L 4 U 83/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 17 U 202/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 83/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 219/05 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB d. Beschl. als unzulässig verworfen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 04.12.2003 wird zurückgewiesen. Kosten des Klägers werden auch im Berufungsverfahren nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Rente.

Am 00.01.2000 rutschte der 1955 geborene Kläger während der Arbeitszeit von der Stufe eines Gerüstes ab und fiel von einer Höhe von ca. 1,80 m hinunter. Als Folgen des Unfalles diagnostizierte der Durchgangsarzt Dr. T eine Schädelprellung mit Platz- und Schürfwunden, eine Kniegelenksprellung beidseits, einen distalen Radiusmehrfragmentspiralbruch links und den Verdacht auf eine ulnarwärts gelegene Fissur des rechten Handgelenkes. Der Kläger befand sich vom 10.01. bis 25.01.2000 in stationärer Behandlung. Er wurde ab dem 01.02.2000 von dem Neurologen und Psychiater Dr. L, zunächst wegen eines Drehschwindels, nach März 2000 unter anderem wegen Angst und Depressionen behandelt. Seit 2001 wurde er nervenärztlich von Dr. C behandelt, ab dem 18.09.2001 erfolgte durchgehend eine psychotherapeutische Behandlung. In der Zeit vom 27.06. bis 25.07.2001 nahm der Kläger an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil. In dem Entlassungsbericht aus August 2001 wird unter anderem eine Anpassungsstörung im Sinne einer depressiven Entwicklung mit Somatisierungstendenz und Rentenbegehren sowie eine Gebrauchseinschränkung der linken Hand beschrieben. Der Kläger bezog bis zum 28.11.2000 Verletztengeld und anschließend durchgehend bis zum 28.05.2002 Krankengeld. Die LVA Westfalen bewilligte ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.05.2001. In der Zeit vom 30.11.2004 bis 11.01.2005 wurde der Kläger in der W-Klinik, Fachklinik für Psychotherapie und Psychosomatik in H stationär behandelt. Es wurde eine mittel- bis schwergradige depressive Episode sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert.

Nach Eingang des Berichtes des Durchgangsarztes zog die Beklagte Berichte über die erfolgten Behandlungen bei. Dr. L gab an, dass aufgrund der erhobenen Befunde, insbesondere wegen der fehlenden Bewusstlosigkeit eine Comotio oder Contusio Cerebri als Folge der Schädelprellung weitgehend ausgeschlossen werden könne (Bericht vom 09.02.2000). In einem weiteren Bericht vom 13.03.2000 führte Dr. L aus, dass der Kläger sich beim Sturz eine schwere Schädelprellung ohne primäre Bewusstlosigkeit, mit Übelkeit, zeitweisem Erbrechen und als Folgen Angst und Depressionen zugezogen habe. Die bisherigen Untersuchungen und die mit dem Kläger geführten Gespräche sprächen gegen eine allein unfallbedingte psychische Störung. Es handele sich wahrscheinlich um eine mehrdimensionale Problematik, bei der das Unfallereignis eher eine Gelegenheitsursache zu der Exazerbation darstelle. Unter dem 20.06.2000 berichtete Dr. L, dass beim Kläger diagnostisch ein psychovegetativer Erregungszustand bestehe, dessen Anteile sicherlich im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsreaktion zu werten seien. Da das Unfallereignis keinen nachhaltigeren körperlichen Schaden hinterlassen habe und wahrscheinlich nicht hinterlassen werde, sei davon auszugehen, dass bei dem gesamten psychopathologischen Befund, wenn dieser in bestimmter Form verbliebe, die alleinig oder überwiegend unfallbedingten Faktoren eine untergeordnete Rolle spielen würden. Anschließend holte die Beklagte Gutachten des leitenden Arztes der Abteilung für Neurotraumatologie und Rückenmarkverletzte der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken C in C, Dr. C1, des Neurologen und Psychiaters Dr. L, des Chefarztes der Chirurgischen und Poliklinik der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken C in C, Prof. Dr. N und des leitenden Arztes der Abteilung für Schmerztherapie der Berufsgenossenschaftlichen Klinik C in C, Prof. Dr. N1 ein. Aufgrund der Ergebnisse der Begutachtungen gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 19.06.2001 eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. ab dem 29.11.2000. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie an:

"Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk in allen Richtungen mit geringer Einschränkung der Unterarmdrehbeweglichkeit, Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes für die Streckung und Beugung sowie röntgenologisch nachweisbare Veränderungen nach knöchern verheiltem Speichenbruch links und rechts"

Die Anerkennung der Gesundheitsstörungen "depressive Symptomatik mit sekundärer Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen und psychosomatischen Beschwerden, Polyarthropathie der Fingergelenke beider Hände und der Ellenbogen-, Schulter-, Knie- und Sprunggelenke sowie im Bereich des Rückens, anlagebedingte Störung des lumbosakralen Überganges mit degenerativen Veränderungen im Rückenbereich" lehnte sie ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte am 07.09.2001 zurück.

Mit der am 02.10.2001 erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung einer Rente nach einer MdE von mindestens 40 v.H. begehrt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, die depressive Symptomatik mit sekundärer Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen und der psychosomatischen Beschwerden, die Polyarthropathie der Fingergelenke beider Hände und der Ellenbogen-, Schulter- Knie- und Sprunggelenke sowie im Bereich des Rückens seien als Unfallfolgen anzuerkennen. Er sei vor dem Unfall wegen dieser Beschwerden nie in Behandlung gewesen. Diese Beschwerden seien auf den Unfall zurückzuführen.

Das Sozialgericht (SG) hat den Neurologen und Psychiater T1 und den Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des N Krankenhauses St. K, I ,Prof. Dr. U, mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. Dr.T1 ist im Gutachten vom 14.11.2002 zum Ergebnis gelangt, auf nervenärztlichem Fachgebiet lägen keine Unfallfolgen vor. Die Schädelprellung sei ohne Folgen ausgeheilt. Aufgrund des neurologischen Befundes und der durchgeführten elektrophysiologischen Untersuchung seien organneurologische Unfallfolgen im Sinne einer Schädelhirnmitbeteiligung ohne sonstige neurologischen Unfallfolgen auszuschließen. Beim Kläger bestehe unfallunabhängig eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und ein ausgeprägt agitiert depressives Syndrom bei asthenischer und histrionischer Persönlichkeitsakzentuierung. Das schwere, auch testpsychologisch nachzuweisende agitiert depressive Syndrom sei auf dem Hintergrund einer mehrfachen Überlastungssituation sowie einer teilweise asthenischen und histrionischen Persönlichkeitsakzentuierung entstanden. Das Unfallereignis sei eine Gelegenheitsursache, die zur Manifestation einer depressiven Symptomatik geführt habe.

Dr. U hat im Gutachten vom 06.02.2002 als Unfallfolgen einen Zustand nach distaler Radiusmehrfragmentfraktur mit Beteiligung der Gelenksfläche mit geringgradiger Arthrose im distalen Radiokarpalgelenk, deutlichem Ellenvorschub und einem Verlagern der Elle nach streckseitig als Ausdruck einer Sprengung des distalen Radioulnargelenkes verbunden mit einer endgradigen schmerzhaften Bewegungseinschränkung des linken Handgelenkes in allen Ebenen und einer endgradig eingeschränkten Unterarmdrehbeweglichkeit links sowie einem Zustand nach distaler Radiumsfraktur am rechten Handgelenk mit allenfalls endgradig eingeschränkter Beweglichkeit in der Beugung beschrieben. Die MdE sei für die Unfallfolgen auf chirurgischem Fachgebiet auf 20 v.H. einzuschätzen. Die radiologischen Veränderungen im Bereich der linken und rechten Schulter (arthrotische Veränderungen) die Spondylosisthese L 5/S 1 sowie die arthrotischen Veränderungen der Fingergelenke seien nicht auf den Unfall zurückzuführen, sondern durch ein körpereigenes degeneratives Leiden bedingt.

