L 2 KR 89/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 26 KR 23/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KR 89/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.08.2004 wird zurückgewiesen. Die Klage auf Zahlung von 65,00 Euro wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Zuzahlungsbefreiung für das Jahr 2004 (und die deshalb von der Beklagten geforderte Rückgabe des Befreiungsausweises) und begehrt außerdem die Feststellung, dass trotz der zum 01.01.2004 erfolgten Gesetzesänderung weiterhin Anspruch auf Sterbegeld bestehe.

Der 1930 geborene Kläger ist schwerbehindert und chronisch krank. Er ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit am 23.10.2002 abgesandtem Befreiungsbescheid nach § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V in der bis zum 31.12.2003 maßgeblichen Fassung (im Folgenden: aF) teilweise Befreiung von Zuzahlungen zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln, stellte fest, dass für den Zeitraum 01.01.2003 bis 31.12.2004 sämtliche Zuzahlungen entfallen, und stellte ihm einen entsprechenden Befreiungsausweis aus.

Mit Schreiben vom 01.12.2003 wandte sich der Kläger an die Beklagte mit der Bitte, ihn über die ab dem 01.01.2004 geltenden Zuzahlungsregelungen zu informieren und ihm Auskunft darüber zu geben, ob mit diesem Zeitpunkt auch das Sterbegeld entfalle. Die Beklagte teilte ihm u.a. mit, dass die Gesetzesänderungen ab dem 01.01.2004 gelten, und sie daher verpflichtet sei, alle Zuzahlungsbefreiungen zurückzufordern. Deshalb würden alle Versicherten mit Befreiungsausweis aufgefordert, diesen bis zum 16.01.2004 zurückzugeben. Das Sterbegeld sei mit der Änderung des § 21 SGB I gestrichen worden (Schreiben vom 17.12.2003). Darauf antwortete der Kläger, dass die Beklagte den ihm "mit Verfall vom 31.12.2004" ausgestellten Befreiungsausweis nicht zurückerhalten werde. Bei den Gesetzesänderungen handele es sich um eine willkürliche Verschlechterung zum Nachteil des Versicherten. Er werde gerichtlich prüfen lassen, ob diese Rechtsauffassung Bestand habe. Bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils leiste er alle Zuzahlungen unter Vorbehalt (Schreiben vom 29.12.2003). Darauf bestätigte die Beklagte nochmals die Richtigkeit ihrer Angaben vom 17.12.2003 (Schreiben vom 06.01.2004).

Der Kläger hat am 15.01.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Köln erhoben und beantragt, der Beklagten zu untersagen, die ausgestellte Befreiungsbescheinigung für Zuzahlungen bis zum 31.12.2004 wie angekündigt bereits per 01.01.2004 für ungültig zu erklären und im Todesfall die "gemäß Versicherungsbedingungen zugesagte Leistung Sterbegeld" zu bezahlen. Die Beklagte sei außerdem nach ihrer Satzung verpflichtet, Sterbegeld zu zahlen. Er habe darauf vertraut, diese Leistung zu erhalten. Wenn sie nun gestrichen werde, handele es sich dabei um eine arglistige Täuschung. Die Beklagte könne sich nicht hinter gesetzlichen Bestimmungen verstecken.

Die Beklagte hat daraufhin zunächst einen Widerspruchsbescheid erteilt und den Widerspruch zurückgewiesen: Die Rechtsgrundlage für die erteilte Zuzahlungsbefreiung bis zum 31.12.2004 sei zum 01.01.2004 entfallen, ebenso die Rechtsgrundlage für die Zahlung von Sterbegeld im Todesfall. Darüber habe sie alle Versicherten informiert und gebeten, die Befreiungskarte zurückzugeben. Dagegen habe der Kläger mit seinem Schreiben vom 29.12.2003 Widerspruch eingelegt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei sie berechtigt, den Bescheid über die erteilte Zuzahlungsbefreiung zum 01.01.2004 aufzuheben und gemäß § 51 SGB X den Befreiungsausweis zurückzufordern. Das Sterbegeld sei ersatzlos gestrichen worden. Die neue gesetzliche Regelung habe seit ihrem Inkrafttreten die anderslautende Vorschriften in ihren Versicherungsbedingungen abgelöst (Widerspruchsbescheid vom 10.03.2004). Diese Entscheidung hat sie auch im Klageverfahren weiter für zutreffend gehalten.

