L 15 U 88/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 3 (16) U 228/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 88/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. Januar 2003 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, welcher Gefahrtarifstelle des vom 01.01.1998 bis zum 31.12.2000 geltenden Gefahrtarifs der Beklagten (im Folgenden Gerahrtarif 1998) die Klägerin zuzuordnen ist.

Die Klägerin ist ein als eingetragener Verein organisierter Zusammenschluß von Krankenhausträgern und ihrer Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen. Nach § 2 Abs. 1 ihrer Satzung (Fassung vom 09.06.1997) gehören zu ihren Aufgaben insbesondere, - auf eine der Menschenwürde verpflichtete, humane, bedarfsgerechte, leistungsfähige, wirtschaftliche und finanziell abgesicherte Versorgung durch eigenverantwortlich tätige Krankenhäuser mit pluraler Trägerstruktur hinzuwirken, - die Mitglieder bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, die gemeinsamen Interessen der angeschlossenen Krankenhäuser zu vertreten sowie den Austausch von Erfahrungen und Informationen auf dem Gebiet des Krankenhauswesens zu fördern, - Stellungnahmen zu Krankenhausfragen zu erarbeiten und gegenüber Parlamenten, Regierungen, Behörden und anderen Institutionen abzugeben und diese bei der Vorbereitung und Durchführung von Rechtsvorschriften zu beraten, - Mitwirkungsrechte und Pflichten wahrzunehmen und die Mitglieder über Entwicklungen und Entscheidungen im Krankenhauswesen zu informieren und sie im Grundsatzfragen zu beraten. Nach § 2 Abs. 2 ihrer Satzung nimmt sie des weiteren die ihr im Rahmen der Selbstverwaltung des Krankenhauswesens durch Gesetz und Verordnung übertragenen Aufgaben wahr und ist insbesondere berechtigt, Empfehlungen und Verträge abzuschließen, die unmittelbar Rechte und Pflichten für die Einzelmitglieder begründen. Nach Abs. 3 verfolgt die Klägerin ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der Abgabenordnung.

Auf der Grundlage des Gefahrtarifs 1998 veranlagte die Beklagte die Klägerin für die Zeit ab 01.01.1998 mit Bescheid vom 31.03.1998 zur Gefahrtarifstelle 20 mit der Unternehmensart "Zusammenschluß zur Verfolgung gemeinsamer Interessen" und der Gefahrtarifklasse 1,14. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin keinen Widerspruch ein.

Sie wandte sich aber mit Schreiben vom 11.02.1999 an die Beklagte und beantragte nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) unter Hinweis auf den Bescheid vom 31.03.1998 eine Einstufung in die Gefahrtarifstelle 16 (Unternehmensart "Kammer, Verband, Organisation der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft") mit der Gefahrklasse 0,70. Zur Begründung wies sie darauf hin, daß ihre Aufgabenstellung wesentlich umfassender sei als die eines Zusammenschlusses zur Verfolgung gemeinsamer Interessen; zudem nehme sie verbindliche Funktionen innerhalb der gesetzlich verankerten Selbstverwaltung wahr (Hinweis auf §§ 112 Abs. 2, 115 Abs. 2, 115 b, 125, 137 SGB V); außerdem sei der Bundesverband der Krankenhausträger, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), in die Gefahrtarifstelle 16 eingestuft.

Die Beklagte erteilte einen Beitragsbescheid vom 22.04.1999 für das Jahr 1998 auf der Grundlage der Gefahrtarifklasse 1,14. Dagegen legte die Klägerin am 03.05.1999 Widerspruch ein mit dem Hinweis, daß ihr Antrag auf Einstufung in die Gefahrtarifstelle 16 noch nicht beschieden sei. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.1999 die Widersprüche gegen den Veranlagungsbescheid vom 31.03.1998 und den Beitragsbescheid 22.04.1999 mit der Begründung zurück, der Widerspruch gegen den Veranlagungsbescheid vom 31.03.1998 werde als nicht fristgerecht zurückgewiesen; unabhängig davon erfolge jedoch eine sachliche und inhaltliche Überprüfung der Veranlagung; danach sei die vorgenommene Veranlagung sachgerecht und zutreffend; der Beitragsbescheid von 1998 sei ein Folgebescheid und insbesondere rechnerisch fehlerfrei.

Die Klägerin hat am 07.10.1999 Klage erhoben und vorgetragen: Wenn auch die Widerspruchsfrist gegen den Veranlagungsbescheid vom 31.03.1998 verstrichen sei, so habe die Beklagte doch in ihrem Widerspruchsbescheid sachlich über die Veranlagung entschieden. Zutreffend sei eine Einstufung in die Gefahrtarifstelle 16, weil sie umfassendere Aufgaben als die Verfolgung gemeinsamer Interessen wahrnehme. Die Vertretung verbandspolitischer Interessen sei nur ein Teilbereich ihrer Tätigkeit. Sie sei mit einer öffentlichen Institution vergleichbar, obwohl sie in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins organisiert sei. Neben der Vertretung verbandspolitischer Interessen habe sie gesetzlich zugewiesene Aufgaben innerhalb der Selbstverwaltung des Krankenhauswesens, die ihr überwiegendes Betätigungsfeld darstellten. Die Beklagte verkenne die Gesamtheit ihrer Aufgabenstellung und greife für die Zuordnung zur Gefahrtarifstelle willkürlich nur einen Teilbereich ihrer Aufgaben heraus.

