L 20 SO 479/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 43 SO 506/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 479/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 5/19 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Enthält ein Bescheid, der eine Nachzahlung von Sozialleistungen bewilligt, keinerlei Ausführungen zu einer Verzinsung nach § 44 SGB I, so liegt darin keine konkludente Ablehnung einer Verzinsung (Abweichung von BSG, Urteil vom 11.09.1980 - 5 RJ 108/79 Rn. 17). Ein dagegen erhobener Widerspruch, der sich allein gegen die (vermeintliche) Ablehnung der Verzinsung richtet, ist mangels Anfechtung eines Verwaltungsakts unzulässig und damit zugleich nicht i.S.v. § 63 SGB X erfolgreich.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.03.2017 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Kostenerstattung für ein durchgeführtes Widerspruchsverfahren.

Der 1953 geborene Kläger bezieht seit dem 01.02.2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund und ergänzend aufstockende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Ursprünglich wohnte der Kläger in H, seit Juni 2012 wohnt er in E.

Mit Bescheid vom 19.06.2007 bewilligte die Stadt H im Namen des Beklagten dem Kläger Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 01.07.2007 bis zum 30.06.2008 unter Berücksichtigung lediglich der als angemessen angesehenen, nicht jedoch der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2008 zurück. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Hildesheim Klage (S 34 SO 107/08, später S 34 SO 4/15). Am 19.02.2015 erließ die Stadt H im Namen des Beklagten einen Änderungsbescheid, in dem sie die tatsächlichen Unterkunftskosten als angemessen anerkannte und entsprechende Leistungen bewilligte. Der Kläger teilte daraufhin dem Gericht mit, dass der Beklagte die Klageforderungen vollständig anerkannt habe. Er nehme das Anerkenntnis an und erkläre das Verfahren für erledigt.

Gegen den Änderungsbescheid vom 19.02.2015 legte der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 02.03.2015 Widerspruch ein, weil der ausgewiesene Nachzahlungsbetrag nicht verzinst werde. Hilfsweise beantragte er die Verzinsung nach § 44 SGB I.

Am 09.06.2015 erhob der Kläger - inzwischen in E wohnhaft - vor dem Sozialgericht Hildesheim Untätigkeitsklage, mit der er die Bescheidung seines Widerspruchs vom 02.03.215 begehrte. Der Rechtsstreit wurde durch Beschluss vom 09.07.2015 an das örtlich zuständige Sozialgericht Dortmund verwiesen und dort unter dem Aktenzeichen S 43 SO 415/15 geführt.

Die Stadt H erließ daraufhin im Namen des Beklagten am 18.06.2015 einen Bescheid, mit dem sie Zinsen gemäß § 44 SGB I u.a. auf den Nachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 01.07.2007 bis zum 30.06.2008 i.H.v. 18,82 EUR bewilligte.

Der Kläger wies mit Schreiben vom 22.06.2015 darauf hin, dass der Bescheid vom 18.06.2015 eine vollständige Abhilfe im Widerspruchsverfahren darstelle, er aber keine Kostenentscheidung enthalte. Er beantrage daher, eine Kostenentscheidung zu treffen sowie über die Notwendigkeit der Hinzuziehung seines Bevollmächtigten zu entscheiden. Die Untätigkeitsklage führte er gleichwohl fort.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2015 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.02.2015 betreffend den hier streitigen Leistungszeitraum zurück. Der Widerspruch sei bereits unzulässig. Der Bescheid vom 19.02.2015 sei nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens S 34 SO 4/15 geworden. Der Zinsanspruch hätte in diesem Klageverfahren geltend gemacht werden müssen. Der Kläger hätte daher die Klage nicht für erledigt erklären dürfen, wenn er noch eine Entscheidung zu den Zinsen begehrt habe. Sei es nicht möglich gewesen, den Zinsanspruch im Klageverfahren geltend zu machen, so seien diese zunächst zu beantragen gewesen.

Der Kläger hat daraufhin die Untätigkeitsklage für erledigt erklärt.