Anschließend hat das SG auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gutachten von der Neurologin und Psychiaterin T2 und dem Orthopäden Dr. L1 eingeholt. Die Sachverständige T2 hat dargelegt, dass die über den Unfall und seine unmittelbaren Folgen bekannten Fakten nicht ausreichen, um mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms als Unfallfolge zu stellen. Als unmittelbare unfallabhängige Gesundheitsstörungen habe bis März 2001 beim Kläger eine Anpassungsstörung (Belastungsreaktion mit längerer depressiver Reaktion (ICD10: F 43.21)) und ab März 2001 eine schwere depressive Störung (ICD10: F 33.1 bzw. F 33.3) bestanden. Die depressive Störung, die gegenüber der Belastungsreaktion eine Verschlimmerung darstelle, bestehe als Folge der ersten Begutachtungsergebnisse, die den Kläger in seinen Hoffnungen auf Hilfe enttäuschten und damit in einen Zustand fortdauernder Resignation und Selbstabwertung versetzten, der im März 2001 zu einem Suizidversuch geführt habe. Der Zusammenhang zwischen dem Unfall und den psychischen Störungen könne als sicher gelten, da die psychischen Störungen nach allem, was über die Biographie und die Persönlichkeit des Klägers bekannt sei, ohne den Unfall nicht aufgetreten wären. Eine Persönlichkeitsstörung oder psychische Disposition, die das Auftreten der depressiven Störung nach Unfall begünstigt hätte, liege nicht vor. Auf nervenärztlichem Fachgebiet betrage die unfallbedingte MdE im Jahre 2000 30 v.H. und ab März 2001 50 v.H.(Gutachten vom 06.06.2003).

Dr. L1 hat sich den Feststellungen von Prof. Dr. U über die Unfallfolgen auf chirurgischem Fachgebiet und deren MdE-Bewertung angeschlossen und unter Berücksichtigung der Feststellungen der Sachverständigen T2 die Gesamt-MdE auf 60 v.H. geschätzt. Die Beklagte ist der Kausalitätsbeurteilung der Sachverständigen T2 unter Vorlage einer Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. C2 nicht gefolgt.

Mit Urteil vom 04.12.2003 hat das SG Dortmund die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.

Gegen das am 10.12.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.12.2003 Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter. Er stützt sich auf die Feststellungen der Sachverständigen T2. Er sei aus einer Höhe von über 2 m bäuchlings mit dem ganzen Körper nach vorn auf eine Betonplatte gefallen. Dieser Unfall habe auf seine Psyche katastrophale Auswirkungen gehabt. Er sei vor dem Unfall bis auf eine Blinddarmoperation nie in ärztlicher Behandlung gewesen. Er sei kerngesund gewesen, insbesondere habe er keinerlei psychische Probleme, die mit einer Depression gleichzusetzen gewesen wären, gehabt. Allein schon das zeitliche Auftreten seiner psychischen Beschwerden nach dem Unfall spreche für einen Kausalzusammenhang.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 04.12.2003 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 19.06.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2001 zu verurteilen, ihm Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 40 v.H. nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren, hilfsweise, ein Gutachten gemäß § 109 SGG der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie E sowie ein Zusatzgutachten des Dipl.-Psychologen N2 einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Rentenakte der LVA Westfalen, die Akte des Versorgungsamtes Dortmund, die Akte des SG Dortmund S 32 SB 387/00, einen Auszug aus Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 227 bis 249, sowie die Behandlungsunterlagen der Neurologen Dres. L und C, der psychologischen Psychotherapeutin M, des praktischen Arztes Dr. I sowie von Dr. X beigezogen. Anschließend hat er die Chefärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Evangelischen und K Klinikums P, Dr. C3 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Diese hat beim Kläger eine somatoforme autonome Funktionsstörung bei akzentuierter Persönlichkeit mit hypochondrisch-depressiven Charakterzügen diagnostiziert. Auf psychiatrischem Fachgebiet lägen beim Kläger keine Gesundheitsstörungen vor, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall ständen. Beim Kläger habe prämorbid eine leicht ansprechbare Krankheitsanlage bestanden, so dass auch andere Einwirkungen, wie z.B. ein Leitersturz in der häuslichen Umgebung, jederzeit zu denselben psychischen Folgen geführt hätten. Im Rahmen der beim Kläger akzentuierten Persönlichkeit mit hypochondrisch depressiven Charakterzügen komme es in Abhängigkeit von situativen Belastungen zur Ausbildung einer hypochondrisch-ängstlich depressiv oder mehr funktionell-vegetativ bzw. psychosomatisch anmutenden Symptomatik (Gutachten vom 27.07.2004).

