Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 U 81/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 646/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 258/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.08.2015 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt 20 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Weitergehende Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit stehen die Anerkennung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) über den 31.12.2011 hinaus als Unfallfolge sowie die Gewährung einer Verletztenrente wegen Folgen eines Arbeitsunfalles vom 07.02.2011.
Die am 00.00.1969 geborene Klägerin war als Kinderärztin in der W Kinderklinik E beschäftigt. Ausweislich der ärztlichen Unfallmeldung des Arbeitgebers vom 09.02.2011 stach sie sich am 07.02.2011 selbst beim Legen eines Zugangs bei einem Kind mit einer Nadel in den rechten Daumen.
Im Durchgangsarztbericht von PD Dr. H, N, vom 01.03.2011 betreffend eine Vorstellung der Klägerin am 08.02.2011 wurde ausgeführt, die Klägerin habe sich am 07.02.2011 an einer benutzten Kanüle gestochen. Er diagnostizierte einen schnellenden Daumen rechts sowie den Verdacht auf Phlegmone bei Panaritium (Nagelgeschwür) der rechten Hand. Am 09.02.2011 wurde die Klägerin in der Q-Klinik N durch PD Dr. H operiert. Es erfolgte eine operative Revision der Beugesehnenscheide mit Ringbandspaltung, es habe sich nur klare Flüssigkeit entleert, ein Bakteriennachweis konnte nicht erbracht werden. Weitere Revisionsoperationen erfolgten am 15.02.2011 und 21.02.2011. Es fanden sich jeweils kein Eiter sowie kein laborchemisches und bakteriologisches Korrelat. Die Klägerin wurde am 25.02.2011 aus der stationären Behandlung entlassen.
Am 10.03.2011 diagnostizierte der Neurologe und Psychiater Dr. L aus S bei der Klägerin ein CRPS. Die Klägerin stellte sich am 15.03.2011 in der Abteilung für Schmerztherapie des C C, Prof. Dr. N, vor. Dieser diagnostizierte den Verdacht auf ein CRPS Typ 1. Vom 16.03.2011 bis 21.04.2011 sowie vom 27.04.2011 bis 17.05.2011 befand sich die Klägerin dort in stationärer Behandlung unter den Diagnosen CRPS Typ 1 nach Stichverletzung im Bereich der rechten Hohlhand, Aufrechterhaltung bzw. Aggravation körperlicher Symptome aus psychischen Gründen auf dem Boden einer emotional instabilen Persönlichkeitsstruktur (vom Borderline-Typ). In dem stationären Entlassungsbericht vom 23.05.2011 wurde u.a. ausgeführt, angesichts einer von der Klägerin berichteten Anamnese mit sechsjähriger fortlaufender psychoanalytischer Behandlung ergäben sich Hinweise auf unfallunabhängige psycho-soziale Belastungsfaktoren sowie deutliche Hinweise auf eine emotional instabile Persönlichkeit. Die prognostische Relevanz dieser unfallunabhängigen Risikofaktoren bzw. Komorbiditäten habe im Rahmen des stationären Aufenthalts nicht ausreichend geklärt werden können. Bei sich abzeichnender Verkomplizierung des Heilverfahrens empfehle sich eine zeitnahe und ausführliche psychologisch-psychiatrische Untersuchung.
Eine erneute stationäre Behandlung erfolgte vom 03.06. bis 08.06.2011 im C C, Klinik für Plastische Chirurgie, Prof. Dr. T. Dieser diagnostizierte ein Panaritium (Nagelgeschwür) D III rechte Hand mit ausgeprägter Begleitphlegmone des Fingers und der dorsalen Hand. Die Klägerin habe über einen Insektenstich in den Mittelfinger vor 2 1/2 Tagen berichtet. Es erfolgten ein Debridement und eine Nagelkeilexzision.
Die Beklagte zog eine Auskunft der Krankenkasse (TKK) sowie weitere Arztberichte betreffend die Klägerin - auch bezogen auf den Zeitraum vor dem streitigen Unfallereignis - bei. Der Orthopäde Dr. Q, N, berichtete am 28.01.2011: "Hat den Daumen entzündet", am 03.02.2011: "weiterhin heftige Schmerzen, Unfall negativ" und am 08.02.2011: "Schmerzen weiterhin vorhanden". Ausweislich eines verkehrsmedizinischen Gutachtens des Orthopäden Dr. U vom 02.02.2012, erstattet nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 23.12.2011 zu der Frage, ob die Klägerin trotz einer Gesundheitsstörung oder Krankheit in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen, zeigte der erhobene Befund bis auf eine mittelgradige Bewegungseinschränkung der rechten Hand keine pathologischen Auffälligkeiten. Die Funktionsprüfungen lagen im normwertigen Bereich. In einem Bericht vom 09.01.2012 diagnostizierte Dr. L noch deutliche Paresen der rechten Hand nach CRPS. Im Neurostatus konnte er ein Ödem der rechten Hand, Temperaturdifferenz und/oder Verfärbung nicht feststellen. Der Handchirurg Dr. H1, H, stellte in einem Befundbericht vom 12.03.2012 eine mäßige Schwellung des rechten Handrückens fest. Es werde ein erheblicher Bewegungsschmerz in allen Fingern angegeben, im Bereich der Langfinger bestehe ein deutliches Streckdefizit, der Faustschluss sei nur unvollständig möglich. Vom 02.04. bis 23.04.2012, vom 13.08. bis 15.08.2012 und 08.10. bis 10.10.2012 befand sich die Klägerin unter den Diagnosen CRPS Typ I rechts nach Stichverletzung und Entwicklung einer Handphlegmone sowie Dystonie der rechten Hand bei CRPS Typ I in schmerztherapeutischer stationärer Behandlung bei Prof. Dr. N, C C. Prof. Dr. N berichtete unter dem 23.04.2012 u.a. von einer Narkoseuntersuchung, bei der eine gute Beweglichkeit der Finger festgestellt worden sei.
Die Beklagte holte ein chirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage nach Aktenlage von Dr. F, L Klinik F Nord vom 31.08.2011 ein. Dieser führte aus, das CRPS Typ 1 sei aus rechtlicher Sicht auf die Nadelstichverletzung zurückzuführen, da die Operation vom 09.02.2011 zwar zum einen wegen der unfallunabhängigen Ringbandspaltung, aber auch wegen der Schwellung und Rötung nach Stichverletzung mit verunreinigter Kanüle notwendig gewesen sei.
Ferner ließ die Beklagte die Klägerin handchirurgisch zur Zusammenhangsfrage erneut begutachten von Prof. Dr. M, C C. In seinem Gutachten vom 05.06.2013 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25.09.2013 gelangte dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin zu der Beurteilung, dass ein Zusammenhang zwischen dem Beschwerdebild und dem Unfall vom 07.02.2011 nicht plausibel sei. Grundsätzlich sei das angeschuldigte Ereignis einer Nadelstichverletzung geeignet, ein CRPS auszulösen. Allerdings seien auch die anderen damals diagnostizierten Erkrankungen, das Panaritium des rechten Daumens und die Ausbildung einer Phlegmone sowie eine Sehnenscheidenentzündung an der rechten Hand geeignet, zu einem CRPS zu führen. Letztlich sei die auslösende Ursache des CRPS nicht sicher zu rekonstruieren.
Die Klägerin erhielt bis zum 14.12.2012 Verletztengeld.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 18.11.2013 den Unfall vom 07.02.2011 als Arbeitsunfall an und lehnte die Gewährung einer Rente bezugnehmend auf das Gutachten von Prof. Dr. M ab.
Mit Widerspruch vom 20.11.2013 wandte die Klägerin ein, Prof. Dr. N und Dr. F seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Nadelstichverletzung Ursache für die CRPS-Erkrankung gewesen sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2014 zurück. Die Aussage von Dr. F, der zunächst die unfallunabhängige Operation der Ringbandenge als auslösendes Moment der CRPS gesehen habe und dann abschließend eine andere Bewertung getätigt habe, sei nicht verständlich und werde auch nicht begründet.
