Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 314/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 2032/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.10.2010 wird zurückgewiesen. Der erneute Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen eine Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) durch den Beklagten.
Der 1962 geborene Kläger bezieht seit Januar 2005 von dem Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II.
Aufgrund eines Betriebsunfalls am 22.12.1994 erhielt er ab 12.10.2005 vom Unfallversicherungsträger eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. in Höhe von zunächst 433,18 Euro bzw. steigend bis 440,31 Euro monatlich (Bescheide der Bergbau-Berufsgenossenschaft vom 14.11.2006 und 02.12.2008). In sämtlichen Leistungsanträgen beantwortete er die Frage, ob er eine Rente beziehe, entweder nicht oder mit "nein" bzw. gab bei Fortzahlungsanträgen an, dass sich keine Änderungen ergeben hätten.
Nachdem der Beklagte vom Rentenbezug des Klägers erfuhr, hob er nach entsprechender Anhörung mit Bescheid vom 11.01.2010 die vorangegangenen Bewilligungsbescheide gem. § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und forderte überzahlte Leistungen in Höhe von 21.011,60 Euro zurück, da der Kläger in seinen jeweiligen Anträgen zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2010 zurück.
Der Kläger hat am 23.03.2010 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Aachen erhoben. Dem Beklagten sei aufgrund der Beurteilung im Profiling bekannt gewesen, dass er über einen Grad der Behinderung von 20 aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls verfüge. Entsprechend sei Kenntnis eines Rentenanspruchs vorauszusetzen. Im Übrigen habe er den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht selbst ausgefüllt, sondern dies vielmehr seinem Vater überlassen, der über Jahre bei einer Behörde tätig gewesen sei. Er habe die Anträge lediglich unterschrieben. Seinem Vater sei die Teilrente nicht bekannt gewesen. Aufgrund der Komplexität des Antragsverfahrens und der Tatsache, dass er lediglich eine Sonderschule besucht habe, könne von einer groben Fahrlässigkeit nicht die Rede sein. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen des § 45 SGB X deshalb nicht gegeben, weil bis zum Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 05.09.2007 höchstrichterlich nicht geklärt gewesen sei, ob eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Einkommen iSv § 11 SGB II erfasst werden müsse. Diese Frage sei vorher streitig diskutiert worden. Eine Anrechnung der Verletztenrente könne somit vor Bekanntmachung der Entscheidung des BSG nicht erfolgen. Gegen die vom BSG vorgenommene Auslegung bestünden im Übrigen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 25.10.2010 abgewiesen. Der Beklagte habe die Bewilligungen von Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 12.10.2005 bis zum 31.12.2009 zu Recht aufgehoben bzw. zurückgenommen und die Erstattung der erbrachten Leistungen gefordert.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung in der Zeit vom 12.10.2005 bis zum 31.03.2006 sei § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X iVm § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 3 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sowie § 50 Abs. 1 SGB X iVm § 40 Abs. 2 SGB II. Die ab Oktober ausgezahlte Verletztenrente sei Einkommen, das der Kläger nach Erlass der Verwaltungsakte, die diese Zeiträume betrafen, erzielt habe. Die Verletztenrente sei weder ganz noch teilweise als privilegiertes Einkommen anzusehen (vgl. BSG Urteil vom 05.09.2007 - B 11b AS 157/06 R). Soweit der Beklagte den Rückforderungsbescheid für diesen Zeitraum auf § 45 SGB X gestützt habe, sei dies unbeachtlich, da lediglich ein Austausch der Begründungen vorliege. Ermächtigungsgrundlage für die Teilrücknahme- und Erstattungsentscheidung für die im Zeitraum vom 01.04.2006 bis 31.12.2009 gezahlten Leistungen sei § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X iVm § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III. Die Bescheide, die ab dem 01.04.2006 der Bewilligung von Leistungen zugrunde lagen, seien im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig gewesen, da sie die Verletztenrente nicht anspruchsmindernd berücksichtigt hätten. Der Kläger habe den Bezug der Verletztenrente zumindest grob fahrlässig nicht angegeben, obwohl im Leistungsantrag ausdrücklich nach dem Bezug von Renten gefragt worden sei. Er habe auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Einsichtsfähigkeit die Bedeutung dieser Frage erkennen können. Soweit der Kläger vortrage, er habe die Formulare unbesehen unterschrieben, entlaste ihn dies nicht, denn er habe sie eigenhändig unterschrieben und müsse sich daran festhalten lassen. Soweit dies unbesehen passiert sein solle, sei schon dies für einen Volljährigen eine besonders schwere Verletzung der erforderlichen Sorgfalt. Es könne dahinstehen, ob der Kläger Kenntnis von den in Rechtsprechung und Literatur bestehenden Meinungen zur Anrechenbarkeit der Verletztenrente gehabt habe. Selbst wenn er die Verletztenrente für nicht anrechenbar gehalten habe, habe er dennoch vollständige Angaben machen müssen. Es habe auch keine Verpflichtung des Beklagten bestanden, die Angaben des Klägers in seinen Anträgen mit seinen Angaben im sog. Profiling abzugleichen. In diesem sei im Übrigen nicht direkt von Verletztenrente, sondern lediglich von einem Grad der Behinderung von 20 die Rede gewesen.
