L 1 AL 9/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 24 AL 75/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AL 9/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 24.01.2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Minderung von Arbeitslosengeld gemäß § 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).

Nach vorheriger Arbeitslosigkeit war der Kläger vom 15.09.2003 bis zum 31.10.2003 als Produktionshelfer in einem S Industrie-Unternehmen beschäftigt. Die Beklagte hob die laufende Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen der Arbeitsaufnahme mit Bescheid vom 19.09.2003 auf. Mit diesem Bescheid wurde der Kläger zugleich auf folgendes hingewiesen:

"Eine erneute Zahlung der Leistung ist nur möglich, wenn Sie sich beim Arbeitsamt erneut persönlich arbeitslos melden. Ich empfehle Ihnen deshalb, nach Wegfall des Grundes, der zur Aufhebung der Bewilligungsentscheidung geführt hat, sofort bei der Abteilung Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung des für Sie zuständigen Arbeitsamtes vorzusprechen, wenn die Voraussetzungen für die Weiterzahlung der Leistung aus Ihrer Sicht wieder vorliegen. Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe können frühestens von dem Tage an gewährt werden, an dem die persönliche Arbeitslosmeldung erfolgt ist."

Mit Schreiben vom 13.10.2003 richtete der Arbeitgeber an den Kläger folgendes Schreiben:

" ... bezugnehmend auf Ihren befristeten Arbeitsvertrag vom 15.09.2003 bis zum 31.10.2003 weisen wir Sie darauf hin, dass Sie nach § 37 SGB III verpflichtet sind, sich unverzüglich nach Beendigungszeitpunktes, persönlich beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden. Wenn Sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, kann Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld gemindert werden ... "

Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete - nach zwischenzeitlicher Verlängerung - am 21.12.2003.

Am 16.12.2003 beantragte der Kläger Arbeitslosengeld. Die Beklagte kündigte ihm mit Schreiben vom 13.01.2004 an, sie werde die beantragte Leistung um 1.050 Euro mindern, weil er sich 77 Tage zu spät arbeitssuchend gemeldet habe. Dementsprechend setzte sie die Leistung durch Bescheid vom 15.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2004 fest.

Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) Köln hat der Klage durch Gerichtsbescheid vom 24.01.2005 stattgegeben und u. a. ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Minderung wegen verspäteter Meldung gemäß § 140 SGB III lägen nicht vor. Es könne dahinstehen, ob der Kläger von seinem Arbeitgeber falsch und von der Beklagten unzureichend belehrt worden sei. Denn das Gesetz selbst regele die Frage nicht, bis zu welchem Zeitpunkt die Meldung der Arbeitssuche bei einem befristeten Arbeitsverhältnis erfolgen müsse. Der in § 37 b Satz 2 SGB III verwendete Begriff "frühestens" sei wegen des unklaren Verhältnisses zum vorangehenden Satz 1 der Vorschrift unklar, so dass dem Gesetz keine eindeutige Regelung entnommen werden könne.

Gegen das am 31.01.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.02.2005 Berufung eingelegt. Sie verweist auf die gesetzliche Intention, die Eingliederung von Arbeitssuchenden zu beschleunigen. Die durch § 37 b Satz 1 SGB III begründete Verpflichtung, sich "unverzüglich" arbeitssuchend zu melden, gelte auch für Arbeitnehmer, die aus einem befristeten Arbeitsverhältnis ausscheiden.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 24.01.2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung und ist der Auffassung, dem Wortlaut des § 37 b Satz 2 SGB III könne nicht entnommen werden, wann die Meldung in dem dreimonatigen Zwischenzeitraum bis zum Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses zu erfolgen habe. Er habe weder den Gesetzestext des § 37 b SGB III noch dessen Interpretation durch die Beklagte kennen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die Akten zur Kundennummer 000 sowie auf die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben. Der Bescheid vom 15.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2004 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Minderung des Arbeitslosengeldes ist zu Unrecht erfolgt.

Für die Minderung des Arbeitslosengeldes nach § 140 SGB III schreibt § 37 b Satz 1 SGB III vor, dass Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet sind, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Beklagten arbeitssuchend zu melden. Im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen (§ 37 b Satz 2 SGB III). Hat sich der Arbeitslose entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet, so mindert sich das Arbeitslosengeld nach den Maßgaben des § 140 SGB III.

