gebiet in ihrer Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt zu sein. Es komme zu rezidivierenden Schmerzzuständen. Die Bewegungsfähigkeit sei erheblich eingeschränkt. Zu Schmerzen komme es insbesondere bei Belastungen und nach längerem Sitzen. Die Colitis ulcerosa führe zu häufigen Durchfällen. Auf kardiologischem Gebiet leide sie an wiederkehrender Luftnot, Druckgefühl auf der Brust sowie beschleunigtem Puls; teilweise bereits in Ruhe.

Die Beklagte hat behauptet, die vielfältigen Befindlichkeitsstörungen der Klägerin stünden einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nicht entgegen. Die psychodynamischen Zusammenhänge seien als Therapieansatz zwar wichtig, würden jedoch keine entscheidenden Funktionsdefizite belegen. Selbstbeurteilungsinstrumente der Klägerin hätten nur wenig Aussagekraft. Eine schwergradige Schmerzstörung werde nicht sichtbar.

Das Sozialgericht hat von Frau Dr. L, dem Orthopäden Dr. I/N sowie der Dipl.-Psychologin B N/ H Befundberichte eingeholt. Frau Dr. L hat mit Schreiben vom 18. März 1999 berichtet, die Klägerin sei psychisch erschöpft. Dr. I hat mit Schreiben vom 23. März 1999 mitgeteilt, die Klägerin sei ohne weiteres in der Lage, körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung vollschichtig zu verrichten. Die Dipl.-Psychologin B N hat mit Schreiben vom 01. April 1999 angegeben, die Klägerin halte sich nicht für in der Lage, einer geregelten Arbeit nachgehen zu können. Das Sozialgericht hat die Klägerin neurologisch-psychiatrisch sowie internistisch/ sozialmedizinisch begutachten lassen. In seinem neurologisch- psychiatrischen Gutachten vom 02. August 1999 teilte der Sachverständige Dr. S/O mit, die Klägerin fahre mit ihrem eigenen Pkw. Antrieb und Grundaktivität seien nicht vermindert. Es bestünden keine auffälligen psychomotorischen Phänomene. Organneurologisch bestünde kein von der Norm abweichender Befund. Die vorliegende neurotische Fehlhaltung sei behandelbar. Er diagnostizierte im wesentlichen eine neurotisch-depressive Fehlhaltung mit Panikattacken sowie eine chronisch entzündliche Darmerkrankung vom Typ Colitis ulcerosa. Er mutete der Klägerin noch leichte Tätigkeiten, im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, in geschlossenen Räumen, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Wechselschicht, ohne häufiges Bücken, Knien, zu ebener Erde, ohne langanhaltende Zwangshaltungen sowie ohne Kälte und Hitze, vollschichtig zu. Die Klägerin könne unter betriebsüblichen Bedingungen auch hinsichtlich der Pausen arbeiten. Es müßten Toiletten erreichbar sein. Sie verfüge über ein genügendes Umstellungsvermögen. Sie könne ihre psychische Fehlhaltung gegenüber einer Arbeitsaufnahme aus eigener Willenskraft überwinden. Die Klägerin könne ihre bisherige Tätigkeit als kaufmännische Angestellte vollschichtig verrichten. Sie sei in ihrer Wegefähigkeit uneingeschränkt. Die notwendige psychotherapeutische Behandlung könne arbeitsbegleitend durchgeführt werden. In seinem internistisch/ sozialmedizinischen Gutachten vom 11. September 1999 berichtete der Sachverständige Dr. X/N, die Klägerin gebe an, daß seitens der Colitis ulcerosa etwa alle drei bis vier Wochen Schübe aufträten. Dann wären etwa 25 Toilettengänge pro Tag notwendig. Die Durchfallssymptomatik halte auch außerhalb der Schübe an. Der Sachverständige fand den Gang hinkfrei und flüssig. Die Hüftgelenksbeweglichkeit sei beidseits in altersentsprechendem Umfang aktiv und passiv ohne Angaben von Schmerzen durchführbar. Die Kniegelenksbeweglichkeit sei beidseits altersentsprechend, ohne Anhalt für Kniegelenkserguss oder Bandinstabilität. Die Meniskusreizzeichen seien negativ. Die Konturen unauffällig. Beidseits bestehe weder ein patellarer