Hiergegen hat die Klägerin am 03.03.2014 Klage vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) erhoben. Sie hat sich zur Begründung auf die Befundberichte von Prof. Dr. N und das Gutachten von Dr. F bezogen. Es sei medizinisch anerkannt und ganz typisch, dass durch geringe Verletzungen wie eine Nadelstichverletzung ein CRPS-Syndrom ausgelöst werden könne.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 07.02.2011 Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren sowie die Gesundheitsstörung eines CRPS als Unfallfolge anzuerkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines handchirurgischen Gutachtens von Dr. T1 aus F vom 14.05.2014. Dr. T1 ist nach ambulanter und röntgenologischer Untersuchung der Klägerin zu der Beurteilung gelangt, dass die Veränderungen vor der Kanülenstichverletzung am 07.02.2011 mit Entzündung des Daumens am 28.01.2011 und heftigen Schmerzen am 03.02.2011 wesentlich ursächlich für das sich später entwickelnde CRPS gewesen seien. In den ersten Monaten habe ein solches bestanden. Im späteren Verlauf habe sich zusätzlich eine erhebliche Dystonie entwickelt, die zur weitgehenden Funktionslosigkeit der rechten Hand geführt habe. Zum Zeitpunkt seiner Untersuchung hätten sich typische Symptome einer Dystrophie (eines CRPS) nur noch partiell feststellen lassen. Die bei einem so lange bestehenden CRPS zu erwartende fleckförmige Entkalkung des Handskeletts habe sich nicht nachweisen lassen, zudem fehle eine gravierende Minderung der Ober- und Unterarmmuskulatur. Dies lasse sich mit der weitgehenden Gebrauchslosigkeit der rechten Hand nicht in Einklang bringen. Die MdE wegen Unfallfolgen betrage unter 10 v.H.
Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG ein Gutachten des Anästhesiologen und Allgemeinmediziners Dr. G, M, vom 07.12.2014 nebst ergänzender Stellungnahme vom 21.12.2014 eingeholt. Dieser ist zu der Beurteilung gelangt, bei der Klägerin liege weiterhin ein CRPS vor, welches die ganze Extremität betreffe, also die rechte Hand, das Handgelenk, den Ellenbogen, die Schulter, die Armmuskulatur. Der gesamte Arm sei schmerzhaft, geschwächt und funktionsbeeinträchtigt. Die Nadelstichverletzung sei ursächlich für das CRPS. Bereits bei der Operation vom 09.02.2011 sei in ein beginnendes CRPS hinein operiert worden. Nach den Angaben der Klägerin seien drei bis vier Stunden nach der Nadelstichverletzung erstmals Dauerschmerzen an der rechten Hand aufgetreten, die vorher nicht da gewesen seien und bei denen die Kriterien für ein CRPS erfüllt seien. Die MdE wegen Unfallfolgen betrage 70 v. H., wobei der Verlust der Funktionen des rechten Schultergelenks, des rechten Ellenbogengelenks und der rechten Hand mit einer Einzel-MdE von 40 vH, die chronische Schmerzkrankheit mit psycho-sozialen Folgen mit einer Einzel-MdE von 30 vH und ein besonderes berufliches Betroffensein mit einer Einzel-MdE von 20 vH zu bewerten seien. Dem Gutachten des Dr. T1 stimme er nicht zu, u.a. da die Dystonie eine komplexe CRPS-Folge oder -Anteil sei, eine Entkalkung nicht notwendig vorhanden sein müsse und eine Minderung von Muskelumfängen bei CRPS keine Rolle spiele.
Zu dem Gutachten des Dr. G hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. F1 vom 18.02.2015 beigebracht. Dem Gutachten könne nicht gefolgt werden. Der Nadelstich habe zu keiner Infektion und zu keinerlei Krankheitserscheinungen geführt.
Das SG hat die Akten S 15 SB 1625/11 (Rechtsstreit der Klägerin gegen den Kreis S) sowie die Vorprozessakten S 37 U 348/11 SG Gelsenkirchen (Gewährung von Haushaltshilfe) beigezogen.
Mit Urteil vom 26.08.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. In der Begründung hat das SG gestützt auf das Gutachten des Dr. T1 ausgeführt, es lasse sich nicht feststellen, dass die Klägerin bei dem von der Beklagten als Arbeitsunfall anerkannten Ereignis vom 07.02.2011 bleibende Gesundheitsstörungen davon getragen habe. Das CRPS sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Nadelstichverletzung zurückzuführen.
Gegen das ihr am 15.09.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.10.2015 Berufung eingelegt. Sie trägt unter Verweis auf die Ausführungen von Dr. G vor, es bestehe weiterhin ein kausal auf der Nadelstichverletzung beruhendes CRPS mit erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen der rechten oberen Extremität. Dr. T1 sei von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Insbesondere sei das CRPS nie ausgeheilt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens der Dr. L1 vom 12.04.2016. Diese hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 16.03.2016 folgende Diagnosen gestellt: dystone Fehlstellung der gesamten rechten Hand und Fehlwahrnehmungen an der rechten oberen Extremität infolge einer dissoziativen Störung der Bewegung und der Sinnesempfindung, kombinierte Persönlichkeitsstörung, Fehl- bzw. schädlicher Gebrauch von Opioiden. Die dissoziative Störung und der daraus resultierende schädliche Gebrauch seien wesentlich im Sinne der Entstehung auf die Folgen des Unfalls zurückzuführen, die MdE betrage 30 vH. Ein Unfallzusammenhang sei aus formalen Gründen anzunehmen, da das Heilverfahren und die Operation am 09.02.2011 jedenfalls wegen angenommener Unfallfolgen erfolgt seien. Das CRPS sei erst infolge der Operation entstanden, Hinweise, dass bereits im Zeitpunkt der Operation ein CRPS vorgelegen habe, bestünden nicht. Das CRPS habe bis Ende 2011 abklingend vorgelegen. Bei dem vorliegenden Befund an der rechten oberen Extremität handele es sich um eine aus psychischen Gründen entstandene Fehlstellung, nicht um organisch begründete Folgen des durchgemachten CRPS. Die psychogene Körperstörung sei ab Anfang 2012 dokumentiert. Ohne das CRPS hätte die Klägerin nicht den Befund an der rechten Hand, sondern eher wahrscheinlich andere, nicht so schwerwiegende psychogene oder psychogen verstärkte Beschwerden. Ein CRPS könne bei einem zuvor psychisch erheblich minderbelasteten oder gar gestörten Betroffenen, wie hier, auch eine dauerhafte Verschlechterung herbeiführen. Bei dem psychischen Vorschaden der Klägerin hätte eine deutliche neurologisch-psychiatrisch-rehabilitative Variation des üblichen Behandlungsschemas für ein CRPS unter ständiger psychiatrischer Beteiligung erfolgen müssen. Es sei durchaus möglich, dass auch dies nicht geholfen hätte, dann wäre der ursächliche Zusammenhang der dissoziativen Körperstörung an der rechten Hand der Klägerin mit dem CRPS auch zu verneinen gewesen. Tatsächlich sei eine solche Behandlung aber nicht erfolgt.
Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. C vom 04.06.2016 vorgelegt, welcher meinte, der von Dr. L1 vorausgesetzten Kausalitätskette 1. Nadelstichverletzung, 2. CRPS,
3. Dystonie wäre zu folgen, wenn das CRPS als Folge der Nadelstichverletzung angesehen werden könne, nicht, wenn dies auf den Vorschaden (Sehnenscheidenentzündung am rechten Daumen) zurückzuführen sei. Dies sei auf chirurgischem Fachgebiet zu klären.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. T1 vom 15.08.2016 eingeholt, welcher ausgeführt hat, er habe ähnliche Befunde wie Dr. L1 erhoben. Die demonstrierten Bewegungsstörungen der rechten Hand seien ähnlich beschrieben worden, des Weiteren hätten sich keine Besonderheiten der Haut an den Händen gefunden. Die Fingernägel der Klägerin seien geschnitten und ohne Störung des Nagelwachstums gewesen, eine wesentliche Minderbemuskelung sei nicht festgestellt worden. Er teile die Auffassung von Dr. L1, dass bei der operativen Behandlung 2011 kein organisches Korrelat als Ursache für die Beschwerde gefunden worden sei. Wie Dr. L1 dargelegt habe, seien die Operationen aufgrund der nervenärztlichen Störung der Klägerin (aus psychischen Gründen berichtete Symptome) von dieser erzwungen worden. Eine äußerlich sichtbare Verletzung infolge der Nadelstichverletzung sei trotz zeitnaher Untersuchung durch zwei Ärzte nicht gesehen worden. Aus handchirurgischer Sicht sei die Indikationsstellung zur Operation am 09.02.2011 jedoch alternativlos gewesen. Das jetzige Krankheitsbild sei nicht einem CRPS zuzuordnen, typische Symptome - z.B. Hautveränderungen, Veränderungen der Behaarung, der Schweißsekretion und im Röntgenbild sowie Muskelminderungen infolge des geringen Gebrauchs der Hand - fehlten. Die auch von Dr. L1 festgestellte dystrophe Fehlstellung der Hand sei wesentlich später, nach Abheilung des CRPS, entstanden und lasse sich organisch nicht begründen.