"Unverzüglich" heißt entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB "ohne schuldhaftes Zögern". Eine Verletzung der in § 37b SGB III geregelten Pflicht zur frühzeitigen Arbeitssuche setzt mithin ein Verschulden - Vorsatz oder Fahrlässigkeit - des Versicherten voraus. In dieser Weise hat der erkennende Senat die Vorschrift des § 37 b SGB III im Falle des Beendigung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses ausgelegt (Urteil vom 21. 09.2004, L 1 AL 51/04, ArbuR 2005, 158; ebenso LSG Baden-Württemberg Urteil vom 18.11.2004, L 12 AL 2249/04, a. A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.06.2003, L 3 AL 1267/04). Der Senat hat keine Veranlassung von dieser Auslegung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses abzuweichen. Denn auch dann endet das Versicherungspflichtverhältnis im Sinne des § 37 b Satz 1 SGB III mit der dort geregelten Folge, sich "unverzüglich" - jedoch frühestens 3 Monate vor der Beendigung (§ 37 b Satz 2 SGB III) - arbeitslos zu melden. Selbst wenn § 37 b Satz 2 SGB III im Sinne der Beklagte weit auszulegen wäre, so setzt die Regelung jedenfalls ein Verschulden des Versicherten voraus.

Der Kläger hat nicht vorsätzlich gegen die Meldeobliegenheit des § 37 b SGB III verstoßen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass er diese Regelung kannte und dagegen verstoßen wollte.

Dem Kläger kann auch keine Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Er hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet. Eine generelle Kenntnis der neuen gesetzlichen Regelungen konnte von ihm zum maßgebenden Zeitpunkt im Jahr 2003 noch nicht verlangt werden. § 37 b SGB III ist als "vorgelagerte" Obliegenheit durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl. I S. 4607) zum 01.07.2003 vollkommen neu in das Arbeitsförderungsrecht aufgenommen worden, nachdem bis zum 30. 06. 2003 lediglich die Arbeitslosmeldung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Eintritt der Arbeitslosigkeit erforderlich war. Die allgemeinen Aufklärungskampagnen der Beklagten und des Gesetzgebers über die Neuregelungen des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I) waren angesichts der Komplexität und der Vielzahl gesetzlicher Änderungen derart allgemein gehalten, dass Details den betroffenen Bürger kaum erreicht haben. Dementsprechend kann regelmäßig nicht auf die in § 37 b SGB III normierte Kenntnis der Pflicht zur unverzüglichen Meldung geschlossen werden ( vgl. LSG NRW Urteil vom 21. 09.2004, L 1 AL 51/04 a.a.O).

Kenntnis von Meldeobliegenheit hat der Kläger auch nicht durch die Beratung der Beklagten, zur der im zeitlichen Zusammenhang mit der Wiederaufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit Veranlassung bestanden hätte, erlangt. Vielmehr hat es Beklagte verabsäumt, den Kläger mit dem Aufhebungsbescheid vom 19.09.2003 - also zu einem Zeitpunkt zu dem die Neureglung bereits in Kraft getreten war - ausreichend und umfassend über seine Pflichten und (neuen) Obliegenheiten zu unterrichten. Die Beklagte hat es dabei belassen, dem Kläger zu empfehlen, "nach Wegfall des Grundes, der zur Aufhebung der Bewilligungsentscheidung geführt hat, sofort bei der Abteilung Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung ... vorzusprechen, ...". Damit wird der Eindruck erweckt , es genüge abzuwarten, bis wiederum Arbeitslosigkeit vorliegt. Ein sorgfältiger Versicherter, auf dessen Empfängerhorizont abzustellen ist, konnte daraus keinesfalls schließen, er müsse sich bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der Beklagten melden. Gleiches gilt für das Schreiben des Arbeitgebers vom 13.10.2003. Dieses spricht ebenfalls lediglich von der Verpflichtung, sich "nach Beendigungszeitpunktes, persönlich beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden". Es stellt damit gerade nicht auf den Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auf den tatsächlichen Beendigungszeitpunkt ab. Dieses Verständnis hat der vom letzten Arbeitgeber eingeschaltete Arbeitgeberverband mit Schreiben vom 05.08.2004 bestätigt.

Vor diesem Hintergrund hatte der Senat keine Veranlassung zu prüfen, ob die Regelung des § 140 SGBB III verfassungsgemäß ist (vgl. SG Frankfurt/Oder, Vorlagebeschluss vom 01.04 2004, S 7 AL 42/04, ArbuR 2005, 155, info also 2005, 18).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved