L 9 SO 251/16 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 SO 103/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 251/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 27.04.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige, insbesondere fristgemäße Beschwerde der Antragsteller vom 29.04.2016 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 27.04.2016, mit dem es den auf die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für ungedeckte Heimkosten gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hat, ist unbegründet.

Der Senat nimmt zur Begründung gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes - (SGG) auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung, die er für zutreffend erachtet, Bezug. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Auch das Vorbringen der Antragsteller zur Beschwerde vermag hieran nichts zu ändern.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl. v. 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B -, juris Rn. 6). Allerdings ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - (GG) und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn - wie hier - die Gewährung existenzsichernder Leistungen der Hilfe zur Pflege im Streit steht. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12 -, juris Rn. 10, 12).

Die Antragsteller haben bei Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Für die Antragstellerin gilt dies in Anschluss an die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts schon deshalb, weil sie selbst nicht pflegebedürftig ist und somit bei ihr hinsichtlich der Übernahme ungedeckter Heimkosten kein Bedarf besteht. Dass sie mit dem Antragsteller als dessen Ehegattin eine Einstandsgemeinschaft nach § 19 Abs. 3 SGB XII bildet, ändert an ihrer fehlenden Aktivlegitimation nichts.

Bezüglich des Antragstellers sind mit dem Beschwerdevorbringen auch aus Sicht des Senats durchgreifende Zweifel an dessen Hilfebedürftigkeit, insbesondere was den Verbleib verwertbaren und einzusetzenden Vermögens (§ 90 Abs. 1 SGB XII) in Form der unstreitig am 12.06.2015, 30.07.2015 und 10.09.2015 vom Girokonto der Eheleute bei der Stadtsparkasse O getätigten Barauszahlungen von 30.000 EUR, weiteren 30.000 EUR und 35.500 EUR (insgesamt also 95.500 EUR) anbelangt, nicht ausgeräumt. Dem Antragsteller ist es auch im Rahmen seines Beschwerdevorbringens nicht gelungen, die von dem Sozialgericht ausführlich dargestellten zahlreichen Unklarheiten bezogen auf den Verbleib der praktisch das gesamte angesparte Vermögen der Eheleute ausmachenden Gelder nachvollziehbar zu erklären. Hierbei kommt es insbesondere nicht darauf an, aus welcher Quelle bzw. welchem Konto diese Geldbeträge stammen; dass sie von dem Online-Konto bei der J durch die Tochter der Eheleute auf das Girokonto der Antragsteller bei der Stadtsparkasse vor den o.a. Barabhebungen transferiert worden sind, ist ja ebenfalls aktenkundig. Entscheidend ist, dass es jeglicher Lebenserfahrung widerspricht und absolut nicht nachvollziehbar ist, wenn die Antragstellerin einerseits einräumt, ihren Ehemann bei der Abhebung der jeweiligen Geldbeträge begleitet und ihm das Geld ausgehändigt zu haben, jedoch vorgibt, über deren Verbleib keine Auskunft geben zu können, außer, dass sich die Beträge nicht mehr in ihrem Besitz befänden. Der Antragsgegner legt hier den sprichwörtlichen "Finger in die Wunde", wenn er zutreffend ausführt, dass es realitätsfern ist, dass die Antragstellerin ihrem Ehemann fast das gesamte gemeinsame und mühsam angesparte Vermögen von annähernd 100.000 EUR (!) ausgehändigt hat, ohne überhaupt einmal nachzufragen, was er damit machen will. Dies ist in Anbetracht der hinreichend aktenkundigen Demenz des Antragstellers und auch seines sonstigen körperlichen Zustandes eine absolut berechtigte Frage, deren notwendige Beantwortung die Antragstellerin nach wie vor unterlässt. Angesichts der Tatsache, dass der Antragsteller bereits langjährig an (fortschreitender) Demenz leidet, muss es sich seiner Ehefrau förmlich aufdrängen, nach dem Grund für die Abhebung dieser hohen Geldbeträge, die ja aus gemeinsamen Vermögen der Eheleute stammen, zu fragen. Dies gilt auch und gerade in Ansehung der Darstellung der Antragstellerin, dass ihr Ehemann bis zu einem akuten Alzheimer-Anfall am 01.10.2015 durchaus in der Lage gewesen sei, Geld auszugeben und zu verwalten. Wäre dem tatsächlich so gewesen, hätte er diese nahe liegende Frage nach dem Verwendungszweck durchaus auch beantworten können. Soweit die Antragstellerin hingegen weiter ausführt, dass sie keinen Grund gehabt habe, ihrem Ehemann auch im Zeitpunkt der Abhebungen zu misstrauen und für sich "nie größere Summen" benötigt und "mich daher damit nie befasst" habe, ist dies nicht nur nicht nachvollziehbar, sondern widerspricht allein angesichts der Summen, um die es hier geht, eklatant jeglicher Logik und Rationalität, über die sich auch der Senat nicht hinwegsetzen kann. Im Gegenteil: Die Zweifel des Senats an der Lauterkeit der Ehefrau des Antragstellers und insbesondere an ihrer Ehrlichkeit verstärkt ihr Schriftsatz im Beschwerdeverfahren vom 22.05.2016, mit dem sie darlegt, den Eigenanteil i.H.v. 617 EUR, den das Sozialamt für sie ausgerechnet habe, zahle monatlich sie. Es stellt sich die Frage, wie dies der Ehefrau des Antragstellers gelingen soll, da sie nach den Angaben zu Einkommen und Vermögen im Verwaltungsverfahren neben einem Schonvermögen beider Eheleute in Höhe von seinerzeit nur 2520,31 EUR lediglich eigene Einnahmen aus einer Altersrente i.H.v. 361,39 EUR offenbart hat, die bereits von monatlichen Mietverpflichtungen in Höhe von 439,23 EUR und Heizungskosten i.H.v. 49 EUR/monatlich aufgebraucht werden. Angesichts notwendigerweise anfallender Kosten für Lebensunterhalt, Bekleidung u. a. lässt dies keinen anderen Schluss zu, als dass entgegen allen Behauptungen noch Gelder zur Verfügung stehen, die unschwer mit dem sich offenbar in Luft aufgelösten Barvermögen von 95.000 EUR in Verbindung gebracht werden können. Auch befindet sich die Antragstellerin im Rechtsirrtum, soweit sie von dem Antragsgegner den "Nachweis" verlangt, dass sich die Geldbeträge noch im Besitz der Antragsteller oder einer dritten Person befinden. Es liegt vielmehr an dem Antragsteller, seine Hilfebedürftigkeit glaubhaft zu machen; insbesondere trägt er auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellungslast für Umstände, die ausschließlich seiner Sphäre zuzuordnen sind und dem geltenden Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 SGB X) natürliche Grenzen setzen.

