L 8 RA 11/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 8 RA 124/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 RA 11/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 103/00 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.12.1999 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung nachgezahlter freiwilliger Beiträge zusteht.

Der am 00.00.1937 geborene Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. In seiner Heimat stand er vom 01.10.1955 bis zum 30.11.1957 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Seit 1961 hat er seinen ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik. In der Zeit von 15.10.1961 bis 15.08.1963 absolvierte er ein mathematisch-naturwissenschaftliches Studium, vom 15.10.1964 bis zum 15.03.1967 ein Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Beide Studien brach der Kläger ohne Abschluss ab. Versicherungspflichtige Beschäftigungen übt(e) er in der Zeit vom 01.09.1966 bis zum 31.03.1967 sowie seit dem 01.10.1967 aus.

Am 22.12.1980 hatte er einen Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeiträume 01.12.1957 bis 31.12.1965, 01.01. 1966 bis 31.08.1966 sowie 01.04.1967 bis 30.09.1967 gestellt, nachdem er bereits 1973 und 1975 Nachentrichtungsverfahren in Gang gesetzt, aber nicht zu Ende geführt hatte. Mit Bescheid vom 21.01. 1981 hatte die Beklagte den Kläger antragsgemäß nach Art. 2 § 49 a Abs. 2 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zugelassen, die der Kläger in der Folgezeit ordnungsgemäß leistete (Beitragswert: 111,00 DM je Monat; Gesamtbetrag: 12.321,00 DM).

Er stellte am 08.04.1997 einen Antrag auf Kontenklärung und machte in diesem Zusammenhang unter Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung der Universität L vom 18.07.1997 erstmals der Beklagten gegenüber Angaben zu seinen Schul- und Hochschulzeiten.

Mit Bescheid vom 27.08.1997 erkannte die Beklagte die folgenden Zeiträume als Ausbildungs-Anrechnungszeiten an:

09.12.1954 bis 28.07.1955: 8 Monate Schulausbildung;

01.10.1961 bis 31.03.1963: 18 Monate Hochschulausbildung (nicht abgeschlossen);

01.10.1964 bis 31.07.1965: 10 Monate Hochschulausbildung (nicht abgeschlossen).

Zur Erläuterung wies die Beklagte darauf hin, dass Zeiten einer schulischen Ausbildung als Anrechnungszeit nicht in vollem Umfang anerkannt werden könnten, weil sie grundsätzlich nur bis zur Höchstdauer von insgesamt drei Jahren berücksichtigt würden. Ein erfolgreicher Abschluss der o. g. Zeiten sei - entgegen der früheren Rechtslage - nicht mehr erforderlich.

Auf den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 29.09.1997 erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 16.10.1997, dass folgende Anrechnungszeiten mit Zeiten, für die er freiwillige Beiträge nachentrichtet habe, zusammenträfen: 01.10.1961 bis 31.03.1963 und 01.10.1964 bis 31.07.1965. Gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sei für diese sog. beitragsgeminderten Zeiten die Summe der Entgeltpunkte um einen Zuschlag so zu erhöhen, dass mindestens der Wert erreicht werde, den diese Zeiten als beitragsfreie Zeiten nach der Vergleichsbewertung hätten. In seinem Fall ergäben sich jedoch keine zusätzlichen Entgeltpunkte für die beitragsgeminderten Zeiten, da die Entgeltpunkte der freiwilligen Beiträge höher seien als diejenigen der Anrechnungszeiten. Damit erhielten diese Zeiten Entgeltpunkte nur aus den freiwilligen Beiträgen. Entgeltpunkte für Anrechnungszeiten würden für diese Zeiträume bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt. Eine Erstattung der nachentrichteten freiwilligen Beiträge, die sich mit Anrechnungszeiten überschnitten, sei nicht möglich, da die aufgrund des Art. 2 § 49 a AnVNG durchgeführte Nachentrichtung - im Gegensatz zu § 207 SGB VI - keine Erstattung vorsehe.

Der Kläger teilte daraufhin mit, dass er seinen Widerspruch aufrecht erhalte, und beantragte zugleich, die gezahlten freiwilligen Beiträge für die Zeiträume zu erstatten, die als Anrechnungszeiten berücksichtigt werden könnten. Bei Nachentrichtung der Beiträge sei er davon ausgegangen, dass die Hochschulausbildung, da ihm ein entsprechender Abschluss fehle, nicht berücksichtigt werden könne. Da dies nunmehr doch der Fall sei, könne er nicht einsehen, warum er für dieselben Zeiträume freiwillige Beiträge leisten solle.