Am 01.10.2015 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Dortmund Klage erhoben. Der Widerspruch sei bereits nicht unzulässig gewesen. Der Bescheid vom 19.02.2015 sei jedenfalls nicht hinsichtlich der Verzinsung Gegenstand des Verfahrens S 34 SO 4/15 vor dem Sozialgericht Hildesheim geworden. Die Haupt- und Zinsentscheidung seien in zwei selbständigen Verwaltungsakten zu verlautbaren. Der Bescheid vom 19.02.2015 enthalte zugleich (stillschweigend) eine Ablehnungsentscheidung hinsichtlich der Zinsen.

Der Kläger hat schriftsätzlich (in der Antragsfassung des Sozialgerichts) beantragt,

1. den Widerspruchsbescheid vom 25.09.2015 aufzuheben, soweit darin der Widerspruch vom 02.03.2015 gegen den Bescheid des Beklagten vom 19.02.2015 zurückgewiesen wird,
2. den Beklagten unter Aufhebung der Kostenentscheidung in dem Widerspruchsbescheid vom 25.09.2015 zu verpflichten, ihm die notwendigen Auslagen i.H.v. 261,80 EUR für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 19.02.2015 zu erstatten,
3. die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren gegen den Bescheid vom 19.02.2015 für notwendig zu erklären.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat ausgeführt, der Widerspruch sei tatsächlich ein Antrag auf Verzinsung der Nachzahlung gewesen und nur formal als Widerspruch beschieden worden. Der Ausspruch zur Verzinsung sei ein eigenständiger Verwaltungsakt, der auch in einem gesonderten Bescheid erfolgen könne und üblicherweise auch erfolge. Der Bescheid vom 19.02.2015 sei daher nicht unvollständig gewesen. Insbesondere habe er keine stillschweigende Ablehnung der Verzinsung enthalten. Bloßes Schweigen beinhalte grundsätzlich weder eine zustimmende noch eine ablehnende, sondern keinerlei Willensbetätigung. Der Widerspruch sei daher als unstatthaft zurückzuweisen gewesen.

Mit Beschluss vom 02.12.2016 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist daraufhin von den Beteiligten niemand erschienen.

Mit Urteil vom 16.03.2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Sie sei bereits unzulässig, soweit die Aufhebung des Widerspruchsbescheides begehrt werde. Es fehle schon das Rechtschutzbedürfnis. Eine Aufhebung der Zurückweisung des Widerspruchs bringe dem Kläger keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile. Die vom Kläger begehrte Verzinsung der nachbewilligten Leistungen habe er mit Bescheid vom 18.06.2015 und der nachfolgenden Auszahlung erhalten. Allein für eine positive Kostenentscheidung sei der Antrag auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides nicht erforderlich, weil gegen die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid selbstständig Klage geführt werden könne. Hinsichtlich der weiteren Klageanträge sei die Klage unbegründet. Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X bestehe nicht. Der Beklagte habe im Bescheid vom 19.02.2015 zu der Verzinsung schon keinen Verwaltungsakt erlassen. Ihm seien vielmehr lediglich der streitige Leistungszeitraum und Erklärungen zum Grund der Nachzahlung zu entnehmen. Anhaltspunkte oder Andeutungen zu einer Entscheidung über den Zinsanspruch fänden sich nicht. Allein die Verpflichtung des Beklagten, von Amts wegen eine Entscheidung zur Verzinsung zu treffen, rechtfertige es nicht, auf eine (zwar gebotene, tatsächlich aber unterbliebene) Willensbetätigung des Beklagten zu schließen. Eine stillschweigende Willensbetätigung könne nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden, aus denen sich ein bestimmtes, unmissverständliches, konkludentes Verhalten ergeben müsse. Das bloße Schweigen beinhalte jedoch weder eine zustimmende noch eine ablehnende, sondern keinerlei Willensbetätigung. Dass es sich bei dem Zinsanspruch um eine unselbstständige Nebenforderung zum eigentlichen Leistungsanspruch handele, rechtfertige keine andere Beurteilung. Haupt- und Zinsentscheidung stellten zwei selbstständige materielle Verwaltungsakte dar, die jeweils eine sich aus dem Wortlaut eindeutig ergebende Entscheidung voraussetzten.

Gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem (ihm am 30.03.2017 zugestellten) Urteil hat der Kläger am 02.05.2017 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Das Sozialgericht weiche mit seiner Entscheidung von dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.09.1980 - B 5 RJ 108/79 ab. Von dieser Rechtsprechung habe sich das Bundessozialgericht in seiner weiteren Entscheidung vom 25.01.2011 - B 5 R 14/10 R gerade nicht distanziert.

Mit Beschluss vom 12.10.2017 hat der Senat die Berufung zugelassen.

Zur Begründung seiner Berufung verweist der Kläger auf seine Ausführungen im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.03.2017 zu ändern,
2. den Widerspruchsbescheid vom 25.09.2015 aufzuheben,
3. den Beklagten unter Aufhebung der Kostenentscheidung im Bescheid 18.06.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2015 dem Grunde nach zu verpflichten, ihm die notwendigen Auslagen für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 19.02.2015 zu erstatten,
4. die Hinzuziehung seines Bevollmächtigten im Vorverfahren gegen den Bescheid vom 19.02.2015 für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Der Bescheid vom 19.02.2015 habe keine ablehnende Entscheidung über eine Verzinsung getroffen. Der angegriffene Widerspruchsbescheid sei auf Grund einer Untätigkeitsklage ergangen, weil das Sozialgericht der Meinung gewesen sei, dass auch über einen unzulässigen oder erledigten Widerspruch formal durch Widerspruchsbescheid zu entscheiden sei. Der Widerspruch sei unstatthaft gewesen. Sowohl mangels Erfolgs als auch wegen eingetretener Erledigung komme eine positive Kostenentscheidung nicht in Betracht. Der gesonderte, verfahrensrechtlich nicht notwendige Antrag auf Verzinsung sei selbständig beschieden worden, was zu der Erledigung des Untätigkeitsklageverfahrens geführt habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind im Ergebnis rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten. Der Kläger kann von dem Beklagten nicht die Übernahme der Kosten für das durchgeführte Widerspruchsverfahren verlangen sowie die Hinzuziehung seines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären.

A. I. Gegenstand des Verfahrens sind nach dem ausdrücklichen Antrag des Klägers sowohl der Bescheid vom 18.06.2015, mit dem die Stadt H den nachgezahlten Betrag verzinst, aber ausdrücklich keine Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahren getroffen hat, als auch der Widerspruchsbescheid vom 25.09.2015 (501171/Ki/19196/2015), mit dem der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.02.2015 betreffend die nicht erfolgte Verzinsung des Nachzahlungsbetrages zurückgewiesen und eine Kostenerstattung abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, § 56 SGG).

II. Das Widerspruchsverfahren (§ 78 Abs. 1 S. 1 SGG) wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Insbesondere war eine Beteiligung sozial erfahrener Dritter gemäß § 116 Abs. 2 SGB XII vor Erlass des Widerspruchsbescheides nicht erforderlich. Der Senat hat bereits entschieden, dass bei einer Entscheidung über einen Zinsanspruch nach § 44 SGB I eine solche Beteiligung nicht erfolgen muss (vgl. Urteil vom 10.06.2013 - L 20 SO 479/12 Rn. 28 f.). Denn sozial erfahrene Personen müssen nach § 116 Abs. 2 SGB XII nur hinzugezogen werden, wenn es materiell-rechtlich um die Ablehnung bzw. die Festsetzung von Art und Höhe einer Sozialhilfeleistung geht. Die (isolierte) Ablehnung der Verzinsung eines Nachzahlungsanspruchs ist jedoch keine solche Entscheidung. Dies ergibt sich schon aus der formalen Trennung zwischen der Entscheidung über den Sozialleistungsanspruch einerseits und der Zinsentscheidung andererseits, die in zwei selbstständigen Verwaltungsakten verlautbart werden (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.2011 - B 5 R 14/10 R Rn. 16). Hinzu kommt, dass hier der Zinsanspruch materiell-rechtlich nicht im SGB XII, sondern im SGB I wurzelt; die Ablehnung einer Verzinsung nach § 44 SGB I ist deshalb keine "Ablehnung von Sozialhilfe" im Sinne von § 116 Abs. 2 SGB XII. Im Übrigen ist eine Zinszahlung nicht einmal eine Sozialleistung im Sinne von § 11 SGB I (Groth in jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 44 Rn. 46, Stand: 22.06.2018); dass der Zinsanspruch einen Annexanspruch zur zu verzinsenden Sozialleistung darstellt (vgl. Mrozynski, SGB I, 5. Auflage 2014, § 44 Rn. 3), ändert diesen abweichenden materiell-rechtlichen Charakter nicht.

