L 11 KR 466/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 48 KR 1154/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 466/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.06.2017 abgeändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Gewährung einer operativen beidseitigen Brustaufbauplastik (Mammaaugmentation) hat.

Die am 00.00.1981 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Mit einem kleinen handschriftlichen an eine Mitarbeiterin der Beklagten gerichteten Zettel beantragte sie am 22. Dezember 2014 eine Operation im Brustzentrum G. Sie gab an, ihre Brüste seien kein schöner Anblick. Sie habe 35 kg abgenommen. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2014 teilte die Beklagte ihr mit, dass sie für die weitere Bearbeitung eine Krankenhauseinweisung benötige.

Am 5. Januar 2015 verordnete ihr die behandelnde Frauenärztin Dr. S Krankenhausbehandlung mit der Angabe: "Brustaufbau nach Abszess zur Vorlage und zur Genehmigung bei der Krankenkasse". Die Verordnung ging der Beklagten am gleichen Tag zu. Sie wertete diese als Antrag der Klägerin auf Gewährung einer operativen Brustaufbauplastik und schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser empfahl mit Stellungnahme vom 15. Januar 2015 weitere Ermittlungen, da unklar sei, was die Klägerin wünsche.

Mit Schreiben vom 17. Januar und 21. Januar 2015 bat die Beklagte die Klägerin um Übersendung eines aktuellen Berichts des Brustzentrums G. Die drei- bzw. fünf-Wochen-Frist nach dem Patientenrechtegesetz könne nicht eingehalten werden. Nach Einreichen der genannten Unterlagen werde der Antrag umgehend bearbeitet. Am 12. Februar 2015 ging der Bericht des Klinikums G vom 3. Februar 2015 bei der Beklagten ein. Darin führte der Chefarzt Dr. Q aus, die Klägerin leide schon seit vielen Jahren unter einer beidseitigen Brustdeformität, welche sich nach Entwicklung eines Mammaabszesses links vor vier Jahren sowie nach zwei Geburten und einer ausgeprägten Gewichtsabnahme verstärkt habe. Es liege eine erhebliche Anisomastie mit einer "tuberösen Brustdeformität links mehr als rechts" vor. Die Brustwarzenhofkomplexe seien auffallend groß. Es liege eine mäßiggradige Hernienbildung von Drüsengewebe in die Areola beidseits vor. Beide Brüste seien ptotisch und die Brustwarzen beidseits stark nach unten gerichtet. Eine beidseitige Korrektur sei daher klar indiziert. Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der MDK am 26. Februar 2015 nach Aktenlage ein sozialmedizinisches Gutachten, in dem er ausführte, das Vorliegen eines krankhaften Mammabefundes könne nicht bestätigt werden. Beidseitige Eingriffe an den Brüsten bei Zustand nach Gewichtsreduktion und nach Mamma-Abszessentfernung links im März 2011 entsprächen einer kosmetischen Indikation. Eine Kostenübernahme zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung könne nicht empfohlen werden. Mit Bescheid vom 2. März 2015 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer beidseitigen Brustaufbauplastik gestützt auf die Feststellungen des MDK ab.

Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin am 3. März 2015 Widerspruch ein. Die beidseitige Brustaufbauplastik begehre sie aufgrund einer Ungleichheit der Brüste, welche nicht richtig entwickelt seien, sowie einer Fehlstellung der linken Brustwarze. Diese Beeinträchtigungen führten bei ihr zu psychischen Problemen, welche sich durch eine Kur und eine stattgefundene Paartherapie nicht hätten beseitigen lassen. Sie halte es nicht mehr aus, mit einer solchen Brust herumzulaufen. Zudem sei ihr ein Stillen ihrer Söhne nach deren Geburten nicht möglich gewesen. Ihre behandelnden Ärzte bestätigten eine medizinische, nicht nur eine kosmetische Indikation für eine chirurgische Korrektur ihrer Brüste. Sie legte ein weiteres Attest von Dr. Q, Brustzentrum des Klinikums G, vom 16. März 2015 und eine Bescheinigung der Diplomsoziologin N von der Beratungsstelle für Schwangerschaftskonflikte und Familienplanung der Diakonie e.V. vom 9. März 2015 vor, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der MDK am 23. April 2015 ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 22. April 2015. Darin bestätigte er, dass eine medizinische Indikation für die geplante Operation nach wie vor nicht erkannt werden könne, da sich die Brüste der Klägerin im Rahmen der biologischen Spielbreite bewegten. Es liege eine diskret tubuläre Brust und damit aber keine Entstellung und keine körperliche Erkrankung im krankenversicherungsrechtlichen Sinne vor. Der Klägerin werde eine psychotherapeutische Behandlung empfohlen.