Die Beklagte, die diesen Widerspruch als Erstantrag auf Erstattung freiwillig gezahlter Beiträge ansah, erließ unter dem 22.12.1997 einen ablehnenden Bescheid und nahm zur Begründung auf ihr Schreiben vom 16.10.1997 Bezug. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.1998 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 08.05.1998 Klage zum Sozialgericht Köln erhoben. Zur Begründung hat er sich auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Die Beklagte habe pflichtwidrig gehandelt, als sie es unterlassen habe, ihn vor der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge darüber aufzuklären, dass er die Beiträge nicht zurückerstattet erhalten werde, falls nachträglich doch noch eine entsprechende Anrechnung von Lebensabschnitten erfolgen könne. Bei Erhalt eines entsprechenden Hinweises hätte er auf die Nachentrichtung der freiwilligen Beiträge für den fraglichen Zeitraum verzichtet, und zwar auch für den Fall, dass er anlässlich seines Nachentrichtungsantrages zumindest den Hinweis erhalten hätte, eine Aussage über eine eventuelle Rückerstattung bei späterer Anrechnung der entsprechenden Zeiten könne zur Zeit noch nicht getroffen werden. Zumindest müsse eine Erstattung gemäß Art. 14 i. V. m. Art. 3 Grundgesetz (GG) vorgenommen werden. Im Vergleich zu anderen Studierenden in derselben Situation werde er ungleich behandelt. Seine freiwillig geleisteten Beitragszahlungen würden durch die Gesetzesänderung buchstäblich vernichtet.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.1998 zu verurteilen, ihm die für die Zeit vom 01.10.1961 bis 31.03.1963 sowie für die Zeit vom 01.10.1964 bis zum 31.07.1965 nachentrichteten freiwilligen Beiträge zurückzuerstatten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig erachtet und ergänzend ausgeführt, eine Beratung in der Art, wie sie der Kläger erwarte, sei zum Zeitpunkt der Nachentrichtung der Beiträge nicht angezeigt gewesen. Es sei damals nicht vorhersehbar gewesen, wie sich die Rechtslage entwickeln werde und ob die Zeiten einer nicht abgeschlossenen Hochschulausbildung in Zukunft anrechenbar sein könnten. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Beklagte ergänzend mitgeteilt, unter Berücksichtigung der freiwillig gezahlten Beiträge ergebe sich bei einem Rentenbeginn zum 01.01.2001 eine monatliche Bruttorente in Höhe von 2.873,67 DM, ohne die freiwilligen Beiträge eine solche von 2.855,31 DM.

Mit Urteil vom 17.12.1999 hat das Sozialgericht Köln der Klage stattgeben und die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, dem Kläger die für die fraglichen Zeiträume nachentrichteten freiwilligen Beiträge zu erstatten. Ein Erstattungsanspruch sei in Form des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches gegeben. Das Unterlassen eines Hinweises während des Nachzahlungsverfahrens im Jahre 1980/1981, mit dem der Kläger darüber informiert worden wäre, dass gegenwärtig keine Aussage darüber getroffen werden könne, ob er die Nachentrichtungsbeiträge bei einer eventuellen, aufgrund von Gesetzesänderungen erfolgenden späteren rentenrechtlichen Berücksichtigung der entsprechenden Ausbildungszeiten erstattet erhalten werde, stelle einen Beratungsmangel der Beklagten dar. Auch wenn 1980/81 noch nicht vorhersehbar gewesen sei, wie sich die Rechtslage entwickeln werde und ob die Zeiten der nicht abgeschlossenen Hochschulausbildung jemals anrechenbar sein könnten, so schließe das einen Erstattungsspruch nicht aus; denn die Beklagte hätte gerade einen Hinweis auf die mangelnde Vorhersehbarkeit der weiteren Entwicklung der Rechtslage erteilen müssen. Der Beratungsfehler sei auch zumindest wesentliche Ursache für die Entstehung der ausgleichsbedürftigen Situation. Aufgrund des glaubhaften Vortrages des Klägers sei davon auszugehen, dass dieser, hätte er Ende 1980/ Anfang 1981 Kenntnis von diesen Entwicklungsmöglichkeiten der Rechtslage gehabt, auf eine Nachentrichtung der freiwilligen Beiträge für die Zeiten verzichtet hätte, in denen er eine Hochschulausbildung absolviert hatte.

