L 1 AL 12/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 30 AL 300/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AL 12/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.01.2005 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten aneinander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob das vor dem Sozialgericht Dortmund geführte Klageverfahren S 30 AL 17/02 durch angenommenes Anerkenntnis beendet wurde.

In diesem Klageverfahren hatte sich der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2002 gewandt, mit dem eine Sperrzeit verhängt worden war. Diesen Bescheid hatte die Beklagte darauf gestützt, dass der Kläger die am 10.10.2001 gemeldete Arbeitslosigkeit durch eine vorherige Eigen-Kündigung selbst herbeigeführt habe. Nach Klageeingang am 16.01.2002 hob die Beklagte die Entscheidung über den Eintritt einer Sperrzeit durch Bescheid vom 06.03.2002 auf. Mit weiterem Bescheid vom selben Datum lehnte sie den Antrag des Klägers auf Arbeitslosenhilfe mit der Begründung ab, er habe den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes wegen fehlender Arbeitsfähigkeit nicht zur Verfügung gestanden; denn nach einem zwischenzeitlich eingeholten arbeitsamtsärztlichen Gutachten sei er bei Antragstellung voraussichtlich bis zu sechs Monaten vermindert oder nicht leistungsfähig gewesen. Diesem Bescheid war eine Rechtsmittelbelehrung über die Zulässigkeit eines Widerspruchs beigefügt. Gegenüber dem Gericht machte die Beklagte hiervon mit Schriftsatz vom 13.03.2002 Meldung und erklärte sich ergänzend bereit, die im Gerichtsverfahren entstandenen Kosten des Klägers zu erstatten.

Auf die gerichtliche Anfrage, ob der Kläger das Anerkenntnis der Beklagten annehme und den Rechtsstreit für erledigt erkläre, teilte dieser mit, er lehne das Anerkenntnis/den Vergleichsvorschlag der Beklagten ab. Auf erneute gerichtliche Bitte um Klarstellung, ob der Rechtsstreit für erledigt erklärt werde, äußerte die anwaltliche Bevollmächtigte des Klägers durch Schriftsatz vom 10.06.2002, der Kläger nehme das Anerkenntnis der Beklagten an; es sei richtig, dass demzufolge keine Erledigungserklärung mehr vonnöten sei. Das Sozialgericht trug den Rechtsstreit daraufhin als erledigt aus.

Der Kläger erhob hiergegen Gegenvorstellungen, die er im Wesentlichen mit dem Vortrag begründet hat, das der Leistungsablehnung zugrundeliegende arbeitsamtsärztliche Gutachten sei wegen Rechtswidrigkeit zu revidieren. Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat durch Urteil vom 21.01.2005 (zugestellt am 09.02.2005) die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt. Zur Begründung hat es sich auf die Anerkenntniserklärung der Bevollmächtigten des Klägers vom 10.06.2002 gestützt.

Hiergegen richtet sich die am 14.02.2005 erhobene Berufung des Klägers, der sinngemäß der Antrag zu entnehmen ist,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.01.2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2002 zu verurteilen, ihm auf seinen Antrag vom 10.10.2001 Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Akten der Beklagten zur Kundennummer 000 sind beigezogen und Gegenstand der Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Richtigkeit der angefochtenen sozialgerichtlichen Entscheidung folgt aus § 101 Abs. 2 SGG. Danach erledigt das angenommene Anerkenntnis den sozialgerichtlichen Rechtsstreit. Ein solches Anerkenntis hat die Beklagte durch Aufhebung des mit der Klage vom 16.01.2002 angefochtenen Bescheides unter dem 06.03.2002 schlüssig ausgesprochen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat es durch Schriftsatz vom 10.06.2002 ausdrücklich angenommen. Auslegungszweifel am Inhalt dieser Erklärung bestehen nicht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der zunächst ablehnenden Einlassung des Klägers und des nachfolgenden gerichtlichen Erläuterungsschreibens. Das Anerkenntnis der Bevollmächtigten wirkt gemäß § 73 Abs. 4 SGG in Verbindung mit §§ 81, 85 Zivilprozessordnung (ZPO) für und gegen den Kläger. Auf die Frage, ob er (vorher oder nachher) im Innenverhältnis zu seiner Bevollmächtigten etwaige anderslautende Weisungen erteilt hat, kommt es nicht an, § 83 ZPO (hierzu Bundesgerichtshof Beschluss vom 23.02.2000 - XII ZR 77/98 -, Juris). Das Anerkenntnis konnte der Kläger als prozessbeendende Erklärung auch nicht widerrufen, weil es ohne Vorbehalt erklärt worden war. Für einen Anfechtungsgrund (bezüglich dessen es gemäß §§ 81, 85 ZPO iVm § 166 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf etwaige Fehlvorstellungen der Bevollmächtigten des Klägers ankäme) ist nichts ersichtlich.