Auf Antrag des Klägers hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen T2 nach § 109 SGG eingeholt. Diese hat ausgeführt, dass sie nach nochmaliger Durchsicht der Akten und ihrer Aufzeichnungen zum Schluss komme, dass als Unfallfolge ein organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma (F 07.2) mit ausgeprägten depressiven Symptomen vorliege. Die Symptomatik der psychischen Störungen des Klägers entspreche am vollständigsten und genauesten den Merkmalen eines organischen Psychosyndroms. Laut ICD 10 müsse für die Diagnose eines organischen Psychosyndromes nach Schädelhirntrauma (F 07.2) eine Hirnschädigung nicht objektiv nachgewiesen sein, es müssten aber zumindest Hinweise auf eine solche vorliegen. Laut Angaben des Klägers sei unmittelbar nach dem Unfall eine Bewusstlosigkeit aufgetreten, aus der er während der Fahrt zum Krankenhaus erwacht sei. Er sei noch eine Weile desorientiert gewesen. Für die Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms spreche auch, dass die bisherigen Versuche, das Krankheitsbild ohne diese Diagnose zu beschreiben, unzulänglich seien. Die Versuche, das Krankheitsbild auf bereits vor dem Unfall bestehende Charakterzüge zurückzuführen, führten nicht bislang zu einem übereinstimmenden Ergebnis, sie ständen im Widerspruch zu den biographischen Fakten wie auch zu der Tatsache, dass sich der Kläger in seinem Affektleben seit dem Unfall verändert fühle und auch von seiner familiären Umgebung als in seinem Verhalten grundlegend verändert wahrgenommen werde. Als Teil des Krankheitsbildes eines organischen Psychosyndroms liessen sich beim Kläger die depressiven Symptome in ihrer Dauerhaftigkeit und in ihrem Auftreten spätestens einige Wochen nach dem Unfall überzeugender und folgerichtiger erklären als die Annahme einer depressiven Störung, die sich aus dem Unfall und der dadurch veränderten Lebenssituation entwickelt habe.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 07.12.2004 hat Dr. C3 ihre Diagnose aufrechterhalten. Die unauffälligen testpsychologischen Untersuchungsbefunde, der unauffällige CT-Untersuchungsbefund aus Februar 2000 und der Unfallmechanismus, der von seiner Art und Natur her nicht geeignet gewesen sei, eine hirnorganische Symptomatik auszulösen, spreche gegen die Annahme eines organischen Psychosyndroms. Beim Kläger habe allenfalls eine Comotio Cerebri vorgelegen, welche nicht mit einer Bewusstlosigkeit einhergegangen sei.

Der Senat hat den Chefarzt der neurologischen Abteilung der Klinik am S, Bad P, Dr. Dr. X1, mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser ist zum Ergebnis gelangt, aus nervenärztlicher Sicht seien keine Gesundheitsstörungen festzustellen, die mit Wahrscheinlichkeit durch das Unfallereignis vom 10.01.2000 bedingt seien. Aus organneurologischer Sicht habe eine Verletzung des zentralen und des peripheren Nervensystems nicht stattgefunden. Aus psychiatrischer Sicht sei es innerhalb einer engen zeitlichen Anbindung zum Unfallgeschehen zu keiner seelischen Reaktionsbildung beim Kläger gekommen, insbesondere zu keiner depressiven Symptomatik. Anfang Februar 2000 seien bei umfassender nervenärztlicher Beurteilung keine Störungen feststellbar gewesen, erst im März 2000, über zwei Monate nach dem Unfall, seien Symptome einer Depressivität und Ängstlichkeit aufgefallen. Es spreche gegen das Vorliegen einer unfallreaktiven seelischen Reaktionsbildung, dass ein Unfallereignis mit schwerpunktmäßiger Fraktur des Handgelenkes eine alltagstypische Belastungssituation darstelle, die zeitliche Latenz von mehr als 2 Monaten zwischen einem Unfall und dem Auftreten der seelischen Störung für eine unfallreaktive seelische Symptombildung untypisch und der Verlauf der seelischen Störung durch eine Zunahme der Symptomatik geprägt sei. Für einen Kausalzusammenhang zwischen der seelischen Störung und den Unfall spreche, dass der Kläger bis zum Unfall im seelischen Bereich störungsfrei gewesen sei und keine greifbare Persönlichkeitsstörung aufgewiesen habe. Bei Abwägung der Kriterien spreche die Mehrzahl der Argumente gegen einen Kausalzusammenhang. Ein hirnorganisches Psychosyndrom liege als Unfallfolge nicht vor. Der Kläger habe unfallbedingt eine Schädelprellung erlitten, Symptome einer traumatischen Hirnbeteiligung seien nicht objektiviert worden, wobei der Kläger sehr zeitnah zum Unfall nervenärztlicherseits gründlich unter Einbeziehung von EEG und Computertomographie untersucht worden sei. Es fehle an dem schlüssigen Nachweis einer unfallbedingten Hirnsubstanzschädigung, so dass Hirnverletzungsfolgen nicht nachgewiesen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der beigezogenen Akten der LVA Westfalen, des Versorgungsamtes Dortmund und des SG Dortmund, S 32 SB 387/00, Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Gewährung von Rente nach einer höheren MdE als 20 v.H. zu.

