L 5 KR 593/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 175/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 593/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 31/18 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf Revision wird Urteil des LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen!!! Neues Az.: = L 5 KR 850/19 ZVW
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 22.08.2017 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 830,23 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt die Zahlung eines Betrages in Höhe von 830,23 Euro.

Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus, in dem vom 13.05. bis 24.05.2016 der bei der Beklagten versicherte B (im Folgenden: Versicherter B.) stationär behandelt wurde. Hierfür stellte die Klägerin der Beklagten unter dem 24.05.2016 unter Zugrundelegung der "Diagnosis related groups" (DRG) "F73Z" 2.629,59 Euro in Rechnung. Die Beklagte beglich die Rechnung. Zugleich beauftragte sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung der Abrechnung. Der MDK wandte sich unter dem 14.06.2016 an die Klägerin und teilte mit, dass ein Auftrag zur Begutachtung der Behandlung des Versicherten B. nach § 275 Abs. 1 SGB V zu der Fragestellung vorliege, ob die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer in vollem Umfang medizinisch begründet gewesen sei. Dr. T, MDK, gelangte in der Stellungnahme vom 01.08.2016 zu dem Ergebnis, dass die Behandlung zwar nach der zutreffenden Fallpauschale abgerechnet worden sei, jedoch die notwendige Verweildauer überschritten worden sei; bei strafferer Durchführung der Diagnostik wäre die Entlassung des Versicherten bereits am 19.05.2016 möglich gewesen. Hieraus errechnete die Beklagte eine um 830,23 Euro geringere Krankenhausvergütung.

Mit Schreiben vom 03.08.2016 verlangte sie von der Klägerin die Erstattung dieses Betrages. Nachdem die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 07.09.2016 an, sie werde ihren Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall des Versicherten B. in Höhe von 830,23 Euro aufrechnen; sie verweise hierzu auf das von ihrem Finanzbereich übermittelte Avis. Mit Avis-Schreiben vom 09.09.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe ihr 79.307,88 Euro überwiesen. In der beigefügten fünfseitigen Aufstellung finden sich Rechnungsdaten, Rechnungsnummern und Fallnummern sowie Geldbeträge, die mehr als 60 Behandlungsfälle von Versicherten der Beklagten bei der Klägerin betreffen. Einige dieser Geldbeträge weisen ein Minuszeichen aus, andere sind Positivbeträge. Die Saldierung der positiven und negativen Beträge ergibt den Zahlbetrag von 79.307,88 Euro. In dieser Aufstellung verbuchte die Beklagte den von ihr an die Klägerin ursprünglich bereits gezahlten Betrag aus dem Behandlungsfall des Versicherten B. in Höhe von 2.629,59 Euro als Minusbetrag sowie den von ihr für zutreffend gehaltenen Rechnungsbetrag in Höhe von 1.799,36 Euro als Positivbetrag, so dass die Vergütung für die Behandlung des Versicherten B. um 830,23 Euro gemindert wurde.

Die Klägerin hat am 25.04.2017 Klage vor dem Sozialgericht Aachen erhoben.

Zur Begründung hat sie vorgetragen: Sie könne die Zahlung weiterer 830,23 Euro beanspruchen, weil nach den in dem Zahlungsavis vom 27.05.2016 aufgeführten weiteren Behandlungsfällen ein solcher Anspruch bestehe. Die Aufrechnung durch die Beklagte genüge nicht den Vorgaben des § 9 Satz 2 der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V gemäß § 17c Absatz 2 KHG zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (in Kraft getreten am 01.09.2014 für Behandlungsfälle ab 01.01.2015 - im Folgenden: PrüfvV 2015), denn es fehle an einer wirksamen Aufrechnungserklärung. Unabhängig davon habe aber der Beklagten ein Rückerstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall des Versicherten B. auch nicht zugestanden, weil die Verweildauer nicht durch die Ablauforganisation, sondern durch das Krankheitsbild des Versicherten bedingt gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr 830,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2016 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat entgegnet: Die von ihr vorgenommene Aufrechnung sei wirksam. Sie entspreche den Vorgaben des § 9 PrüfvV 2015.

Durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 22.08.2015 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das ihr am 04.09.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 07.09.2017 Berufung eingelegt.

Zur Begründung macht sie geltend: Der Erstattungsanspruch in Höhe von 830,23 Euro stehe ihr zu. Sie habe auch mit diesem Erstattungsanspruch wirksam gegen andere Leistungsansprüche der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen aufgerechnet. Diese habe sie i.S.v. § 9 Satz 2 PrüfvV 2015 genau benannt. Die Leistungsansprüche des Krankenhauses seien in dem Zahlungsavis durch Zahlenfolgen mit dem jeweiligen Behandlungsfall des Krankenhauses genau verknüpft. Für jede einzelne Forderung und Gegenforderung seien das Rechnungsdatum, die Rechnungsnummer sowie die krankenhausinterne Fallnummer aufgeführt. Sie habe für den Behandlungsfall des Versicherten B. die ursprüngliche Forderung und die von ihr akzeptierte Forderung des Krankenhauses aufgelistet. Tatsächlich gezahlt werde die Endsumme, hier 79.307,88 Euro. Die Durchführung der Aufrechnung entspreche den vom Bundessozialgericht (BSG) in den Urteilen vom 25.10.2016, Az.: B 1 KR 7/16 R bzw. B 1 KR 9/16 R dargelegten Grundsätzen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei § 366 BGB neben dem § 9 Satz 2 PrüfvV 2015 anzuwenden. § 9 Satz 2 PrüfvV 2015 stelle nach ihrer Ansicht einen Tatbestand auf, schweige aber über die Rechtsfolgen. Die Rechtsfolgen ergäben sich weiterhin aus den allgemeinen Aufrechnungsregeln der §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 22.08.2017 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten, der Patientenakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin den Betrag in Höhe von 830,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2016 zu zahlen. Der Klägerin steht der Anspruch in Höhe von 830,23 Euro aufgrund der Behandlung Versicherter der Beklagten zu (1.); dieser Anspruch ist nicht durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit einer (angeblichen) Erstattungsforderung aus dem Behandlungsfall des Versicherten B. erloschen (2.).

1.
Gegenstand der Klage sind allein die Vergütungsansprüche der Klägerin aus den stationären Behandlungen Versicherter der Beklagten, die in der dem Avis-Schreiben vom 09.09.2016 beigefügten Aufstellung aufgeführt sind und die eine Saldoforderung zu Gunsten der Klägerin in Höhe von 79.307,88 Euro zuzüglich des (mit der Klage geltend gemachten) Betrags in Höhe von 830,23 Euro ergeben. Der hier ebenfalls aufgeführte Behandlungsfall des Versicherten B. (mit Beträgen von -2.629,59 Euro und + 1.799,36 Euro) ist in diesem Zusammenhang unberücksichtigt zu lassen, weil die Beklagte durch diese Art der "Aufrechnung" die Leistungsansprüche der Klägerin aus den übrigen Behandlungsfällen gemindert hat - die Wirksamkeit dieser "Aufrechnung" ist aber gerade Gegenstand dieses Rechtsstreits. Den Betrag von 79.307,88 Euro hat die Beklagte an die Klägerin gezahlt, so dass (nur) die Klageforderung offenbleibt.

Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung (wie hier) in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs 1 S 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st. Rspr. z.B. BSG, Urteil vom 28.03.2017 - B 1 KR 29/16 R Rn. 9 m.w.N.). Die Höhe der Vergütung für die Behandlung Versicherter im Jahr 2016 bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie jenem der Klägerin nach § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 und § 17 KHEntgG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge und die FPV) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in der FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG.

Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG) geordnet. Für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer DRG wird in einem ersten Schritt die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (DIMDI) herausgegebenen "Operationen- und Prozedurenschlüssel" (OPS-301) verschlüsselt (§ 301 Abs. 2 S. 2 SGB V). Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung ("Kodierung") haben die Vertragspartner auf Bundesebene die Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) beschlossen. Diese sind nur anhand des Wortlauts sowie ergänzend nach dem systematischen Zusammenhang auszulegen (BSG, Urteil vom 18.09.2008 - B 3 KR 15/07 R; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 3 KR 4/09 R; BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R). In einem zweiten Schritt wird der eingegebene Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkataloges und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als "Groupierung" bezeichneten Prozess der DRG-Zuordnung liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde; in diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Kode nach dem OPS-301 eine bestimmte DRG angesteuert (vgl. BSG, Urteil vom 18.07.2013 - B 3 KR 7/12 R; LSG NRW, Urteil des erkennenden Senats vom 13.01.2011 - L 5 KR 363/10). Nach diesen Grundsätzen ist hier davon auszugehen, dass der Klägerin in den in der Aufstellung zum Avis-Schreiben vom 09.09.2016 aufgeführten übrigen Behandlungsfällen die jeweiligen Vergütungsansprüche zugestanden haben, was von der Beklagten jedenfalls nicht ausdrücklich bestritten worden ist.

Zu Recht hat die Klägerin nicht etwa eine (Rest-) Forderung aus dem Behandlungsfall des Versicherten B. geltend gemacht. Denn die Forderung aus diesem Behandlungsfall war durch die - unstreitig - erfolgte Zahlung der Beklagten gemäß § 362 Abs. 1 BGB - diese Vorschrift findet hier aufgrund von § 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V entsprechende Anwendung - erloschen.

2.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist jener verbleibende Vergütungsanspruch der Klägerin aus den in der Aufstellung aufgeführten weiteren Behandlungsfällen nicht in Höhe der Klageforderung gemäß §§ 387, 389 BGB durch Aufrechnung mit einem - möglichen - Erstattungsanspruch der Beklagten aus dem Behandlungsfall des Versicherten B. erloschen. Es kann dahinstehen, ob dieser von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsanspruch aus der Behandlung des Versicherten B. tatsächlich besteht. Auch wenn man davon ausginge, dass für die Beklagte ein derartiger Erstattungsanspruch bestünde, scheitert die von der Beklagten mit Schreiben vom 09.09.2016 erklärte Aufrechnung daran, dass insoweit die Voraussetzungen des § 9 PrüfvV 2015 nicht erfüllt sind; nach dieser Vorschrift beurteilt sich aber die Wirksamkeit von Aufrechnungen unter den Beteiligten (dazu a.); soweit man diese Vorschrift nicht für anwendbar hielte, stünde der Aufrechnung der Beklagten das in § 15 Absatz 4 Satz 2 des nordrhein-westfälischen Sicherstellungsvertrags gemäß § 112 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V (im Folgenden: Landesvertrag) geregelte Aufrechnungsverbot entgegen (dazu b.).

a.
Die Regelungen der PrüfvV 2015 sind hier zeitlich und sachlich anwendbar: Nach § 12 Satz 1 PrüfvV 2015 ist die Vereinbarung zum 01.09.2014 in Kraft getreten; sie gilt nach Satz 2 für die Überprüfung bei Patienten, die ab dem 01.01.2015 in ein Krankenhaus aufgenommen werden. Der Versicherte B. ist vom 13.05. bis 24.05.2016 stationär im Krankenhaus der Klägerin behandelt worden; auch die weiteren im Avis-Schreiben vom 09.09.2016 gelisteten Behandlungsfälle betreffen den Zeitraum nach dem 31.12.2014.

Die PrüfvV 2015 findet in sachlicher Hinsicht Anwendung, da eine Auffälligkeitsprüfung durchgeführt wurde. Gemäß § 1 Satz 1 PrüfvV 2015 soll die Vereinbarung ein effizientes, konsensorientiertes Verfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V näher regeln. Zum (sachlichen) Geltungsbereich bestimmt § 2 Absatz 1 PrüfvV 2015, dass "diese Vereinbarung für die gutachtlichen Stellungnahmen nach § 275 Absatz 1c SGB V zur Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V" gilt. Das Schreiben des MDK-Nordrhein, mit dem die Klägerin über die Prüfung des Behandlungsfalls des Versicherten B. informiert wurde, nimmt ausdrücklich Bezug auf § 275 Absatz 1c SGB V. Inhaltlich betraf die Prüfung die Frage, ob "die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer in vollem Umfang medizinisch begründet" war. Prüfgegenstand war demnach die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) seitens der Klägerin. Es handelte sich deshalb um eine Auffälligkeitsprüfung, die im Gegensatz zur Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung des Krankenhauses der Anwendung der PrüfvV 2015 unterliegt (vergl. dazu BSG, Urteil vom 25.10.2016, B 1 KR 18/16 R).

