L 12 AS 664/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 14 AS 1059/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 664/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 149/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 24.02.2015 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten der Kläger auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich - nach Abtrennung des Zeitraums vom 01.09.2013 bis 30.06.2014 - mit seiner Berufung gegen die Verpflichtung, weitere Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) im Zeitraum vom 01.07. bis 30.09.2014 zu zahlen.

Die am 00.00.1993 geborene Klägerin zu 1) bewohnte in der Streitzeit zusammen mit ihrem Lebenspartner, Herrn N, geboren am 00.00.1987, und dem am 28.01.2013 geborenen gemeinsamen Sohn K, dem Kläger zu 2), eine Wohnung unter der Anschrift G-weg 00 in X. Die Miete betrug monatlich 479,23 EUR (Nettokaltmiete 349,23 EUR, Nebenkostenabschlag 60,00 EUR, Heizkostenabschlag 70,00 EUR).

Für den Kläger zu 2) wurde monatlich Kindergeld i.H.v. 184,00 EUR gezahlt. Im Übrigen waren die Kläger und Herr N einkommens- und vermögenslos.

Die Kläger und Herr N bezogen in der Vergangenheit als Bedarfsgemeinschaft von dem Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Schließlich wurde Herr N für die Zeit vom 01.07. bis 30.9.2014 mit bestandskräftigem Bescheid vom 11.06.2014 i.H.v. 100 % sanktioniert.

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Kläger und des Herrn N bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 15.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2014 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Bedarfsgemeinschaft für den Bewilligungsabschnitt vom 01.07.bis 31.12.2014. Dabei setzte der Beklagte für die Zeit vom 01.07. bis 30.09.2014 die Sanktionierung aus dem Bescheid vom 11.06.2014 gegenüber Herrn N um. Er erhielt in dieser Zeit keine Leistungen. Den Klägern wurde weiterhin jeweils (nur) ein Drittel der tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung der Bedarfsgemeinschaft bewilligt. Eine Übertragung des nach dem "Kopfteilprinzip" auf Herrn N entfallenden Drittels der KdU i.H.v. 159,74 EUR monatlich auf die Kläger komme nicht in Betracht. Eine Abweichung vom Regelfall des sogenannten "Kopfteilprinzips" bei der Verteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung auf den Bedarf der Mitglieder einer Haushalts- bzw. Bedarfsgemeinschaft bei Sanktionierung eines der Mitglieder sei deshalb hier nicht angezeigt, weil die Klägerin zu 1) und Herr N als Partner eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft sui generis bildeten. Dies beziehe sich anders als gegenüber einem volljährigen Kind auch auf wirtschaftliche und finanzielle Aspekte. Die Klägerin zu 1) habe sich daher das Verhalten ihres Partners zurechnen zu lassen.

Die einen Gesamtzeitraum vom 01.09.2013 bis 30.09.2014 betreffende, am 13.10.2014 erhobene Klage hatte auch bezogen auf den hier noch streitigen Zeitraum vom 01.07. bis 30.09.2014 Erfolg. Mit Urteil vom 24.02.2015 hat das Sozialgericht dem Beklagten aufgegeben, den Klägern für die Zeit vom 01.07. bis 30.09.2014 monatlich jeweils 79,87 EUR zur Deckung von Unterkunftsaufwendungen nachzuentrichten. Die Kläger gehörten ohne Zweifel zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II und hätten dem Grunde nach Anspruch auf die Übernahme der KdU. Bei deren Berechnung sei zwar grundsätzlich auf den Kopfteil abzustellen. Allerdings müsse vorliegend eine Ausnahme vom Kopfteilprinzip gemacht werden, da der Unterkunftskostenanteil eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft, hier des Herrn N, wegen einer bestandskräftigen Sanktion weggefallen sei und die Anwendung des Kopfteilprinzips zu Mietschulden für die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft führen würde. Das Gericht schlösse sich insofern der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in seinen Urteilen vom 23.05.2013, B 4 AS 67/12 R und vom 02.12.2014, B 14 AS 50/13 R an.