Nach § 56 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf eine Rente, wenn ihre Erwerbsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26.Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindesten 20 vom Hundert (v.H.) gemindert ist.

Die anerkannten Unfallfolgen " Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk in allen Richtungen mit geringer Einschränkung der Unterarmdrehbeweglichkeit, Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks für die Streckung und Beugung sowie röntgenologisch nachweisbare Veränderungen nach knöchern verheiltem Speichenbruch links und rechts" bedingen eine MdE von 20 v.H. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil, die er sich nach Prüfung zu eigen macht und sieht von einer weiteren Darstellung der Endscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Weitere Unfallfolgen, die bei der MdE-Bemessung zu berücksichtigen sind, liegen nicht vor. Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestehen nicht. Die im Jahre 2000 und später aufgetretenen psychischen Beschwerden und Erkrankungen sind nicht auf den Unfall vom 10.01.2000 zurückzuführen. Dies entnimmt der Senat dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme im ersten und zweiten Rechtszug.

Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfall, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll" , das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, d.h. nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Die Tatsachen, auf die sich die Abwägung stützt, müssen voll bewiesen sein.

Das SG hat zutreffend einen Kausalzusammenhang zwischen den psychischen Störungen des Klägers und dem Unfallereignis vom 10.01.2000 verneint. Ein Kausalzusammenhang ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Die im Verfahren gehörten Sachverständigen auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet haben übereinstimmend das Vorliegen einer unfallreaktiven Störung, einer psychischen Belastungsreaktion sowie einer posttraumatischen Belastungs- oder Anpassungsstörung verneint. Zwar hat die Sachverständige T2 zunächst das Vorliegen einer unfallbedingten Anpassungsstörung, deren Ausmaß sich im Laufe der Jahre verschlimmerte, bejaht. Sie hat diese Diagnose aber nach erneuter Durchsicht der Akten und ihrer Aufzeichnungen aufgrund der Auseinandersetzung mit den Feststellungen von Dr. C3 und den Darlegungen von Dr. C2 aufgeben. Das zeitliche Zusammentreffen der organischen Unfallfolgen mit der Entstehung der psychischen Störung des Klägers, die nach der übereinstimmenden Einschätzung aller als Sachverständige im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten Ärzte, unabhängig von ihrer diagnostischen Einordnung, eine im Vordergrund stehende depressive Symptomatik beinhaltet, genügt allein nicht zur Begründung des Ursachenzusammenhangs. Vielmehr muss das Unfallereignis wesentliche Teilursache für die psychische Störung sein. Nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. Dr. X1 spricht das Auftreten der psychischen Störung des Klägers mit einer Latenzzeit von ca. 2 Monaten sowie der Verlauf der psychischen Störung, nämlich der Zunahme der psychischen Störung anstelle einer Abnahme im Zeitablauf, gegen einen Kausalzusammenhang. Dies entspricht der herrschenden Lehrmeinung. Das Auftreten einer chronisch verlaufenden abnormen Entwicklung kann psychoreaktive Folge eines Unfalls sein, wobei depressive Symptome, anhaltende Schmerzzustände oder Angstzustände im Vordergrund stehen. Betroffen sind nach der herrschenden Lehre selbstunsichere Persönlichkeiten, die unzureichend oder nicht ausreichend in der Lage sind, auf das äußere Ereignis und die damit verbundenen Kränkungen in differenzierter Weise zu reagieren. Der Beginn der Symptome liegt innerhalb eines Monats nach dem belastenden Ereignis und hält selten länger als sechs Monate an, abgesehen von depressiven Reaktionen, die nicht länger als zwei Jahre dauern. Bleiben die Symptome bestehen, verstärken sie sich oder treten sie bei geringfügigen Traumen auf, deutet dies auf eine besondere Disposition, so dass sich die Frage der Wesentlichkeit der Krankheitsanlage zum Unfallereignis stellt (Schönberger/ Mehrtens/Valtentin, a.a.O., S. 228). Insoweit sind die Ausführungen der Sachverständigen T2 zum Kausalzusammenhang nicht nachvollziehbar, sie verneint eine individuelle persönlichkeitsbedingte Disposition und Verletzbarkeit des Klägers vor dem Unfall, vielmehr beschreibt sie den Kläger als ausdauernde und belastbare Persönlichkeit vor dem Unfall, in deren Gefüge durch den Verlust der körperlichen Kraft und der Ausdauer als Folgen des Unfalls tief eingegriffen wurde. Auch setzt sich die Sachverständige T2 bei der Bejahung des Kausalzusammenhangs nicht damit auseinander, ob unfallunabhängige seelische Belastungen, wie der Verlust des Arbeitsplatzes, finanzielle Einbrüche, enttäuschte Erwartungen an Gutachter, das Verhalten der Arbeitskollegen, rechtlich wesentlich zum weiteren Verlauf der psychischen Erkrankung beigetragen haben (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 242 f).