Das SG hat die Klage abgewiesen: Beide Klageanträge seien zulässig, aber unbegründet. Die gesetzlichen Vorschriften seien eindeutig und verstießen auch nicht gegen das Grundgesetz (mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil vom 17.08.2004).

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und sein Begehren weiter verfolgt. Hilfsweise hat er begehrt, die Beklagte zur Zahlung von 65 Euro zu verurteilen. Durch die Aufhebung des Befreiungsbescheides habe er ab dem 01.01.2004 wieder Zuzahlungen in Höhe von 156 Euro (1 % seines Jahreseinkommens) zu leisten. Durch dieses Vorgehen habe sich die Beklagte rechtswidrig bereichert und deshalb den Betrag von 65 Euro (hälftiger Anteil für 2004) zu erstatten.

Der Kläger ist zum Termin am 30.06.2005 mit dem Hinweis geladen worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne. Dazu hat er mitgeteilt, er sei hundertprozentig gehbehindert, ein persönliches Erscheinen scheide aus.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.08.2004 zurückzuweisen und die Klage auf Zahlung von 65,00 Euro abzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die hilfsweise erhobene Klage für unzulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann über die Berufung und die - hilfsweise erhobene - zweitinstanzliche Klage entscheiden, obwohl für den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung niemand entschieden ist. Denn der Kläger ist ordnungsgemäß zum Termin geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, weil sie nicht nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG der Zulassung bedarf. Denn beim Rechtsschutzbegehren des Klägers handelt es sich nicht um eine Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, weil der Wert des Beschwerde- gegenstandes 500 Euro nicht übersteigt. Zwar wendet sich der Kläger mit seiner Anfechtungsklage nur gegen die Aufhebung der Zuzahlungsbefreiung für das Jahr 2004, die nach seinem eigenen Vortrag lediglich einen Wert von 165 Euro (1 % seines Jahreseinkommens) hat. Indes macht der Kläger mit seinem Feststellungsbegehren noch einen weiteren Anspruch geltend, der - schon soweit er sich allein auf seine Person bezieht - einen Wert von 1.050 Euro hat, § 59 SGB V aF. Werden mit einer Klage aber mehrere Ansprüche geltend gemacht und im Berufungsverfahren weiter verfolgt, so sind für die Bemessung des Wertes des Streitgegenstandes diese Ansprüche entsprechend § 5 der Zivilprozessordnung (ZPO) zusammenzurechnen (Meyer-Ladewig. SGG. Kommentar. 8. Auflage 2005, § 144 Rdnr 16 ff mwN).

Das SG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage insgesamt zulässig, aber unbegründet ist.

Für die Zulässigkeit der Anfechtungsklage, mit der sich der Kläger gegen die Aufhebung des Befreiungsbescheides und die damit einhergehende Rückforderung des Befreiungsausweises wendet, ist unabhängig davon, ob die Beklagte einen entsprechenden Bescheid erteilt hat, insbesondere, ob im Schreiben vom 17.12.2003 ein solcher Bescheid zu sehen ist. Denn sie hat jedenfalls durch den Widerspruchsbescheid vom 10. März 2004, der nach § 96 Abs 1 Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, aus einer schlichten Willenserklärung einen Verwaltungsakt gemacht. Dazu war sie auch dann befugt, wenn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde nicht identisch sind (Meyer-Ladewig, § 85 Rdnr 7a mwN).

Auch das Feststellungsbegehren (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG) ist zulässig, obwohl es dem Kläger nicht um die Feststellung eines eigenen Anspruchs, sondern um die Feststellung eines sich aus seinem Versicherungsverhältnis herleitenden Anspruchs eines Dritten geht. Dabei hat sich das SG zu Recht auf die Ausführungen des Bundessozialgerichts im Urteil vom 25. Juni 1991 (BSGE 69, 76 ff = SozR 3-2500 § 59 Nr 1) bezogen. Danach steht die Subsidiarität der Feststellungsklage der Zulässigkeit nicht entgegen, weil eine andere - vorrangige - Klageart erkennbar nicht in Betracht kommt. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse im Sinne eines wirtschaftlichen Interesses an der begehrten Feststellung, weil er sich ggf. Gedanken um eine anderweitige Vorsorge machen müsste.

Die Berufung ist unbegründet.