Demnach kommt zwar - grundsätzlich - eine Aufrechnung der Krankenkasse mit einem Erstattungsanspruch gegen einen Leistungsanspruch des Krankenhauses nach § 9 PrüfvV 2015 in Betracht, weil diese Regelung das bestehende Aufrechnungsverbot aus § 15 Absatz 4 Satz 2 des Landesvertrags verdrängt. Indes genügt die von der Beklagten erklärte Aufrechnung nicht den in § 9 PrüfvV 2015 normierten Voraussetzungen. Sie ist deshalb unwirksam.

§ 9 PrüfvV 2015 lautet:

"Die Krankenkasse kann einen nach Beendigung des Vorverfahrens einvernehmlich als bestehend festgestellten oder nach § 8 fristgerecht mitgeteilten Erstattungsanspruch mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen. Dabei sind der Leistungsanspruch und der Erstattungsanspruch genau zu benennen."

Den sich aus der Behandlung des Versicherten B. (angeblich) ergebenden Erstattungsanspruch hat die Beklagte zwar im Sinne des § 8 Satz 3 PrüfvV 2015 (9 Monate nach Übermittlung der Prüfanzeige) fristgerecht mitgeteilt; auch hat sie den Erstattungsanspruch genau benannt. Es war klar, dass die Beklagte der Auffassung war, für die Behandlung des Versicherten B. eine um 830,23 Euro zu hohe Vergütung gezahlt zu haben und deshalb die Erstattung dieses Betrages verlangte. Dies hat sie (Schreiben vom 03.08.2016 und 07.09.2016 in Verbindung mit dem Avis-Schreiben vom 09.09.2016) deutlich zum Ausdruck gebracht.

Allerdings mangelt es an einer genauen Bezeichnung des Leistungsanspruchs des Krankenhauses, gegen den die Beklagte mit ihrem Erstattungsanspruch aufgerechnet haben will.

Die Aufstellung der Beklagten, die dem Avis-Schreiben vom 09.09.2016 beigefügt war, listet zwar eine Vielzahl von Behandlungsfällen Versicherter der Beklagten bei der Klägerin auf, aus denen sich nach Ansicht der Beklagten Forderungen (Leistungsansprüche) der Klägerin in gewisser Höhe, in anderen Behandlungsfällen aber auch Gegenforderungen (Erstattungsansprüche) der Beklagten ergeben. Die Beklagte hat damit den Leistungsanspruch oder die Leistungsansprüche der Klägerin, auf den sich die Aufrechnung beziehen soll, überhaupt nicht bezeichnet. Denn aus der Gegenüberstellung von Forderungen und Gegenforderungen im Avis-Schreiben vom 09.09.2016 ist nicht ansatzweise erkennbar, gegen welche Leistungsansprüche aufgerechnet werden soll. Es handelt sich allein um eine buchhalterische Auflistung und Saldierung. Tatsächlich hat sie aufgrund der aus der Aufstellung ersichtlichen Vorgehensweise die Gesamtheit aller Forderungen und Gegenforderungen durch die zusätzliche Einstellung des ursprünglich auf den Behandlungsfall des Versicherten B. gezahlten Betrags als negativen Rechnungsposten und der von ihr jetzt für zutreffend gehaltenen Vergütung des Behandlungsfalls des Versicherten B. als positiven Rechnungsposten allein die Gesamtheit aller positiven und negativen Rechnungsposten um die (angebliche) Erstattungsforderung gemindert. Damit bleibt jedoch völlig unklar, welche konkreten Leistungsansprüche der Klägerin von der Wirkung der Aufrechnung - Erlöschen der Forderung(-en) der Klägerin, § 389 BGB - erfasst werden. Eine "genaue Bezeichnung des Leistungsanspruchs" im Sinne einer eindeutigen Individualisierung, die § 9 Satz 2 PrüfvV 2015 gerade im Hinblick auf diese mit der Aufrechnung verbundenen Rechtswirkung verlangt, ist damit nicht gegeben.