Es ist auch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass beim Kläger ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirntrauma besteht. Zwar hat die Sachverständige T2 im zweitinstanzlichen Verfahren beim Kläger ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirntrauma diagnostiziert, wobei sie ihre zunächst im erstinstanzlichen Verfahren gestellte Diagnose einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und ab März 2001 einer schweren depressiven Störung revidiert hat. Sie ist nach nochmaliger Durchsicht der Akten und ihrer Unterlagen zum Ergebnis gelangt, dass die Symptomatik der psychischen Störung des Klägers am vollständigsten und genauesten den Merkmalen eines organischen Psychosyndroms im Sinne des ICD-10 (F 07.2) entspreche und Hinweise auf eine Hirnschädigung vorlägen, eine Hirnschädigung müsse nicht nachgewiesen sein. Die nicht eindeutige Zuordnungsfähigkeit des psychischen Erkrankung des Klägers zu einem psychischen Krankheitsbild und das Fehlen einer greifbaren Persönlichkeitsstörung vor dem Unfall spreche für diese Diagnose. Dabei hat die Sachverständige eingeräumt, dass objektive Hinweise für eine Gehirnschädigung anhand eines EEG und bildgebenden Verfahrens nicht vorliegen. Insoweit stimmt sie mit den Ausführungen der übrigen gehörten Sachverständigen auf neurologisch/psychiatrischem Fach überein, dass eine substantielle Hirnsubstanzschädigung anhand der EEG-Befunde und der Computertomographieaufnahme nicht objektiviert ist. Nach der ICD-10 ist für ein organisches Psychosandrom nach Schädelhirntrauma zwar der objektive Nachweis einer Gehirnschädigung nicht erforderlich, wohl aber die Anamnese eines Schädelhirntraumas mit Bewusstlosigkeit, das dem Beginn der Symptome bis zu vier Wochen vorausgeht. Das Vorliegen eines solchen Schädelhirntraumas wie das Auftreten der Symptome innerhalb der von der ICD-10 vorgegebenen Latenzzeit ist nicht voll erwiesen, so dass ein diagnostisches Kriterium der ICD-10 nicht erfüllt ist. Der Sturz des Klägers aus einer Höhe von ca. 1,80 Meter verursachte eine Schädelprellung, ein gedecktes Schädeltrauma. Eine Bewußtlosigkeit des Klägers ist in den Berichten der den Kläger unmittelbar nach dem Unfall behandelnden Ärzte nicht dokumentiert. Im Durchgangsarztbericht vom 10.01.2000 heißt es, dass beim Kläger keine Bewusstlosigkeit, keine Amnesie, keine Übelkeit und kein Erbrechen aufgetreten seien; Dr. L berichtet im Befundbericht vom 09.02.2000, dass der Kläger das Auftreten einer Bewusstlosigkeit nach dem Sturz verneint habe und eine Commotio oder Contusio cerebri weitgehend ausgeschlossen werden könne. Die anamnestischen Angaben des Klägers bei den Untersuchungen im Gerichtsverfahren sind nicht eindeutig. Bei der Untersuchung durch Dr. T1 hat der Kläger angegeben, dass "er meine, er sei bewusstlos gewesen, habe erst wieder etwas mitbekommen, als die anderen Kollegen neben ihm standen". Gegenüber der Sachverständigen T2 erklärte er, "er habe nicht gewusst, was los sei. Die Kollegen hätten ihn wegfahren wollen ...". Demgegenüber gab der Kläger bei Dr. C3 an, dass er nicht bewusstlos gewesen sei bzw. bei Dr. Dr. X1, dass er kurzzeitig "weg gewesen" sei. Das Auftreten einer psychischen Störung innerhalb von vier Wochen nach dem Unfall ist ebenfalls nicht belegt. Bei der Untersuchung des Klägers am 01. und 03.02.2000, mithin 22 Tage bzw. 24 Tage nach dem Unfall, erhob Dr. L einen unauffälligen psychischen Befund. Erst in dem Bericht vom 13.03.2000 berichtete Dr. L vom Auftreten von Angstzuständen und Depressionen (Untersuchung am 28.02. und 09.3.2000).