In einem Verhandlungstermin am 06.12.2017 sind Dr. T1 und Dr. L1 als Sachverständige zur Erläuterung ihrer Gutachten geladen und gehört worden. Dr. T1 hat im Wesentlichen erklärt, das CRPS sei mit der größten Wahrscheinlichkeit auf die drei Operationen durch Dr. H zurückzuführen. Dieser habe Unfallfolgen behandeln wollen. Im dem verkehrstechnischen Gutachten des Dr. U vom 23.12.2011 würden keine größeren Auffälligkeiten der betroffenen Hand mehr beschrieben. Danach fehle es an Begleitbefunden eines CRPS. Dr. H1 beschreibe im März 2012 bereits Befunde im Zusammenhang mit der später aufgetretenen Dystonie. Angesprochen auf Untersuchungen des Prof. Dr. N im Jahr 2012 hat Dr. T1 ausgeführt, ein Szintigramm sei etwa sechs Monate nach Entstehung eines CRPS aussagekräftig hierfür. Prof. Dr. N habe festgestellt, dass die Klägerin in Allgemeinnarkose in den betroffenen Gelenken normal beweglich gewesen sei. Dies spreche dafür, dass der Beweglichkeitsmangel nicht an einem CRPS gelegen habe, denn bei einem solchen könne sie sich nicht unter Narkose frei bewegen. Dr. L1 hat u.a. ausgeführt, auch sie mache die Besserung des CRPS an dem verkehrstechnischen Gutachten des Dr. U fest. Dr. L beschreibe im Januar 2012 keinerlei Hautveränderungen mehr. Die von Dr. L festgestellten Paresen wiesen in Richtung der späteren Dystonie. Im Januar 2012 habe keine MdE bestanden. Die nunmehr von der Klägerin eingenommene Fehlhaltung sei nicht dauernd vorhanden, denn bei den Untersuchungen habe sie feststellen können, dass die Muskeln des Arms und der Hand sämtlich da und auch nicht verschmächtigt seien. Die frühere neurotische Persönlichkeitsstörung der Klägerin sei für sie gut dokumentiert. Die vorbestehende Persönlichkeit der Klägerin sei conditio sine qua non für die bestehende Dystonie. In der Zeit von Ende Mai 2011 bis Ende 2011 hätte eine geeignete und koordinierte psychiatrische Behandlung die schweren körperlichen Auswirkungen, wie sie sich jetzt durch die Fehlstellung zeigten, verhindern können. Einen Grad der Wahrscheinlichkeit hierfür könne sie nur sehr schwer einschätzen, sie gehe aber davon aus, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die schweren Folgen bezogen auf die Hand hätten vermieden werden können.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift, Bl. 406 ff. der Gerichtsakte, verwiesen.
Die Klägerin hat in einer Stellungnahme u.a. darauf hingewiesen, dass die Diagnose einer "festgestellten vorbestehenden schweren neurotischen Persönlichkeitsstörung" nicht gerechtfertigt sei. Von den behandelnden Psychotherapeuten, mit denen die Klägerin seit Jahren regelmäßig in Kontakt stehe, habe keiner eine solche Diagnose gestellt. Fokus des Verkehrsgutachtens des Dr. U sei nicht das CRPS, sondern die Verkehrstüchtigkeit gewesen. Starke Schmerzmittel (Morphine) hätten die Symptomatik gelindert, daher sei die Funktion der Hand ausreichend zum Autofahren gewesen. Das CRPS bestehe noch, und zwar im Stadium III, gekennzeichnet durch Dystrophie, Atrophie und Kontraktur.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat am 19.09.2018 hat die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 18.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2014 als weitere Folge des Unfalls vom 07.02.2011 ein am 31.12.2011 ausgeheiltes CRPS als weitere Unfallfolge anerkannt. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.08.2015 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 18.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2014 und des Teilanerkenntnisses vom 19.09.2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Gesundheitsstörung eines CRPS über den 31.12.2011 hinaus als Unfallfolge anzuerkennen und ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 07.02.2011 Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des SG auf der Grundlage des Beweisergebnisses hinsichtlich des ihr Teilanerkenntnis übersteigenden Klageanspruchs für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist, soweit sie sich nicht im Umfang des angenommenen Teilanerkenntnisses der Beklagten im Verhandlungstermin am 19.09.2018 erledigt hat, nicht begründet.
Der Bescheid vom 18.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2014, soweit er nicht durch das angenommene Teilanerkenntnis vom 19.09.2018 abgeändert worden ist, erweist sich nicht als rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines CRPS über den 31.12.2011 hinaus als Unfallfolge und auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 07.02.2011.
Anspruch auf Rente, § 56 Abs.1 S.1 und 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) - Gesetzliche Unfallversicherung -, haben Versicherte, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier: des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls (§ 8 Abs. 1 SGB VII) - über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. oder bei Vorliegen eines Stützrententatbestandes um 10 v.H. gemindert ist. Für die Gewährung einer Rente ist erforderlich, dass länger andauernde Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität) und hierdurch der rentenberechtigende Grad der MdE bedingt wird. Dabei müssen Art und Ausmaß des Unfallereignisses, der Gesundheitserstschaden und die hierdurch verursachten länger andauernden Unfallfolgen im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Lässt sich ein Nachweis nicht führen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zulasten des Versicherten. Für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden (vgl. z. B. BSG Urt. v. 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - juris Rn. 12; Urt. v. 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - juris Rn. 28; Urt. v. 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - juris Rn. 34; Urt. v. 31.01.2012 - B 2 U 2/11 R - juris Rn. 17 mwN; vgl. auch BSG Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - juris Rn. 20 mwN.)
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien liegt als auf den Unfall zurückzuführende Gesundheitsstörung ein am 31.12.2011 abgeheiltes CRPS vor. Dies hat die Beklagte im Verhandlungstermin vor dem erkennenden Senat am 19.09.2018 anerkannt. Ein Anspruch auf Verletztenrente besteht jedoch in dem Zeitraum bis zum 31.12.2011 nicht, da die Klägerin in diesem Zeitraum bereits Verletztengeld bezogen hat und eine Verletztenrente erst am Tag nach Erlöschen des der Klägerin bewilligten Verletztengeldes beginnen kann (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).
Über den 31.12.2011 hinaus liegen keine unfallbedingten Gesundheitsstörungen mehr vor. Insbesondere ist das CRPS entgegen der Ansicht der Klägerin nach diesem Zeitpunkt ausgeheilt. Bei dieser Einschätzung stützt der Senat sich auf die Gutachten und Aussagen des Handchirurgen Dr. T1 sowie der Neurologin und Psychiaterin Dr. L1. Die Sachverständigen haben die erhobenen Befunde und gestellten Diagnosen schlüssig dargelegt und die darauf beruhende Beurteilung überzeugend begründet. Insbesondere haben Sie für den Senat überzeugend dargelegt, dass bereits dem verkehrsmedizinischen Gutachten des Dr. U keine Anhaltspunkte für das Fortbestehen eines CRPS entnommen werden konnten. So schildert Dr. U, dass das Auskleiden mühelos gelingt. In Schulter- und Ellenbogengelenken zeige sich eine altersentsprechende Beweglichkeit, im Seitenvergleich sah Dr. U eine mittelgradige Bewegungseinschränkung der rechten Hand bei Dorsalextension und eine geringgradige Einschränkung des Fingerspitzen-Hohlhandabstandes rechts. Er beschreibt die an der Hand verlaufenden Narben und schildert, dass die grobe Kraft rechts diskret reduziert ist. Im rechten Handgelenk wird eine Bewegungsminderung hohlhandwärts im Seitenvergleich von 30 Grad dokumentiert. Dementsprechend kommt er zu dem Schluss, dass bis auf eine mittelgradige Bewegungseinschränkung der rechten Hand keine pathologischen Auffälligkeiten bestünden und die Funktionsprüfungen im normwertigen Bereich lägen. Für die Behauptung der Klägerin, anlässlich der Begutachtung durch Dr. U starke Schmerzmittel eingenommen zu haben, finden sich in dem Gutachten keine Anhaltspunkte. Auch der Neurologe und Psychiater Dr. L hat in seinem Befundbericht vom 09.01.2012 einen Zustand nach CRPS, also ein abgelaufenes CRPS beschrieben. Überzeugend hat Dr. T1 überdies dargelegt, dass anlässlich einer Narkoseuntersuchung der Klägerin durch Prof. Dr. N im April 2012 eine Beweglichkeitseinschränkung der betroffenen Extremitäten nicht festgestellt werden konnte, was bei einem fortbestehenden CRPS jedoch zu erwarten gewesen wäre. Auch konnten die Sachverständigen anlässlich ihrer eigenen Untersuchungen keine typischen CRPS-Symptome mehr feststellen. Den Ausführungen des Dr. G vermochte der Senat nicht zu folgen. Dieser hat sich mit den oben stehenden objektiven Befunden nicht auseinandergesetzt, sondern im Wesentlichen aufgrund der (Schmerz-)Angaben der Klägerin ein fortbestehendes CRPS angenommen.