Dem Begehren des Antragstellers fehlt es aber auch an einem Anordnungsgrund und damit einer gegenwärtigen Notlage, die nicht anders als durch gerichtliches Eingreifen abwendbar ist. Die Antragstellerin hat selbst ausgeführt, dass ihre Tochter die offenen Rechnungen des Pflegeheims bis einschließlich April gezahlt habe und sie selbst den Eigenanteil (617 EUR monatlich) an das Heim entrichte. Damit droht dem Antragsteller gegenwärtig weder eine (erneute) fristlose Kündigung des Heimträgers wegen Zahlungsrückständen, noch eine Räumungsklage. Dass das Heim eine solche Kündigung auch im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ausgesprochen hat bzw. eine Räumungsklage gegen den Antragsteller anhängig ist, haben die Antragsteller nicht behauptet. Die Anhängigkeit einer Räumungsklage ist aber auch in den sog. Heimfällen erforderlich, um die konkrete Gefahr des Eintritts von Wohnungslosigkeit annehmen zu können, die ein (vorzeitiges) gerichtliches Eingreifen rechtfertigt (s. Senat, Beschl. v. 03.05.2016 - L 9 SO 130/16 B ER, L 9 SO 131/16 B -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.01.2013 - L 20 SO 319/12 B ER -, juris Rn. 11).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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