Gegen das ihm am 09.03.2015 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 09.04.2015 Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft im Wesentlichen seine Argumentation aus dem Widerspruchsbescheid. Der vorliegende Fall unterscheide sich relevant von den vom BSG bisher zur Thematik entschiedenen Fällen. Vorliegend treffe die Sanktionierung den in Einstandsgemeinschaft mit der Klägerin zu 1) lebenden Partner und nicht ein sonstiges volljähriges Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft. Aus diesem Umstand ergäben sich Wertungsunterschiede.

Mit Beschluss vom 22.02.2017 hat der Senat den Rechtsstreit hinsichtlich des Zeitraums vom 01.09.2013 bis 30.06.3014 abgetrennt. Für die Zeit 01.07. bis 30.09.2014 wird er vorliegend weitergeführt.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 24.02.2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie treten dem Berufungsbegehren aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung entgegen.

Im Erörterungstermin vom 01.03.2017 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der Darstellung des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, deren Inhalt der Senat der Entscheidung zugrunde gelegt hat, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Den ausführlichen und zutreffenden Gründen des Sozialgerichts ist nichts Wesentliches hinzuzufügen. Der Senat macht sich diese daher zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Ausführungen des Beklagten im Berufungsverfahren führen zu keiner anderen Beurteilung. Der Senat schließt sich vielmehr - wie das Sozialgericht - der gefestigten Rechtsprechung des BSG zur einschlägigen Problematik an. Ist eine Sanktion eines Leistungsträgers gegen ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit dem Wegfall der Leistungen für Unterkunftsaufwendungen verbunden, hat dies regelmäßig die Abweichung vom "Kopfteilprinzip" und anteilig höhere Leistungen an KdU für die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zur Folge, wenn das sanktionierte Mitglied - wie hier - über kein Vermögen und Einkommen verfügt, um seinen Kopfteil zu bezahlen. Entgegen den Ausführungen des Beklagten hebt sich der vorliegende Fall auch nicht in der Wertung von den vom BSG entschiedenen Fällen ab. Denn hier wie dort haben die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft jedenfalls keine rechtlichen oder sonstigen effektiven Möglichkeiten, das sanktionierte Mitglied an dem zur Sanktion führenden Verhalten zu hindern. Würde nicht eine Abweichung von dem "Kopfteilprinzip" angenommen, wären sie "schuldlos" der Reflexwirkung der Sanktion z.B. auf das bestehende Mietverhältnis ausgesetzt.

Soweit der Beklagte gesetzessystematisch argumentiert, dass ein Anwendungsbereich der Vorschriften des § 31a SGB II, soweit es zur Sanktionierung der KdU kommt, für in Bedarfsgemeinschaft mit einem Dritten lebende Leistungsbezieher jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht nicht gegeben wäre, kann dem nicht gefolgt werden. Die gegenüber dem Lebenspartner der Klägerin zu 1) verfügte Sanktion greift auch bei der vorstehenden Konstellation in Person des Sanktionierten rechtlich voll durch. Dem Lebenspartner der Klägerin zu 1) werden die Leistungen in voller Höhe, also auch bezogen auf die KdU vorenthalten. Lediglich die Ansprüche der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder erhöhen sich. Der Sanktionierte profitiert daher allenfalls indirekt, indem auch er nicht mit einer Kündigung durch den Vermieter rechnen muss.

Ergänzend wird auf die Ausführungen des BSG in seinen Entscheidungen vom 22.08.2013, B 14 AS 85/12 und vom 02.12.2014, B 14 AS 50/13 R (vgl. auch: Piepenstock in Schlegel/Voelzke, jurisPK, 4. Auflage 2015, § 22 SGB II Rn. 77) hingewiesen. Die dortigen Leitsätze sind allgemein gehalten und auch auf den vorliegenden Fall anwendbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 SGG). Die Angelegenheit hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, da das BSG zur einschlägigen Problematik bereits mehrfach entschieden hat.
Rechtskraft
Aus
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