Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 4411/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 707/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.04.2016 geändert. Den Klägern wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin B, L, beigeordnet.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Kläger haben einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, weil die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO).
Zwar hat das Sozialgericht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24.09.2015 - L 7 AS 1880/12) im rechtlichen Ansatz zutreffend angenommen, dass bei der Überprüfung eines Erstattungsbescheides i. S. d §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht inzidenter die abschließende Entscheidung (endgültige Festsetzung des Leistungsanspruchs) auf ihre Richtigkeit zu überprüfen ist. Der Betroffene muss vielmehr, wenn er Einwände gegen die Höhe der Erstattungsforderung aufgrund der endgültigen Leistungsfestsetzung hat, auch gegen diese Entscheidung vorgehen.
Voraussetzung für eine rechtmäßige Erstattungsforderung ist jedoch, dass die endgültig zustehende Leistungshöhe feststeht. Zwar ist die Bestandskraft des endgültigen Leistungsbescheides nicht formelle Voraussetzung für den Erstattungsbescheid, so dass beide Bescheide gleichzeitig (auch in einem Bescheid) ergehen können (Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 328 Rn. 239; Schaumberg, in: JurisPK § 328 Rn. 124). Ist jedoch der Leistungsbescheid mit Aussicht auf Erfolg angefochten, wirkt sich dies auch auf die Erfolgsaussichten eines Rechtsstreites gegen den Erstattungsbescheid aus, der korrigiert werden muss, wenn der Leistungsbescheid geändert wird.
Der Leistungsbescheid vom 05.11.2014 wurde von den Klägern angefochten. Der Widerspruch vom 14.11.2014, den der zu diesem Zeitpunkt nicht anwaltlich vertretene Kläger zu 1) eingelegt hat, ist nicht nur als Widerspruch gegen den Erstattungsbescheid vom 05.11.2014, sondern bei interessengerechter Auslegung sogar in erster Linie als Widerspruch gegen die endgültige Leistungsfestsetzung in dem ebenfalls vom 05.11.2014 datierenden Bescheid anzusehen. Entsprechendes gilt für den Widerspruch der Klägerinnen zu 2) und 3). Dies folgt zwingend aus der Begründung der Widersprüche, in der die Kläger auf die Berechnung des Leistungsanspruchs eingehen und Einkommensunterlagen vorlegen. Dieses Vorbringen macht keinen Sinn, wenn die Kläger mit der Berechnung des zustehenden Anspruchs einverstanden gewesen wären und sich nur (aus anderen Gründen) gegen die Erstattung hätte wenden wollen.
Der Umstand, dass die Kläger den Widerspruch ausdrücklich nur gegen den "Bescheid zur Erstattung von Leistungen" gerichtet haben, ist unbeachtlich. Zum einen ist die Erstattungspflicht die eigentlich die Kläger treffende Belastung, die - wie ausgeführt - mit der endgültigen Festsetzung unmittelbar zusammenhängt. Zum anderen ist ein Widerspruchsantrag (ebenso wie ein Klageantrag) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips (vgl. BSG, Urteil vom 07. 11. 2006 - B 7b AS 8/06 R) unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen, dass das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Die Behörden und Gerichte haben sich daran zu orientieren, was nach dem klägerischen Vorbringen begehrt wird, soweit vernünftige Antragstellende mutmaßlich ihren Antrag bei entsprechender Beratung anpassen würden und - wie hier - keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen. Auch für die Auslegung von Prozesshandlungen einschließlich der Anträge im Widerspruchsverfahren ist die Auslegungsregel des § 133 BGB entsprechend anzuwenden (BSG, Urteile vom 22. 03.1988 - 8/5a RKn 11/87 und vom 13.03.1991 - 6 RKa 20/89). Danach ist nicht an dem Wortlaut einer Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, soweit er erkennbar ist. Dabei muss der gesamte Vortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge herangezogen werden (BSG, Urteil vom 22. 03. 1988 - 8/5a RKn 11/87; zusammenfassend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.07.2015 - L 6 U 3058/14 mwN).
Kommt das Sozialgericht zu dem Ergebnis, dass die Widerspruchsbescheide vom 02.12.2015 sich nur auf die Erstattungsbescheide beziehen, wird es das Verfahren auszusetzen (§ 114 Abs. 2 SGG) und die Bestandskraft der endgültigen Leistungsfestsetzung abzuwarten haben. Kommt es hingegen zu dem Ergebnis, dass sich die Widerspruchbescheide auch auf die Festsetzungsbescheide beziehen (was durch Auslegung unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes zu ermitteln und nach Auffassung des Senats naheliegend ist), wird es nach oa Grundsätzen auch die Klageanträge auf die Anfechtung der Leistungsfestsetzung beziehen müssen.
Die Höhe des den Klägern endgültig zustehenden Leistungsanspruchs und damit die Höhe der (evtl.) Erstattungsforderung ist nicht im Verfahren über die Prozesskostenhilfe, sondern im Hauptsacheverfahren zu prüfen.
