L 13 RJ 78/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 10 RJ 154/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 RJ 78/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28. Juni 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung.

Der am 00.00.1914 in T/Polen geborene jüdische Kläger lebt seit 1956 in Israel, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Er beantragte im Dezember 1991 Altersruhegeld und trug vor, in der Zeit von Dezember 1939 bis April 1940 bei der Fa. T und N, einem Holzbearbeitungswerk in T, als Arbeiter versicherungspflichtig gearbeitet zu haben. Im April 1940 sei er aus Furcht vor der NS-Verfolgung nach Russland geflohen und im Jahre 1946 nach Polen zurückgekehrt. Dazu legte er seinen Vortrag zur Erwerbstätigkeit bestätigende schriftliche Erklärung des M T1 und des F C vom 04.08.1992 vor.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 29.04.1993 ab. Die Zeit des Ghetto-Aufenthaltes könne nicht als Beitragszeit anerkannt werden, da eine Beitragsentrichtung für diese Zeit weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden sei. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte, nachdem eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zu Ghetto-Zeiten abgewartet worden war, durch Bescheid vom 25.06.1998 zurück: Die vorgelegten Zeugenerklärungen reichten zur Glaubhaftmachung der Beschäftigungszeit nicht aus, da diese keine Angaben zum Verdienst des Klägers und zur Beitragsentrichtung enthielten.

Mit der am 21.07.1998 zum Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat weitere schriftliche Erklärungen des A T2 am 08.10.1998 und des F C vom 28.09.1998 sowie des B T3 vom 30.05.2000, letztere zur Flucht nach Russland, vorgelegt. Er hat die Ansicht vertreten, die Beschäftigungszeit von Dezember 1939 bis April 1940 sowie eine verfolgungsbedingte Ersatzzeit bis März 1946 sei glaubhaft gemacht, sodass er die Wartezeit erfüllt und einen Rentenanspruch habe, der auch zahlbar zu machen sei.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.04.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1998 zu verurteilen, die Zeit von Dezember 1939 bis April 1940 als glaubhaft gemachte Beitragszeit zu berücksichtigen, die Zeit ab April 1940 bis März 1946 als verfolgungsbedingte Ersatzzeit anzuerkennen, ferner die Nachentrichtung von Beiträgen zuzulassen und ihm eine Altersrente zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat weder die behauptete Beitragszeit noch die Verfolgungsersatzzeit für glaubhaft gemacht gehalten.

Im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgericht Tel Aviv hat das Sozialgericht den Zeugen F C vernehmen lassen. Wegen der Aussage des Zeugen wird auf die Niederschrift des Amtsgerichts Tel Aviv vom 18.04.2001 Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 28.06.2002 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Eine versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers, die für den Monat Dezember 1939 über das Fremdrentengesetz ( FRG) oder ( ab Januar 1940) als Inlandsbeitragszeit berücksichtigt werden könnte, sei nicht wenigstens glaubhaft gemacht. Denn die Angaben des Klägers zu seiner angeblichen Beschäftigung im Betrieb N und T in T seien zu widersprüchlich. Sie wichen hinsichtlich der Art der Beschäftigung und vor allem hinsichtlich der Entlohnung auch von der Aussage des Zeugen ab. Der Kläger habe insbesondere nicht angeben können, in welcher Währung er entlohnt worden sei, was kaum mit dem Alter des Klägers zu erklären sei. Hinsichtlich der Nachentrichtung sei die Klage bereits unzulässig, weil es insoweit an einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehle.

Gegen das am 28.07.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.07.2002 Berufung eingelegt. Er macht geltend: Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts lägen keine Unstimmigkeiten im eigentlichen Sinne vor. Natürlich könnten konkrete Datenangaben nicht auf den Tag genau übereinstimmen, dafür liege die Angelegenheit 60 Jahre zurück und niemand könne sich an den genauen Tag erinnern bzw. sich an den genauen Tag erinnern und an andere Dinge wieder nicht. Es mache auch keinen Unterschied, ob jemand von einem monatlichen Lohn spreche oder ein Zeuge davon berichte, dass er Coupons erhalten habe, mit denen man Lebensmittel in den Geschäften habe kaufen können. Im Übrigen sei nach der Rechtsprechung des BSG auch bei Sachbezügen von einer Versicherungspflicht auszugehen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.06.2002 zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Beweiswürdigung des Sozialgerichts für zutreffend. Der Kläger interpretiere lediglich zielgerichtet die Beweislage, wobei er detailhaft die Urteilsgründe zitiere und diese zu widerlegen versuche.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz-SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat mangels anrechenbarer Versicherungszeit keinen Anspruch auf eine Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung und kann in diesem Verfahren auch keine inhaltliche Entscheidung über seinen Nachentrichtungsanspruch erhalten , weil es insoweit an einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung fehlt.

Der Senat nimmt gemäß § 153 Abs.2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil zu den gesetzlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Rentenanspruchs und den Anforderungen an die Glaubhaftmachung sowie auf die Beweiswürdigung des Sozialgerichts Bezug, weil er sie nach eigener Prüfung für zutreffend hält, § 153 Abs.2 SGG).

