Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KR 44/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 12/07 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 13.01.2007 geändert. Den Klägern wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N, F, gewährt.
Gründe:
I. Die Kläger (D. Kl.) begehren Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren. Im Hauptsacheverfahren beanspruchen sie die Übernahme der Gesamtkosten und nicht nur der Hälfte der Kosten für die Durchführung einer geplanten Maßnahme der künstlichen Befruchtung (Intracytoplasmatische Spermieninjektion - ICSI) im Sinne von § 27a des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs.
Die bei der Beklagten krankenversicherten Kl. sind 1969 und 1968 geboren und miteinander verheiratet. Die Kl. zu 1) ist berufstätig, der Kl. zu 2) arbeitslos und Bezieher von Grundsicherungsleistungen gemäß dem 2. Buch des Sozialgesetzbuchs. Beide bilden eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne der Grundsicherungsregelungen.
Bei der Kl. zu 1) besteht eine sekundäre Sterilität (erworbene Unfruchtbarkeit, offenbar nach bereits vorangegangener Schwangerschaft), eine Hyperandrogenämie (krankhaft erhöhte Konzentration von männlichen Hormonanteilen), während bei dem im Wesentlichen an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus und einer Poly-Neuropathie erkrankten Kl. zu 2) offenbar ein Oligo-Astheno-Teratospermie-Syndrom besteht (häufigste Fruchtbarkeitsstörung beim Mann bei gleichzeitigem Vorkommen verminderter Samendichte, erniedrigter Spermienbeweglichkeit und einer erhöhten Rate von Samenfehlformen). Aus dem Verfahren des Kl. zu 2) vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg, Az.: S 7 (27) KR 55/02, ist außerdem eine ausgeprägte Erektionsschwäche bekannt.
Auf den für die Eheleute erstellten Behandlungsplan des Reproduktionsmediziners Prof. Dr. L vom 22.02.2006 genehmigte d. Bekl. noch am selben Tage die geplante Behandlung und erklärte sich bereit, entsprechend den Neuregelungen des § 27a SGB V 50 vom Hundert (v.H.) der entstehenden Kosten einschließlich der Medikamentenkosten zu tragen. Der Widerspruch, mit dem d. Kl. im Wesentlichen geltend machen, § 27a SGB V sei verfassungswidrig, weil die Norm keine Härteregelung für einkommensschwache Ehepaare enthalte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.05.2006, zugestellt am 29.05.2006).
Mit der am 26.06.2006 erhobenen Klage verfolgen d. Kl. ihr Begehren weiter. Ihren Antrag auf PKH und Beiordnung ihres Bevollmächtigten hat das SG mit Beschluss vom 09.01.2007 abgelehnt. Auf den Inhalt der umfangreichen Begründung wird Bezug genommen. Im Wesentlichen hat das SG ausgeführt, angesichts des Umstandes, dass Maßnahmen keine Leistungen der Krankenbehandlung seien, für die das SGB V in erster Linie einstehe, habe der Gesetzgeber ein besonders weites Gestaltungsermessen. Dieses ermögliche es, auch einkommensschwachen Paaren die Gesamtleistung zu versagen, zumal es auch nicht um die Behebung lebensbedrohlicher Zustände gehe (Übereinstim-mung u.a. mit LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.06.2006, Az. L11 KR 358/06, offenbar rechtskräftig, veröffentlicht in "juris").
Dagegen richtet sich die am 15.02.2007 eingelegte Beschwerde. Das SG hat nicht abgeholfen (Beschluss vom 16.02.2007).
Der Senat hat aus dem Verfahren S 8 KR 235/05 SG Dortmund = LSG NRW L 11 KR 78/07 (noch anhängig) das dort angefochtene, klageabweisende Urteil und Kopien des Rechtsgutachtens von Prof. Dr. Sodan, Berlin, zu § 27a SGB V (August 2006) zu den Akten genommen.