Soweit die Klägerin nach den auch insoweit für den Senat überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. L1 seit 2012 unter einer "dystonen Fehlstellung der gesamten rechten Hand und Fehlwahrnehmungen an der rechten oberen Extremität infolge einer dissoziativen Störung der Bewegung und der Sinnesempfindung, gemischt" leidet, ist diese Gesundheitsstörung zur Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Bei dem Arbeitsunfall hat die Klägerin keinen Gesundheitserstschaden erlitten, auf welchen diese Erkrankung als mittelbare Unfallfolge hinreichend wahrscheinlich zurückgeführt werden könnte. Insbesondere beruht diese zur Überzeugung des Senats nicht im Sinne des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung kausal auf dem anerkannten, Ende 2011 abgeheilten CRPS.
Die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer unfallbedingten Gesundheitsstörung und einer hinzutretenden weiteren Gesundheitsstörung erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der weiteren Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen iS der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt; das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie zB Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist (vgl. BSG, Urteile vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R -, juris Rn. 18 und vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R -, juris Rn. 27).
Letztlich offen zu lassende Zweifel hat der Senat bereitsauf der ersten Prüfungsstufe dahingehend, dass unklar bleibt, ob überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlichen-philosophischen Sinne zwischen dem als mittelbare Unfallfolge anerkannten, bis zum 31.12.2011 abgeklungenen CRPS und der Dystonie besteht. Dafür spricht, dass Dr. L1 ausführt ein CRPS könne auch die Ressourcen eines psychisch stabilen Menschen vorübergehend überfordern, es könne bei monatelanger Dauer auch bei einem psychisch gesunden Menschen psychoreaktive Störungen hervorrufen und es könne bei einem zuvor psychisch gestörten Betroffenen auch eine dauerhafte Verschlechterung herbeiführen (Gutachten S. 45). Bereits die Formulierung dieser These unter dreimaliger Verwendung des Wortes "kann" zeigt allerdings, dass es sich hier lediglich um Möglichkeiten handelt. Gegen den Verursachungsbeitrag des CRPS spricht, dass die Sachverständige alternativ auch die Möglichkeit erwägt, dass das CRPS der aus unfallunabhängigen, z.B. biographischen Gründen entstandenen dissoziativen Körperstörung nur als "Muster" diente, dann also nicht einmal als Auslöser der dissoziativen Störung angesehen werden könnte. Letztlich mag die Schlussfolgerung der Sachverständigen Dr. L1, ohne das CRPS hätte die Klägerin nicht genau diesen individuell-konkreten Befund an der rechten Hand entwickelt, für die Bewertung des abgelaufenen CRPS als conditio sine qua non der dystonen Fehlstellung der rechten Hand genügen.
Konkurrierende Bedingung für die von Dr. L1 diagnostizierte Gesundheitsstörung "dystone Fehlstellung der gesamten rechten Hand und Fehlwahrnehmungen an der rechten oberen Extremität infolge einer dissoziativen Störung der Bewegung und der Sinnesempfindung, gemischt (ICD 10 F.44.7)" im Sinne einer conditio sine qua non ist zur Überzeugung des Senats die nicht unfallbedingte psychische Erkrankung der Klägerin, die die Sachverständige Dr. L1 als eine schon vor dem Ereignis bestehende kombinierte Persönlichkeitsstörung, ICD-10 F 61.0, identifiziert hat. Die Erkrankung hält der Senat in Übereinstimmung mit Dr. L1, die dies anhand der Vorgeschichte und den von ihr erhobenen Befunden nachvollziehbar begründet, und deren Auffassung durch Dr. N im Entlassungsbericht vom 23.05.2011 gestützt wird, für ausreichend belegt. Dr. L1 hat in ihrem Gutachten sowie anlässlich der Befragung durch den Senat im Verhandlungstermin vom 06.12.2017 darunter eine gravierende neurotische Fehlentwicklung bei der Klägerin gefasst sowie eine Neigung zu somatoformen Beschwerden und dazu, Fachärzte und Kliniken zwar aufzusuchen, oft auch notfallmäßig, sich dann aber nicht an die Behandlungsempfehlungen zu halten, auch wenn die eingenommenen Medikamente ihren Körper unnötig schädigen, und in diesen Zusammenhang auch eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung unklaren Schweregrades und ein medikamentös bedingtes Cushing-Syndrom als Folge eines mehrjährigen Fehlgebrauchs von cortisonhaltigen Medikamenten gestellt.
Unabhängig vom Ergebnis der Prüfung auf der ersten Stufe ist jedenfalls aber auf der zweiten Prüfungsstufe für den Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausreichend wahrscheinlich, dass das CRPS - seine Mitursächlichkeit i.S.d. conditio sine qua non unterstellt - eine rechtlich wesentliche Ursache der Gesundheitsstörung ist. Insoweit weist bereits die durch die Sachverständige Dr. L1 gestellte Diagnose nach ICD 10 F.44.7 auf die maßgebliche Bedeutung des psychischen Vorschadens hin. Ausweislich der Erläuterung der ICD 10 F.44 entwickeln sich im Rahmen einer dissoziativen Störung "eher chronische Störungen, besonders Lähmungen und Gefühlsstörungen, [ ...] wenn der Beginn mit unlösbaren Problemen oder interpersonalen Schwierigkeiten verbunden ist. Diese Störungen [ ...] werden als ursächlich psychogen angesehen, in enger zeitlicher Verbindung mit traumatisierenden Ereignissen, unlösbaren oder unerträglichen Konflikten oder gestörten Beziehungen" (Hervorhebung hinzugefügt). Die Abwägung der für und gegen eine wesentliche Ursächlichkeit sprechenden Faktoren, welche Dr. L1 vorgenommen hat, lässt zur Überzeugung des Senats nicht erkennen, warum das CRPS nicht allenfalls Auslöser oder - wie Dr. L1 formuliert - "Muster", sondern rechtlich wesentliche Wirkursache der Erkrankung sein soll. Anlässlich der Befragung durch den Senat hat die Sachverständige Dr. L1 ihre Auffassung bekräftigt, dass die körperlichen Auswirkungen bezogen auf die Hand durch eine geeignete psychiatrische Behandlung der zugrundeliegenden psychischen Erkrankung hätten vermieden werden können, ohne dass sie insofern einen Grad der Wahrscheinlichkeit angeben könne. Diese Erläuterungen der Sachverständigen zeigen nach Auffassung des Senats die vornehmliche Bedeutung der psychischen Vorerkrankung der Klägerin für den ab 2012 vorliegenden Gesundheitszustand und vermögen nicht positiv zu begründen, dass das CRPS die wesentliche Ursache für die diagnostizierte Gesundheitsstörung ist. Überdies will die Sachverständige den ursächlichen Zusammenhang der dissoziativen Körperstörung an der rechten Hand der Klägerin mit dem CRPS auch für den Fall eher verneinen, dass die Klägerin parallel zu der CRPS-Behandlung psychiatrisch mitbehandelt worden wäre, dies jedoch nicht geholfen hätte. Diese Koppelung des Wahrscheinlichkeitsurteils an den fiktiven Ausgang einer nicht stattgefundenen Heilbehandlung, bei gleichzeitiger Feststellung einer Neigung der Klägerin dazu, ärztlichen Empfehlungen nicht zu folgen, überzeugt den Senat nicht. Die Ausführungen der Sachverständigen Dr. L1 erscheinen dem Senat insoweit spekulativ und geben keine plausible Erklärung für eine wesentliche Mitursächlichkeit des zur Überzeugung des Senats und nach Darstellung von Dres. T1 und L1 bei der Ausbildung der dissoziativen Störung der rechten Hand ja bereits ausgeheilten CRPS.
Die "dystone Fehlstellung der gesamten rechten Hand und Fehlwahrnehmungen an der rechten oberen Extremität infolge einer dissoziativen Störung der Bewegung und der Sinnesempfindung, gemischt" kann auch nicht wegen einer unterbliebenen psychiatrischen Mitbehandlung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als mittelbare Folge des Arbeitsunfalls vom 07.02.2011 angesehen werden. Nach dieser Vorschrift sind Folgen eines Versicherungsfalls u.a. auch Gesundheitsschäden infolge der Durchführung einer Heilbehandlung. Zum einen unterstellt die Sachverständige offenbar, die Klägerin hätte an einer solchen, von Dr. N empfohlenen Heilbehandlung mitgewirkt, wovon aber mit Blick auf das Krankheitsbild, zu dem es nach dem Ergebnis ihrer Begutachtung gehört, ärztlichem Rat nicht zu folgen, nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann. Zum anderen erfüllt die Unterlassung einer möglicherweise gebotenen Heilbehandlung, den Tatbestand der Norm nicht, die auf die Durchführung der Heilbehandlung abstellt. Die Sachverständige übersieht zudem, dass Dr. N seine am 23.05.2011 unterbreiteten Behandlungsempfehlungen auf unfallunabhängige, in der Person der Klägerin gründende Komorbiditäten gestützt hat, so dass insoweit die Behandlung nicht zu Lasten der Beklagten zu erfolgen hatte.