Der Antrag des Klägers auf Anhörung einer weiteren Sachverständigen auf psychiatrischem Fachgebiet sowie eines Diplom-Psychologen als Ärzte seines Vertrauens nach § 109 SGG lehnt der Senat ab. Der Anspruch auf Begutachtung nach § 109 SGG ist durch die Einholung des Gutachtens der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie T2 im erstinstanzlichen Verfahren sowie der ergänzenden Stellungnahme vom 18.11.2004 im zweitinstanzlichen Verfahren erschöpft. Die Anhörung mehrerer Ärzte desselben Fachgebietes nach § 109 SGG ist grundsätzlich nicht geboten, insoweit gilt der Anspruch als "verbraucht" (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 109 Rdnr. 4a, 5 und 10a). Der Kläger hat keine besonderen Umstände dargelegt, die eine nochmalige Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG auf psychiatrischem Fachgebiet rechtfertigen. Die Tatsache allein, dass die von ihm benannte Ärztin des Vertrauens, Neurologin und Psychiaterin T2 ihre Diagnosen und Kausalitätsbeurteilungen in der ergänzenden Stellungnahme vom 18.11.2004 im Vergleich zu den Darlegungen im erstinstanzlichen Gutachten vom 04.06.2003 geändert hat, genügt nicht. Der Antrag auf Einholung eines Zusatzgutachtens vom Diplom-Psychologen N2 ist ebenfalls abzulehnen. Das Antragsrecht des § 109 SGG bezieht sich ausschließlich auf die gutachterliche Anhörung eines Arztes, § 109 SGG berechtigt nicht zur Benennung eines Diplom-Psychologen (LSG Bremen, Urteil vom 05.10.1989, L 3 Vs 15/87; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.05.2004, L 7 U 50/01/03).

Der Senat sieht sich nicht gedrängt, von Amts wegen ein weiteres medizinisches Gutachten einzuholen. Der vom Kläger zu den Akten gereichte Bericht der W-Klinik vom 14.01.2005 über die stationäre Behandlung in der Zeit vom 30.11.2004 bis 11.01.2005, in dem beim Kläger eine mittel- bis schwergradige depressive Episode und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung beschrieben wird, hat dem Sachverständigen Dr. Dr. X1 bei der Abfassung des Gutachtens vom 22.03.2005 vorgelegen und ist bei der Würdigung des Sachverhaltes mitberücksichtigt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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