Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 SO 230/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 691/16 B ER, L 9 SO 692/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Verpflichtungserklärung gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG (in der Fassung bis 5.8. 2016) steht dem Anspruch eines im Übrigen hilfebedürftigen Ausländers, der als anerkannter Flüchtling über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG verfügt, auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nicht entgegen.
Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 23.11.2016 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern in der Zeit vom 14.11.2016 bis 31.03.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Höhe der jeweiligen Regelbedarfe nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Den Antragstellern wird für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S. I N. 4, 48231 X, beigeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zur Hälfte. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässigen, insbesondere fristgerecht eingelegten Beschwerden der Antragsteller vom 21.12.2016 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 23.11.2016, mit dem es den auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für dieses Verfahren abgelehnt hat, sind hinsichtlich des Eilantrages im tenorierten Umfang sowie des PKH-Antrages vollumfänglich begründet. Das Sozialgericht hat den Eilantrag zu Unrecht abgelehnt, soweit die Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt in Form der für sie geltenden Regelbedarfe begehren. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Antragsgegnerin hinsichtlich der Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung erfolglos bleibt.
1.) Die Antragsteller sind dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des SGB XII und haben im tenorierten Umfang Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der für sie jeweils geltenden Regelbedarfe (unter b.), nicht aber auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung (unter c.).
a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl. v. 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B -, juris Rn. 6). Allerdings ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - (GG) und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn - wie hier - die Gewährung existenzsichernder Leistungen im Streit steht. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12 -, juris Rn. 10, 12).
b) Die Antragsteller haben ab dem 14.11.2016 (Antragstellung bei dem Sozialgericht) hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Vierten Kapitel des SGB XII in Form der für sie jeweils geltenden Regelbedarfe (§§ 42 Nr. 1, 27a Abs. 3, 28 SGB XII) für die Zeit vom 01.11.2016 bis zum 31.03.2017 einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
aa) Der 1940 geborene Antragsteller und seine Ehefrau, die 1947 geborene Antragstellerin, gehören gemäß §§ 19 Abs. 2, 41 ff. SGB XII zum nach dem Vierten Kapitel des SGB XII dem Grunde nach anspruchsberechtigten Personenkreis der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dem steht auch ihre syrische Staatsangehörigkeit nicht entgegen, weil sie seit dem 06.04.2016 als anerkannte Flüchtlinge über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes - (AufenthG) verfügen. Im Übrigen bleiben die Vorschriften des Vierten Kapitels für Ausländer, die sich - wie hier - tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten, unberührt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII), so dass sie Grundsicherungsleistungen bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen uneingeschränkt beziehen können (s. auch jurisPK-SGB XII/Coseriu, § 23 Rn. 23). Dies stellt auch die Antragsgegnerin nicht in Abrede, da sie mit Bescheid vom 16.11.2016 die von dem Antragsteller zu tragenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (AOK NordWest) nach Maßgabe des § 32 Abs. 1 SGB XII übernommen hat.
Die Antragsteller haben entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ab Antragstellung bei dem Sozialgericht (14.11.2016) auch ihre Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht, da sie nach Aktenlage - insbesondere unter Berücksichtigung der von den Antragstellern mit Schreiben vom 10.11.2016 und 22.12.2016 vorgelegten Kontoauszüge - sowie ausweislich ihrer glaubhaften eidesstattlichen Versicherungen vom 20.10.2016 und 21.12.2016 weder über anrechenbares Einkommen (§ 82 SGB XII) noch verwertbares Vermögen (§ 90 SGB XII) verfügen, welches geeignet wäre, ihren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts auch nur teilweise zu decken. Sie haben insbesondere glaubhaft gemacht, dass ihr Verwandter, Herr B J, bereits Mitte Juli 2016 seine Unterstützungsleistungen für die Antragsteller eingestellt hat (siehe auch die im Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin aktenkundige Niederschrift der Stadt F über die entsprechende Erklärung des Sohnes der Antragsteller vom 15.07.2016).