Gegen das ihr am 14.01.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.02.2000 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch sei nicht gegeben. Der Kläger habe im Zusammenhang mit der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge keine vorherige Klärung seines Versicherungskontos vorgenommen; die Zeiten der Hochschulausbildung seien überhaupt nicht bekannt gewesen. Auch hätte eine Anerkennung dieser Zeiten als Ausfallzeiten gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) zur damaligen Zeit mangels Abschlusses abgelehnt werden müssen. Das Unterlassen der Nachentrichtung auch nur für den Monat August 1966 hätte aber bereits zu der rechtlichen Konsequenz geführt, dass für sämtliche Zeiten davor, also vom 01.12. 1957 bis zum 30.09.1964 bzw. bis zum 31.07.1966, wegen des Belegungsgebotes des Art. 2 § 49 a Abs. 2 S. 1 AnVNG die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge unzulässig gewesen wäre. Das sog. Belegungsgebot regele, dass ein Beitrag für einen Monat erst dann entrichtet werden dürfe, wenn alle späteren Monate bereits mit Beiträgen belegt seien. Die Lücken im Versicherungsverlauf hätten also zeitlich von hinten angefangen geschlossen werden müssen. Als auszusparende Zeit habe im Nachentrichtungszeitraum lediglich die Zeit vom 01.09.1966 bis 31.01.1967 wegen vorhandener Pflichtbeiträge existiert. Die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge sei danach seinerzeit im vollen Bewusstsein der gesetzlichen Möglichkeiten geschehen. Bereits daraus ergebe sich, dass kein Anlass bestanden habe, von Amts wegen auf irgendwelche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen. Damit entfalle eine Verletzung der Beratungspflicht. Im übrigen werde bestritten, dass der Kläger bei entsprechender Beratung der vom Sozialgericht geforderten Art von einer Nachentrichtung freiwilliger Beiträge abgesehen hätte.

Das erstinstanzliche Urteil beruhe im übrigen auf einer rückschauenden Betrachtungsweise. Es sei jedoch nicht zulässig, einen Beratungsmangel zu konstruieren, wenn auf der Grundlage einer rückschauenden Betrachtungsweise heute eine andere Fallgestaltung zweckmäßiger erscheine. Darüber hinaus sei der Rechtsprechung des BSG zu folgen, wonach eine Beitragsentrichtung, die ursprünglich durchaus sinnvoll und zweckmäßig gewesen, dies aber bei veränderten Berechnungsgrundlagen bzw. neuen Rechtsvorschriften nicht mehr sei, nachträglich nicht mehr berichtigt werden könne, obwohl dies für den Betroffenen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein könne. Ferner gebe es auch keine Garantie für den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung. Zu Recht nachentrichtete freiwillige Beiträge seien der Verfügungsmacht sowohl des Versicherungsträgers als auch des Versicherten entzogen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.12.1999 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass derjenige Versicherte, der Beiträge freiwillig nachentrichten wolle, eine freiwillige Entscheidung, ob er dies tun solle, nur dann treffen könne, wenn er umfassend über alle denkbaren gegenwärtigen und zukünftigen Konstellationen auf- geklärt werde. Gerade eine solche Aufklärung habe die Beklagte unterlassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senats gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 22.12.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.1998 ist rechtswidrig. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der nachentrichteten freiwilligen Beiträge für die geltend gemachten Zeiträume zu.

Der von dem Sozialgericht dargelegten Begründung, dass die Voraussetzungen für einen sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch vorliegen, folgt der Senat indessen nicht.

