L 17 U 145/96

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 U 138/93
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 145/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 22. Mai 1996 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist der Anspruch auf Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit - BK - nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKVO - sowie der Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKVO.

Der 1954 geborene Kläger erlernte von 1969 bis 1972 bei der Firma I AG den Beruf eines Einzelhändlers und war als solcher dort bis 1974 tätig. Sodann arbeitete er bis 1978 als Lebensmittelverkäufer bei der Firma K C und war im Anschluß daran bis 1982 als Lebensmittelhändler selbständig tätig. Von 1984 bis 1987 arbeitete er in einer Seniorenresidenz als Kioskleiter und war anschließend bei der Firma H Warenhaus bis 1989 als Erstverkäufer beschäftigt. Schließlich war der Kläger von März 1989 bis März 1993 als Filialleiter (Verkaufsstellenverwalter) bei der Firma M tätig und gab diese Tätigkeit wegen Wirbelsäulenbeschwerden auf. Danach wurde er zum Steuerfachgehilfen umgeschult.

Im Februar 1993 beantragte der Kläger die Anerkennung und Entschädigung seiner Wirbelsäulenerkrankung als BK. Die Beklagte leitete ein Feststellungsverfahren ein, zog Vorerkrankungsverzeichnisse, Arbeitgeberauskünfte und Behandlungs- und Befundberichte bei. Aus ihnen ergibt sich, daß der Kläger seit ca. 1983 an Lumboischialgien litt. 1991 wurde ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert, der 1992 operativ behandelt wurde. 1994 wurde eine Versteifungsoperation im Bereich L4/L5 durchgeführt. In Auswertung der Arbeitgeberauskünfte und der beigezogenen Krankenunterlagen des Klägers kam der Staatliche Gewerbearzt Dr. Q, Institut für Arbeitsmedizin in E, in einer Stellungnahme vom 06.10.1993 zu dem Ergebnis, daß die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO nicht gegeben seien.

Mit Bescheid vom 03.11.1993 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Entschädigungsleistungen wegen der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sowie von Maßnahmen nach § 3 BKVO ab. Sie begründete dies im wesentlichen damit, daß die von einem Lebensmittelkaufmann nur zeitweise durchzuführenden Hebe- und Tragearbeiten nicht ausreichend seien, um die des fortgesetzten Hebens, Tragens und Absetzens schwerer Lasten bzw. Arbeiten in extremer Rumpf- und Verdrehungshaltungen des Körpers auszuführen, wie dies der Tatbestand der BK 2108 erfordere. Die berufliche Tätigkeit sei daher nicht geeignet gewesen, eine BK zu verursachen. Aus diesem Grunde scheide auch ein Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKVO aus. - Den gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Widerspruch wies die Beklagte am 30.11.1993 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 20.12.1993 vor dem Sozialgericht - SG - Aachen Klage erhoben. Er hat vorgetragen, die bandscheibenbedingten Veränderungen an der Wirbelsäule, die zur Aufgabe der Tätigkeit eines Einzelhandelskaufmanns geführt hätten, seien allein ursächlich auf die langjährige Ausübung der beruflichen Tätigkeit, die mit erheblichen Trage- und Bückbelastungen verbunden gewesen sei, zurückzuführen. Art und Umfang dieser Belastung seien von der Beklagten nicht hinreichend ermittelt worden. Er habe insbesondere als Filialleiter - aber auch vorher - körperlich schwer heben und tragen müssen und auch - beim Einräumen der Ware - in gebückter Körperhaltung gearbeitet. Dadurch sei seine Wirbelsäule ruiniert worden. Mithin seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung der streitigen BK erfüllt. Auch sei insoweit die haftungsausfüllende Kausalität gegeben.