Anpressschmerz noch ein retropatellares Reiben. Alle Gelenke der unteren Extremitäten seien ohne Hinweis für einen akuten Reizzustand in Form von Rötung, Schwellung, Überwärmung oder Ergussbildung. Die anatomische Beinlänge zeige rechts ein plus von 1 cm. Er diagnostizierte im wesentlichen eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung vom Typ Colitis ulcerosa, ein Präexzitationssyndrom des Herzens vom Typ WPW, eine rezidivierende Magenschleimhautzündung, rezidivierende und belastungsabhängige Wirbelsäulenbeschwerden im Bereich von Hals-/Brust- und Lendenwirbelsäule sowie einen Zustand nach kindlicher kniegelenksnaher Osteomyelitis rechts mit verbliebener Beinlängendifferenz. Bezüglich der Darmerkrankung lasse sich eine Beschwerdefixierung feststellen, welche möglicherweise im Zusammenhang mit einer neurotischen Entwicklung stünde. Unter Berücksichtigung der klinischen Gesamtsituation sei davon auszugehen, daß sich die chronisch-entzündliche Darmerkrankung auf den Enddarm und den enddarmnahen Darmbereich beschränke, ohne daß es zu einer weiteren Ausdehnung auf den übrigen Dickdarmbereich gekommen sei. Komplikationen mit massiven Blutungen oder einer toxischen Kolondilation seien nicht festzustellen. Auch sei eine anhaltende Entzündungssymptomatik von seiten der biochemischen Parameter nicht gegeben. Darüber hinaus würden Hinweise auf eine Nahrungsfehlverwertung mit Gewichtsverlust fehlen, so daß angesichts der klinischen Gesamtsituation von einer chronisch-rezidivierenden Verlaufsform mit Beschränkung auf den Enddarm und enddarmnahen Dickdarmbereich auszugehen sei; mit wiederholten leichten bis mittelschweren Schüben bei ausreichender Therapierbarkeit allein durch eine lokale Steroidmedikation mit Klysmen im Enddarmbereich. Eine darüber hinausgehende systemische antientzündliche Therapie sei nicht erforderlich. Insbesondere sei eine systemische Cortisontherapie in Form von Tabletten und wiederholten Infusionsbehandlungen nicht erforderlich. In der zurückliegenden Zeit habe es keine Schubsymptomatik gegeben, die eine akutmedizinische Behandlung in Form von Krankenhausaufenthalten erforderlich habe werden lassen. Vor diesem Hintergrund würden die subjektiven Beschwerden nicht allein durch die Organbefunde erklärt, und es sei eine psychosomatische Symptomausweitung wahrscheinlich. Neben der Durchfallsymptomatik seien abdominale Schmerzen mit zum Teil krampfartigen Beschwerden typisch, wie sie auch zeitweise auftretend von der Klägerin berichtet würden. Es fänden sich keine Hinweise für eine Herzpump- oder eine relevante Herzklappenfunktionsstörung. Eine leistungseinschränkende Bedeutung komme dem asymptomatischen EKG-Befund nicht zu. Hinweise für anhaltende Nervenwurzelreiz-/ausfallerscheinungen bestünden nicht. Die Beinlängendifferenz könne durch eine Einlage oder Absatzerhöhung ausgeglichen werden. Der Klägerin seien noch leichte Arbeiten, im Wechsel zwischen Gehen, Stehen, Sitzen, ohne langanhaltende einseitige Körperhaltung in Form von Stehen, Sitzen, innerhalb geschlossener Räume (da eine Toilette in erreichbarer Nähe sein müsse), ohne besonderen Zeitdruck, ohne Wechselschicht, ohne häufiges Bücken, Knien, zu ebener Erde, ohne langanhaltende Zwangshaltungen sowie ohne Kälte und Hitze vollschichtig möglich. Betriebsübliche Pausen würden ausreichen. Evtl. notwendige Toilettengänge könnten im Rahmen der betriebsüblichen Pausen wahrgenommen werden. Die Tätigkeit einer Sachbearbeiterin in der Buchhaltung würde dem Leistungsvermögen der Klägerin entsprechen. Dabei könne die Klägerin immer wieder kurzfristig aufstehen. Diese Tätigkeit sei ihr vollschichtig zumutbar. Die Klägerin könne viermal täglich mehr als 500 Meter zu Fuß zurücklegen. Auf Antrag der Klägerin hat das