Der Streitgegenstand des Rechtsstreits wurde auch vollständig von der Wirkung des Anerkenntnisses umfasst. Denn der Ablehnungsbescheid wegen fehlender Verfügbarkeit vom 06.03.2002 ist nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des gerichtlichen Klageverfahrens geworden. Streitgegenstand des Klageverfahrens war vielmehr ausschließlich die Verhängung einer Sperrzeit wegen einer nicht berechtigten Eigen-Kündigung. Dieser Streitgegenstand wurde durch das angenommene Anerkenntis über die Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 20.12.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2002 insgesamt erledigt. Die Ablehnung der Arbeitslosenhilfe wegen fehlender Verfügbarkeit beruhte demgegenüber auf einem hiermit nicht zusammenhängenden anderen Lebenssachverhalt, nämlich auf medizinischen Gründen. Sie konnte den Sperrzeitbescheid vom 20.12.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2002 auch deswegen nicht mehr ersetzen oder ändern, weil dieser Bescheid unabhängig davon bereits aufgehoben worden war.

Schließlich greift die Bestimmung des § 96 SGG auch nicht sinngemäß ein. Der Sinn des § 96 SGG liegt in der Prozesswirtschaftlichkeit und der Verfahrensbeschleunigung. Die Vorschrift soll eine schnelle und erschöpfende Entscheidung über das gesamte Streitverhältnis möglich machen (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 96 Randnummer 1). Wie eng oder weit die Vorschrift vor diesem Hintergrund auszulegen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Der für das Arbeitsförderungsrecht zuständige 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) legt ein weites Verständnis zugrunde (Urteil vom 18.02.1987 - 7 RAr 22/85 -, Juris). Der für das Vertragsarztrecht verantwortliche 6. Senat des BSG wendet § 96 SGG nur dann entsprechend an, wenn alle Beteiligten dies wünschen (Urteil vom 07.02.1996 - 6 RKa 42/95 -, Juris ; Urteil vom 20.03.1996 - 6 RKa 51/95 -, Juris). Dieser Auffassung, die auch die Zustimmung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen gefunden hat (Urteil vom 21.06.1996 - L 7 Ar 211/95 -, Juris), schließt sich der erkennende Senat an.

Denn wenn es bei später ergehenden Bescheiden um andere tatsächliche Begebenheiten geht, die für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung sind oder sein können, führt ihre Einbeziehung nicht zu einer Beschleunigung, sondern zu einer zeitlichen Verzögerung des anhängigen Verfahrens. Die Folge wäre ein uU erheblicher zusätzlicher Ermittlungs- und Zeitaufwand So wäre es auch hier, da es bei Anwendung des § 96 SGG der Einholung medizinischer Gutachten über die streitige Arbeitsfähigkeit bedurft hätte. Eine Einbeziehung auch gegen den Willen eines oder beider Beteiligten ist nur dann als Analogie zu § 96 SGG zu rechtfertigen, wenn mit der Entscheidung abschließend über den ursprünglichen Prozessstoff und etwaige Folgebescheide geurteilt werden kann und nicht faktisch ein neuer Prozess über einen weiteren Streitgegenstand geführt werden muss. Für eine in diesem Sinne restriktive Auslegung des § 96 SGG spricht ferner, dass den Beteiligten sonst gegen ihren Willen einzelne Sachentscheidungsebenen (Widerspruchsverfahren, Tatsachen- und Rechtsüberprüfung vor dem SG sowie vor dem LSG) genommen werden. Zudem ist bei einer extensiven Auslegung der Norm die daraus folgende Rechtsunsicherheit zu beachten. Denn im Vorhinein ist unklar, wie groß der später gerichtlich zu fordernde Grad an Übereinstimmung zwischen Ursprungs- und Folgebescheid sein muss, um die Bestimmung anzuwenden. Das aber kann dazu führen, dass für die Rechtsverfolgung geltende Fristen von den Betroffenen versäumt werden. Die Beteiligten können nämlich bei richterlich-analoger Anwendung des § 96 SGG immer erst nach rechtskräftigem Abschluss des gerichtlichen Verfahrens erkennen, ob die Bestimmung tatsächlich zu beachten war (Ein solches Ergebnis hat der erkennende Senat im zu entscheidenden Fall durch klarstellenden Hinweis auf die Auslegung der Klageschrift als fristgerechten Widerspruch verhindert. Daher wird über den Bescheid vom 06.03.2002 nun ein gesondertes Widerspruchsverfahren durchgeführt, das vom Ausgang dieses Klageverfahrens unabhängig ist.).

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG wegen der unterschiedlichen Rechtsprechung des 7. und 6. Senats des BSG zu § 96 SGG zugelassen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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