Weitere Unfallfolgen sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen der Klägerin aufgrund des von der Beklagten abgegebenen Teilanerkenntnisses.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Im Streit stehen die Anerkennung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) über den 31.12.2011 hinaus als Unfallfolge sowie die Gewährung einer Verletztenrente wegen Folgen eines Arbeitsunfalles vom 07.02.2011.
Die am 00.00.1969 geborene Klägerin war als Kinderärztin in der W Kinderklinik E beschäftigt. Ausweislich der ärztlichen Unfallmeldung des Arbeitgebers vom 09.02.2011 stach sie sich am 07.02.2011 selbst beim Legen eines Zugangs bei einem Kind mit einer Nadel in den rechten Daumen.
Im Durchgangsarztbericht von PD Dr. H, N, vom 01.03.2011 betreffend eine Vorstellung der Klägerin am 08.02.2011 wurde ausgeführt, die Klägerin habe sich am 07.02.2011 an einer benutzten Kanüle gestochen. Er diagnostizierte einen schnellenden Daumen rechts sowie den Verdacht auf Phlegmone bei Panaritium (Nagelgeschwür) der rechten Hand. Am 09.02.2011 wurde die Klägerin in der Q-Klinik N durch PD Dr. H operiert. Es erfolgte eine operative Revision der Beugesehnenscheide mit Ringbandspaltung, es habe sich nur klare Flüssigkeit entleert, ein Bakteriennachweis konnte nicht erbracht werden. Weitere Revisionsoperationen erfolgten am 15.02.2011 und 21.02.2011. Es fanden sich jeweils kein Eiter sowie kein laborchemisches und bakteriologisches Korrelat. Die Klägerin wurde am 25.02.2011 aus der stationären Behandlung entlassen.
Am 10.03.2011 diagnostizierte der Neurologe und Psychiater Dr. L aus S bei der Klägerin ein CRPS. Die Klägerin stellte sich am 15.03.2011 in der Abteilung für Schmerztherapie des C C, Prof. Dr. N, vor. Dieser diagnostizierte den Verdacht auf ein CRPS Typ 1. Vom 16.03.2011 bis 21.04.2011 sowie vom 27.04.2011 bis 17.05.2011 befand sich die Klägerin dort in stationärer Behandlung unter den Diagnosen CRPS Typ 1 nach Stichverletzung im Bereich der rechten Hohlhand, Aufrechterhaltung bzw. Aggravation körperlicher Symptome aus psychischen Gründen auf dem Boden einer emotional instabilen Persönlichkeitsstruktur (vom Borderline-Typ). In dem stationären Entlassungsbericht vom 23.05.2011 wurde u.a. ausgeführt, angesichts einer von der Klägerin berichteten Anamnese mit sechsjähriger fortlaufender psychoanalytischer Behandlung ergäben sich Hinweise auf unfallunabhängige psycho-soziale Belastungsfaktoren sowie deutliche Hinweise auf eine emotional instabile Persönlichkeit. Die prognostische Relevanz dieser unfallunabhängigen Risikofaktoren bzw. Komorbiditäten habe im Rahmen des stationären Aufenthalts nicht ausreichend geklärt werden können. Bei sich abzeichnender Verkomplizierung des Heilverfahrens empfehle sich eine zeitnahe und ausführliche psychologisch-psychiatrische Untersuchung.
Eine erneute stationäre Behandlung erfolgte vom 03.06. bis 08.06.2011 im C C, Klinik für Plastische Chirurgie, Prof. Dr. T. Dieser diagnostizierte ein Panaritium (Nagelgeschwür) D III rechte Hand mit ausgeprägter Begleitphlegmone des Fingers und der dorsalen Hand. Die Klägerin habe über einen Insektenstich in den Mittelfinger vor 2 1/2 Tagen berichtet. Es erfolgten ein Debridement und eine Nagelkeilexzision.
Die Beklagte zog eine Auskunft der Krankenkasse (TKK) sowie weitere Arztberichte betreffend die Klägerin - auch bezogen auf den Zeitraum vor dem streitigen Unfallereignis - bei. Der Orthopäde Dr. Q, N, berichtete am 28.01.2011: "Hat den Daumen entzündet", am 03.02.2011: "weiterhin heftige Schmerzen, Unfall negativ" und am 08.02.2011: "Schmerzen weiterhin vorhanden". Ausweislich eines verkehrsmedizinischen Gutachtens des Orthopäden Dr. U vom 02.02.2012, erstattet nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 23.12.2011 zu der Frage, ob die Klägerin trotz einer Gesundheitsstörung oder Krankheit in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen, zeigte der erhobene Befund bis auf eine mittelgradige Bewegungseinschränkung der rechten Hand keine pathologischen Auffälligkeiten. Die Funktionsprüfungen lagen im normwertigen Bereich. In einem Bericht vom 09.01.2012 diagnostizierte Dr. L noch deutliche Paresen der rechten Hand nach CRPS. Im Neurostatus konnte er ein Ödem der rechten Hand, Temperaturdifferenz und/oder Verfärbung nicht feststellen. Der Handchirurg Dr. H1, H, stellte in einem Befundbericht vom 12.03.2012 eine mäßige Schwellung des rechten Handrückens fest. Es werde ein erheblicher Bewegungsschmerz in allen Fingern angegeben, im Bereich der Langfinger bestehe ein deutliches Streckdefizit, der Faustschluss sei nur unvollständig möglich. Vom 02.04. bis 23.04.2012, vom 13.08. bis 15.08.2012 und 08.10. bis 10.10.2012 befand sich die Klägerin unter den Diagnosen CRPS Typ I rechts nach Stichverletzung und Entwicklung einer Handphlegmone sowie Dystonie der rechten Hand bei CRPS Typ I in schmerztherapeutischer stationärer Behandlung bei Prof. Dr. N, C C. Prof. Dr. N berichtete unter dem 23.04.2012 u.a. von einer Narkoseuntersuchung, bei der eine gute Beweglichkeit der Finger festgestellt worden sei.
Die Beklagte holte ein chirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage nach Aktenlage von Dr. F, L Klinik F Nord vom 31.08.2011 ein. Dieser führte aus, das CRPS Typ 1 sei aus rechtlicher Sicht auf die Nadelstichverletzung zurückzuführen, da die Operation vom 09.02.2011 zwar zum einen wegen der unfallunabhängigen Ringbandspaltung, aber auch wegen der Schwellung und Rötung nach Stichverletzung mit verunreinigter Kanüle notwendig gewesen sei.
Ferner ließ die Beklagte die Klägerin handchirurgisch zur Zusammenhangsfrage erneut begutachten von Prof. Dr. M, C C. In seinem Gutachten vom 05.06.2013 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25.09.2013 gelangte dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin zu der Beurteilung, dass ein Zusammenhang zwischen dem Beschwerdebild und dem Unfall vom 07.02.2011 nicht plausibel sei. Grundsätzlich sei das angeschuldigte Ereignis einer Nadelstichverletzung geeignet, ein CRPS auszulösen. Allerdings seien auch die anderen damals diagnostizierten Erkrankungen, das Panaritium des rechten Daumens und die Ausbildung einer Phlegmone sowie eine Sehnenscheidenentzündung an der rechten Hand geeignet, zu einem CRPS zu führen. Letztlich sei die auslösende Ursache des CRPS nicht sicher zu rekonstruieren.
Die Klägerin erhielt bis zum 14.12.2012 Verletztengeld.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 18.11.2013 den Unfall vom 07.02.2011 als Arbeitsunfall an und lehnte die Gewährung einer Rente bezugnehmend auf das Gutachten von Prof. Dr. M ab.
Mit Widerspruch vom 20.11.2013 wandte die Klägerin ein, Prof. Dr. N und Dr. F seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Nadelstichverletzung Ursache für die CRPS-Erkrankung gewesen sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2014 zurück. Die Aussage von Dr. F, der zunächst die unfallunabhängige Operation der Ringbandenge als auslösendes Moment der CRPS gesehen habe und dann abschließend eine andere Bewertung getätigt habe, sei nicht verständlich und werde auch nicht begründet.
Hiergegen hat die Klägerin am 03.03.2014 Klage vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) erhoben. Sie hat sich zur Begründung auf die Befundberichte von Prof. Dr. N und das Gutachten von Dr. F bezogen. Es sei medizinisch anerkannt und ganz typisch, dass durch geringe Verletzungen wie eine Nadelstichverletzung ein CRPS-Syndrom ausgelöst werden könne.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 07.02.2011 Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren sowie die Gesundheitsstörung eines CRPS als Unfallfolge anzuerkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines handchirurgischen Gutachtens von Dr. T1 aus F vom 14.05.2014. Dr. T1 ist nach ambulanter und röntgenologischer Untersuchung der Klägerin zu der Beurteilung gelangt, dass die Veränderungen vor der Kanülenstichverletzung am 07.02.2011 mit Entzündung des Daumens am 28.01.2011 und heftigen Schmerzen am 03.02.2011 wesentlich ursächlich für das sich später entwickelnde CRPS gewesen seien. In den ersten Monaten habe ein solches bestanden. Im späteren Verlauf habe sich zusätzlich eine erhebliche Dystonie entwickelt, die zur weitgehenden Funktionslosigkeit der rechten Hand geführt habe. Zum Zeitpunkt seiner Untersuchung hätten sich typische Symptome einer Dystrophie (eines CRPS) nur noch partiell feststellen lassen. Die bei einem so lange bestehenden CRPS zu erwartende fleckförmige Entkalkung des Handskeletts habe sich nicht nachweisen lassen, zudem fehle eine gravierende Minderung der Ober- und Unterarmmuskulatur. Dies lasse sich mit der weitgehenden Gebrauchslosigkeit der rechten Hand nicht in Einklang bringen. Die MdE wegen Unfallfolgen betrage unter 10 v.H.
Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG ein Gutachten des Anästhesiologen und Allgemeinmediziners Dr. G, M, vom 07.12.2014 nebst ergänzender Stellungnahme vom 21.12.2014 eingeholt. Dieser ist zu der Beurteilung gelangt, bei der Klägerin liege weiterhin ein CRPS vor, welches die ganze Extremität betreffe, also die rechte Hand, das Handgelenk, den Ellenbogen, die Schulter, die Armmuskulatur. Der gesamte Arm sei schmerzhaft, geschwächt und funktionsbeeinträchtigt. Die Nadelstichverletzung sei ursächlich für das CRPS. Bereits bei der Operation vom 09.02.2011 sei in ein beginnendes CRPS hinein operiert worden. Nach den Angaben der Klägerin seien drei bis vier Stunden nach der Nadelstichverletzung erstmals Dauerschmerzen an der rechten Hand aufgetreten, die vorher nicht da gewesen seien und bei denen die Kriterien für ein CRPS erfüllt seien. Die MdE wegen Unfallfolgen betrage 70 v. H., wobei der Verlust der Funktionen des rechten Schultergelenks, des rechten Ellenbogengelenks und der rechten Hand mit einer Einzel-MdE von 40 vH, die chronische Schmerzkrankheit mit psycho-sozialen Folgen mit einer Einzel-MdE von 30 vH und ein besonderes berufliches Betroffensein mit einer Einzel-MdE von 20 vH zu bewerten seien. Dem Gutachten des Dr. T1 stimme er nicht zu, u.a. da die Dystonie eine komplexe CRPS-Folge oder -Anteil sei, eine Entkalkung nicht notwendig vorhanden sein müsse und eine Minderung von Muskelumfängen bei CRPS keine Rolle spiele.
Zu dem Gutachten des Dr. G hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. F1 vom 18.02.2015 beigebracht. Dem Gutachten könne nicht gefolgt werden. Der Nadelstich habe zu keiner Infektion und zu keinerlei Krankheitserscheinungen geführt.
Das SG hat die Akten S 15 SB 1625/11 (Rechtsstreit der Klägerin gegen den Kreis S) sowie die Vorprozessakten S 37 U 348/11 SG Gelsenkirchen (Gewährung von Haushaltshilfe) beigezogen.
Mit Urteil vom 26.08.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. In der Begründung hat das SG gestützt auf das Gutachten des Dr. T1 ausgeführt, es lasse sich nicht feststellen, dass die Klägerin bei dem von der Beklagten als Arbeitsunfall anerkannten Ereignis vom 07.02.2011 bleibende Gesundheitsstörungen davon getragen habe. Das CRPS sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Nadelstichverletzung zurückzuführen.
Gegen das ihr am 15.09.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.10.2015 Berufung eingelegt. Sie trägt unter Verweis auf die Ausführungen von Dr. G vor, es bestehe weiterhin ein kausal auf der Nadelstichverletzung beruhendes CRPS mit erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen der rechten oberen Extremität. Dr. T1 sei von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Insbesondere sei das CRPS nie ausgeheilt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens der Dr. L1 vom 12.04.2016. Diese hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 16.03.2016 folgende Diagnosen gestellt: dystone Fehlstellung der gesamten rechten Hand und Fehlwahrnehmungen an der rechten oberen Extremität infolge einer dissoziativen Störung der Bewegung und der Sinnesempfindung, kombinierte Persönlichkeitsstörung, Fehl- bzw. schädlicher Gebrauch von Opioiden. Die dissoziative Störung und der daraus resultierende schädliche Gebrauch seien wesentlich im Sinne der Entstehung auf die Folgen des Unfalls zurückzuführen, die MdE betrage 30 vH. Ein Unfallzusammenhang sei aus formalen Gründen anzunehmen, da das Heilverfahren und die Operation am 09.02.2011 jedenfalls wegen angenommener Unfallfolgen erfolgt seien. Das CRPS sei erst infolge der Operation entstanden, Hinweise, dass bereits im Zeitpunkt der Operation ein CRPS vorgelegen habe, bestünden nicht. Das CRPS habe bis Ende 2011 abklingend vorgelegen. Bei dem vorliegenden Befund an der rechten oberen Extremität handele es sich um eine aus psychischen Gründen entstandene Fehlstellung, nicht um organisch begründete Folgen des durchgemachten CRPS. Die psychogene Körperstörung sei ab Anfang 2012 dokumentiert. Ohne das CRPS hätte die Klägerin nicht den Befund an der rechten Hand, sondern eher wahrscheinlich andere, nicht so schwerwiegende psychogene oder psychogen verstärkte Beschwerden. Ein CRPS könne bei einem zuvor psychisch erheblich minderbelasteten oder gar gestörten Betroffenen, wie hier, auch eine dauerhafte Verschlechterung herbeiführen. Bei dem psychischen Vorschaden der Klägerin hätte eine deutliche neurologisch-psychiatrisch-rehabilitative Variation des üblichen Behandlungsschemas für ein CRPS unter ständiger psychiatrischer Beteiligung erfolgen müssen. Es sei durchaus möglich, dass auch dies nicht geholfen hätte, dann wäre der ursächliche Zusammenhang der dissoziativen Körperstörung an der rechten Hand der Klägerin mit dem CRPS auch zu verneinen gewesen. Tatsächlich sei eine solche Behandlung aber nicht erfolgt.
Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. C vom 04.06.2016 vorgelegt, welcher meinte, der von Dr. L1 vorausgesetzten Kausalitätskette 1. Nadelstichverletzung, 2. CRPS,
3. Dystonie wäre zu folgen, wenn das CRPS als Folge der Nadelstichverletzung angesehen werden könne, nicht, wenn dies auf den Vorschaden (Sehnenscheidenentzündung am rechten Daumen) zurückzuführen sei. Dies sei auf chirurgischem Fachgebiet zu klären.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. T1 vom 15.08.2016 eingeholt, welcher ausgeführt hat, er habe ähnliche Befunde wie Dr. L1 erhoben. Die demonstrierten Bewegungsstörungen der rechten Hand seien ähnlich beschrieben worden, des Weiteren hätten sich keine Besonderheiten der Haut an den Händen gefunden. Die Fingernägel der Klägerin seien geschnitten und ohne Störung des Nagelwachstums gewesen, eine wesentliche Minderbemuskelung sei nicht festgestellt worden. Er teile die Auffassung von Dr. L1, dass bei der operativen Behandlung 2011 kein organisches Korrelat als Ursache für die Beschwerde gefunden worden sei. Wie Dr. L1 dargelegt habe, seien die Operationen aufgrund der nervenärztlichen Störung der Klägerin (aus psychischen Gründen berichtete Symptome) von dieser erzwungen worden. Eine äußerlich sichtbare Verletzung infolge der Nadelstichverletzung sei trotz zeitnaher Untersuchung durch zwei Ärzte nicht gesehen worden. Aus handchirurgischer Sicht sei die Indikationsstellung zur Operation am 09.02.2011 jedoch alternativlos gewesen. Das jetzige Krankheitsbild sei nicht einem CRPS zuzuordnen, typische Symptome - z.B. Hautveränderungen, Veränderungen der Behaarung, der Schweißsekretion und im Röntgenbild sowie Muskelminderungen infolge des geringen Gebrauchs der Hand - fehlten. Die auch von Dr. L1 festgestellte dystrophe Fehlstellung der Hand sei wesentlich später, nach Abheilung des CRPS, entstanden und lasse sich organisch nicht begründen.