Sozialgericht den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G/N gutachterlich gehört. Dr. G hat in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 19. Januar 2000 mitgeteilt, der Normalgang sei flüssig. Auf neurologischem Sektor bestehe keine Normabweichung von Krankheitswert oder sozialmedizinischer Relevanz. Bei der Untersuchung sei die Klägerin bewußtseinsklar, zur Person, zur Zeit, zum Ort und zur Situation voll orientiert gewesen. Es hätten sich keine formalen oder inhaltlichen Denkstörungen gefunden. Es bestünden keine Hinweise auf Wahnphänomene oder illusionäre Verkennungen. Es hätten sich auch keine Hinweise für das Vorliegen einer angeborenen oder erworbenen Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten ergeben. Hinsichtlich ihrer Krankheiten sei ihr Denkmuster negativ und fatalistisch gefärbt. Er diagnostizierte eine Panikstörung, eine Dysthymie (chronisch depressive Störung), eine Colitis ulcerosa sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Er mutete ihr noch leichte Arbeiten, überwiegend im Sitzen, in geschlossenen Räumen, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Wechselschicht, ohne Zwangshaltung, ohne häufiges Bücken, Knien, zu ebener Erde, ohne Kälte, Hitze, ohne Staub, Gas, Dampf und Rauch von maximal zwei Stunden täglich zu. Ihr Konzentrationsvermögen, ihre Reaktionsfähigkeit, ihre Nervenkraft und ihre Übersicht seien deutlich eingeschränkt. Es fehle an einem ausreichenden Umstellungsvermögen. Die Beschränkung auf maximal zwei Stunden täglich gelte für die Tätigkeit als kaufmännische Angestellte sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Klägerin sei in ihrer Wegefähigkeit nicht eingeschränkt. Wegen der Zunahme der Panikattacken bestehe ab Anfang 1999 völlige Arbeitsunfähigkeit. Zur Zeit bestehe keine begründete Aussicht dafür, daß die Leistungseinbuße in absehbarer Zeit behoben oder wesentlich gebessert werden könne. Der Klägerin solle eine stationäre psychotherapeutisch-psychosomatische Heilmaßnahme gewährt werden. Das Gutachten C lasse nicht erkennen, ob alle erhobenen Befunde sozialmedizinisch berücksichtigt worden seien. Das Gutachten S habe auf fremdanamnestische Angaben der die Klägerin behandelnden Therapeuten ebenso verzichtet wie auf die Beurteilung der Alltagskompetenz und darüber hinaus nicht den Ausprägungsgrad der psychogenen Symptomatik erfaßt. Es sei auch nicht auf die somatoforme Schmerzstörung eingegangen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 20. März 2000 stellte der Sachverständige Dr. S klar, sein Gutachten vom 02. August 1999 habe die Panikattacken mitumfaßt. Der Diagnose Dysthymie werde durch die Bezeichnung "neurotisch-depressive Störung" Rechnung getragen. Die von Dr. G diagnostizierte "somatoforme Schmerzstörung" lasse sich in die Diagnose "pseudoradikuläres Beschwerdebild" von Dr. X einordnen. Dieses Beschwerdebild werde im Rahmen der neurotisch-depressiven Störung verstärkt empfunden. Da die Klägerin mit den wesentlichen Anforderungen des täglichen Lebens fertig werde, könne sie auch eine körperlich leichte Tätigkeit, mit den genannten Einschränkungen, vollschichtig verrichten. Auch trage Dr. G keinen neuen Sachverhalt vor, der eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin im Erwerbsleben hervorrufen könnte. Eine einschneidende Änderung im Befund habe sich auch seit der Begutachtung durch Dr. C im Juni 1998 nicht ergeben. Die von Dr. G vorgenommene Einschränkung der zeitlichen Leistungsbreite ergebe sich nicht aus dem objektiv begründbaren psychopathologischen Bild. Die Klägerin könne im Rahmen ihrer psychischen Störung als auch in Verbindung mit den geschilderten körperlichen Erkrankungen noch einer beruflichen Tätigkeit vollschichtig nachgehen.