Die Beklagte verneint einen Anspruch auf eine andere Veranlagung der Klägerin: Die Gefahrtarifstelle 16 umfasse überwiegend öffentlich-rechtliche Institutionen, die auf der Grundlage gesetzlicher Vorgaben gebildet würden und entsprechende Aufgaben wahrnähmen; kennzeichnend für solche Organisationen sei eine Pflichtmitgliedschaft. Die abweichende Veranlagung der DKG als Spitzenorganisation auf Bundesebene sei wegen eines anderen Aufgabenschwerpunktes gerechtfertigt, weil dort nur die Verbände von Krankenhausträgern, nicht aber diese selbst Mitglied seien.

In der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2003 hat sich die Beklagte verpflichtet, im Falle des Erfolges der Klage gegen die Veranlagung zum Gefahrtarif 1998 die Beitragsbescheide für die Jahre 1998 bis einschließlich 2000 auf der Grundlage des Ausgangs des Klageverfahrens abzuändern und die Beiträge neu zu berechnen. Zudem hat sie sich verpflichtet, die Veranlagung und entsprechende Beitragsberechnungen nach dem Gefahrtarif für die Zeit ab 01.01.2001 auf der Grundlage des Ausgangs des vorliegenden Rechtsstreits vorzunehmen. Die Klägerin hat daraufhin ihren Klageantrag auf die Änderung des Veranlagungsbescheides beschränkt.

Mit Urteil vom 23.01.2003 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf den Bescheid vom 31.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.1999 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin nach dem Gefahrtarif 1998 zur Gefahrtarifstelle 16 zu veranlagen: Diese habe Anspruch, von der Beklagten nach der zutreffenden Gefahrtarifstelle des Gefahrtarifs 1998 veranlagt zu werden; das sei die für sie günstigste Gefahrtarifstelle. Es sei nicht überzeugend, daß die überwiegende Zahl der Mitglieder der Klägerin nicht zur gewerblichen Wirtschaft zählten. Es seien keine sachlichen Gesichtspunkte ersichtlich, die es rechtfertigten, der Klägerin die Veranlagung zur Gefahrtarifstelle 16 zu verweigern.

Gegen das ihr am 03.04.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.04.2003 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Erst aus dem Gefahrtarif 1998, der überwiegend nach dem Belastungsprinzip aufgestellt worden sei, ergäben sich die Unterschiede der Belastung beider Unternehmensarten. Historisch gesehen seien unter der Unternehmensart "Kammer, Verband, Organisation der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft" die Kammern der freien Berufe, des Handwerks, der Industrie und des Handels sowie Innungen, Kreishandwerkerschaften und Verbände der freien Berufe und gewerblichen Wirtschaft zusammengefaßt. Alle anderen Verbände, z. B. auch Verbraucherschutzverbände, Bürgerinitiativen, politische Vereinigungen, Schutzgemeinschaften usw., seien der Gefahrtarifstelle 20 zugeordnet, sofern sie nicht ausdrücklich unter die speziellere Unternehmensart der Gefahrtarifstelle 16 fielen. Aus heutiger Sicht paßten die Organisationsformen und die Aufgabenverteilung von Krankenhausgesellschaften noch nicht in die Unternehmensart "Kammer" usw.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 23.01.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf die §§ 10 und 11 Krankenhausentgeltgesetz sowie § 18 Abs. 1 Satz 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG); gerade auch im Hinblick auf diese hoheitlichen Kompetenzen sei sie in die Gefahrtarifstelle 16 einzustufen.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte verurteilt, die Klägerin zur Gefahrtarifstelle 16 zu veranlagen. Vielmehr ist die Veranlagung zur Gefahrtarifstelle 20 durch die Beklagte rechtmäßig.

Da die Beklagte das Schreiben der Klägerin vom 11.02.1999 als Widerspruch gegen den Bescheid vom 31.03.1998 behandelt und ausweislich des Wortlautes des Widerspruchsbescheides vom 17.09.1999 auch inhaltlich beschieden hat, ist, wie das SG richtig erkannt hat, der Klageantrag auf Sachprüfung zulässig. Die Klage ist jedoch nicht begründet, weshalb das erstinstanzliche Urteil abzuändern ist.