In einem Verhandlungstermin am 06.12.2017 sind Dr. T1 und Dr. L1 als Sachverständige zur Erläuterung ihrer Gutachten geladen und gehört worden. Dr. T1 hat im Wesentlichen erklärt, das CRPS sei mit der größten Wahrscheinlichkeit auf die drei Operationen durch Dr. H zurückzuführen. Dieser habe Unfallfolgen behandeln wollen. Im dem verkehrstechnischen Gutachten des Dr. U vom 23.12.2011 würden keine größeren Auffälligkeiten der betroffenen Hand mehr beschrieben. Danach fehle es an Begleitbefunden eines CRPS. Dr. H1 beschreibe im März 2012 bereits Befunde im Zusammenhang mit der später aufgetretenen Dystonie. Angesprochen auf Untersuchungen des Prof. Dr. N im Jahr 2012 hat Dr. T1 ausgeführt, ein Szintigramm sei etwa sechs Monate nach Entstehung eines CRPS aussagekräftig hierfür. Prof. Dr. N habe festgestellt, dass die Klägerin in Allgemeinnarkose in den betroffenen Gelenken normal beweglich gewesen sei. Dies spreche dafür, dass der Beweglichkeitsmangel nicht an einem CRPS gelegen habe, denn bei einem solchen könne sie sich nicht unter Narkose frei bewegen. Dr. L1 hat u.a. ausgeführt, auch sie mache die Besserung des CRPS an dem verkehrstechnischen Gutachten des Dr. U fest. Dr. L beschreibe im Januar 2012 keinerlei Hautveränderungen mehr. Die von Dr. L festgestellten Paresen wiesen in Richtung der späteren Dystonie. Im Januar 2012 habe keine MdE bestanden. Die nunmehr von der Klägerin eingenommene Fehlhaltung sei nicht dauernd vorhanden, denn bei den Untersuchungen habe sie feststellen können, dass die Muskeln des Arms und der Hand sämtlich da und auch nicht verschmächtigt seien. Die frühere neurotische Persönlichkeitsstörung der Klägerin sei für sie gut dokumentiert. Die vorbestehende Persönlichkeit der Klägerin sei conditio sine qua non für die bestehende Dystonie. In der Zeit von Ende Mai 2011 bis Ende 2011 hätte eine geeignete und koordinierte psychiatrische Behandlung die schweren körperlichen Auswirkungen, wie sie sich jetzt durch die Fehlstellung zeigten, verhindern können. Einen Grad der Wahrscheinlichkeit hierfür könne sie nur sehr schwer einschätzen, sie gehe aber davon aus, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die schweren Folgen bezogen auf die Hand hätten vermieden werden können.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift, Bl. 406 ff. der Gerichtsakte, verwiesen.
Die Klägerin hat in einer Stellungnahme u.a. darauf hingewiesen, dass die Diagnose einer "festgestellten vorbestehenden schweren neurotischen Persönlichkeitsstörung" nicht gerechtfertigt sei. Von den behandelnden Psychotherapeuten, mit denen die Klägerin seit Jahren regelmäßig in Kontakt stehe, habe keiner eine solche Diagnose gestellt. Fokus des Verkehrsgutachtens des Dr. U sei nicht das CRPS, sondern die Verkehrstüchtigkeit gewesen. Starke Schmerzmittel (Morphine) hätten die Symptomatik gelindert, daher sei die Funktion der Hand ausreichend zum Autofahren gewesen. Das CRPS bestehe noch, und zwar im Stadium III, gekennzeichnet durch Dystrophie, Atrophie und Kontraktur.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat am 19.09.2018 hat die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 18.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2014 als weitere Folge des Unfalls vom 07.02.2011 ein am 31.12.2011 ausgeheiltes CRPS als weitere Unfallfolge anerkannt. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.08.2015 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 18.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2014 und des Teilanerkenntnisses vom 19.09.2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Gesundheitsstörung eines CRPS über den 31.12.2011 hinaus als Unfallfolge anzuerkennen und ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 07.02.2011 Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des SG auf der Grundlage des Beweisergebnisses hinsichtlich des ihr Teilanerkenntnis übersteigenden Klageanspruchs für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist, soweit sie sich nicht im Umfang des angenommenen Teilanerkenntnisses der Beklagten im Verhandlungstermin am 19.09.2018 erledigt hat, nicht begründet.
Der Bescheid vom 18.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2014, soweit er nicht durch das angenommene Teilanerkenntnis vom 19.09.2018 abgeändert worden ist, erweist sich nicht als rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines CRPS über den 31.12.2011 hinaus als Unfallfolge und auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 07.02.2011.
Anspruch auf Rente, § 56 Abs.1 S.1 und 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) - Gesetzliche Unfallversicherung -, haben Versicherte, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier: des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls (§ 8 Abs. 1 SGB VII) - über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. oder bei Vorliegen eines Stützrententatbestandes um 10 v.H. gemindert ist. Für die Gewährung einer Rente ist erforderlich, dass länger andauernde Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität) und hierdurch der rentenberechtigende Grad der MdE bedingt wird. Dabei müssen Art und Ausmaß des Unfallereignisses, der Gesundheitserstschaden und die hierdurch verursachten länger andauernden Unfallfolgen im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Lässt sich ein Nachweis nicht führen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zulasten des Versicherten. Für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden (vgl. z. B. BSG Urt. v. 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - juris Rn. 12; Urt. v. 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - juris Rn. 28; Urt. v. 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - juris Rn. 34; Urt. v. 31.01.2012 - B 2 U 2/11 R - juris Rn. 17 mwN; vgl. auch BSG Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - juris Rn. 20 mwN.)
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien liegt als auf den Unfall zurückzuführende Gesundheitsstörung ein am 31.12.2011 abgeheiltes CRPS vor. Dies hat die Beklagte im Verhandlungstermin vor dem erkennenden Senat am 19.09.2018 anerkannt. Ein Anspruch auf Verletztenrente besteht jedoch in dem Zeitraum bis zum 31.12.2011 nicht, da die Klägerin in diesem Zeitraum bereits Verletztengeld bezogen hat und eine Verletztenrente erst am Tag nach Erlöschen des der Klägerin bewilligten Verletztengeldes beginnen kann (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).
Über den 31.12.2011 hinaus liegen keine unfallbedingten Gesundheitsstörungen mehr vor. Insbesondere ist das CRPS entgegen der Ansicht der Klägerin nach diesem Zeitpunkt ausgeheilt. Bei dieser Einschätzung stützt der Senat sich auf die Gutachten und Aussagen des Handchirurgen Dr. T1 sowie der Neurologin und Psychiaterin Dr. L1. Die Sachverständigen haben die erhobenen Befunde und gestellten Diagnosen schlüssig dargelegt und die darauf beruhende Beurteilung überzeugend begründet. Insbesondere haben Sie für den Senat überzeugend dargelegt, dass bereits dem verkehrsmedizinischen Gutachten des Dr. U keine Anhaltspunkte für das Fortbestehen eines CRPS entnommen werden konnten. So schildert Dr. U, dass das Auskleiden mühelos gelingt. In Schulter- und Ellenbogengelenken zeige sich eine altersentsprechende Beweglichkeit, im Seitenvergleich sah Dr. U eine mittelgradige Bewegungseinschränkung der rechten Hand bei Dorsalextension und eine geringgradige Einschränkung des Fingerspitzen-Hohlhandabstandes rechts. Er beschreibt die an der Hand verlaufenden Narben und schildert, dass die grobe Kraft rechts diskret reduziert ist. Im rechten Handgelenk wird eine Bewegungsminderung hohlhandwärts im Seitenvergleich von 30 Grad dokumentiert. Dementsprechend kommt er zu dem Schluss, dass bis auf eine mittelgradige Bewegungseinschränkung der rechten Hand keine pathologischen Auffälligkeiten bestünden und die Funktionsprüfungen im normwertigen Bereich lägen. Für die Behauptung der Klägerin, anlässlich der Begutachtung durch Dr. U starke Schmerzmittel eingenommen zu haben, finden sich in dem Gutachten keine Anhaltspunkte. Auch der Neurologe und Psychiater Dr. L hat in seinem Befundbericht vom 09.01.2012 einen Zustand nach CRPS, also ein abgelaufenes CRPS beschrieben. Überzeugend hat Dr. T1 überdies dargelegt, dass anlässlich einer Narkoseuntersuchung der Klägerin durch Prof. Dr. N im April 2012 eine Beweglichkeitseinschränkung der betroffenen Extremitäten nicht festgestellt werden konnte, was bei einem fortbestehenden CRPS jedoch zu erwarten gewesen wäre. Auch konnten die Sachverständigen anlässlich ihrer eigenen Untersuchungen keine typischen CRPS-Symptome mehr feststellen. Den Ausführungen des Dr. G vermochte der Senat nicht zu folgen. Dieser hat sich mit den oben stehenden objektiven Befunden nicht auseinandergesetzt, sondern im Wesentlichen aufgrund der (Schmerz-)Angaben der Klägerin ein fortbestehendes CRPS angenommen.