Gegen das ihm am 05.11.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.11.2010 Berufung eingelegt und im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Insbesondere hat er nochmals darauf hingewiesen, dass er beim Ausfüllen der Formulare nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Rechtsklarheit über die Anrechnung von Verletztenrente sei erst mit Bekanntgabe des Urteils des BSG vom 05.09.2007 herbeigeführt worden. Bis zur Veröffentlichung könne ihm daher nicht angelastet werden, dass die Verletztenrente Einkommen darstelle. Außerdem habe der Beklagte vom Anspruch auf Verletztenrente wegen der Angaben im Profiling gewusst. Nach Erlass des Urteils wäre es Aufgabe des Beklagten gewesen, hinsichtlich der Art der Rente im Fragebogen zu differenzieren und ihn auf die höchstrichterliche Entscheidung hinzuweisen. Im Übrigen lasse das Sozialgericht sein intellektuelles Leistungsvermögen außer Betracht. Schließlich stehe die Anrechnung der Verletztenrente nach dem Urteil des BSG mit dem Grundgesetz nicht im Einklang. Es werde angeregt, das Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Der Bürger, der einen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Schaden erleide, verliere kraft Gesetzes sämtliche Schmerzensgeldansprüche, was bis zur Entscheidung des BSG mit der Ausgleichsfunktion einer Verletztenrente begründet worden sei. Ein solcher Ausgleich finde nicht mehr hinreichend statt, wenn die Leistung allein zur Sicherung des Lebensunterhalts verbraucht werden müsse.
Der Senat hat den Antrag auf Bewilligung von PKH mit Beschluss vom 18.02.2011 abgelehnt. Mit Schreiben vom 14.04.2011 hat der Kläger erneut Antrag auf Gewährung von PKH gestellt. Die Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 05.09.2007 überschreite die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und verletzte Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). In diesem Zusammenhang werde auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25.01.2011 (NJW 2011, 836 ff.) verwiesen. Dort sei ausgeführt, dass ein Richter sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen dürfe. Er müsse die gesetzgeberische Entscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Der Gesetzesgeschichte und dem Wortlaut von § 11 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz SGB II lasse sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber einen Systemwechsel, nämlich von der zu Zeiten der Arbeitslosenhilfe nicht anrechenbaren Verletztenrente in eine nunmehr anrechenbare Verletztenrente im SGB II habe vornehmen wollen.
Der Kläger beantragt schriftlich,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.10.2010 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 11.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2010 aufzuheben sowie
ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K, F zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet. Eine weitere mündliche Verhandlung hält der Senat nicht für erforderlich. Das Rechtsmittel wird daher ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153 Abs. 4 SGG).
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 11.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2010 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die vom Kläger in der Berufungsbegründung wiederholten und vertieften Ausführungen vermögen nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen.