Das SG hat Behandlungs- und Befundberichte beigezogen und weiteren Beweis erhoben über die vom Kläger zu verrichtenden Tätigkeiten durch eine Befragung des Klägers selbst sowie durch eine Vernehmung des Zeugen G O. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 04.04.1995 (Bl. 75 bis 80 der Gerichtsakte) verwiesen. Das SG hat weiter medizinische Sachverständigengutachten eingeholt. Dr. S, Orthopäde in B, hat im Gutachten vom 08.09.1995 zusammenfassend ausgeführt, beim Kläger bestehe ein Cervikalsyndrom mit endgradiger Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule ohne neurologische Ausfälle an beiden oberen Extremitäten, ein Lumbalsyndrom mit Bandscheibenschaden L2/3 und L4/5 bei geringer Seitausbiegung der Lendenwirbelsäule, ein Zustand nach Nukleotomie L4/5 wegen Bandscheibenvorfalls mit nachfolgender Versteifungsoperation sowie eine Adipositas bei Zustand nach Fettschürzenoperation 1978 und Gynäkomastie. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO seien unter Berücksichtigung der im Verwaltungs- und Klageverfahren durchgeführten Ermittlungen und unter Beachtung des Merkblattes zu dieser BK aus medizinischer Sicht nicht gegeben. Dabei sei durchaus davon auszugehen, daß der Kläger gelegentlich schwer gearbeitet habe, jedoch nicht - wie die BK es erfordere - in erheblichem Umfang ständig. Eine Kumulation der gehobenen Gewichte sei insoweit nicht zu begründen; erst bei Hebe- und Trageleistungen jenseits von 4200 kg pro Tag werde von einer gesundheitsgefährdenden Größe mit einem Einfluß auf den Körper ausgegangen. Beim Kläger lägen aber schicksalhafte Belastungen der Wirbelsäule vor, die im Kollektiv der Gesamtbevölkerung keine Relation zu Belastungen am Arbeitsplatz zuließen. Es seien dies ein erhebliches Übergewicht, das in der Vergangenheit zur Durchführung einer Fettschürzenoperation geführt habe, eine muskuläre Insuffizienz, ein Bandscheibenvorfall in typischer Etage LWK 4/5, der im typischen Alter aufgetreten sei sowie ein beiderseitiger beginnender Hüftgelenksverschleiß. Unter Berücksichtigung aller Umstände müßten daher auch die medizinischen Voraussetzungen zur Annahme einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule i.S.d. BK 2108 der Anlage 1 zur BKVO verneint werden.

Gemäß § 109 SGG ist auf Antrag des Klägers ein weiteres Gutachten von dem Orthopäden Dr. D in B eingeholt worden. Dieser ist darin am 02.04.1996 zu dergleichen Beurteilung gelangt wie Dr. S.

Mit Urteil vom 22.05.1996, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen das ihm am 10.06.1996 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.07.1996 Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt. Er meint, das SG habe zu Unrecht entscheidend auf die Tätigkeit als Filialleiter bei der Firma M von 1989 bis 1993 abgestellt. Die dazu von ihm bzw. dem Zeugen O gemachten Angaben zu Art und Umfang der körperlichen Belastungen seien zudem lediglich Schätzungen gewesen. Insoweit hätten weitere konkrete Ermittlungen durch das SG durchgeführt werden müssen. Schließlich sei auch nicht hinreichend berücksichtigt worden, daß er in ähnlich belastendem Umfang auch früher bei den anderen Beschäftigungsverhältnissen tätig gewesen sei. Wären die Annahmen des SG zutreffend, könne ein Einzelhandelskaufmann grundsätzlich nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme einer BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO erfüllen. Dies könne nicht richtig sein.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 22.05.1996 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.11.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.1993 zu verurteilen, Verletztenrente wegen einer BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO und Leistungen nach Maßgabe von § 3 BKVO zu gewähren.

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und war Gegentand der Beratung.

II.

Die Berufsrichter sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, daß eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich und die Berufung unbegründet ist. Sie haben sie daher - nachdem die Beteiligten unter dem 19.07.1996 auf diese Verfahrensweise hingewiesen worden sind - gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht i.S.v. § 54 Abs. 2 SGG. Dieser hat weder Anspruch auf Verletztenrente wegen der hier streitigen BK, noch auf die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKVO.

Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung - RVO - gilt als Arbeitsunfall, der nach §§ 547, 580, 581 RVO u.a. durch die Zahlung von Verletztenrente zu entschädigen ist, auch eine BK. Berufskrankheiten sind nach §§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Mit der am 01.01.1993 in Kraft getretenen 2. Verordnung zur Änderung der BKVO vom 28.12.1992 - 2. ÄndVO - (BGBl. I 1992, S. 2343) ist die BK-Liste um die Nrn. 2108 bis 2110 erweitert worden. Damit ist der Weg eröffnet worden, bandscheibenbedingte Erkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit anzuerkennen. Die vom Kläger geltend gemachte BK Nr. 2108 erfaßt bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpf-Beugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederauftreten der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die Feststellung der vorgenannten BK hat zur Voraussetzung, daß zum einen die arbeitstechnischen - haftungsbegründenden - Voraussetzungen dieser BK in der Person des Klägers gegeben sind, zum anderen bei ihm das typische Krankheitsbild dieser BK vorliegt und dieses schließlich i.S.d. unfallrechtlichen Kausalitätslehre (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38, 91; § 551 Nr. 1; SozR 3-2200 § 548 Nr. 4, 11, 14; Bereiter-Hahn/ Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung - Handkommentar - § 548 RVO Rdn. 3 und Rdn. 3.4) wesentlich ursächlich auf die belastende berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist.