Soweit die Klägerin nach den auch insoweit für den Senat überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. L1 seit 2012 unter einer "dystonen Fehlstellung der gesamten rechten Hand und Fehlwahrnehmungen an der rechten oberen Extremität infolge einer dissoziativen Störung der Bewegung und der Sinnesempfindung, gemischt" leidet, ist diese Gesundheitsstörung zur Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Bei dem Arbeitsunfall hat die Klägerin keinen Gesundheitserstschaden erlitten, auf welchen diese Erkrankung als mittelbare Unfallfolge hinreichend wahrscheinlich zurückgeführt werden könnte. Insbesondere beruht diese zur Überzeugung des Senats nicht im Sinne des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung kausal auf dem anerkannten, Ende 2011 abgeheilten CRPS.
Die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer unfallbedingten Gesundheitsstörung und einer hinzutretenden weiteren Gesundheitsstörung erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der weiteren Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen iS der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt; das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie zB Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist (vgl. BSG, Urteile vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R -, juris Rn. 18 und vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R -, juris Rn. 27).
Letztlich offen zu lassende Zweifel hat der Senat bereitsauf der ersten Prüfungsstufe dahingehend, dass unklar bleibt, ob überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlichen-philosophischen Sinne zwischen dem als mittelbare Unfallfolge anerkannten, bis zum 31.12.2011 abgeklungenen CRPS und der Dystonie besteht. Dafür spricht, dass Dr. L1 ausführt ein CRPS könne auch die Ressourcen eines psychisch stabilen Menschen vorübergehend überfordern, es könne bei monatelanger Dauer auch bei einem psychisch gesunden Menschen psychoreaktive Störungen hervorrufen und es könne bei einem zuvor psychisch gestörten Betroffenen auch eine dauerhafte Verschlechterung herbeiführen (Gutachten S. 45). Bereits die Formulierung dieser These unter dreimaliger Verwendung des Wortes "kann" zeigt allerdings, dass es sich hier lediglich um Möglichkeiten handelt. Gegen den Verursachungsbeitrag des CRPS spricht, dass die Sachverständige alternativ auch die Möglichkeit erwägt, dass das CRPS der aus unfallunabhängigen, z.B. biographischen Gründen entstandenen dissoziativen Körperstörung nur als "Muster" diente, dann also nicht einmal als Auslöser der dissoziativen Störung angesehen werden könnte. Letztlich mag die Schlussfolgerung der Sachverständigen Dr. L1, ohne das CRPS hätte die Klägerin nicht genau diesen individuell-konkreten Befund an der rechten Hand entwickelt, für die Bewertung des abgelaufenen CRPS als conditio sine qua non der dystonen Fehlstellung der rechten Hand genügen.
Konkurrierende Bedingung für die von Dr. L1 diagnostizierte Gesundheitsstörung "dystone Fehlstellung der gesamten rechten Hand und Fehlwahrnehmungen an der rechten oberen Extremität infolge einer dissoziativen Störung der Bewegung und der Sinnesempfindung, gemischt (ICD 10 F.44.7)" im Sinne einer conditio sine qua non ist zur Überzeugung des Senats die nicht unfallbedingte psychische Erkrankung der Klägerin, die die Sachverständige Dr. L1 als eine schon vor dem Ereignis bestehende kombinierte Persönlichkeitsstörung, ICD-10 F 61.0, identifiziert hat. Die Erkrankung hält der Senat in Übereinstimmung mit Dr. L1, die dies anhand der Vorgeschichte und den von ihr erhobenen Befunden nachvollziehbar begründet, und deren Auffassung durch Dr. N im Entlassungsbericht vom 23.05.2011 gestützt wird, für ausreichend belegt. Dr. L1 hat in ihrem Gutachten sowie anlässlich der Befragung durch den Senat im Verhandlungstermin vom 06.12.2017 darunter eine gravierende neurotische Fehlentwicklung bei der Klägerin gefasst sowie eine Neigung zu somatoformen Beschwerden und dazu, Fachärzte und Kliniken zwar aufzusuchen, oft auch notfallmäßig, sich dann aber nicht an die Behandlungsempfehlungen zu halten, auch wenn die eingenommenen Medikamente ihren Körper unnötig schädigen, und in diesen Zusammenhang auch eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung unklaren Schweregrades und ein medikamentös bedingtes Cushing-Syndrom als Folge eines mehrjährigen Fehlgebrauchs von cortisonhaltigen Medikamenten gestellt.
Unabhängig vom Ergebnis der Prüfung auf der ersten Stufe ist jedenfalls aber auf der zweiten Prüfungsstufe für den Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausreichend wahrscheinlich, dass das CRPS - seine Mitursächlichkeit i.S.d. conditio sine qua non unterstellt - eine rechtlich wesentliche Ursache der Gesundheitsstörung ist. Insoweit weist bereits die durch die Sachverständige Dr. L1 gestellte Diagnose nach ICD 10 F.44.7 auf die maßgebliche Bedeutung des psychischen Vorschadens hin. Ausweislich der Erläuterung der ICD 10 F.44 entwickeln sich im Rahmen einer dissoziativen Störung "eher chronische Störungen, besonders Lähmungen und Gefühlsstörungen, [ ...] wenn der Beginn mit unlösbaren Problemen oder interpersonalen Schwierigkeiten verbunden ist. Diese Störungen [ ...] werden als ursächlich psychogen angesehen, in enger zeitlicher Verbindung mit traumatisierenden Ereignissen, unlösbaren oder unerträglichen Konflikten oder gestörten Beziehungen" (Hervorhebung hinzugefügt). Die Abwägung der für und gegen eine wesentliche Ursächlichkeit sprechenden Faktoren, welche Dr. L1 vorgenommen hat, lässt zur Überzeugung des Senats nicht erkennen, warum das CRPS nicht allenfalls Auslöser oder - wie Dr. L1 formuliert - "Muster", sondern rechtlich wesentliche Wirkursache der Erkrankung sein soll. Anlässlich der Befragung durch den Senat hat die Sachverständige Dr. L1 ihre Auffassung bekräftigt, dass die körperlichen Auswirkungen bezogen auf die Hand durch eine geeignete psychiatrische Behandlung der zugrundeliegenden psychischen Erkrankung hätten vermieden werden können, ohne dass sie insofern einen Grad der Wahrscheinlichkeit angeben könne. Diese Erläuterungen der Sachverständigen zeigen nach Auffassung des Senats die vornehmliche Bedeutung der psychischen Vorerkrankung der Klägerin für den ab 2012 vorliegenden Gesundheitszustand und vermögen nicht positiv zu begründen, dass das CRPS die wesentliche Ursache für die diagnostizierte Gesundheitsstörung ist. Überdies will die Sachverständige den ursächlichen Zusammenhang der dissoziativen Körperstörung an der rechten Hand der Klägerin mit dem CRPS auch für den Fall eher verneinen, dass die Klägerin parallel zu der CRPS-Behandlung psychiatrisch mitbehandelt worden wäre, dies jedoch nicht geholfen hätte. Diese Koppelung des Wahrscheinlichkeitsurteils an den fiktiven Ausgang einer nicht stattgefundenen Heilbehandlung, bei gleichzeitiger Feststellung einer Neigung der Klägerin dazu, ärztlichen Empfehlungen nicht zu folgen, überzeugt den Senat nicht. Die Ausführungen der Sachverständigen Dr. L1 erscheinen dem Senat insoweit spekulativ und geben keine plausible Erklärung für eine wesentliche Mitursächlichkeit des zur Überzeugung des Senats und nach Darstellung von Dres. T1 und L1 bei der Ausbildung der dissoziativen Störung der rechten Hand ja bereits ausgeheilten CRPS.
Die "dystone Fehlstellung der gesamten rechten Hand und Fehlwahrnehmungen an der rechten oberen Extremität infolge einer dissoziativen Störung der Bewegung und der Sinnesempfindung, gemischt" kann auch nicht wegen einer unterbliebenen psychiatrischen Mitbehandlung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als mittelbare Folge des Arbeitsunfalls vom 07.02.2011 angesehen werden. Nach dieser Vorschrift sind Folgen eines Versicherungsfalls u.a. auch Gesundheitsschäden infolge der Durchführung einer Heilbehandlung. Zum einen unterstellt die Sachverständige offenbar, die Klägerin hätte an einer solchen, von Dr. N empfohlenen Heilbehandlung mitgewirkt, wovon aber mit Blick auf das Krankheitsbild, zu dem es nach dem Ergebnis ihrer Begutachtung gehört, ärztlichem Rat nicht zu folgen, nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann. Zum anderen erfüllt die Unterlassung einer möglicherweise gebotenen Heilbehandlung, den Tatbestand der Norm nicht, die auf die Durchführung der Heilbehandlung abstellt. Die Sachverständige übersieht zudem, dass Dr. N seine am 23.05.2011 unterbreiteten Behandlungsempfehlungen auf unfallunabhängige, in der Person der Klägerin gründende Komorbiditäten gestützt hat, so dass insoweit die Behandlung nicht zu Lasten der Beklagten zu erfolgen hatte.
Weitere Unfallfolgen sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen der Klägerin aufgrund des von der Beklagten abgegebenen Teilanerkenntnisses.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) sind nicht gegeben.
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