Dass Rechtsklarheit über die Frage der Anrechnung von Verletztenrente erst mit der Entscheidung des BSG im September 2007 herbeigeführt wurde, bleibt ohne Einfluss. Für den Zeitraum bis Ende März 2006 kommt es auf ein subjektives Moment im Verhalten des Klägers ohnehin nicht an. Für den anschließenden Zeitraum ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen. In den Antragsvordrucken wird ausdrücklich nach einer "Rente" gefragt; die Bescheide der Berufsgenossenschaft sind mit "Rente" übertitelt. Dem Kläger oblag es damit, die erhaltene Rente auch anzugeben. Diese einfache Angabe war dem Kläger trotz seiner eingeschränkten Schulbildung auch möglich. Die Beurteilung, ob eine bestimmte Art von Rente von der Anrechnung ggf. ausgenommen sein könnte, bleibt allein dem Leistungsträger (und ggf. den Gerichten) vorbehalten. Im Übrigen begegnet die Argumentation Zweifeln, der Kläger sei einerseits nicht grob fahrlässig gewesen, weil er die konkret von ihm bezogene Verletztenrente wegen der hier juristisch bis September 2007 streitigen Frage nicht als anrechenbare Rente angesehen habe, während andererseits argumentiert wird, seine Bildung reiche nicht aus, um den Antrag überhaupt korrekt auszufüllen.
Ohne Einfluss ist weiterhin, dass dem Beklagten "ein Grad der Behinderung" des Klägers von 20 bekannt war. Zutreffend hat das SG hier ausgeführt, dass allein aus dieser Angabe nicht auf den konkreten Bezug einer Verletztenrente geschlossen werden kann. Es obliegt grundsätzlich dem Hilfebedürftigen, die Antragsformulare für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II vollständig auszufüllen. Fehlt es hier an Angaben, kann eine grobe Fahrlässigkeit allenfalls dann entfallen, wenn der Hilfebedürftige im Hinblick auf weitere konkrete und besondere Umstände darauf vertrauen kann, alle notwendigen Angaben gemacht zu haben (z.B. wenn der Antrag vom Leistungsträger ausgefüllt wird und der Kläger einen Rentenbescheid zu den Akten reicht). Dies ist hier nicht der Fall.
Schließlich verstößt die Anrechnung der Verletztenrente auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen das Grundgesetz. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 05.09.2007 - B 11b AS 15/06 R eingehend begründet, dass es im Rahmen des dem Gesetzgeber zuzubilligenden weiten Gestaltungsspielraums verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn die Verletztenrente im Rahmen des SGB II nicht anrechnungsfrei bleibt. Auch der erkennende Senat vertritt im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. BVerfG Beschluss vom 22.05.2003 - 1 BvR 452/99 Rn 17 in FamRZ 2003, 1084 ff.; Beschluss vom 26.04.1988 - 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.) die Auffassung, dass eine richterliche Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidungen, insbesondere denjenigen im Rahmen der gewährenden Staatstätigkeit, nur in begrenztem Umfang möglich ist. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, dass es einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf bestimmte Geldbeträge für bestimmte Bedarfe nicht gibt (vgl. BSG Urteil vom 18.06.2008 - B 14 AS 55/07 Rn 44 mwN in SGb 2009, 548 ff.).
Auch der mit dem wiederholten Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH vorgetragene Hinweis, der Richter müsse die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen, vermag nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. Entgegen der Auffassung des Klägers sieht der Wortlaut des § 11 SGB II (in der hier bis zum 31.03.2011 geltenden alten Fassung des Gesetzes) gerade nicht vor, dass die Verletztenrente bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II nicht zu berücksichtigen sei. Gleiches gilt für die Gesetzgebungsgeschichte. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass eine Anrechnungsfreiheit der Verletztenrente auch anlässlich der durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII vom 24.03.2011 erfolgten Neuregelung der §§ 11 und 12 keinen Eingang in die gesetzliche Neufassung gefunden hat. Hätte bzw würde die Anrechnungsfreiheit dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, wie dies der Kläger meint, so wäre nach dem - diesbezüglich anderslautenden Urteil des BSG vom 05.09.2007 - eine gesetzliche korrigierende Klarstellung zu erwarten gewesen.
Der (erneute) Antrag auf Bewilligung von PKH ist mangels Aussicht der Berufung auf Erfolg abzulehnen. Auf die o.g. Gründe wird verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht in der Hauptsache auf § 193 SGG, bzgl. der PKH-Entscheidung auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen eine Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) durch den Beklagten.