III. Richtiger Beklagter ist der Landkreis H als die den Widerspruchsbescheid erlassende Stelle. Der Landkreis war für die Entscheidung über den Widerspruch betreffend die Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bzw. deren Verzinsung (als Annex zum Hauptanspruch) als örtlicher Träger der Sozialhilfe gemäß § 97 Abs. 1, 2 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 2 S. 1, § 6 Nds. AG-SGB XII sachlich zuständig. Die Stadt H war zwar zur Entscheidung über die Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII herangezogen (vgl. § 99 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 8 Abs. 1 Nds. AG-SGB XII und § 1 Abs. 1, 2 der Heranziehungsvereinbarung zwischen dem Landkreis H und der Stadt H); die Zuständigkeiten für die Entscheidung über etwaige Widersprüche ist jedoch bei dem Beklagten verblieben (§ 99 Abs. 1 ltz. Hs. SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 3 S. 1 Heranziehungsvereinbarung). Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 98 Abs. 1 SGB XII.

B. Die danach zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil weder ein Anspruch auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens besteht (dazu unter I.) noch ein Anspruch darauf, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären (dazu unter II.). Ein Anspruch auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2015 besteht ebenfalls nicht (dazu unter III.).

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten im Widerspruchsverfahren gegen den Änderungsbescheid vom 19.02.2015.

1. Anspruchsgrundlage für eine Kostenerstattung im Vorverfahren ist § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

2. Der Widerspruch des Klägers war jedoch nicht erfolgreich i.S. dieser Vorschrift.

Dabei kann offenbleiben, ob dies bereits deshalb gilt, weil der Widerspruchsbescheid den Widerspruch des Klägers vollständig zurückgewiesen hat, und er daher bereits formal ohne Erfolg geblieben ist. Denn im Ergebnis zu Recht hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unzulässig zurückgewiesen, so dass auch ein Anspruch des Klägers auf eine positive Widerspruchsentscheidung nicht bestand. Es fehlt bereits an einem Verwaltungsakt, gegen den der Kläger Widerspruch hätte einlegen können. Nach § 31 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.

a) Zwar hat der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.02.2015 erhoben, mit dem die Stadt H weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 01.07.2007 bis zum 30.06.2008 bewilligt hat. Dieser Bewilligung war zwar ein Verwaltungsakt i.S.d. § 31 S. 1 SGB X. Indes wendet sich der Kläger nach seinen ausdrücklichen Ausführungen im Widerspruchsschreiben gerade nicht gegen diese weitere Leistungsbewilligung; einziger Grund seines Widerspruchs war vielmehr das Fehlen einer Zinsbewilligung nach § 44 SGB I. Haupt- und Zinsentscheidung stellen aber zwei materiell selbstständige Verwaltungsakte dar (s.o.), so dass sich der Widerspruch allein gegen eine - vom Kläger behauptete - materiell eigenständige Entscheidung zur Verzinsung richtete.

b) Die Zinsentscheidung ist in ihrem Bestand zwar von der Leistungsentscheidung abhängig im Sinne einer Akzessorietät. Weder diese Abhängigkeit noch die gesetzliche Verpflichtung des Sozialhilfeträgers, über den Zinsanspruch von Amts wegen (unabhängig von einem Antrag) zu entscheiden, lassen jedoch den Schluss zu, dass mit dem Bescheid vom 19.02.2015 zugleich eine (stillschweigende) Entscheidung über die Verzinsung getroffen wurde.