Mit Urteil vom 03. August 2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder erwerbs- noch berufsunfähig. Sie könne noch leichte Arbeiten, mit den genannten Einschränkungen, vollschichtig ausüben. Dieses Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht ergebe sich aus den Gutachten der Sachverständigen Dr. Sund Dr. X. Dem Gutachten des Dr. G folge das Gericht nicht. Ein berufliches Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht von maximal zwei Stunden täglich lasse sich aus den medizinischen Befunden nicht ableiten. Bei der Klägerin bestünden nicht so schwerwiegende Befunde. Die Klägerin könne noch vollschichtig als kaufmännische Angestellte arbeiten. Die eventuelle Notwendigkeit zum Aufsuchen von Toiletten bewege sich im Rahmen der persönlichen Verteilzeit. Das Vorhandensein von Toiletten in ausreichender Zahl innerhalb von Bürogebäuden sei gemäß den gesetzlichen Vorschriften gewährleistet.

Gegen dieses am 25. August 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04. September 2000 Berufung eingelegt.

Zur Begründung behauptet sie, bereits auf dem Weg zur Arbeit Toiletten zu benötigen. Auch bestehe ein Hüft- und Knieleiden. Darüber hinaus lasse sich dem ärztlichen Schreiben des sie behandelnden Internisten und Gastroenterologen Dr. X1/N vom 03. Januar 2001 das schwere Bild ihrer Colitis ulcerosa entnehmen. Demnach sei es im Februar 1999 zu einem leichtgradigen Schub gekommen. Im Oktober 1999 habe eine geringe Aktivität der Colitis ulcerosa in klinischer Remissionsphase ohne spezifische Therapie bestanden. Im Mai 2000 sei sie seitens der Colitis ulcerosa beschwerdefrei gewesen. Im Dezember 2000 seien gelegentliche Durchfälle mit relativer Inkontinenz aufgetreten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 03. August 2000 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. März 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Oktober 1998 zu verurteilen, ihr vom 01. November 1997 an Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit in gesetzlichem Umfang zu gewähren,

hilfsweise, nach § 109 SGG ein gastroenterologisches Gutachten von Prof. Dr. Q1, Chefarzt am Krankenhaus N, X-Str. 00, L, einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie behauptet, das Darmleiden verlaufe im wesentlichen ohne Zeichen einer Entzündung sowie ohne gravierende Beschwerden in Form von ständigem Durchfall oder dauernder Stuhlinkontinenz.

Hinsichtlich der Einzelheiten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen und zum Verfahrensgegenstand gemachten Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide vom 01. November 1997 an die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbs-, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit verlangen. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten weder einen Anspruch auf die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit vom 01. November 1997 noch auf die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (vgl. § 43 Abs. 1 und § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, in der Fassung bis zum 31. Dezember 2000 - SGB VI).

Rente wegen Berufsunfähigkeit erhält gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI wer berufsunfähig ist. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist eine versicherte Person berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit infolge Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. In diesem Sinne ist die Klägerin nicht berufsunfähig. Sie kann noch einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen und auf diese Weise zumindest noch die Hälfte der Einkünfte einer mit ihr vergleichbaren versicherten Person (sog. gesetzliche Lohnhälfte) erzielen. Die Fähigkeit der Klägerin, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit) ist zwar durch verschiedene gesundheitliche Beeinträchtigungen herabgemindert, jedoch nicht soweit, daß diese Fähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen einer gesunden Vergleichsperson herabgesunken ist.