Der 1962 geborene Kläger bezieht seit Januar 2005 von dem Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II.
Aufgrund eines Betriebsunfalls am 22.12.1994 erhielt er ab 12.10.2005 vom Unfallversicherungsträger eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. in Höhe von zunächst 433,18 Euro bzw. steigend bis 440,31 Euro monatlich (Bescheide der Bergbau-Berufsgenossenschaft vom 14.11.2006 und 02.12.2008). In sämtlichen Leistungsanträgen beantwortete er die Frage, ob er eine Rente beziehe, entweder nicht oder mit "nein" bzw. gab bei Fortzahlungsanträgen an, dass sich keine Änderungen ergeben hätten.
Nachdem der Beklagte vom Rentenbezug des Klägers erfuhr, hob er nach entsprechender Anhörung mit Bescheid vom 11.01.2010 die vorangegangenen Bewilligungsbescheide gem. § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und forderte überzahlte Leistungen in Höhe von 21.011,60 Euro zurück, da der Kläger in seinen jeweiligen Anträgen zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2010 zurück.
Der Kläger hat am 23.03.2010 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Aachen erhoben. Dem Beklagten sei aufgrund der Beurteilung im Profiling bekannt gewesen, dass er über einen Grad der Behinderung von 20 aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls verfüge. Entsprechend sei Kenntnis eines Rentenanspruchs vorauszusetzen. Im Übrigen habe er den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht selbst ausgefüllt, sondern dies vielmehr seinem Vater überlassen, der über Jahre bei einer Behörde tätig gewesen sei. Er habe die Anträge lediglich unterschrieben. Seinem Vater sei die Teilrente nicht bekannt gewesen. Aufgrund der Komplexität des Antragsverfahrens und der Tatsache, dass er lediglich eine Sonderschule besucht habe, könne von einer groben Fahrlässigkeit nicht die Rede sein. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen des § 45 SGB X deshalb nicht gegeben, weil bis zum Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 05.09.2007 höchstrichterlich nicht geklärt gewesen sei, ob eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Einkommen iSv § 11 SGB II erfasst werden müsse. Diese Frage sei vorher streitig diskutiert worden. Eine Anrechnung der Verletztenrente könne somit vor Bekanntmachung der Entscheidung des BSG nicht erfolgen. Gegen die vom BSG vorgenommene Auslegung bestünden im Übrigen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 25.10.2010 abgewiesen. Der Beklagte habe die Bewilligungen von Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 12.10.2005 bis zum 31.12.2009 zu Recht aufgehoben bzw. zurückgenommen und die Erstattung der erbrachten Leistungen gefordert.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung in der Zeit vom 12.10.2005 bis zum 31.03.2006 sei § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X iVm § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 3 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sowie § 50 Abs. 1 SGB X iVm § 40 Abs. 2 SGB II. Die ab Oktober ausgezahlte Verletztenrente sei Einkommen, das der Kläger nach Erlass der Verwaltungsakte, die diese Zeiträume betrafen, erzielt habe. Die Verletztenrente sei weder ganz noch teilweise als privilegiertes Einkommen anzusehen (vgl. BSG Urteil vom 05.09.2007 - B 11b AS 157/06 R). Soweit der Beklagte den Rückforderungsbescheid für diesen Zeitraum auf § 45 SGB X gestützt habe, sei dies unbeachtlich, da lediglich ein Austausch der Begründungen vorliege. Ermächtigungsgrundlage für die Teilrücknahme- und Erstattungsentscheidung für die im Zeitraum vom 01.04.2006 bis 31.12.2009 gezahlten Leistungen sei § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X iVm § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III. Die Bescheide, die ab dem 01.04.2006 der Bewilligung von Leistungen zugrunde lagen, seien im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig gewesen, da sie die Verletztenrente nicht anspruchsmindernd berücksichtigt hätten. Der Kläger habe den Bezug der Verletztenrente zumindest grob fahrlässig nicht angegeben, obwohl im Leistungsantrag ausdrücklich nach dem Bezug von Renten gefragt worden sei. Er habe auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Einsichtsfähigkeit die Bedeutung dieser Frage erkennen können. Soweit der Kläger vortrage, er habe die Formulare unbesehen unterschrieben, entlaste ihn dies nicht, denn er habe sie eigenhändig unterschrieben und müsse sich daran festhalten lassen. Soweit dies unbesehen passiert sein solle, sei schon dies für einen Volljährigen eine besonders schwere Verletzung der erforderlichen Sorgfalt. Es könne dahinstehen, ob der Kläger Kenntnis von den in Rechtsprechung und Literatur bestehenden Meinungen zur Anrechenbarkeit der Verletztenrente gehabt habe. Selbst wenn er die Verletztenrente für nicht anrechenbar gehalten habe, habe er dennoch vollständige Angaben machen müssen. Es habe auch keine Verpflichtung des Beklagten bestanden, die Angaben des Klägers in seinen Anträgen mit seinen Angaben im sog. Profiling abzugleichen. In diesem sei im Übrigen nicht direkt von Verletztenrente, sondern lediglich von einem Grad der Behinderung von 20 die Rede gewesen.