Zwar besteht beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, jedoch ist schon höchst zweifelhaft, ob in seiner Person die haftungsbegründenden Voraussetzungen für die Entstehung einer BK nach Nr. 2108 gegeben sind, jedenfalls - und das ist entscheidend - sind die auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet von Dr. S und Dr. D beschriebenen Gesundheitsstörungen nicht wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit des Klägers als Einzelhandelskaufmann in der Zeit von 1979 bis 1993 zurückzuführen.

Wie bereits im angefochtenen Urteil dargestellt, bereitet die Feststellung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO sowohl bezüglich der haftungsbegründenden wie der haftungsausfüllenden Kausalität erhebliche Schwierigkeiten, weil der Verordnungsgeber bewußt unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet hat, um die Berücksichtigung neuerer medizinischer Erkenntnisse im Rahmen ihrer Konkretisierung zu ermöglichen (vgl. BSG, Beschluss vom 31.05.1996 - 2 BU 273/95 - S. 4 ff.). Zum einen ist weitgehend ungeklärt, was z.B. unter "langjährigem Heben und Tragen schwerer Lasten" zu verstehen ist, zum anderen gesicherte Erkenntnisse darüber, ab wann denn nun derartige Belastungen Gesundheitsschädigungen in bezug auf die Lendenwirbelsäule verursachen können, weitgehend fehlen und das Krankheitsbild sich auch ohne besondere körperliche Belastungen schicksalhaft entwickeln kann. Das insoweit zu dieser BK vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebene Merkblatt für die ärztliche Untersuchung (abgedruckt in Mehrtens/ Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, Kommentar, M 2108 S. 1 ff.) nennt zwar beispielhaft Lastgewichte, deren regelmäßiges Heben oder Tragen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen der Lendenwirbelsäule verbunden sind - für Männer im Alter zwischen 18 und 39 Jahren 25 kg und mehr, jedoch gelten diese Angaben nur für eng am Körper getragene Gewichte. Die Lastgewichte müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten gehoben oder getragen worden sein, ohne daß insoweit Zahl und Dauer der Hebevorgänge genannt werden. Langjährigkeit bedeutet nach Abschnitt IV des Merkblattes, daß 10 Jahre als untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind, bei sehr intensiver Belastung aber auch ein kürzerer Zeitraum ausreichend sein kann (vgl. dazu auch die Kommentierung bei Mehrtens/Perlebach, a.a.O. M 2108 Anm. 3 m.w.N.). Dieses Merkblatt stellt zwar keine verbindliche, im Range der Verordnung stehende Erläuterung dar, sondern gibt lediglich Hinweise für die Beurteilung von möglichen Zusammenhängen aus arbeitsmedizinischer Sicht und wendet sich in erster Linie an die Ärzteschaft, ist aber gleichwohl ein wertvolles Hilfsmittel für das Erkennen von Berufskrankheiten (vgl. dazu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - LSG NW -, Urteil vom 15.10.1996 - L 5 U 34/96 -).

Hiervon ausgehend und unter Berücksichtigung der Angaben der früheren Arbeitgeber des Klägers zu den Hebe- und Tragebelastungen bei der Tätigkeit als Lebensmitteleinzelhandelskaufmann (Firma C: 100 g bis 50 kg bei Kartoffeln; Seniorenresidenz B: ca. 15 kg; H Warenhaus: maximal 15 kg; Firma M-Discountmärkte: zwischen 1 und 25 kg), der eigenen Einlassungen des Klägers im Termin vom 04.04.1995 und der Vernehmung des Zeugen O ist das SG zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger schon nicht die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen für die Entstehung der streitigen BK erfüllt.

Soweit der Zeuge O zur Tätigkeit des Klägers als Verkaufsstellenverwalter von 1989 bis 1993 vor dem SG bekundet hat, der "gesamte Warenumschwung im Laden nehme 60 % des Arbeitstages in Anspruch" kann daraus auch nach Ansicht des Senats nicht gefolgert werden, daß der Kläger zu mehr als der Hälfte der täglichen Arbeitszeit mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten i.S.d. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO befaßt war. Der Zeuge hat nämlich darauf hingewiesen, daß zum einen die dabei anfallenden Gewichte nur bei 18 bis 20 kg lagen und im übrigen neben dem Filialleiter auch 1 bis 2 weitere Beschäftigte mit diesen Aufgaben befaßt waren.

