L 12 AL 294/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AL 131/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 294/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 05.11.2004 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 05.07.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2004 wird insoweit abgeändert, als das Arbeitslosengeld des Klägers um mehr als 133,00 EUR gemindert worden ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt 1/4 der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung.

Der am 00.00.1956 geborene Kläger arbeitete zuletzt vom 01.07.2003 bis zum 30.06.2004 als Mitarbeiter im Bereich Haustechnik für den O-Verein e.V ... Das Arbeitsverhältnis war von vornherein auf 12 Monate befristet.

Am 26.04.2004 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Dieses wurde ihm ab dem 01.07.2004 für die Dauer von 180 Leistungstagen bewilligt. Mit Bescheid vom 05.07.2004 minderte die Beklagte den Anspruch, weil der Kläger sich um 25 Tage zu spät arbeitslos gemeldet habe. Sie stützte ihre Entscheidung auf die §§ 37 b, 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) und errechnete einen Minderungsbetrag in Höhe von 175,00 EUR (7,00 EUR x 25 Tage = 175,00 EUR). Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er habe die Pflicht zur unverzüglichen Meldung nicht verletzt, weil § 37 b SGB III lediglich festlege, wann man sich im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses frühestens zu melden habe. Dies habe er beachtet. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2004 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf die zitierten Vorschriften zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 02.09.2004 vor dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben. Er hat weiterhin die Auffassung vertreten, seiner Meldepflicht nach § 37 b SGB III Genüge getan zu haben.

Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 05.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2004 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger hätte sich spätestens am 31.03.2004 arbeitsuchend melden müssen. Er habe sich jedoch erst am 26.04.2004 arbeitslos gemeldet und damit um 25 Tage zu spät. Bei einem Bemessungsentgelt von 130,00 EUR in der Woche ergebe sich eine Minderung von 25 x 7,00 EUR = 175,00 EUR.

Mit Urteil vom 05.11.2004 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Es hat die Auffassung vertreten, dass es für die Entscheidung der Beklagten keine Rechtsgrundlage gebe. Der Begriff "unverzüglich" in § 37 b Satz 1 SGB III sei so zu verstehen, dass sich der Betroffene ohne schuldhaftes Zögern arbeitslos melden müsse. Die Formulierung "frühestens" in § 37 b Satz 2 SGB III könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sich der Betroffene genau 3 Monate vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses melden müsse. Wegen des genauen Wortlauts der Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen.

Gegen dieses ihr am 11.11.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.11.2004 eingegangene Berufung der Beklagten. Sie hat unter umfangreicher Bezugnahme auf das Schrifttum die Auffassung vertreten, gegen die Anwendbarkeit der §§ 37 b, 140 SGB III bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Unverzüglich bedeute ohne schuldhaftes Zögern. Auf die Kenntnis des Betroffenen von seiner Meldepflicht komme es nicht an. Daher müsse sich ein Arbeitnehmer in einem befristeten Arbeitsverhältnis genau 3 Monate vor Ablauf des Beschäftigungsverhältnisses arbeitslos melden. Der Kläger habe diese Frist um 25 Tage überschritten, so dass die Minderung dem Grunde und der Höhe nach zu Recht erfolgt sei. Wegen des genauen Wortlauts der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 21.12.2004 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 05.11.2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor, den genauen Wortlaut des § 37 b SGB III habe er sich erst nach dem Minderungsbescheid besorgt. Einige Zeit vor der Arbeitslosmeldung habe er sich jedoch bei einem Besuch des Arbeitsamtes eine dort ausliegende Broschüre mitgenommen. Darin habe gestanden, was zu tun ist, wenn man arbeitslos werde. Die grundsätzliche Pflicht, sich rechtzeitig beim Arbeitsamt bei Arbeitslosigkeit zu melden, sei ihm jedoch seit langem bekannt gewesen. Er habe eine Vorstellung von 3 Monaten vor Eintritt der Arbeitslosigkeit gehabt. An dieses Wissen habe er sich allerdings dann konkret nicht gehalten, weil er aus der bereits erwähnten Broschüre erfahren habe, dass er sich frühestens 3 Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zu melden habe. Hieraus habe er geschlossen, dass er sich nicht an die 3-Monatsfrist halten müsse.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten mit der Kundennummer 000 Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, weil das Sozialgericht sie gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassen hat. Der Streitwert beträgt 175,00 EUR. Das Landessozialgericht ist gemäß § 144 Abs. 3 SGG an die Zulassung durch das Sozialgericht gebunden.