Gegen das ihm am 05.11.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.11.2010 Berufung eingelegt und im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Insbesondere hat er nochmals darauf hingewiesen, dass er beim Ausfüllen der Formulare nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Rechtsklarheit über die Anrechnung von Verletztenrente sei erst mit Bekanntgabe des Urteils des BSG vom 05.09.2007 herbeigeführt worden. Bis zur Veröffentlichung könne ihm daher nicht angelastet werden, dass die Verletztenrente Einkommen darstelle. Außerdem habe der Beklagte vom Anspruch auf Verletztenrente wegen der Angaben im Profiling gewusst. Nach Erlass des Urteils wäre es Aufgabe des Beklagten gewesen, hinsichtlich der Art der Rente im Fragebogen zu differenzieren und ihn auf die höchstrichterliche Entscheidung hinzuweisen. Im Übrigen lasse das Sozialgericht sein intellektuelles Leistungsvermögen außer Betracht. Schließlich stehe die Anrechnung der Verletztenrente nach dem Urteil des BSG mit dem Grundgesetz nicht im Einklang. Es werde angeregt, das Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Der Bürger, der einen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Schaden erleide, verliere kraft Gesetzes sämtliche Schmerzensgeldansprüche, was bis zur Entscheidung des BSG mit der Ausgleichsfunktion einer Verletztenrente begründet worden sei. Ein solcher Ausgleich finde nicht mehr hinreichend statt, wenn die Leistung allein zur Sicherung des Lebensunterhalts verbraucht werden müsse.
Der Senat hat den Antrag auf Bewilligung von PKH mit Beschluss vom 18.02.2011 abgelehnt. Mit Schreiben vom 14.04.2011 hat der Kläger erneut Antrag auf Gewährung von PKH gestellt. Die Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 05.09.2007 überschreite die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und verletzte Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). In diesem Zusammenhang werde auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25.01.2011 (NJW 2011, 836 ff.) verwiesen. Dort sei ausgeführt, dass ein Richter sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen dürfe. Er müsse die gesetzgeberische Entscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Der Gesetzesgeschichte und dem Wortlaut von § 11 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz SGB II lasse sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber einen Systemwechsel, nämlich von der zu Zeiten der Arbeitslosenhilfe nicht anrechenbaren Verletztenrente in eine nunmehr anrechenbare Verletztenrente im SGB II habe vornehmen wollen.
Der Kläger beantragt schriftlich,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.10.2010 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 11.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2010 aufzuheben sowie
ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K, F zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet. Eine weitere mündliche Verhandlung hält der Senat nicht für erforderlich. Das Rechtsmittel wird daher ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153 Abs. 4 SGG).
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 11.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2010 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die vom Kläger in der Berufungsbegründung wiederholten und vertieften Ausführungen vermögen nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen.