Gegenstand des Verfahrens ist entsprechend dem gestellten Antrag allein die zwischen den Beteiligten streitige Veranlagung der Klägerin zu der Gefahrtarifstelle 20 des Gefahrtrifs 1998. Rechtsgrundlage des Veranlagungsbescheides ist § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, wonach der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach den Gefahrtarifklassen veranlagt. Nach § 157 Abs. 1 SGB VII ist der Gefahrtarif vom Unfallversicherungsträger als autonomes Recht festzusetzen; nach Satz 2 sind in ihm zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen. Dieses autonome Satzungsrecht ist durch die Sozialgerichte nur daraufhin überprüfbar, ob es mit dem Gesetz, das die Ermächtigungsgrundlage beinhaltet, also dem SGB VII, und mit höherrangigem Recht vereinbar ist, während die Prüfung, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft, nicht Aufgabe der Gerichte ist (vgl. BSGE 27, 237; BSGE 55, 26; BSG SozR 4-2700 § 157 Nr. 1; Brackmann-Borchardt, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, § 157 Rdnr. 17 ff. mwN)

Da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich und von der Klägerin auch keine entsprechenden Rügen geäußert worden sind, daß die Beklagte mit ihrem Gefahrtarif gegen höherrangiges Recht verstoßen hätte, ist nur zu befinden, ob die Klägerin zutreffend zur Gefahrtarifstelle 20 veranlagt worden ist oder aber einen Anspruch auf Zuordnung in die Gefahrtarifstelle 16 hat. Die Beklagte hat die Klägerin zutreffend eingestuft. Die Gefahrentarifstelle 20 erfaßt Zusammenschlüsse zur Verfolgung gemeinsamer Interessen. Die Klägerin bezeichnet sich selbst in § 2 ihrer Satzung als "Zusammenschluß" und folgt damit dem Wortlaut von § 108a Abs. 1 SGB V. Dieser Zusammenschluß dient auch der Verfolgung gemeinsamer Interessen. Die Klägerin fördert nach § 2 Abs. 1 ihrer Satzung das Krankenhauswesen. Zudem ist sie privatrechtlich organisiert, und es besteht kein Zwang zur Mitgliedschaft. Ihr Gegenstand/Zweck wird somit eindeutig von der Tarifstelle 20 erfaßt (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.05.2002 - L 3 U 286/01 -; SG Hamburg, Urteil vom 25.11.2002 - S 36 U 241/99 -).

Eine speziellere Tarifstelle findet sich für die Klägerin im Gefahrtarif 1998 nicht. Dies gilt auch für die Tarifstelle 16 (Kammer, Verband, Organisation der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft). Entgegen der Auffassung des SG Leipzig (Urteil vom 27.01.2004 - S 9 U 183/00 -) bezieht sich die dort vorgenommene Eingrenzung (freie Berufe, gewerbliche Wirtschaft) eindeutig nicht nur auf den Begriff der "Organisation", sondern auch auf "Kammer, Verband". Bereits nach der Zielsetzung eines Gefahrtarifs, nämlich der Differenzierung von Unternehmen nach ihren Gegenständen, Zielen und Strukturen, kann nicht angenommen werden, daß von der Tarifstelle 16 z.B. jedweder Verband - vorbehaltlich einer spezielleren Regelung - erfaßt werden sollte. Daß die Beklagte nicht nur bei dem hier maßgeblichen Gefahrtarif, sondern auch bei seinen Vorgängern die Eingrenzung nicht nur auf "Organisation" bezogen hat, ist von ihr im Schriftsatz vom 25.06.2003 glaubhaft und unwidersprochen dargelegt worden.

Ohne Zweifel ist die Klägerin keine Einrichtung der freien Berufe. Als ein als eingetragener Verein organisierter Zusammenschluß von Krankenhausträgern und ihrer Spitzenverbände ist sie aber auch keine Organisation der gewerblichen Wirtschaft im Sinne der Tarifstelle 16 (vgl. auch LSG Rheinland-Pfalz aaO; SG Hamburg aaO).

Es widerspricht bereits allgemeinen Vorstellungen und herkömmlicher Auffassung, daß der Großteil der Mitglieder der Klägerin, nämlich die nicht in privater Trägerschaft befindlichen Krankenhäuser, der gewerblichen Wirtschaft zuzuordnen sind; denn diese sind vom Grundsatz her nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Dies wird durch die Rechtslage bestätigt. Zwar verbleiben etwa bei der Vergütung über Pflegesätze Überschüsse bei dem Krankenhaus; Verluste sind von diesem zu tragen (§ 17 Abs. 1 Satz 4 KHG). Der Kostendeckungsgrundsatz bleibt dabei allerdings erhalten (vgl. Dietz/Bofinger, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundespflegesatzverordnung und Folgerecht, § 17 KHG Anm. 16). Die Möglichkeit der Gewinnerzielung tritt damit in den Hintergrund gegenüber der Aufgabe, den Versorgungsauftrag zu erfüllen (vgl. § 17 Abs. 2 KHG).

Soweit die Klägerin ihr Begehren auch mit der Veranlagung der DKG begründet hat, greift das nicht durch. Die Einordnung in eine Tarifstelle steht nicht im Ermessen der Verwaltung. Aus einer rechtsirrtümlichen Zuordnung eines anderen Unternehmens könnte die Klägerin keine Rechte herleiten. Wäre die Veranlagung der DKG zur Tarifstelle 16 rechtmäßig, was die Beklagte inzwischen nicht mehr annimmt (vgl. LSG Rheinland-Pfalz aaO), könnte dies nur auf Unterschiede zwischen beiden Unternehmen zurückzuführen sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
Saved