II. Die Beschwerde ist begründet. D. Kl n. steht die begehrte Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) trotz der beachtlichen Erwägungen des SG zu.
Der erhobenen Klage kann nämlich in Hinblick auf die von Prof. Dr. Sodan, einem renommierten Verfassungs- und Krankenversicherungsrechtler, umfassend begründeten Bedenken nicht die erforderliche, hinreichende Aussicht auf Erfolg völlig versagt werden. Sie erscheint auch nicht mutwillig. Im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass das Ergebnis der Prüfung verfassungsrechtlicher Fragen derzeit noch als offen bezeichnet werden muss. Zwar neigt der Senat dazu, die Auffassung des SG eher für richtig zu halten, zumal auch weitere Stimmen in der Literatur die Frage der Benachteiligung vermögensloser Paare nicht weiter problematisiert haben (vgl. R. Brandts in: 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht, hrsg. vom Deutschen Anwaltverein, 2007; siehe auch Ch. Padé in Soziale Sicherheit 2006, 394 ff.). Eine abschließende Entscheidung zu dieser grundsätzlichen Frage kann jedoch nur nach weiteren Beratungen, auch unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, in einem Hauptsacheverfahren getroffen werden. Dies rechtfertigt es, den Klägern vorsorglich PKH zu gewähren.
Des Weiteren könnte - sofern die Auffassung d. Bekl. zur grundsätzlichen Kostenbeteiligung auch vermögensloser Paare zutreffend sein sollte - streitig sein, in welchem Umfange d. Bekl. die Höhe der 50%igen Kostenbeteiligung zu berechnen hat (50 v.H. der jeweiligen Kosten für Maßnahmen am Körper eines jedes Versicherten; je 50 v.H. der extrakorporalen Maßnahmen für jeden Versicherten). Insoweit nimmt der Senat auf den Richterbrief vom 24.07.2007 Bezug.
An der Bedürftigkeit der Kl. bestehen keine Zweifel.
Rechtsmittelbelehrung: Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Gründe:
I. Die Kläger (D. Kl.) begehren Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren. Im Hauptsacheverfahren beanspruchen sie die Übernahme der Gesamtkosten und nicht nur der Hälfte der Kosten für die Durchführung einer geplanten Maßnahme der künstlichen Befruchtung (Intracytoplasmatische Spermieninjektion - ICSI) im Sinne von § 27a des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs.
Die bei der Beklagten krankenversicherten Kl. sind 1969 und 1968 geboren und miteinander verheiratet. Die Kl. zu 1) ist berufstätig, der Kl. zu 2) arbeitslos und Bezieher von Grundsicherungsleistungen gemäß dem 2. Buch des Sozialgesetzbuchs. Beide bilden eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne der Grundsicherungsregelungen.
Bei der Kl. zu 1) besteht eine sekundäre Sterilität (erworbene Unfruchtbarkeit, offenbar nach bereits vorangegangener Schwangerschaft), eine Hyperandrogenämie (krankhaft erhöhte Konzentration von männlichen Hormonanteilen), während bei dem im Wesentlichen an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus und einer Poly-Neuropathie erkrankten Kl. zu 2) offenbar ein Oligo-Astheno-Teratospermie-Syndrom besteht (häufigste Fruchtbarkeitsstörung beim Mann bei gleichzeitigem Vorkommen verminderter Samendichte, erniedrigter Spermienbeweglichkeit und einer erhöhten Rate von Samenfehlformen). Aus dem Verfahren des Kl. zu 2) vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg, Az.: S 7 (27) KR 55/02, ist außerdem eine ausgeprägte Erektionsschwäche bekannt.