Der Widerspruchsbescheid vom 10. März 2004 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat damit den Widerspruch des Klägers gegen die Aufhebung des früheren Befreiungsbescheides und die damit verbundene Rückforderung des Befreiungsausweises zu Recht zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im sozialgerichtlichen Urteil Bezug genommen, § 153 Abs 2 SGG. Insbesondere verstoßen auch nach Auffassung des Senats beide gesetzlichen Neuregelungen nicht - auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes - gegen das Grundgesetz. Auch unter Berücksichtigung des gesamten Regelungskonzepts des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernierungsgesetz - GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I, S. 2190ff) handelt es sich vielmehr um im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsermessens zulässige Leistungseinschränkungen im Rahmen systembezogener Strukturmaßnahmen, die dem übergeordneten Zweck dienen, die Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten und die Eigenverantwortung des Versicherten (vgl § 1 SGB V) zu stärken (vgl zum Sterbegeld: BSG BSGE 69, 76 ff = SozR 3-2500 § 59 Nr 1 mwN; im Übrigen insbesondere BVerfGE 76, 220ff und 272ff; BSG NJW 1992, 260f; zu den neuen Zuzahlungsregelungen der §§ 61f SGB V auf der gleichen Grundlage: Thüringer LSG, Beschluss vom 22.04.2004, Az L 6 KR 212/04 ER; LSG NRW Urteil vom 23.05.2005, Az L 16 KR 240/04). Dabei kommt es hinsichtlich des Feststellungsbegehrens auf die kontrovers diskutierte Frage, ob die Aufhebung der §§ 58f SGB V aF bereits zum 01.01.2004 oder erst zum 01.01.2005 wirksam geworden ist, nicht (mehr) entscheidend an, weil der Versicherungsfall "Tod" hier frühestens nach dem 31.12.2004 eintreten kann (vgl dazu einerseits: Schnapp. "Das Sterbegeld - eine auslaufende Leistung?" in: SGb 2004, S 451f, und andererseits:Smidt/Urmsbach. "Das Sterbegeld nach §§ 58, 59 SGB V - Requiescat in pace" in: KrV 2004, 322f; SG Dresden, Urteil vom 15.12.2004, Aktenzeichen (Az) S 25 KR 1229/04, und Urteile vom 26.01.2005, Az S 25 KR 1319/04 und S 25 KR 1233/04, letzteres anhängig beim BSG unter dem Az B 1 KR 3/05 R; Urteil des SG Reutlingen vom 20.01.2005, Az S 3 KR 3431/04, derzeit anhängig beim BSG unter dem Az B 1 KR 2/05; SG Chemnitz, Urteil vom 24.11.2004, Az S 13 KR 684/04).

Es ist auch ohne Bedeutung, welche Ansprüche in der Satzung oder den (früheren) Versicherungsbedingungen der Beklagten geregelt sind. Denn die Beklagte ist nicht befugt, in ihrer Satzung oder ihren Versicherungsbedingungen Leistungen vorzusehen, die in den gesetzlichen Vorschriften, insbesondere des SGB V, nicht vorgesehen sind, § 194 Abs 2 Sätze 1 und 2 SGB V. Nach diesen Vorschriften darf die Satzung keine Bestimmungen enthalten, die den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung widersprechen. Sie darf Leistungen nur vorsehen, soweit das SGB V sie zulässt oder sie durch Gesetz ausdrücklich dazu ermächtigt wird. Etwaige abweichende Satzungsbestimmung wären damit wegen Verstoßes gegen höherrangiges (Gesetzes-)Recht unwirksam. Der Kläger könnte daraus nichts für sich herleiten.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren erstmals - hilfsweise - die Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung von ihm früher geleisteten Zuzahlungen begehrt, ist diese - zweitinstanzliche - Klage als unzulässig abzuweisen. Ungeachtet der Zulässigkeit der zweitinstanzlichen Klageerweiterung (§§ 153 Abs 1, 99 Abs 1 SGG) ist die (geänderte) Klage jedenfalls unzulässig. Denn es fehlt erkennbar an einer Entscheidung der Beklagten über den geltend gemachten Rückzahlungsanspruch, die im Verhältnis Sozialleistungsträger - Versicherter (sog. Subordinationsverhältnis) für eine zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) erforderlich ist. In diesem Zusammenhang kommen andere Klagearten nicht in Betracht. Die allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) ist im Subordinationsverhältnis nicht statthaft, die Feststellungsklage ist in Fällen, in denen direkt auf die begehrte Leistung geklagt werden könnte, subsidiär.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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