Die Berufung ist auch teilweise begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht entschieden, dass die §§ 37 b, 140 SGB III nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen können. Verfassungsrechtliche Bedenken hat der Senat im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts nicht. Er sieht sich in seiner Auffassung durch die inzwischen vorliegende Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) bestätigt. Die beiden zuständigen Senate des BSG haben mit Urteilen vom 25.05.2005 und 18.08.2005 (Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81 und 47/04 R - und vom 18.08.2005 - B 7a AL 4/05 R und B 7a/7 AL 80/04 R -) übereinstimmend diese Vorschrift angewandt, ohne verfassungsrechtliche Bedenken zu äußern. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Aus den zitierten Urteilen folgt weiter, dass es auf die Kenntnis des Betroffenen von seiner Meldepflicht ankommt. Die gegenteilige Ansicht der Beklagten wird vom BSG nicht geteilt. Auch insoweit schließt sich der erkennende Senat der Rechtsprechung des BSG an. Übertragen auf den vorliegenden Fall ist daher zunächst festzustellen, wann der Kläger Kenntnis von seiner Meldepflicht hatte. Der Senat geht aufgrund der eigenen Angaben des Klägers davon aus, dass dieser wusste, dass er sich 3 Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsagentur arbeitslos melden musste. Er hat bei seiner Befragung durch den Senat sogar bekundet, dass er diese Regelung für sinnvoll und angebracht hält. Diese Kenntnis hatte er auch bereits vor dem 01.04.2004, wie er selbst angibt. Lediglich durch ein Informationsblatt der Beklagten sei er davon abgehalten worden, sich "pünktlich" zu melden. Durch die Formulierung in dem Informationsblatt, das bei befristeten Arbeitsverhältnissen die Meldung frühestens 3 Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zu erfolgen habe, habe er geschlossen, dass eine Meldung irgendwann nach dem 31.03.2004 noch rechtzeitig sei. Diese Auffassung kann der Senat nicht teilen. Jemand der - wie der Kläger - die Meldepflicht kennt, muss die Rechtslage sorgfältig prüfen (vgl. BSG vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - unter Randnr. 19). Wer weiß, dass er sich 3 Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsagentur melden muss und auch gelesen hat, dass diese Meldung bei befristeten Arbeitsverhältnissen frühestens 3 Monate vorher geschehen soll, der macht es sich zu einfach, wenn er dann meint, nun könne er die erforderliche Meldung notfalls bis zum letzten Tag des befristeten Arbeitsverhältnisses zurückstellen. Der Senat stellt somit aufgrund der eigenen Angaben des Klägers fest, dass er sich eigentlich am 31.03.2004 hätte arbeitslos melden müssen. Insoweit trifft den Kläger ein subjektiver Fahrlässigkeitsvorwurf im Sinne der zitierten BSG-Rechtsprechung, dass er das ihm bekannte Informationsblatt der Beklagten nicht hinterfragt hat.

Gleichwohl konnte die Berufung nicht in vollem Umfang Erfolg haben. Aus der Formulierung "unverzüglich" in § 37 b Satz 1 und "frühestens" in Satz 2 SGB III schließt der Senat, dass nicht eine Meldung konkret an einem bestimmten Tag gemeint sein kann. Dem Betroffenen muss nach Ansicht des Senats ein gewisser Handlungsspielraum eingeräumt werden. So wird auch in der BSG-Entscheidung vom 25.05.2005 unter Randnr. 32 (a.a.O.) ausdrücklich offen gelassen, welche Handlungsfrist dem Arbeitnehmer nach Kenntnis von der Meldepflicht zur Verfügung steht. Der Senat hält eine Handlungsfrist von 5 Werktagen ab Kenntnis sowohl bei unbefristeten als auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen für angebracht. Dies deshalb, um unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Im Hinblick auf die Höhe des möglichen Streitwertes ist es für die Versicherungsgemeinschaft hinnehmbar, dass man bei einer Meldung innerhalb von 5 Werktagen auf jegliche Prüfung der "Unverzüglichkeit" verzichtet und diese unterstellt. Erst bei einer Meldung ab dem 6. Werktag nach Kenntnis obliegt es dem Leistungsbezieher darzulegen und zu beweisen, dass in seinem konkreten Einzelfall ein Schuldvorwurf nicht zu erheben ist. Der Senat hat bereits oben dargelegt, dass dem Kläger hier dieser Schuldvorwurf zu machen ist.

Rechnerisch ergibt sich aus den vorstehenden Darlegungen folgendes Ergebnis: Der Kläger hätte sich am 31.03.2004 arbeitslos melden müssen. Ihm war eine Handlungsfrist von 5 Werktagen bis 07.04.2004 einzuräumen, also hätte er sich am 08.04.2004 arbeitslos melden müssen. Gemeldet hat er sich am 26.04.2004, also 19 Tage zu spät. Bei einem Bemessungsentgelt unter 400,00 EUR (= 130,00 EUR) errechnet sich nach § 140 SGB III ein Minderungsbetrag von 19 x 7,00 EUR = 133,00 EUR. In diesem Umfang war der Berufung stattzugeben, im Übrigen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 zugelassen. Dem Senat ist bekannt, dass in Fällen befristeter Arbeitsverhältnisse die Auslegung des Wortes "frühestens" in § 37 b SGB III Gegenstand anhängiger Revisionsverfahren beim BSG ist. Ferner hat das BSG die angenommene Handlungsfrist nach Kenntnis in der Entscheidung vom 25.05.2005 (a.a.O.) ausdrücklich offen gelassen. Dem Senat schien es daher geboten, die Revision zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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