Nach dem Ergebnis der medizinischen Sachaufklärung steht zur Überzeugung des Senats fest, daß die Klägerin noch leichte Tätigkeiten, im Wechsel zwischen Gehen, Stehen, Sitzen, ohne langanhaltende einseitige Körperhaltung, innerhalb geschlossener Räume, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Wechselschicht, ohne häufiges Bücken, Knien, zu ebener Erde, ohne langanhaltende Zwangshaltungen sowie ohne Kälte und Hitze, vollschichtig verrichten kann. Das Leistungsvermögen der Klägerin wird im wesentlichen durch eine neurotisch-depressive Fehlhaltung mit Panikattacken, eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung vom Typ Colitis ulcerosa sowie rezidivierende, bewegungs- und belastungsabhängige Wirbelsäulenbeschwerden im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule herabgesetzt. Wie sich aus den inhaltlich ergiebigen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Gutachten des Dr. S und des Dr. X sowie dem Befundbericht des Dr. I vom 23. März 1999 ergibt, stehen diese bei der Klägerin diagnostizierten Gesundheitsstörungen einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nicht entgegen. Die darüber hinaus im Bereich des Herzens, des Magens sowie des rechten Beines bestehenden Gesundheitsstörungen schränken in ihrem Zusammenwirken mit den gutachterlich festgestellten neurologisch-psychiatrischen und internistischen Gesundheitsstörungen sowie dem von Dr. I berichteten orthopädischen Befund das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin nicht auf weniger als acht Stunden täglich ein. Ihr Antrieb sowie die Grundaktivität sind nicht vermindert. Es bestehen keine auffälligen psychomotorischen Phänomene. Organneurologisch besteht kein von der Norm abweichender Befund. Die vorliegende neurotische Fehlhaltung ist behandelbar. Die Klägerin verfügt über ein genügendes Umstellungsvermögen. Sie kann ihre psychische Fehlhaltung gegenüber einer Arbeitsaufnahme aus eigener Willenskraft überwinden. Die notwendige psychotherapeutische Behandlung kann arbeitsbegleitend durchgeführt werden. Die Colitis ulcerosa hat eine chronisch-rezidivierende Verlaufsform mit Beschränkung auf den Enddarm und den enddarmnahen Dickdarmbereich mit wiederholten leichten bis mittelschweren Schüben bei ausreichender Therapierbarkeit alleine durch eine lokale Steroidmedikation mit Klysmen im Enddarmbereich. Es bestehen keine Hinweise für eine Herzpump- oder eine relevante Herzklappenfunktionsstörung. Dem asymptomatischen EKG-Befund kommt keine leistungseinschränkende Bedeutung zu. Es bestehen keine Hinweise für anhaltende Nervenwurzelreiz-/-ausfallserscheinungen. Die Beinlängendifferenz kann durch eine Einlage oder Absatzerhöhung ausgeglichen werden. Der gerichtlichen Überzeugung für ein vorhandenes vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen der Klägerin stehen die Feststellungen des Sachverständigen Dr. G in seinem Gutachten vom 19. Januar 2000 nicht entgegen. Die von ihm aus den von ihm erhobenen Befunden gezogene Schlußfolgerung hinsichtlich des beruflichen Restleistungsvermögens der Klägerin in zeitlicher Hinsicht ist nicht nachvollziehbar. Insoweit ist dieses Gutachten weder inhaltlich ergiebig noch widerspruchsfrei. Seine diesbezügliche Schlußfolgerung läßt sich nicht aus dem von ihm dargelegten, objektiv begründbaren psychologischen Bild der Klägerin ableiten. Die von Dr. G erläuterten psychodynamischen Zusammenhänge sind als Therapieansatz wichtig, belegen jedoch keine entscheidenden Funktionsdefizite. Seinen eigenen Erhebungen nach war die Klägerin bei der Untersuchung bewußtseinsklar, zur Person, zur Zeit, zum Ort und situativ voll orientiert. Es haben sich keine formalen oder inhaltlichen Denkstörungen gefunden. Es bestanden keine Hinweise auf Wahnphänomene oder illusionäre Verkennungen. Es haben sich auch keine Hinweise für das Vorliegen einer angeborenen oder erworbenen Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten ergeben. Soweit die Klägerin sich für psychisch erschöpft hält und nicht in der Lage fühlt, einer geregelten Arbeit nachgehen zu können, ist dies Teil der bereits von Dr. S diagnostizierten neurotisch-depressiven Fehlhaltung mit Panikattacken. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Gewährung von Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Klägerin kann ihre psychische Fehlhaltung gegenüber einer Arbeitsaufnahme aus eigener Willenskraft überwinden und wird in diese Fähigkeit durch eine Psychotherapie zunehmend gestärkt. Diese notwendige psychotherapeutische Behandlung kann arbeitsbegleitend durchgeführt werden. Der Anregung der Klägerin auf Einholung eines gastroenterologischen Gutachtens brauchte der Senat nicht nachkommen. Einen entsprechenden, bestimmten Antrag nach § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat die Klägerin erst im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Januar 2001 gestellt. Dieser Antrag ist verspätet. Die Klägerin hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren von ihrem Antragsrecht Gebrauch zu machen gehabt. Sie hat ihr Antragsrecht auf die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens beschränkt, obwohl mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. X vom 11. September 1999 ein ausführliches sowie einschlägiges internistisches (gastroenterologisches) Gutachten von Amts wegen bereits vorgelegen hat. Bei sorgfältiger Prozeßführung war es daher bereits in der 1. Instanz einleuchend, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Darüber hinaus brauchte der Senat sich nicht zu weiterer medizinischen Sachaufklärung gedrängt zu fühlen. Der gesundheitliche Zustand und dessen Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit sind umfassend ermittelt und aufgeklärt worden. Insbesondere bestehen weder im Bereich der Hüft- noch der Kniegelenke Funktionsbeeinträchtigungen von rentenbedeutsamen Ausmaß. Die Hüftgelenksbeweglichkeit ist beidseits in altersentsprechendem Umfang aktiv und passiv durchführbar und ohne Angaben von Schmerzen. Die Kniegelenksbeweglichkeit ist beidseits altersentsprechend. Alle Gelenke der unteren Extremitäten sind ohne Hinweise für einen akuten Reizzustand. Der schubweise Verlauf des Darmleidens wird auch weiterhin durch die Feststellungen des Sachverständigen Dr. X zutreffend und umfassend bewertet. Eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse ist seit September 1999 nicht eingetreten. Nach einer geringen Aktivität in klinischer Remissionsphase ohne spezifische Therapie im Oktober 1999 war die Klägerin im Mai 2000 von seiten der Colitis ulcerosa beschwerdefrei. Im Dezember 2000 ist es gelegentlich zu Durchfällen mit relativer Inkontinenz gekommen. Dabei handelt es sich ggf. um Zeiten der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung jedoch nicht um eine Beeinträchtigung des beruflichen Leistungsvermögens im Sinne von Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit.