Zwar hat der 5. Senat des Bundessozialgerichts in einer älteren Entscheidung (Urteil vom 11.09.1980 - 5 RJ 108/79 Rn. 17) ausgeführt, bei einer Entscheidung über einen Nachzahlungsanspruch und fehlender positiver Zinsentscheidung müsse davon ausgegangen werden, dass der Zinsanspruchs konkludent abgelehnt worden sei, weil der Sozialleistungsträger von Amts wegen ohne besonderen Antrag über den akzessorischen Anspruch zu entscheiden habe. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung jedoch nicht.

Er folgt vielmehr Ausführungen des 5. Senats des Bundessozialgerichts in seiner späteren Entscheidung vom 25.01.2011 (B 5 R 14/10 R).

Zwar hat der 5. Senat darin seine frühere Rechtsprechung nicht (ausdrücklich) aufgegeben. Er sah sich zu einer Auseinandersetzung mit seiner bisherigen Auffassung jedoch deswegen nicht veranlasst, weil er die seinen beiden Entscheidungen zu Grunde liegenden Sachverhalte bereits für nicht vergleichbar hielt. Denn in dem 2011 von ihm zu entscheidenden Fall sei das angefochtene Schreiben bereits kein Verwaltungsakt, mit dem über Nachzahlungsansprüche entschieden wurde, sondern ein bloßes Mitteilungsschreiben über die Höhe der dem Grunde nach bereits früher verfügten Nachzahlungsansprüche (a.a.O. Rn. 17).

Stellen aber Haupt- und Zinsentscheidung zwei materiell selbstständige Verwaltungsakte dar, die zeitgleich im selben Bescheid, aber auch zeitversetzt erlassen werden können (s.o.), ist die Rechtsqualität des angegriffenen Verwaltungshandelns betreffend die Nachzahlung unerheblich für die Frage, ob auch eine Zinsentscheidung getroffen wurde. Ob eine Entscheidung zu den Zinsen getroffen (und damit ein anfechtbarer Verwaltungsakt erlassen) wurde, ist vielmehr allein durch Auslegung der Verwaltungsverlautbarung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles zu bestimmen. Und zu dieser Auslegung enthält die spätere Entscheidung des 5. Senats des Bundessozialgerichts gerade Ausführungen, die von denjenigen seiner früheren Entscheidung abweichen, und denen sich der erkennende Senat anschließt:

aa) Der Änderungsbescheid vom 19.02.2015 enthält keinerlei ausdrückliche Entscheidung über eine Verzinsung der nachträglich gewährten Leistungen. Er entscheidet nach seinem Verfügungssatz vielmehr einzig über die Höhe der Grundsicherungsleistungen im Zeitraum 01.07.2007 bis zum 30.06.2008 sowie über eine (teilweise) Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung. Zu einer Verzinsung nach § 44 SGB I trifft er keinerlei Aussage; weder wird sie ausdrücklich zugesprochen noch abgelehnt.

