L 1 B 6/05 SO

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
1
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 16 SO 14/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 B 6/05 SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 30.05.2005 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren, soweit die Klage den Anspruch auf Bescheidung des Widerspruchs vom 14.08.2003 gegen den Bescheid des Beklagten vom 15.07.2003 betrifft, ab Klageerhebung bis zum 25.07.2005 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I L, M beigeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

Sie hat keinen Erfolg, soweit die Klägerin Prozesskostenhilfe (PKH) für den in der Hauptsache geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von 225,97 EUR begehrt. Denn insoweit bietet die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 114 Zilvilprozessordnung [ZPO]).

Für das Begehren der gesetzlich krankenversicherten Klägerin, den von ihrer Krankenkasse, der IKK Westfalen, für die vertragszahnärztliche Versorgung durch Dr. X mit der hochgoldhaltigen Legierung Carrara PdF nicht übernommenen Betrag von 225,97 EUR ersetzt zu bekommen, ist eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich.

Nach dem hier maßgebenden § 37 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in der Fassung von Art 15 Nr. 6 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - haben die Sozialhilfeträger Leistungen entsprechend dem Dritten Kapitel, Fünften Abschnitt, Ersten Titel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erbringen. § 30 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung (a.F.), auf den diese Bestimmung verwies, sah vor, dass Versicherte Anspruch auf medizinisch notwendige Versorgung mit Zahnersatz (zahnärztliche Behandlung und zahntechnische Leistungen) hatten. Wählten sie einen über die medizinisch notwendige Versorgung hinausgehenden Zahnersatz, hatten sie die Mehrkosten der zusätzlichen Versorgung selbst in vollem Umfang zu tragen (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB V a.F.). Zu der nach § 30 Abs. 1 SGB V a.F. geschuldeten Versorgung hatten Versicherte grundsätzlich eine Zuzahlung nach näherer Maßgabe des § 30 Abs. 2 SGB V a.F. zu leisten. Von dieser Zuzahlung waren jedoch solche Versicherten befreit, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG erhielten (§ 61 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 SGB V in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung).

Auf der Grundlage dieser Regelungen hat die IKK Westfalen mit Bescheid vom 26.06.2003 die im genehmigten Heil- und Kostenplan von Dr. X ausgewiesenen zahnprothetischen Kosten in voller Höhe übernommen, ihre Leistungen für die Edelmetallkosten jedoch je Krone, Brückenglied oder Verbindungsvorrichtung auf 10,00 EUR beschränkt. Der Differenzbetrag, den die Klägerin mit der vorliegenden Klage verfolgt, betrifft mithin nicht ihren - von der IKK in vollem Umfang übernommenen - Eigenanteil nach § 30 Abs. 2 SGB V, sondern Materialkosten, die nach Auffassung der Krankenkasse der Mehrkostenregelung des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB V a.F. unterfielen. Entsprechend ist der Betrag von 225,97 EUR auch im Behandlungsplan von Dr. X vom 21.07.2003 ausgewiesen.

Daraus ergibt sich unmittelbar, dass die Klägerin ihren Anspruch auf Erstattung dieser Mehrkosten nicht gegenüber der Beklagten verfolgen kann. Denn nach § 37 Abs. 1 BSHG ist der sozialhilferechtliche Leistungsanspruch der Hilfeempfänger auf die nach den Vorschriften des SGB V geschuldete Versorgung beschränkt. Eine darüber hinausgehende, nach Maßgabe des § 30 Abs. 1 SGB V nicht notwendige Versorgung kann nicht vom Sozialhilfeträger begehrt werden (ebenso Hessischer VGH, Beschl. v. 11.10.2004, 10 UE 2731/03, FEVS 56, 180; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 25.01.2005, 16 B 2219/04, FEVS 56, 372). Soweit die Klägerin der Auffassung ist, dass in ihrem Fall auch die Kosten für die Legierung Carrara PdF als medizinisch notwendige Versorgung im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 1 SGB V anzusehen sind, kann sie dies mithin allenfalls gegenüber der IKK Westfalen, nicht jedoch gegenüber der Beklagten geltend machen.

Die Klage bietet hinreichende Erfolgsaussichten dabei auch nicht aufgrund der nach § 75 Abs. 5 SGB V grundsätzlich bestehenden Möglichkeit, die IKK Westfalen zum Rechtsstreit beizuladen und gegebenenfalls zur Erstattung gegenüber der Klägerin zu verurteilen. Denn der Bescheid der IKK Westfalen vom 26.06.2003 ist, auch wenn er nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, zwischenzeitlich bestandskräftig geworden (§ 66 Abs. 2 Satz 1 SGG) und damit bindend (§ 77 SGG). Eine Änderung dieses Bescheides zu ihren Gunsten kann die Klägerin daher allenfalls im Wege des Überprüfungsverfahrens (§ 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) erreichen, nicht jedoch im vorliegenden Klageverfahren.

Demgegenüber hat die Klägerin Anspruch auf PKH, soweit sie mit dem Klageverfahren die Bescheidung ihres Widerspruchs vom 14.08.2003 gegen den Bescheid der Beklagten vom 15.07.2003 verfolgt hat.

Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht nicht entgegen, dass der Landrat des Kreises Coesfeld als zuständige Widerspruchsbehörde zwischenzeitlich über den Widerspruch entschieden hat (Widerspruchsbescheid vom 20.07.2005). Denn dieser Umstand beseitigt nicht das Interesse der Klägerin an einer Entscheidung über die Frage, ob sie selbst für die Kosten der Prozessführung einschließlich der Vergütung ihres Prozessbevollmächtigten aufkommen muss oder hiervon befreit wird.