Dass Rechtsklarheit über die Frage der Anrechnung von Verletztenrente erst mit der Entscheidung des BSG im September 2007 herbeigeführt wurde, bleibt ohne Einfluss. Für den Zeitraum bis Ende März 2006 kommt es auf ein subjektives Moment im Verhalten des Klägers ohnehin nicht an. Für den anschließenden Zeitraum ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen. In den Antragsvordrucken wird ausdrücklich nach einer "Rente" gefragt; die Bescheide der Berufsgenossenschaft sind mit "Rente" übertitelt. Dem Kläger oblag es damit, die erhaltene Rente auch anzugeben. Diese einfache Angabe war dem Kläger trotz seiner eingeschränkten Schulbildung auch möglich. Die Beurteilung, ob eine bestimmte Art von Rente von der Anrechnung ggf. ausgenommen sein könnte, bleibt allein dem Leistungsträger (und ggf. den Gerichten) vorbehalten. Im Übrigen begegnet die Argumentation Zweifeln, der Kläger sei einerseits nicht grob fahrlässig gewesen, weil er die konkret von ihm bezogene Verletztenrente wegen der hier juristisch bis September 2007 streitigen Frage nicht als anrechenbare Rente angesehen habe, während andererseits argumentiert wird, seine Bildung reiche nicht aus, um den Antrag überhaupt korrekt auszufüllen.
Ohne Einfluss ist weiterhin, dass dem Beklagten "ein Grad der Behinderung" des Klägers von 20 bekannt war. Zutreffend hat das SG hier ausgeführt, dass allein aus dieser Angabe nicht auf den konkreten Bezug einer Verletztenrente geschlossen werden kann. Es obliegt grundsätzlich dem Hilfebedürftigen, die Antragsformulare für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II vollständig auszufüllen. Fehlt es hier an Angaben, kann eine grobe Fahrlässigkeit allenfalls dann entfallen, wenn der Hilfebedürftige im Hinblick auf weitere konkrete und besondere Umstände darauf vertrauen kann, alle notwendigen Angaben gemacht zu haben (z.B. wenn der Antrag vom Leistungsträger ausgefüllt wird und der Kläger einen Rentenbescheid zu den Akten reicht). Dies ist hier nicht der Fall.
Schließlich verstößt die Anrechnung der Verletztenrente auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen das Grundgesetz. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 05.09.2007 - B 11b AS 15/06 R eingehend begründet, dass es im Rahmen des dem Gesetzgeber zuzubilligenden weiten Gestaltungsspielraums verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn die Verletztenrente im Rahmen des SGB II nicht anrechnungsfrei bleibt. Auch der erkennende Senat vertritt im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. BVerfG Beschluss vom 22.05.2003 - 1 BvR 452/99 Rn 17 in FamRZ 2003, 1084 ff.; Beschluss vom 26.04.1988 - 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.) die Auffassung, dass eine richterliche Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidungen, insbesondere denjenigen im Rahmen der gewährenden Staatstätigkeit, nur in begrenztem Umfang möglich ist. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, dass es einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf bestimmte Geldbeträge für bestimmte Bedarfe nicht gibt (vgl. BSG Urteil vom 18.06.2008 - B 14 AS 55/07 Rn 44 mwN in SGb 2009, 548 ff.).
Auch der mit dem wiederholten Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH vorgetragene Hinweis, der Richter müsse die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen, vermag nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. Entgegen der Auffassung des Klägers sieht der Wortlaut des § 11 SGB II (in der hier bis zum 31.03.2011 geltenden alten Fassung des Gesetzes) gerade nicht vor, dass die Verletztenrente bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II nicht zu berücksichtigen sei. Gleiches gilt für die Gesetzgebungsgeschichte. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass eine Anrechnungsfreiheit der Verletztenrente auch anlässlich der durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII vom 24.03.2011 erfolgten Neuregelung der §§ 11 und 12 keinen Eingang in die gesetzliche Neufassung gefunden hat. Hätte bzw würde die Anrechnungsfreiheit dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, wie dies der Kläger meint, so wäre nach dem - diesbezüglich anderslautenden Urteil des BSG vom 05.09.2007 - eine gesetzliche korrigierende Klarstellung zu erwarten gewesen.
Der (erneute) Antrag auf Bewilligung von PKH ist mangels Aussicht der Berufung auf Erfolg abzulehnen. Auf die o.g. Gründe wird verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht in der Hauptsache auf § 193 SGG, bzgl. der PKH-Entscheidung auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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