Die Antragsgegnerin kann dem Begehren der Antragsteller auch nicht die mit Wirkung vom 19.05.2014 zu Gunsten der Antragsteller abgegebene Verpflichtungserklärung des Herrn B J gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG i.d.F. bis 05.08.2016 entgegenhalten. Wer sich danach der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, hat für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen (§ 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Die Verpflichtung ist nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Der Erstattungsanspruch steht der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat (§ 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass die Verpflichtungserklärung des Herrn Ibrahim trotz des geänderten Aufenthaltstitels der Antragsteller (§ 25 Abs. 2 statt 23 Abs. 1 AufenthG) weiterhin fortwirkt, weil auch unter Geltung der bis zum 05.08.2016 gültigen Fassung des § 68 Abs. 1 AufenthG die nach der Flüchtlingsanerkennung erteilten Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG nicht zu einem "anderen Aufenthaltszweck" erteilt worden sind (so BVerwG, Urt. v. 26.01.2017 - 1 C 10.16 - Pressemitteilung Nr. 3/2017). § 68 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der seit dem 06.08.2016 geltenden Fassung, der ein Erlöschen der Verpflichtungserklärung in diesen Fällen nunmehr ausdrücklich ausschließt, dient insoweit lediglich der Klarstellung. Allerdings ist schon dem Wortlaut des § 68 Abs. 1 AufenthG ohne Weiteres zu entnehmen, dass aus der Verpflichtungserklärung lediglich eine Regresspflicht des Erklärenden gegenüber der öffentlichen Stelle resultiert. Damit dürfen Leistungen gegenüber Hilfebedürftigen wie den Antragstellern nicht per se, d.h. unter Hinweis auf das bloße Bestehen der Verpflichtungserklärung, ausgeschlossen werden. Vielmehr soll sich diejenige öffentliche Stelle, die öffentliche Mittel aufgewendet hat, diese gerade vom Verpflichtungsgeber erstatten lassen, § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG (zutr. SG Detmold, Beschl. v. 02.04.2015 - S 2 SO 102/15 ER -, juris Rn. 19). Ebenso ist etwa das im o.a. Verfahren des BVerwG beklagte Jobcenter verfahren, indem es mit Leistungsbescheid von dem dortigen Verpflichtungsgeber die Erstattung von Aufwendungen nach dem SGB II für seine drei Verwandten gefordert hat, was rechtmäßig gewesen ist.
In Anwendung allgemeiner Grundätze des Sozialhilferechts folgt daraus: Die Antragsgegnerin kann die begehrte Leistung unter Hinweis auf §§ 2 Abs. 1, 82 SGB XII nur dann insoweit ablehnen, wenn die Antragsteller ihren Bedarf ganz oder teilweise durch Zuwendungen des Herrn B J tatsächlich decken können. Ist dies jedoch - so wie hier nach Aktenlage - nicht der Fall, fehlt es den Antragstellern an bereiten Mitteln, die zu einem Leistungsanspruch gegen die Antragsgegnerin führen. "Fiktives" Einkommen aus nur möglichen Zahlungen des Herrn J kann die Antragsgegnerin den Antragstellern keinesfalls entgegenhalten. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Antragsteller, insbesondere die Antragstellerin als Schwester des Herrn J, einen zivilrechtlichen Anspruch gegen den Verpflichtungsgeber etwa auf Unterhaltszahlungen hätten, welcher zudem - Stichwort: bereites Mittel - auch leicht realisierbar sein müsste. Aus der öffentlich-rechtlichen Vorschrift des § 68 AufenthG resultiert ein solcher Anspruch jedenfalls nicht, und nach § 1601 BGB trifft eine Unterhaltspflicht nur Verwandte in gerader Linie.
bb) Ferner haben die Antragsteller hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts seit Antragstellung bei dem Sozialgericht auch einen Anordnungsgrund, d.h. eine gegenwärtige Notlage, glaubhaft gemacht, weil ihr Anspruch auf Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) nicht gewährleistet ist. Dem stehen auch weder die angebliche Verzögerung der Vorlage von Kontoauszügen am 11.11.2016, noch die Einlegung der Beschwerde am 21.12.2016 trotz der Mahnung des Vermieters der Antragsteller mit einer Zahlungsfrist bis zum 01.12.2016 oder die Übernahme von Kontoführungsgebühren durch den Sohn der Antragsteller entgegen. Entscheidend ist, dass die Antragsteller nach ihrem glaubhaften Vorbringen über keine bereiten Mittel zur Existenzsicherung verfügen.