bb) Dem Bescheid vom 19.02.2015 kann ein entsprechender Erklärungsinhalt auch nicht durch Auslegung beigemessen werden. Bei einer solchen Auslegung ist - unter entsprechender Anwendung der Auslegungsgrundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 133, 157 BGB) - zwar nicht auf den Willen der Behörde, sondern auf den objektiven Sinngehalt der Erklärung abzustellen, wie ihn also der Erklärungsempfänger bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles zu deuten hatte (vgl. BSG, Urteil vom 29.10.1992 - 10 RKg 4/92 R. 21 m.w.N.). Ein verständiger Empfänger, der mit den Umständen des vorliegenden Falls vertraut war und insbesondere das tatsächliche Geschehen bis zum Erlass des Änderungsbescheides vom 19.02.2018 kannte, musste das Unterbleiben einer ausdrücklichen Zinsentscheidung jedoch nicht als konkludente Ablehnung des Verzinsungsanspruchs aus § 44 SGB I verstehen. Es wäre schon nicht erklärlich, warum der Beklagte im vorliegenden Verfahren trotz Vorliegens der tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 44 SGB I einen offensichtlich bestehenden Zinsanspruch unter Verstoß gegen das gesetzliche Begründungserfordernis des § 35 SGB X ablehnen sollte. In einer ausdrücklichen, positiv-begünstigenden Bewilligungsentscheidung über eine Nachzahlung zugleich eine stillschweigende negativ-belastende Ablehnungsentscheidung über eine Verzinsung zu sehen, würde zudem bedeuten, die Rechte des Bescheidempfängers erheblich zu verkürzen und damit gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und das Verbot widersprüchlichen Verhaltens zu verstoßen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 25.01.2011 - B 5 R 14/10 R Rn. 15). Denn mit dem Zugang des Bescheides würde auch hinsichtlich der (unterstellt) enthaltenen Ablehnungsentscheidung die einmonatige Widerspruchsfrist zu laufen beginnen. Ein rechtlich nicht vorgebildeter Empfänger liefe daher Gefahr, dass die (unterstellte) konkludente Zinsentscheidung in Bestandskraft erwachsen würde, ohne dass ihm dies auf Grund des Wortlauts des Bescheides bewusst geworden sein müsste.

cc) Darüber hinaus sind auch keine Einzelfallumstände erkennbar, die dem Schweigen zu einem Zinsanspruch klar und unmissverständlich die Bedeutung einer ablehnenden Entscheidung zuweisen könnten. Allein die bestehende Akzessorietät zwischen Haupt- und Zinsanspruch rechtfertigt eine solche Auslegung nicht, weil es sich insoweit um zwei selbstständige Verwaltungsakte handelt, die auch in unterschiedlichen Bescheiden erlassen werden können (s.o.; so auch BSG, a.a.O. Rn. 17).

3. Fehlte es somit bereits an einer (konkludenten) Zinsentscheidung, war der gegen die nur vermeintliche Entscheidung erhobene Widerspruch unstatthaft und damit unzulässig. Damit aber war er nicht erfolgreich, so dass eine Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X ausscheidet.

4. Der Widerspruch des Klägers war vielmehr - wie von ihm im Widerspruchsschreiben auch hilfsweise beantragt - als Antrag auf Entscheidung über den Zinsanspruch nach § 44 SGB I anzusehen. Dieser wurde mit Bescheid vom 18.06.2015 positiv beschieden. Eine Erstattung der in diesem Ausgangs-Verwaltungsverfahren insbesondere durch die Hinzuziehung des Bevollmächtigten entstandenen Kosten scheidet jedoch aus, weil eine gesetzliche Anspruchsgrundlage hierfür nicht existiert (vgl. dazu nur Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 63 Rn. 2). Eine entsprechende Anwendung des § 63 SGB X kommt mangels Regelungslücke nicht in Betracht.

II. Ist danach eine Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X ausgeschlossen, muss über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten nach § 63 Abs. 2 SGB X von vornherein nicht entschieden werden. Denn das Gesetz sieht eine Kostenerstattung für erfolglose Widersprüche nicht vor (vgl. Roos, a.a.O.).

III. Nach dem zuvor Gesagten kann auch der Antrag zu 1. auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides keinen Erfolg haben, weil der Beklagte den Widerspruch im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen hat.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

D. Die Revision war zulassen, weil der erkennende Senat von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 11.09.1980 - 5 RJ 108/79 abweicht. Diese ist durch das Urteil desselben Senats des Bundessozialgerichts vom 25.01.2011 - B 5 R 14/10 R nicht aufgegeben worden; vielmehr hat das Bundessozialgericht in der späteren Entscheidung ausdrücklich schon keinen Anwendungsfall für seine frühere Entscheidung gesehen.
Rechtskraft
Aus
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