Die vom SG gehörten medizinischen Sachverständigen haben - ausgehend von den eigenen Angaben des Klägers zu Art und Umfang der Hebe- und Tragebelastungen und den Bekundungen des Zeugen O - dargelegt, daß diese Tätigkeiten nicht als hinreichend belastend i.S.d. streitigen BK gewertet werden könnten. Wenn auch - wie ausgeführt - eine gesicherte herrschende medizinische Meinung zum Anteil der Hebe- und Tragebelastungen in einer Arbeitsschicht sowie über Zahl und Dauer der Hebevorgänge für die Annahme einer gesundheitsschädigenden Art nicht existiert - die im Schriftsatz der Beklagten vom 15.05.1995 angeführten Fundstellen im Schrifttum und die zusätzlich vom SG erwähnten deuten auf eine gewisse Tendenz hin -, erscheinen die dazu von Dr. S gemachten Ausführungen einleuchtend. Sie bestätigen im übrigen die arbeitsmedizinische Bewertung durch den Staatlichen Gewerbearzt. Durch die medizinische Beweisaufnahme im Gerichtsverfahren ist auch der Forderung entsprochen worden, durch einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen zu klären, ob die vom Versicherten ausgeübte Tätigkeit aus ärztlicher Sicht als Lendenwirbelbandscheiben belastend angesehen werden kann (vgl. LSG NW a.a.O.).

Auch aus der Sicht des Verordnungsgebers gehört der Einzelhandelskaufmann offenbar nicht zu der typischen Berufsgruppe, bei der Heben und Tragen von Lasten in erheblichem Umfang bzw. Arbeiten in extremer Rumpfhaltung anfallen und für die entsprechende gesicherte epidemiologische Studien über einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankungen der Lendenwirbelsäule vorliegen. Die Begründung zu der 2. ÄndVO vom 18.12.1992 (BR-Drucks. 773/92 zu Art. 1 Nr. 4 a, teilweise abgedruckt in Mehrtens/ Perlebach a.a.O. M 2108 Anm. 1) nennt diese Berufsgruppe nicht, wohl aber Lastenträger im Transportgewerbe, Bauberufe (Maurer, Steinsetzer, Stahlbetonschlosser), Krankenpflegepersonal sowie Untertagearbeiter in obligaten Zwangshaltungen. Deshalb bestand nach alledem auch kein Anlaß zu weiteren Ermittlungen, etwa zur Einholung spezieller arbeitsmedizinischer Sachverständigengutachten über die allgemeinen körperlichen Belastungen der im Lebensmitteleinzelhandel Beschäftigten.

Unabhängig davon ist - wie das SG im Anschluß an die überzeugenden Darlegungen von Dr. S zutreffend ausgeführt hat - die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und seinem Bandscheibenleiden zu verneinen. Der Sachverständige ist insoweit zu Recht davon ausgegangen, daß es sich beim Kläger um ein schicksalhaft entstandenes und fortschreitendes Leiden handelt, das auch durch das erhebliche Übergewicht - schon 1978 war bei einem Gewicht von 130 kg (!) eine Fettschürzenoperation erforderlich - und die übrigen Skelettveränderungen (Coxarthrose) begünstigt worden ist. Daß ein ausgeprägtes, langjährig bestehendes Übergewicht zu einer ständigen Überbelastung der Lendenwirbelsäule führt und eine Beschleunigung normaler Alterungs- und Degenerationsvorgänge der Bandscheibenschäden zu erwarten ist, ist medizinisch gesichert (vgl. Mehrtens/ Perlebach a.a.O. M 2108 Anm. 6.4). Auf die gezielte weitere Ermittlung der arbeitstechnischen Gegebenheiten bei den Firmen I, C und H kam es auch deshalb nicht mehr an.

Da die Erkrankung des Klägers schicksalhaft entstanden ist, bestand und besteht nicht die Gefahr des Entstehens einer BK nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKVO, so daß ein Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKVO nicht gegeben ist.

Nach alledem erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt als rechtmäßig, so daß Klage und Berufung erfolglos bleiben mußten.

Grundlage der Kostenentscheidung ist § 193 SGG.

Zur Revisionszulassung bestand kein Anlaß, denn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 SGG sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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