c) Die Beschwerde der Antragsteller ist jedoch unbegründet, soweit sie gegenüber der Antragsgegnerin auch die Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 35 SGB XII) begehren, weil es insoweit an einem Anordnungsgrund fehlt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt ein Anordnungsgrund in einem auf die Gewährung von Leistungen für die Unterkunft gerichteten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erst dann vor, wenn eine Räumungsklage anhängig ist und der Antragsteller deshalb konkret von Wohnungslosigkeit bedroht ist. Der hiervon abweichenden Rechtsprechung des 6. und 7. Senats des LSG NRW folgt der Senat nicht (vgl. nur die Beschlüsse des Senats vom 20.09.2012 - L 9 SO 333/12 B ER -, juris Rn. 2, vom 07.08.2013 - L 9 SO 307/13 B ER, L 9 SO 308/13 B -, juris Rn. 25, vom 25.05.2016 - L 9 SO 210/16 B ER -, juris Rn. 11 und vom 22.06.2016 - L 9 SO 261/16 B ER, L 9 SO 262/16 B - n.v.). Nach den eigenen Angaben der Antragsteller liegen zwar Mietrückstände vor, aber weder eine Kündigung oder gar anhängige Räumungsklage ihres Vermieters.
d) Bei der zeitlichen Reichweite der auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach den für die Antragsteller geltenden Regelsätzen gerichteten einstweiligen Anordnung hat sich der Senat an der mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.11.2016 gewährten Übernahme der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bis zum 31.03.2017 orientiert. Hierdurch wird eine einheitliche Entscheidung über Ansprüche der Antragsteller ab April 2017 gewährleistet.
2.) Soweit sich die Beschwerde auch gegen die Ablehnung der Bewilligung von PKH durch das Sozialgericht richtet, ist sie begründet. Den Antragstellern war für das erstinstanzliche Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz PKH nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Maßgabe der Ausführungen zu 1) auch im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Gesuchs bzw. spätestens der Entscheidung des Sozialgerichts im tenorierten Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. Ferner sind die Antragsteller nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise aufzubringen.
3.) Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Beschwerde der Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und trägt ihrem teilweisen Obsiegen Rechnung. Soweit sich ihre Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von PKH richtet, werden Kosten im Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
4.) Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar, § 177 SGG.
Gründe:
Die zulässigen, insbesondere fristgerecht eingelegten Beschwerden der Antragsteller vom 21.12.2016 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 23.11.2016, mit dem es den auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für dieses Verfahren abgelehnt hat, sind hinsichtlich des Eilantrages im tenorierten Umfang sowie des PKH-Antrages vollumfänglich begründet. Das Sozialgericht hat den Eilantrag zu Unrecht abgelehnt, soweit die Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt in Form der für sie geltenden Regelbedarfe begehren. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Antragsgegnerin hinsichtlich der Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung erfolglos bleibt.
1.) Die Antragsteller sind dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des SGB XII und haben im tenorierten Umfang Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der für sie jeweils geltenden Regelbedarfe (unter b.), nicht aber auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung (unter c.).
a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl. v. 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B -, juris Rn. 6). Allerdings ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - (GG) und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn - wie hier - die Gewährung existenzsichernder Leistungen im Streit steht. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12 -, juris Rn. 10, 12).
b) Die Antragsteller haben ab dem 14.11.2016 (Antragstellung bei dem Sozialgericht) hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Vierten Kapitel des SGB XII in Form der für sie jeweils geltenden Regelbedarfe (§§ 42 Nr. 1, 27a Abs. 3, 28 SGB XII) für die Zeit vom 01.11.2016 bis zum 31.03.2017 einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
aa) Der 1940 geborene Antragsteller und seine Ehefrau, die 1947 geborene Antragstellerin, gehören gemäß §§ 19 Abs. 2, 41 ff. SGB XII zum nach dem Vierten Kapitel des SGB XII dem Grunde nach anspruchsberechtigten Personenkreis der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dem steht auch ihre syrische Staatsangehörigkeit nicht entgegen, weil sie seit dem 06.04.2016 als anerkannte Flüchtlinge über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes - (AufenthG) verfügen. Im Übrigen bleiben die Vorschriften des Vierten Kapitels für Ausländer, die sich - wie hier - tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten, unberührt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII), so dass sie Grundsicherungsleistungen bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen uneingeschränkt beziehen können (s. auch jurisPK-SGB XII/Coseriu, § 23 Rn. 23). Dies stellt auch die Antragsgegnerin nicht in Abrede, da sie mit Bescheid vom 16.11.2016 die von dem Antragsteller zu tragenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (AOK NordWest) nach Maßgabe des § 32 Abs. 1 SGB XII übernommen hat.