Es fehlt bereits an einem Beratungsfehler. Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. z. B. BSG, SozR 1200 § 14 Nr. 16) eine umfassende Beratung der Versicherten die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems. Im Vordergrund steht dabei nicht mehr nur die Beantwortung von Fragen oder Bitten um Beratung, sondern die verständnisvolle Förderung des Versicherten, d. h. die aufmerksame Prüfung durch den Sachbearbeiter, ob Anlass besteht, den Versicherten auch von Amts wegen auf Gestaltungsmöglichkeiten oder Nachteile hinzuweisen, die sich mit seinem Anliegen verbinden (vgl. BSG, SozR 1200 § 14 Nr. 24). Dabei muss die Nebenpflicht (zur Beratung), obwohl ein konkreter Anlass dazu bestanden hat, nicht oder nur unzureichend erfült worden sein (BSG, SozR 4100 § 100 Nr. 11). Ein solcher konkreter Anlass kann sich bspw. aus einem laufenden Verwaltungsverfahren ergeben (BSG, Urt. vom 26.03.1998, B 11 AL 5/98 B). Der Kläger hat insgesamt drei Mal ein Nachentrichtungsverfahren eingeleitet. Während bei den beiden ersten Verfahren ein Ansatz für eine Beratung seitens der Beklagten gegeben gewesen wäre - der Kläger hatte sich nach Nachentrichtungsmöglichkeiten gem. Art. 2 § 49 a AnVNG erkundigt -, hat der Kläger in dem 1980 eingeleiteten Verfahren, das zur Nachentrichtung der Beiträge führte, unter Verwendung des ihm 1976 übersandten Antragsformulars konkrete Zeiträume, Beitragsklassen und DM-Beträge genannt. Damit ist bereits zweifelhaft, ob die Beklagte überhaupt noch einen Beratungsbedarf annehmen musste. Im übrigen war ihr zur Zeit der Durchführung des Nachentrichtungsverfahrens gar nicht bekannt, dass der Kläger zwei Hochschulstudien begonnen, aber nicht abgeschlossen hatte. Sie hätte von ihm - im Sinne einer Ausforschung - auch nicht eventuelle Schul- und Hochschulzeiten erfragen und/oder den Kläger zu einem Kontenklärungsverfahren drängen müssen; denn auch für den Fall, dass der Beklagten die persönlichen Verhältnisse des Klägers bekannt gewesen wären, hätte dies nach damaliger Rechtslage eine Beitragsnachentrichtung nicht wirtschaftlich unsinnig gemacht. Sie hätte ihn, der damaligen Rechtslage entsprechend, vielmehr zutreffend und wirtschaftlich sinnvoll nur dahingehend beraten können, für bisher nicht belegte Zeiträume Beiträge zu entrichten, um entstandene Beitragslücken zu schließen, mithin ihm ein Verhalten nahe legen können und müssen, dass er auch ohne entsprechende Beratung verwirklicht hat. Eine vom Sozialgericht angenommene, noch darüber hinausgehende Verpflichtung, in Unkenntnis der Ausbildungszeiten des Klägers diesen auf mögliche zukünftige Vorhaben des Gesetzgebers, die noch nicht einmal angedacht waren, hinzuweisen, verbunden mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, dass eine Erstattung gezahlter Beiträge gegebenenfalls nicht in Betracht komme, ist derart fernliegend, dass sich die Beratungspflicht der Beklagten darauf keinesfalls erstrecken kann.

Darüber hinaus hält der Senat das Vorliegen der Kausalität für zweifelhaft. Auch insoweit kann es nur auf naheliegende Konstellationen ankommen. Naheliegend ist es jedoch nicht, dass - wie das Sozialgericht angenommen hat - der Kläger die Beiträge nicht nachentrichtet hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, Teile der Nachentrichtungszeiträume könnten später als Zeiten der Hochschulausbildung anerkannt werden und der Gesetzgeber werde keine Erstattungsmöglichkeit vorsehen.

Dem Kläger steht jedoch ein Anspruch auf Erstattung der für die fraglichen Zeiträume nachentrichteten freiwilligen Beiträge aus § 207 Abs. 3 SGB VI analog zu. Eine Analogie kommt (nur) in Betracht, wenn eine von der Rechtsprechung zu schließende Gesetzeslücke besteht.

Eine Gesetzeslücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes (vgl. Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 373 m. w. N.), die immer nur innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes und ausgehend von der Regelungsabsicht des Gesetzgebers (seines "Planes") festgestellt und geschlossen werden kann (vgl. BSG, SozR 3-5868 § 85 ALG Nr. 2). Gerichte sind zur Ausfüllung von Regelungslücken bei drei Konstellationen berufen (vgl. BSGE 78, 149, 151):

a. Das Gesetz schweigt, weil es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht in Detailfragen zu finden.

b. Das Schweigen des Gesetzes beruht auf einem Versehen oder dem Übersehen eines Tatbestandes.

c. Es ergeben sich nach Erlass des Gesetzes Veränderungen in den Lebensverhältnissen, die der Gesetzgeber noch nicht berücksichtigen konnte.