Aus denselben Gründen kann PKH auch nicht deshalb versagt werden, weil die Klage in der Hauptsache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Vielmehr hat auch derjenige, der im Ergebnis mit seinem Anspruch nicht durchdringt, ein Recht auf rechtzeitige Bescheidung seines Widerspruchs. Ist er wegen einer im Verantwortungsbereich der Behörde liegenden Verzögerung in der Entscheidung über seinen Widerspruch darüber im Unklaren, ob die Behörde seinem Widerspruch entsprechen wird bzw. auf welche Gründe sie gegebenenfalls eine Zurückweisung stützen könnte, können seinem Bescheidungsbegehren die Erfolgsaussichten nicht versagt werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 14.04.1992, 14 E 1422/91, AnwBl 1993, 402, 403).

Die Bewilligung von PKH für die Untätigkeitsklage scheitert schließlich nicht daran, dass die Klage von Anfang an auf Zahlung statt auf Bescheidung des Widerspruchs und hinsichtlich dieses Begehrens auch gegen die falsche Beklagte, nämlich die Ausgangsbehörde, gerichtet war. Zwar eröffnet § 88 Abs. 2 SGG (anders als die verwaltungsgerichtliche Untätigkeitsklage nach § 75 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]) nicht die Möglichkeit, unmittelbar auf Leistung zu klagen. Vielmehr ist der Kläger darauf beschränkt, im Wege der Bescheidungsklage den Erlass des Widerspruchsbescheides einzuklagen (BSG, Urt. v. 10.03.1993, 14b/4 REg 1/91, BSGE 72, 118, 124.; Urt. v. 08.12.1993, 14a RKa 1/93, BSGE 73, 244, 247; Binder in Hk-SGG [2003], § 88 Rdnr. 2; Eschner in Jansen, SGG, 2. Aufl. [2005], § 88 Rdnr. 3; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl. [2005], S. 144 f.; Ulmer in Hennig, SGG [Stand 2003], § 88 Rdnr. 5). Bei interessegemäßer Auslegung ist die (weniger weit reichende) Untätigkeitsklage jedoch als in dem weitergehenden Verpflichtungsantrag enthalten anzusehen (BSGE 72, 118, 120). Im Rahmen der richterlichen Hinweispflicht (vgl. § 112 Abs. 2 SGG) hätte das SG dementsprechend vor einer streitigen Entscheidung erfolgreich auf eine sachdienliche Formulierung des Antrags und die notwendige subjektive Klageänderung auf Beklagtenseiten hinwirken können.

Für die auf Erlass eines Widerspruchsbescheides gerichtete Untätigkeitsklage sind auch die für die Gewährung von PKH erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten gegeben gewesen:

Nach § 88 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGG ist eine Klage nach Ablauf von drei Monaten zulässig, wenn ein Widerspruch ohne zureichenden Grund sachlich nicht beschieden worden ist.

Diese Vorschrift ist auf das vorliegende Widerspruchsverfahren jedenfalls mit Wirkung vom 01.01.2005 anzuwenden. Zwar ist hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Untätigkeitsklage zunächst § 75 VwGO maßgebend gewesen, weil Streitigkeiten auf dem Gebiet der Sozialhilfe bis zum 31.12.2004 den Verwaltungsgerichten zugewiesen waren. Die seit dem 01.01.2005 bestehende Zuständigkeit der Sozialgerichte nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG erfasst jedoch nur solche Verfahren nicht, die bei Inkrafttreten der Vorschrift bereits rechtshängig waren (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz), wobei die Rechtshängigkeit erst mit Erhebung der Klage und nicht schon des Widerspruchs eintritt (§ 90 Abs. 1 VwGO). Auf alle am 01.01.2005 in Angelegenheiten der Sozialhilfe laufenden Widerspruchsverfahren findet seither das SGG Anwendung.

Der Landrat des Kreises Coesfeld hat den Widerspruch der Klägerin vom 14.08.2003 gegen den Bescheid der Beklagten vom 15.07.2003 über einen Zeitraum von einem Jahr und 11 Monaten und damit länger als drei Monate unbeschieden gelassen. Ein sachlicher Grund hierfür ist nicht erkennbar. Mit Schreiben vom 21.10.2003 hat die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, sie halte an ihrer Ursprungsentscheidung fest. Ab diesem Zeitpunkt sind Ermittlungen der Beklagten oder des Landrates des Kreises Coesfeld nicht mehr ersichtlich. Die Widerspruchsbehörde begründet die eingetretene Verzögerung dementsprechend auch nicht mit Umständen des Einzelfalles, sondern mit einer Vakanz in der Sachbearbeitung, der durch die Einführung des Grundsicherungsgesetzes und des Zwölften Buches Gesetzbuch entstandenen Mehrarbeit und die hierauf zurückzuführenden Rückstände. Mit dieser Begründung lässt sich jedoch jedenfalls eine Dauer des Widerspruchsverfahrens von fast zwei Jahren nicht rechtfertigen, zumal nach Einschätzung der Widerspruchsbehörde weitere Ermittlungen nicht erforderlich gewesen sind und die Sache damit über den gesamten Zeitraum trotz Entscheidungsreife unbearbeitet geblieben ist.

Schließlich sind auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH erfüllt, da die Klägerin als Bezieherin von Arbeitslosengeld II ohne Vermögen nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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