Die Antragsteller haben entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ab Antragstellung bei dem Sozialgericht (14.11.2016) auch ihre Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht, da sie nach Aktenlage - insbesondere unter Berücksichtigung der von den Antragstellern mit Schreiben vom 10.11.2016 und 22.12.2016 vorgelegten Kontoauszüge - sowie ausweislich ihrer glaubhaften eidesstattlichen Versicherungen vom 20.10.2016 und 21.12.2016 weder über anrechenbares Einkommen (§ 82 SGB XII) noch verwertbares Vermögen (§ 90 SGB XII) verfügen, welches geeignet wäre, ihren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts auch nur teilweise zu decken. Sie haben insbesondere glaubhaft gemacht, dass ihr Verwandter, Herr B J, bereits Mitte Juli 2016 seine Unterstützungsleistungen für die Antragsteller eingestellt hat (siehe auch die im Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin aktenkundige Niederschrift der Stadt F über die entsprechende Erklärung des Sohnes der Antragsteller vom 15.07.2016).
Die Antragsgegnerin kann dem Begehren der Antragsteller auch nicht die mit Wirkung vom 19.05.2014 zu Gunsten der Antragsteller abgegebene Verpflichtungserklärung des Herrn B J gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG i.d.F. bis 05.08.2016 entgegenhalten. Wer sich danach der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, hat für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen (§ 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Die Verpflichtung ist nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Der Erstattungsanspruch steht der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat (§ 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass die Verpflichtungserklärung des Herrn Ibrahim trotz des geänderten Aufenthaltstitels der Antragsteller (§ 25 Abs. 2 statt 23 Abs. 1 AufenthG) weiterhin fortwirkt, weil auch unter Geltung der bis zum 05.08.2016 gültigen Fassung des § 68 Abs. 1 AufenthG die nach der Flüchtlingsanerkennung erteilten Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG nicht zu einem "anderen Aufenthaltszweck" erteilt worden sind (so BVerwG, Urt. v. 26.01.2017 - 1 C 10.16 - Pressemitteilung Nr. 3/2017). § 68 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der seit dem 06.08.2016 geltenden Fassung, der ein Erlöschen der Verpflichtungserklärung in diesen Fällen nunmehr ausdrücklich ausschließt, dient insoweit lediglich der Klarstellung. Allerdings ist schon dem Wortlaut des § 68 Abs. 1 AufenthG ohne Weiteres zu entnehmen, dass aus der Verpflichtungserklärung lediglich eine Regresspflicht des Erklärenden gegenüber der öffentlichen Stelle resultiert. Damit dürfen Leistungen gegenüber Hilfebedürftigen wie den Antragstellern nicht per se, d.h. unter Hinweis auf das bloße Bestehen der Verpflichtungserklärung, ausgeschlossen werden. Vielmehr soll sich diejenige öffentliche Stelle, die öffentliche Mittel aufgewendet hat, diese gerade vom Verpflichtungsgeber erstatten lassen, § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG (zutr. SG Detmold, Beschl. v. 02.04.2015 - S 2 SO 102/15 ER -, juris Rn. 19). Ebenso ist etwa das im o.a. Verfahren des BVerwG beklagte Jobcenter verfahren, indem es mit Leistungsbescheid von dem dortigen Verpflichtungsgeber die Erstattung von Aufwendungen nach dem SGB II für seine drei Verwandten gefordert hat, was rechtmäßig gewesen ist.