Im übrigen sind der richterlichen Auslegung durch Art. 20 Abs. 2 und 3 Grundgesetz (GG) Grenzen gesetzt. Die Auslegung darf nicht dazu führen, dass das Gericht die Rolle des Gesetzgebers übernimmt, denn sonst würde es sich seiner Bindung an Recht und Gesetz entziehen (vgl. BVerfGE 4, 219, 234; 87, 273, 280).

Nach Auffassung des Senates liegt eine Gesetzeslücke der Variante b. vor, zu deren Ausfüllung die Rechtsprechung berufen ist.

Bzgl. eines Anspruchs auf Erstattung von nach Art. 2 § 49 a AnVNG nachentrichteten freiwilligen Beiträgen besteht eine Unvollständigkeit des Gesetzes. Art. 2 § 49 a AnVNG, der dem Kläger seinerzeit die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge u. a. für den streitigen Zeitraum ermöglicht hat, enthält keine Erstattungsregelung; § 207 Abs. 3 SGB VI, der im früheren Recht keine Vorläufer hat (vgl. Kasseler Kommentar, Loseblattsammlung, Stand Dezember 1999, § 207 SGB VI, RdNr. 1) beschränkt sich seinem Wortlaut nach, wie die Formulierung "diese Beiträge" deutliche macht, erkennbar ausschließlich auf eine Erstattung von Beiträgen, die unter den Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 der Vorschrift nachentrichtet worden sind.

Diese Unvollständigkeit des Gesetzes ist planwidrig. Das Schweigen des Gesetzes beruht auf dem Übersehen eines Tatbestandes. Mit der Einführung des § 207 Abs. 3 SGB VI zum 01.01.1992 durch Art. 1 Rentenreformgesetz (RRG) 1992 hat sich der Gesetzgeber für einen grundsätzlichen Vorrang der Anrechnungszeiten vor einer Beitragszeit aufgrund einer - freiwilligen - Nachzahlung entschieden und dementsprechend einen Anspruch auf Erstattung nachgezahlter freiwilliger Beiträge für den Fall geschaffen, dass zukünftig Zeiten einer schulischen Ausbildung, für die Beiträge nachgezahlt wurden, doch als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen sind. Die Regelung steht in Zusammenhang mit der Begrenzung der Ausbildungs-Anrechnungszeiten zum 01.01.1992 auf 7 (vgl. § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI in der ursprünglichen Fassung) bzw. ab 01.01.1997 durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) auf nur noch 3 Jahre und soll den Versicherten das Recht eröffnen, freiwillige Beiträge nachzuzahlen, um Versorgungslücken in ihrer Versicherungsbiographie zu schließen (vgl. Begründung des Fraktionsentwurfes zum ursprünglichen § 202 RRG, BT- Drucksache XI/4124 S. 192). Zum 01.01.1997 hat der Gesetzgeber jedoch den Anwendungsbereich des § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI zugleich dahingehend erweitert, dass eine Fach- oder Hochschulausbildung, um eine Anrechungszeit darzustellen, nicht mehr abgeschlossen sein muss. Es sind daher ab diesem Zeitpunkt Fälle denkbar, in denen Versicherte - wie der Kläger - im Hinblick darauf, dass Zeiten einer Fach- bzw. Hochschulausbildung bisher mangels Abschlusses nicht als Anrechnungs- bzw. Ausfallzeit anerkannt werden konnten, in der Vergangenheit Beiträge nachentrichtet haben und nunmehr nachträglich eine Anerkennung als Anrechnungszeit in Betracht kommt. Die Frage einer eventuellen Erstattung dieser Beiträge hat der Gesetzgeber dennoch nicht geregelt. Er hat vielmehr § 207 Abs. 3 SGB VI lediglich redaktionell an den Sprachgebrauch des neugefassten § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI angepasst (vgl. Art. 1 Nr. 23 WFG, BGBl I, 1461). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Erstattungsmöglichkeiten dennoch auf Fälle einer Nachentrichtung nach § 207 Abs. 1 SGB VI beschränken wollte, bestehen nach Auffassung des Senates nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Regelungsbedürftigkeit dieser Fälle offensichtlich übersehen.

Innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes und ausgehend von der Regelungsabsicht des Gesetzgebers (seines "Planes") ist die Gesetzeslücke dahingehend zu schließen, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung der freiwillig nachgezahlten Beiträge entsprechend § 207 Abs. 3 SGB VI zusteht. Wegen der Gleichheit der zugrunde liegenden Interessenlage hätte die Regelungsabsicht des Gesetzgebers auch den nichtgeregelten Fall einbeziehen müssen. Das Gebot, das Gesetz auf gesetzlich nicht umfasste Sachverhalte analog anzuwenden, beruht letztlich auf der Forderung normativer Gerechtigkeit, Gleichartiges gleich zu behandeln (vgl. Larenz, Methodenlehre, a. a. O, S. 381). Bei der Prüfung, ob die beiden verglichenen Sachverhalte in einer die Analogie ermöglichenden Weise gleich bzw. ähnlich sind, ist die Grenze dort zu ziehen, wo durch die analoge Anwendung die Wertung des Gesetzgebers in Frage gestellt werden würde (vgl. Larenz, a. a. O., S. 356). Dass der Gesetzgeber die Erstattung von Beiträgen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässt (vgl. BSG, SozR 1200 § 14 Nr. 25 m. w. N.) und grundsätzlich ein Verbot nachträglicher Beitragsänderungen gilt, steht einer analogen Anwendung des § 207 Abs. 3 SGB VI nicht entgegen; denn die Qualität einer Regelung als Ausnahmeregel schließt nicht aus, dass gleiche, nicht geregelte Sachverhalte existieren, die eine analoge Anwendung einer Ausnahmebestimmung erfordern; auch bei einer Ausnahmevorschrift besteht kein Analogieverbot (vgl. BSG SozR 1500 § 149 Nr. 7 m. w. N.).

Vergleichbar ist die Interessenlage der in § 207 Abs. 3 SGB VI geregelten und der nicht geregelten, oben umschriebenen Fällen. Der Gesetzgeber hatte dem Kläger über Art. 2 § 49 a AnVNG ermöglicht, freiwillig Beiträge nachzuentrichten, u. a. - wenn er diese Konstellation auch nicht ausdrücklich aufführt - um diejenigen Lücken in seinem Versicherungsverlauf zu schließen, die durch Zeiten nicht abgeschlossener und damit nicht berücksichtigungsfähiger Fach- bzw. Hochschulausbildung entstanden sind. Nachdem nunmehr durch die zum 01.01.1997 geltende Gesetzesänderung diese Zeiten zumindest teilweise (über einen Zeitraum von 3 Jahren) als Anrechnungszeit zu berücksichtigen sind, befindet sich der Kläger in derselben Situation, die auf einen Versicherten zutrifft, der von der Nachentrichtungsmöglichkeit des § 207 Abs. 1 SGB VI Gebrauch gemacht hat und dessen Rechtsposition, betreffend die Berücksichtigung von Anrechnungszeiten, der Gesetzgeber zu seinen Gunsten nachträglich ändert. Für den Senat ist kein sachlicher Grund im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) denkbar, der es im Falle einer Beitragsnachentrichtung nach Art. 2 § 49 a AnVNG im Verhältnis zu einer solchen nach § 207 Abs. 1 SGB VI rechtfertigen könnte, von dem in § 207 Abs. 3 SGB VI normierten Grundsatz des Vorrangs der Anrechnungszeiten vor nachgezahlten Beiträgen mit der Folge des Bestehens eines Erstattungsanspruches abzuweichen. Im übrigen läge auch eine über Art. 3 Abs. 1 GG beachtliche Ungleichbehandlung von Personen, die für eine Schließung ihrer Versicherungslücken durch Nachentrichtung freiwilliger Beiträge Sorge getragen, gegenüber solchen, die dies unterlassen haben, vor (vgl. zur Geltung von Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfG, SozR 3-2200 § 1255 a Nr. 5 m. w. N.). Die der letztgenannten Fallgruppe angehörenden Versicherten kommen ohne weiteres in den Genuss der zum 01.01.1997 in Kraft getretenen Neuregelung des § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI. Bei ihnen würden die Zeiten nicht abgeschlossener Zeiten der Fach- und Hochschulausbildung, die bislang nicht anerkannt werden konnten, nunmehr rentensteigernd berücksichtigt, während sich bei denjenigen Versicherten, die vorsorglich Beiträge für diese Zeiträume nachentrichtet haben, die gesetzliche Neuregelung finanziell kaum auswirkte, sich die Investition jedenfalls nicht amortisierte. Wie die Vergleichsberechnung der Beklagten im Falle des Klägers zeigt, würde die Berücksichtigung der freiwilligen Beiträge im Verhältnis zu derjenigen der Anrechnungszeiten zu einer lediglich minimal höheren Rente führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zugelassen, vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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