Auch das zweitinstanzliche Vorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Allerdings mag man mit dem Kläger die vom Sozialgericht u.a. herausgestellten Widersprüche oder auch nur Ungenauigkeiten im Vortrag des Klägers oder in der Aussage des Zeugen zur Art der Beschäftigung ( Schreiner, Tischler, einfacher Arbeiter ) und ihrem genauen Ende im Hinblick darauf, dass die Ereignisse sehr lange zurück liegen, für überbewertet halten. Der Senat misst ihnen nicht entscheidende Bedeutung bei, wenngleich auch nach seiner Überzeugung diese Ungenauigkeiten oder Widersprüche durchaus zu sehen sind und sie das Bild, dass sich nach dem übrigen Ergebnis des Verfahrens zeigt, abrunden.

Für den Senat ist für die Frage, ob glaubhaft gemacht ist, dass der Kläger wie von ihm angegeben versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist, vor allem die Tatsache von besonderer Aussagekraft, dass der Kläger nicht sagen konnte, in welcher Währung er seinen Lohn erhalten habe. Dies läßt sich nämlich zur Überzeugung des Senats nicht mit dem Alter des Klägers oder schwindendem Erinnerungsvermögen erklären. Wenn der Kläger ursprünglich in einem normalen Beschäftigungsverhältnis in Polen gestanden haben sollte , müßte es ein grosser Einschnitt gewesen sein, wenn er nunmehr unter deutscher Besetzung in einem Ghetto zu arbeiten hatte, so dass man auch erwarten kann, dass ihm erinnerlich ist, ob er nun weiterhin in seiner Heimatwährung oder in der der deutschen Besatzungsmacht bezahlt worden ist. Deshalb muss es als naheliegend erscheinen, dass er zu der Währung, in der die angebliche Entlohnung erfolgt sein soll, deshalb keine Angaben machen konnte, weil er nicht wie angegeben erwerbstätig gewesen oder jedenfalls nicht entlohnt worden ist.

Die Frage der Glaubhaftmachung der Beschäftigungszeiten unmittelbar darf zudem nicht losgelöst von der Glaubhaftmachung der anschließenden Verfolgungsersatzzeit gesehen werden. Auffällig ist insoweit, dass diese Verfolgungsersatzzeit nicht durch Unterlagen aus irgendeinem Entschädigungsverfahren untermauert werden kann, weil der Kläger keinen Entschädigungsantrag gestellt hat. Die vom Kläger dafür angebotene Begründung ist, wie bereits die Beklagte ausgeführt hat, nicht überzeugend. Wenn man in die Betrachtung einbezieht, wie dürftig der Vortrag des Klägers zu dieser Ersatzzeit aber auch zu der Zeit vor der Verfolgung ist, erscheint die Möglichkeit durchaus nicht fernliegend, dass der Kläger nicht erst geflüchtet ist, als T besetzt war, sondern dass er sich bereits vorher in die ehemalige UdSSR abgesetzt hatte. Das würde jedenfalls die Widersprüche und Lücken bei der Schilderung seiner angeblichen Erwerbstätigkeit und der Verhältnisse im Ghetto, etwa zur Frage ob und in welchem Umfang mit Bargeld oder Coupons bezahlt werden konnte, verständlich erscheinen lassen.

Die Aussage des Zeugen erweist sich als eine Mischung aus dem, was der Kläger ihm erzählt hat und dem, was der Zeuge aus eigener Erfahrung und Anschauung aus seiner eigenen Verfolgungszeit wusste. Letzteres bezog sich aber zur Überzeugung des Senats nicht konkret auf die Arbeit des Klägers, sondern allgemein auf die Verhältnisse in T, während die Kenntnisse des Zeugen über die Arbeit des Klägers auf Schilderungen des Klägers zu beruhen scheinen. Nicht zufällig wirken deshalb die Teile der Aussage des Zeugen zu dem, was seinem eigenen Erleben zu entstammen scheint, nämlich die Schilderung der Umstände der Verfolgung und der Verhältnisse im Getto überzeugender als die Passagen, die sich auf die vom Kläger behauptete Beschäftigung beziehen. Zudem fällt auf, dass in den Punkten, für die der Senat gute Kenntnisse des Zeugen unterstellen kann und für die seine Aussage überzeugend ist, die Aussage von den Schilderungen des Klägers abweicht, wie bei der bereits oben angesprochenen Frage der Entlohnung bzw. Zahlungsweise ( Coupons und/oder Bargeld).

Die vom Kläger vorgelegten schriftlichen Erklärungen weiterer Gewährspersonen schließlich sind nicht geeignet, die durchgreifenden Bedenken gegen die Richtigkeit der Angaben des Klägers zu beseitigen und die gute Möglichkeit zu begründen, dass es sich so zugtragen hat, wie vom Kläger behauptet. Letztlich ist der gesamte Lebensweg des Klägers bis zum Kriegsende zu lückenhaft dokumentiert oder auch nur geschildert und deshalb zu unklar, um von einer Glaubhaftmachung der behaupteten Beitragszeit, aber auch der anschließenden Verfolgungsersatzzeit auszugehen. Die Berücksichtigung allein einer Ersatzzeit käme ohnehin nicht Betracht.

Eine sachliche Entscheidung über den Antrag auf Nachentrichtung war dem Gericht nicht möglich, weil es insoweit, wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, an einer angefochtenen Verwaltungsentscheidung fehlt.
Rechtskraft
Aus
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