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Kläger haben einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, weil die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO).
Zwar hat das Sozialgericht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24.09.2015 - L 7 AS 1880/12) im rechtlichen Ansatz zutreffend angenommen, dass bei der Überprüfung eines Erstattungsbescheides i. S. d §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht inzidenter die abschließende Entscheidung (endgültige Festsetzung des Leistungsanspruchs) auf ihre Richtigkeit zu überprüfen ist. Der Betroffene muss vielmehr, wenn er Einwände gegen die Höhe der Erstattungsforderung aufgrund der endgültigen Leistungsfestsetzung hat, auch gegen diese Entscheidung vorgehen.
Voraussetzung für eine rechtmäßige Erstattungsforderung ist jedoch, dass die endgültig zustehende Leistungshöhe feststeht. Zwar ist die Bestandskraft des endgültigen Leistungsbescheides nicht formelle Voraussetzung für den Erstattungsbescheid, so dass beide Bescheide gleichzeitig (auch in einem Bescheid) ergehen können (Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 328 Rn. 239; Schaumberg, in: JurisPK § 328 Rn. 124). Ist jedoch der Leistungsbescheid mit Aussicht auf Erfolg angefochten, wirkt sich dies auch auf die Erfolgsaussichten eines Rechtsstreites gegen den Erstattungsbescheid aus, der korrigiert werden muss, wenn der Leistungsbescheid geändert wird.
Der Leistungsbescheid vom 05.11.2014 wurde von den Klägern angefochten. Der Widerspruch vom 14.11.2014, den der zu diesem Zeitpunkt nicht anwaltlich vertretene Kläger zu 1) eingelegt hat, ist nicht nur als Widerspruch gegen den Erstattungsbescheid vom 05.11.2014, sondern bei interessengerechter Auslegung sogar in erster Linie als Widerspruch gegen die endgültige Leistungsfestsetzung in dem ebenfalls vom 05.11.2014 datierenden Bescheid anzusehen. Entsprechendes gilt für den Widerspruch der Klägerinnen zu 2) und 3). Dies folgt zwingend aus der Begründung der Widersprüche, in der die Kläger auf die Berechnung des Leistungsanspruchs eingehen und Einkommensunterlagen vorlegen. Dieses Vorbringen macht keinen Sinn, wenn die Kläger mit der Berechnung des zustehenden Anspruchs einverstanden gewesen wären und sich nur (aus anderen Gründen) gegen die Erstattung hätte wenden wollen.
Der Umstand, dass die Kläger den Widerspruch ausdrücklich nur gegen den "Bescheid zur Erstattung von Leistungen" gerichtet haben, ist unbeachtlich. Zum einen ist die Erstattungspflicht die eigentlich die Kläger treffende Belastung, die - wie ausgeführt - mit der endgültigen Festsetzung unmittelbar zusammenhängt. Zum anderen ist ein Widerspruchsantrag (ebenso wie ein Klageantrag) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips (vgl. BSG, Urteil vom 07. 11. 2006 - B 7b AS 8/06 R) unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen, dass das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Die Behörden und Gerichte haben sich daran zu orientieren, was nach dem klägerischen Vorbringen begehrt wird, soweit vernünftige Antragstellende mutmaßlich ihren Antrag bei entsprechender Beratung anpassen würden und - wie hier - keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen. Auch für die Auslegung von Prozesshandlungen einschließlich der Anträge im Widerspruchsverfahren ist die Auslegungsregel des § 133 BGB entsprechend anzuwenden (BSG, Urteile vom 22. 03.1988 - 8/5a RKn 11/87 und vom 13.03.1991 - 6 RKa 20/89). Danach ist nicht an dem Wortlaut einer Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, soweit er erkennbar ist. Dabei muss der gesamte Vortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge herangezogen werden (BSG, Urteil vom 22. 03. 1988 - 8/5a RKn 11/87; zusammenfassend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.07.2015 - L 6 U 3058/14 mwN).
Kommt das Sozialgericht zu dem Ergebnis, dass die Widerspruchsbescheide vom 02.12.2015 sich nur auf die Erstattungsbescheide beziehen, wird es das Verfahren auszusetzen (§ 114 Abs. 2 SGG) und die Bestandskraft der endgültigen Leistungsfestsetzung abzuwarten haben. Kommt es hingegen zu dem Ergebnis, dass sich die Widerspruchbescheide auch auf die Festsetzungsbescheide beziehen (was durch Auslegung unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes zu ermitteln und nach Auffassung des Senats naheliegend ist), wird es nach oa Grundsätzen auch die Klageanträge auf die Anfechtung der Leistungsfestsetzung beziehen müssen.
Die Höhe des den Klägern endgültig zustehenden Leistungsanspruchs und damit die Höhe der (evtl.) Erstattungsforderung ist nicht im Verfahren über die Prozesskostenhilfe, sondern im Hauptsacheverfahren zu prüfen.
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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