Auf den für die Eheleute erstellten Behandlungsplan des Reproduktionsmediziners Prof. Dr. L vom 22.02.2006 genehmigte d. Bekl. noch am selben Tage die geplante Behandlung und erklärte sich bereit, entsprechend den Neuregelungen des § 27a SGB V 50 vom Hundert (v.H.) der entstehenden Kosten einschließlich der Medikamentenkosten zu tragen. Der Widerspruch, mit dem d. Kl. im Wesentlichen geltend machen, § 27a SGB V sei verfassungswidrig, weil die Norm keine Härteregelung für einkommensschwache Ehepaare enthalte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.05.2006, zugestellt am 29.05.2006).
Mit der am 26.06.2006 erhobenen Klage verfolgen d. Kl. ihr Begehren weiter. Ihren Antrag auf PKH und Beiordnung ihres Bevollmächtigten hat das SG mit Beschluss vom 09.01.2007 abgelehnt. Auf den Inhalt der umfangreichen Begründung wird Bezug genommen. Im Wesentlichen hat das SG ausgeführt, angesichts des Umstandes, dass Maßnahmen keine Leistungen der Krankenbehandlung seien, für die das SGB V in erster Linie einstehe, habe der Gesetzgeber ein besonders weites Gestaltungsermessen. Dieses ermögliche es, auch einkommensschwachen Paaren die Gesamtleistung zu versagen, zumal es auch nicht um die Behebung lebensbedrohlicher Zustände gehe (Übereinstim-mung u.a. mit LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.06.2006, Az. L11 KR 358/06, offenbar rechtskräftig, veröffentlicht in "juris").
Dagegen richtet sich die am 15.02.2007 eingelegte Beschwerde. Das SG hat nicht abgeholfen (Beschluss vom 16.02.2007).
Der Senat hat aus dem Verfahren S 8 KR 235/05 SG Dortmund = LSG NRW L 11 KR 78/07 (noch anhängig) das dort angefochtene, klageabweisende Urteil und Kopien des Rechtsgutachtens von Prof. Dr. Sodan, Berlin, zu § 27a SGB V (August 2006) zu den Akten genommen.
II. Die Beschwerde ist begründet. D. Kl n. steht die begehrte Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) trotz der beachtlichen Erwägungen des SG zu.
Der erhobenen Klage kann nämlich in Hinblick auf die von Prof. Dr. Sodan, einem renommierten Verfassungs- und Krankenversicherungsrechtler, umfassend begründeten Bedenken nicht die erforderliche, hinreichende Aussicht auf Erfolg völlig versagt werden. Sie erscheint auch nicht mutwillig. Im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass das Ergebnis der Prüfung verfassungsrechtlicher Fragen derzeit noch als offen bezeichnet werden muss. Zwar neigt der Senat dazu, die Auffassung des SG eher für richtig zu halten, zumal auch weitere Stimmen in der Literatur die Frage der Benachteiligung vermögensloser Paare nicht weiter problematisiert haben (vgl. R. Brandts in: 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht, hrsg. vom Deutschen Anwaltverein, 2007; siehe auch Ch. Padé in Soziale Sicherheit 2006, 394 ff.). Eine abschließende Entscheidung zu dieser grundsätzlichen Frage kann jedoch nur nach weiteren Beratungen, auch unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, in einem Hauptsacheverfahren getroffen werden. Dies rechtfertigt es, den Klägern vorsorglich PKH zu gewähren.
Des Weiteren könnte - sofern die Auffassung d. Bekl. zur grundsätzlichen Kostenbeteiligung auch vermögensloser Paare zutreffend sein sollte - streitig sein, in welchem Umfange d. Bekl. die Höhe der 50%igen Kostenbeteiligung zu berechnen hat (50 v.H. der jeweiligen Kosten für Maßnahmen am Körper eines jedes Versicherten; je 50 v.H. der extrakorporalen Maßnahmen für jeden Versicherten). Insoweit nimmt der Senat auf den Richterbrief vom 24.07.2007 Bezug.
An der Bedürftigkeit der Kl. bestehen keine Zweifel.
Rechtsmittelbelehrung: Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
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