In Anwendung allgemeiner Grundätze des Sozialhilferechts folgt daraus: Die Antragsgegnerin kann die begehrte Leistung unter Hinweis auf §§ 2 Abs. 1, 82 SGB XII nur dann insoweit ablehnen, wenn die Antragsteller ihren Bedarf ganz oder teilweise durch Zuwendungen des Herrn B J tatsächlich decken können. Ist dies jedoch - so wie hier nach Aktenlage - nicht der Fall, fehlt es den Antragstellern an bereiten Mitteln, die zu einem Leistungsanspruch gegen die Antragsgegnerin führen. "Fiktives" Einkommen aus nur möglichen Zahlungen des Herrn J kann die Antragsgegnerin den Antragstellern keinesfalls entgegenhalten. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Antragsteller, insbesondere die Antragstellerin als Schwester des Herrn J, einen zivilrechtlichen Anspruch gegen den Verpflichtungsgeber etwa auf Unterhaltszahlungen hätten, welcher zudem - Stichwort: bereites Mittel - auch leicht realisierbar sein müsste. Aus der öffentlich-rechtlichen Vorschrift des § 68 AufenthG resultiert ein solcher Anspruch jedenfalls nicht, und nach § 1601 BGB trifft eine Unterhaltspflicht nur Verwandte in gerader Linie.
bb) Ferner haben die Antragsteller hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts seit Antragstellung bei dem Sozialgericht auch einen Anordnungsgrund, d.h. eine gegenwärtige Notlage, glaubhaft gemacht, weil ihr Anspruch auf Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) nicht gewährleistet ist. Dem stehen auch weder die angebliche Verzögerung der Vorlage von Kontoauszügen am 11.11.2016, noch die Einlegung der Beschwerde am 21.12.2016 trotz der Mahnung des Vermieters der Antragsteller mit einer Zahlungsfrist bis zum 01.12.2016 oder die Übernahme von Kontoführungsgebühren durch den Sohn der Antragsteller entgegen. Entscheidend ist, dass die Antragsteller nach ihrem glaubhaften Vorbringen über keine bereiten Mittel zur Existenzsicherung verfügen.
c) Die Beschwerde der Antragsteller ist jedoch unbegründet, soweit sie gegenüber der Antragsgegnerin auch die Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 35 SGB XII) begehren, weil es insoweit an einem Anordnungsgrund fehlt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt ein Anordnungsgrund in einem auf die Gewährung von Leistungen für die Unterkunft gerichteten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erst dann vor, wenn eine Räumungsklage anhängig ist und der Antragsteller deshalb konkret von Wohnungslosigkeit bedroht ist. Der hiervon abweichenden Rechtsprechung des 6. und 7. Senats des LSG NRW folgt der Senat nicht (vgl. nur die Beschlüsse des Senats vom 20.09.2012 - L 9 SO 333/12 B ER -, juris Rn. 2, vom 07.08.2013 - L 9 SO 307/13 B ER, L 9 SO 308/13 B -, juris Rn. 25, vom 25.05.2016 - L 9 SO 210/16 B ER -, juris Rn. 11 und vom 22.06.2016 - L 9 SO 261/16 B ER, L 9 SO 262/16 B - n.v.). Nach den eigenen Angaben der Antragsteller liegen zwar Mietrückstände vor, aber weder eine Kündigung oder gar anhängige Räumungsklage ihres Vermieters.
d) Bei der zeitlichen Reichweite der auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach den für die Antragsteller geltenden Regelsätzen gerichteten einstweiligen Anordnung hat sich der Senat an der mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.11.2016 gewährten Übernahme der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bis zum 31.03.2017 orientiert. Hierdurch wird eine einheitliche Entscheidung über Ansprüche der Antragsteller ab April 2017 gewährleistet.
2.) Soweit sich die Beschwerde auch gegen die Ablehnung der Bewilligung von PKH durch das Sozialgericht richtet, ist sie begründet. Den Antragstellern war für das erstinstanzliche Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz PKH nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Maßgabe der Ausführungen zu 1) auch im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Gesuchs bzw. spätestens der Entscheidung des Sozialgerichts im tenorierten Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. Ferner sind die Antragsteller nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise aufzubringen.
3.) Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Beschwerde der Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und trägt ihrem teilweisen Obsiegen Rechnung. Soweit sich ihre Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von PKH richtet, werden Kosten im Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
4.) Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar, § 177 SGG.
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