Die Klägerin kann auch weiterhin ihre bisherige berufliche Tätigkeit als kaufmännische Angestellte zum Buchen von Kreditoren/Debitoren bzw. Sachbearbeiterin im Personal- und Rechnungswesen/EDV-Sachbearbeiterin vollschichtig verrichten. Die Tätigkeit als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung entspricht ihrem Leistungsvermögen. Sie kann dabei immer wieder kurzfristig aufstehen. Dadurch ist ein ausreichender Haltungswechsel gewährleistet.

Bei einer Vollzeitarbeitskraft kann davon ausgegangen werden, daß es den gesundheitlichen Störungen angepaßte Arbeitsplätze in ausreichendem Umfang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland gibt (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 4 und § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI). Ausnahmen von der Annahme der grundsätzlichen Verwertbarkeit des Restleistungsvermögens können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn eine versicherte Person nach ihrem Gesundheitszustand nicht dazu in der Lage ist, die ihr ansich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten, oder wenn sie außerstande ist, Arbeitsplätze dieser Art von ihrer Wohnung aus aufzusuchen (vgl. BSG SozR 2200, § 1247 Nrn. 53 und 95). Ein solcher Ausnahmefall liegt bei der Klägerin nicht vor. Den medizinischen Feststellungen nach kann sie unter betriebsüblichen Bedingungen auch hinsichtlich der Pausen arbeiten und sind ihr übliche An- und Abmarschwege zu und von der Arbeit von vier mal mehr als 500 Meter täglich zu Fuß zumutbar. Der bei dem Auftreten akuter Schübe der Darmerkrankung notwendige häufige Toilettenbesuch ist bei der Tätigkeit einer kaufmännischen Angestellten in Büros gewährleistet. Dieser Notwendigkeit wird auch durch die Beschränkung des Einsatzes der Klägerin auf Tätigkeiten innerhalb geschlossener Räume Rechnung getragen. Soweit die Stuhlgangsfrequenz im akuten Schub über den Rahmen der betriebsüblichen persönlichen Verteilzeit hinaus geht, führt dies ggf. zu Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, jedoch nicht zur Gewährung von Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Der Gang der Klägerin ist hinkfrei und flüssig. Die Beinlängendifferenz bei Zustand nach kindlicher kniegelenksnaher Osteomyelitis rechts von einem 1 cm wird durch eine Einlage bzw. Absatzerhöhung ausgeglichen und wirkt sich nicht funktionsbeeinträchtigend aus.

Nach alledem ist die Klägerin nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI. Die weitergehenden Voraussetzungen für das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind damit erst recht nicht erfüllt. Erwerbsunfähig ist eine Person, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße bzw. monatlich 630 DM übersteigt.

Bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit kommt auch für die Zeit ab 01. Januar 2001 eine Rentengewährung nicht in Betracht. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI neuer Fassung ist nicht erwerbsgemindert, wer mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen.
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