Entgegen der Ansicht der Beklagten scheidet auch eine Bestimmung der von der Aufrechnung erfassten Leistungsansprüche der Klägerin gemäß § 366 BGB aus. Diese Vorschrift ist hier angesichts der speziellen Regelung des § 9 Satz 2 PrüfvV 2015 nicht anwendbar. Es wäre schlechthin nicht erklärlich, warum diese Regelung einerseits die "genaue Bezeichnung" des Leistungsanspruchs verlangen, andererseits aber die Bestimmung dieses Leistungsanspruchs gemäß § 366 BGB zulassen sollte. Bei einem solchen Verständnis des § 9 Satz 2 PrüfvV 2015 wäre die dort enthaltene Regelung obsolet. Es würde ferner auch der in § 1 PrüfvV 2015 beschriebenen Zielsetzung - "effizientes, konsensorientiertes Verfahren" - widersprechen, weil die Anwendung des § 366 BGB im Einzelfall, wenn nicht schon als unmöglich, dann aber zumindest als kompliziert und konfliktträchtig zu beurteilen sein dürfte. Für diese Einschätzung spricht, dass die Beklagte nicht in der Lage war, die ihrer Ansicht nach von der Aufrechnung erfassten Leistungsansprüche der Klägerin anhand der Bestimmung nach § 366 BGB konkret zu bezeichnen, sondern es vielmehr bei der (allgemein gehaltenen) Ansicht belassen hat, die Bestimmung sei nach § 366 BGB vorzunehmen.

b.
Soweit man entgegen der Auffassung des Senates die Regelungen der PrüfvV 2015 hier nicht für anwendbar hält, etwa weil keine Auffälligkeitsprüfung, sondern vielmehr eine Prüfung der sachlich rechnerischen Richtigkeit vorliege, so würde das Verbot der Aufrechnung aus dem Landesvertrag wieder aufleben mit der Folge, dass die Forderung der Klägerin nicht durch Aufrechnung erloschen ist.

§ 15 Abs. 4 des Landesvertrages lautet:

"Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art können auch nach Bezahlung der Rechnung geltend gemacht werden. Bei Beanstandungen rechnerischer Art, nach Rücknahme der Kostenzusage und, falls eine Abrechnung auch vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben beruht, können überzahlte Beträge verrechnet werden."

Nach ständiger Rechtsprechung der mit dem Krankenversicherungsrecht betrauten Senate des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen enthält die in § 15 Abs. 4 Satz 2 Landesvertrag vereinbarte Regelung ein "konkludentes" Aufrechnungsverbot für die nicht ausdrücklich erwähnten Fälle, d.h. für Erstattungsansprüche bei Beanstandungen sachlicher Art, insbesondere bei Verstößen gegen das in § 12 SGB V geregelte Wirtschaftlichkeitsgebot (zum Ganzen LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.06.2006 - L 5 KR 205/02 -, juris Rdn. 18 ff.; Urteil vom 01.09.2011 - L 16 KR 212/08 -, juris Rdn. 18 ff.; Urteil vom 24.05.2012 - L 16 KR 8/09 -, juris Rdn. 23 ff.; ausdrücklich offen gelassen BSG Urteil vom 21.03.2013 - B 3 KR 23/12 R -, juris Rdn. 12. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Das "konkludente" Aufrechnungsverbot des Landesvertrags ist hier einschlägig, denn die Beklagte hat den von ihr geltend gemachten Erstattungsanspruch darauf gestützt, dass im Behandlungsfall des Versicherten B. die obere Grenzverweildauer unnötigerweise überschritten worden ist. Damit hat sie die Abrechnung in Bezug auf die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots beanstandet. Ein Fall des § 15 Abs. 4 Satz 2 Landesvertrag lag somit demgegenüber gerade nicht vor.

Hinsichtlich des Zinsanspruchs wird auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit den §§ 63 Absatz 2, 52 Absatz 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

Der Senat hat der Streitsache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb die Revision zugelassen (§ 160 Absatz 2 Nr.1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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