L 19 B 26/05 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 22 AS 31/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 26/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.05.2005 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragstellern zu 1), 3) und 4) Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen auch über den 28.02.2005 hinaus bis einschließlich August 2005 zu erbringen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 27.05.2004), ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Antragsteller im verfahrensrechtlichen Sinn sind sowohl die Antragsteller zu 1) ( die Mutter der Antragsteller zu 2) - 4) als auch die als Minderjährige zur Bedarfsgemeinschaft zu rechnenden Antragsteller zu 3) und 4).

Der am 00.00.1986 geborene Antragsteller zu 2) war zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Sozialgericht am 31.03.2005 bereits volljährig (§ 2 BGB) und gehörte deshalb nicht zur Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)). Auch wurde er nicht von seiner Mutter mit der Vollmachtsvermutung aus § 38 Satz 1 SGB II vertreten. Prozessrechtlich kann zwar gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtgesetz (SGG) die Bevollmächtigung von Verwandten in gerader Linie unterstellt werden. Die Antragstellerin zu 1) hat daher auch für ihn prozessual wirksam gehandelt. Da aber vorliegend nicht feststellbar ist, dass der Antragsteller zu 2) einen eigenen Leistungsantrag gemäß § 37 Abs. 1 SGB II gestellt hat, fehlt es insofern an einem Rechtsschutzbedürfnis für den begehrten Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. hierzu ausführlich den Beschluss des Senats vom 14.04.2005 - L 19 B 5/05 SO ER).

Der Senat spricht für die Zeit vom Monat der Antragstellung beim Sozialgericht an für längstens sechs Monate den Antragstellern zu 1), 3) und 4) vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu, weil nach der alleine zur Verfügung stehenden Gerichtsakte wie auch einem von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Konvolut Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch schon deswegen vorliegen, weil sich in den maßgeblichen Verhältnissen der Antragsteller nichts geändert hat. Hierbei muss wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens und aufgrund des Umstandes, dass es der Antragsgegnerin im Laufe eines ganzen Monats trotz mehrfacher Erinnerungen nicht gelungen ist, die vollständige Verwaltungsakte vorzulegen, offen bleiben, ob es sich um ein Verfahren nach § 86b Abs. 1 oder Abs. 2 SGG handelt.

Die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit ergibt sich aus der Mittellosigkeit der in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller zu 1), 3), 4).

Ein Anordnungsanspruch besteht, weil die Bedürftigkeit dieser Antragsteller, in deren Lebensverhältnissen im Jahre 2005 keine - den Akten zu entnehmende - leistungserhebliche Veränderung eingetreten ist, fortbestand. Insbesondere kann die Antragsgegnerin den Antragstellern nicht mehr entgegenhalten, ihrer Bedürftigkeit im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II sei im Hinblick auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft der Antragstellerin zu 1) mit ihrem geschiedenen Ehemann entfallen.

Denn abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin offensichtlich nicht geprüft hat, ob das Erwerbseinkommen des geschiedenen Ehemannes überhaupt bedarfsdeckend wäre, gibt es für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft keine tragfähigen Feststellungen.

Unter eheähnlicher Gemeinschaft versteht die einhellige und gefestigte Rechtsprechung die Lebensgemeinschaft eines Mannes mit einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (Bundesverfassungsgericht (BverfG) in BverfGE 87, 234, 364; BverfG, Beschluss vom 02.09.2004, 1 BvR 1962/04 m.w.N.; Beschluss des LSG NW vom 21.04.2005, - L 9 B 6/05 SO ER).

Als wichtige Indizien für die Feststellung einer eheähnlichen Gemeinschaft hat das Bundesverfassungsgericht die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt sowie die Befugnis genannt, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen (BVerfG, Urteil vom 17.11.1992, SozR 3-4100 § 137 Nr. 3). Abzustellen ist auf die Dauer des Zusammenlebens, die Dauer und Intensität der (vorhergehenden) Bekanntschaft, der Anlass für das Zusammenziehen, die konkrete Lebenssituation während des streit-gegenständlichen Zeitraumes und die nach außen erkennbare Intensität der gelebten Gemeinschaft (Bundesverwaltungsgericht (BverwG) vom 17.05.1996, - 5 C 16/96, - BVerwGE - 98, 195 ff.). Schon für die eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des § 122 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) kam es auf das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft an, die über die reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht; an das Bestehen und den Nachweis einer eheähnlichen Gemeinschaft waren damit spätestens ab dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Schluss aus dem bloßen Zusammenleben auf das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ist seither nicht mehr möglich (vgl. auch Zusammenfassung im Beschluss des OVG Lüneburg vom 26.01.1998, - 12 M 345/98 - FEVS 48, 545 ff. = Info also 45,50 ff.). Nichts anderes gilt insoweit für den Nachweis einer ehelichen Gemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II.

Zu den vorgenannten Kriterien scheint die Antragsgegnerin über keine eigenen Erkenntnisse zu verfügen. Konnte sich die Antragsgegnerin bislang auf die eidesstattliche Versicherung der Eheleute E. berufen, ist ihr dies aktuell verwehrt. Der Wahrheitsgehalt der Erklärungen erscheint fraglich, nachdem diese ihre ursprüngliche Erklärungen mit Schreiben vom 31.05.2005 widerrufen haben, wenngleich sie diesen Widerruf dann durch anwaltliches Schreiben vom 20.06.2005 relativiert haben.

Die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 27.06.2005 angeregte strafrechtliche Würdigung dieser Vorgänge ist nicht Aufgabe des einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt vielmehr eine Beschleunigung des Verfahrens in dem Sinne, dass bei nicht möglicher vollständiger Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden ist (Zusammenfassung im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.05.2005, - 1 BvR 569/05 -).

Diese Folgenabwägung lässt im konkreten Fall keine andere Entscheidung zu als die, Leistungen für den Antragszeitraum bis zum Monat der Senatsentscheidung zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.

Eine Beschwerde gegen diese Entscheidung an das Bundessozialgericht ist nicht zulässig, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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