Die Beklagte wies den Widerspruch gestützt auf die sozialmedizinischen Gutachten des MDK mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2015 zurück. Ein Anspruch der Klägerin auf die begehrte Operation bestehe nicht. Bei ihr liege keine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne vor, da kein regelwidriger Mammabefund und keine Entstellung gegeben seien. Gesetzliche Krankenkassen seien nicht verpflichtet, zur Behebung einer psychischen Störung die Kosten für den operativen Eingriff in einen für sich gesehen nicht behandlungsbedürftigen Körperzustand zu tragen. Die Klägerin sei auf die Inanspruchnahme einer Psychotherapie zu verweisen.

Mit ihrer am 1. September 2015 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Ziel weiterverfolgt. Die chirurgische Brustaufbauplastik sei die einzige Möglichkeit, ihre körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen zu beseitigen. Nach den Feststellungen von Dr. Q liege eine Entstellung mit der einzigen Korrekturmöglichkeit einer beidseitigen Operation vor. Ferner bestünden psychische Beeinträchtigungen aufgrund der vorliegenden Fehlbildung. Das Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens sei unzutreffend, da Größe und Form ihrer Brüste ihr Aussehen erheblich beeinträchtigten. Sie hat ein Attest ihrer Frauenärztin Kastner aus Brilon vom 3. Januar 2017 vorgelegt, dem zufolge die Anlage zur tubulären Brustdeformität bei ihr bereits vor der Gewichtsreduktion und den Schwangerschaften bestanden habe und durch die starke Gewichtsabnahme und durch einen linksseitigen Mammaabszess verstärkt worden sei. Somit sei eine Mammaplastik medizinisch indiziert.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 2. März 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2015 zu verurteilen, ihr eine beidseitige Brustaufbauplastik zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren Bezug genommen.

Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat einen Befundbericht von Dr. Q, Chefarzt des Brustzentrums Klinikums G, vom 5. April 2016 eingeholt. Danach liegt bei der Klägerin eine "ausgeprägte tuberöse Brustdeformität beidseits" vor, welche nicht zu Funktionsbeeinträchtigungen führe und keine nachteiligen Auswirkungen auf die Funktion des Stütz- und Bewegungsapparates der Klägerin habe. Ein Krankheitswert bestehe jedoch aufgrund der Ausgeprägtheit des Befundes mit massiven Beeinträchtigungen der körperlichen Ästhetik. Die Beeinträchtigungen wirkten entstellend. In bekleidetem Zustand ließe sich die Asymmetrie durch einen möglicherweise maßangefertigten Büstenhalter korrigieren. Eine Operation sei medizinisch indiziert und müsse stationär erfolgen.

Das SG hat weiter Beweis erhoben nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 10. Oktober 2016 der Sachverständigen Dr. E, Fachärztin für Chirurgie, aus C vom 26. Oktober 2016. Diese ist in ihrem sozialmedizinischen plastisch-chirurgischen Gutachten im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, dass eine medizinische Indikation für die begehrte Mammaaugmentation nicht bestehe. Unabhängig von der Diskussion, ob es sich um eine originär tubuläre Brustanlage oder um eine Erschlaffung des Haut- und Weichteilmantels nach Gewichtsreduktion mit resultierender Ptose oder um eine Mischform von beidem handele, bewege sich die Brustform und -größe der Klägerin im Rahmen der Spielbreite der Natur und stelle keinen entstellenden Aspekt dar. Eine Beeinträchtigung des Aussehens sei allenfalls im unbekleideten Zustand zu bestätigen, nicht jedoch in bekleidetem Zustand. Bestenfalls sei von einem kosmetischen Defizit auszugehen. Auch könnten eine Erkrankung der Brust im engeren Sinne oder anderweitige Auffälligkeiten nicht aufgezeigt werden. Die Funktion der Mammae sei angabegemäß dahingehend beeinträchtigt, dass die Klägerin ihre beiden Kinder nicht habe stillen können. Auch hierbei handele es sich nicht um eine wesentliche Normabweichung. Vor allem könne diese Beeinträchtigung durch den geplanten Brustaufbau nicht behoben werden. Objektivierbare physische Beschwerden bestünden nicht. Die Formvariante der Brüste wirke sich nicht nachteilig auf die Funktion anderer Organe oder des Stütz- und Bewegungsapparates aus. Insoweit könne eine medizinische Indikation zur Durchführung eines operativen Brustaufbaus nicht bestätigt werden. Anzuraten sei der Klägerin das Tragen form- und größenangepasster Büstenhalter sowie die Inanspruchnahme einer psychotherapeutischen Begleitung.

Das SG hat der Klage durch Urteil vom 09.06.2017 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar entsprächen Form und die Größe der Mammae der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion keiner körperlichen Anomalie, die als Krankheit zu bewerten sei. Sie bedeuteten jedoch nach dem eigenen vom Gericht gewonnenen Eindruck eine Entstellung, die den geltend gemachten Leistungsanspruch begründe.

Gegen das am 4. Juni 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Juli 2017 Berufung eingelegt. Zur Begründung beruft sie sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R -. Danach seien recht hohe Anforderungen an die Annahme einer Entstellung zu stellen. Maßgeblich sei der bekleidete Zustand. Für diesen habe die Sachverständige keine Entstellung gesehen. Auch Dr. Q habe ausgeführt, dass sich die Asymmetrie im bekleideten Zustand durch einen möglicherweise maßangefertigten Büstenhalter korrigieren lasse. Die von der Sachverständigen angefertigten Bilder zeigten, dass hier nicht von einer Entstellung auszugehen sei. Eine solche setze objektiv eine körperliche Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit voraus, dass sie wegen ihrer störenden bzw. Aufmerksamkeit und Neugier erregenden Wirkung die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährde. Abzustellen sei auf das Erscheinungsbild in üblicher Alltagskleidung und nicht in unbekleidetem Zustand. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht habe hiervon (nur) bei einer Jugendlichen eine Ausnahme gemacht. Unerheblich sei, dass die Klägerin (noch) über keinen maßangefertigten BH verfüge. Entgegen dem vom LSG Hamburg im Urteil vom 2. Mai 2012 - L 1 KR 38/10 - beurteilten Fall bestehe bei der Klägerin hier kein krankhafter Mammabefund.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9. Juni 2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie verfüge nicht über maßangefertigte Büstenhalter. Die Asymmetrie sei derartig groß, dass jeder Betrachter, der auch nur zufällig einen Blick auf sie in bekleidetem Zustand werfe, darauf aufmerksam werde, welch ein von der Norm abweichender Zustand bei ihr vorliege. Das LSG Schleswig habe im Urteil vom 23. Mai 2017 nicht auf den bekleideten Zustand abgestellt. Auch sie könne sich nicht unbekleidet zeigen. Die stattgebende Entscheidung des LSG Hamburg vom 2. Mai 2012 - L 1 KR 38/10 - habe einen dem streitgegenständlichen ähnlichen Sachverhalt betroffen.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Augenschein. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Das Urteil des SG ist abzuändern. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine beidseitige Mammaaugmentation als Sachleistung. Der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2015 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht.

1. Ein Anspruch ergibt sich nicht aus (dem sachlich und zeitlich anwendbaren) § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Eine Genehmigungsfiktion ist nicht eingetreten, weil die Beklagte innerhalb von drei Wochen ab Antragstellung entschieden hat. Ein fiktionsfähiger Antrag lag erst ab dem 12. Februar 2015 vor. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung und als materiell-rechtliche Voraussetzung. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits i.S. von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist. Hierfür erforderlich ist, dass das Behandlungsziel klar ist (BSG, Urteil vom 26. September 2017 - B 1 KR 8/17 R - juris - m.w.N.). Vor Eingang des Berichts des Klinikums G am 12. Februar 2015 war aus der Sicht eines verständigen Empfängers nicht klar, welches Behandlungsziel genau die Klägerin verfolgte, insbesondere ob sie eine ein- oder beidseitige Operation begehrte. Die Krankenhauseinweisung vom 5. Januar 2015 ließ eher auf eine nur linksseitige Operation schließen. Die drei-Wochen-Frist begann damit am 13. Februar 2015 (vgl. § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB) und endete am 5. März 2015 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB). Innerhalb dieser Frist hat die Beklagte entschieden und der Bescheid ist der Klägerin zugegangen. Das ergibt sich schon daraus, dass sie bereits am 3. März 2015 Widerspruch einlegte.

2. Ein Anspruch der Klägerin auf die begehrte Operation ergibt sich auch nicht aus § 27 Abs. 1 SGB V. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R - m.w.N. - SozR 4-2500 § 27 Nr. 3). Bei der Klägerin liegt keine körperliche Anomalität vor, die als Krankheit in diesem Sinne zu bewerten wäre. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit kommt Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R - a.a.O., Urteil vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 11/04 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 4). Unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion kann der Zustand der Klägerin schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil die begehrte Operation auch im Erfolgsfall ihr weder funktionsgerechte Organe verschaffen würde noch der Behandlung von Erkrankungen anderer Organe oder Körperteile dient. Auch die psychische Belastung der Klägerin rechtfertigt keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Ob der regelwidrige Geisteszustand der Klägerin einen Anspruch auf psychotherapeutische bzw. psychiatrische Behandlung auszulösen vermag, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits; jedenfalls können psychische Leiden nicht den allein streitigen Anspruch auf eine Operation zum Brustaufbau begründen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R - a.a.O.).

Die Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen äußerlicher Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Die Größe und Asymmetrie der Brüste bewirkt keine äußerliche Entstellung, die den Bedarf nach einer Mammaoperation begründen könnte. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt. (BSG, Urteil vom 22. April 2015 - B 3 KR 3/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 45, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 14, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R - a.a.O.). Eine Entstellung ist weder bei fehlender oder wenig ausgeprägter Brustanlage unter Berücksichtigung der außerordentlichen Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust anzunehmen noch bei einer Asymmetrie der Brüste, die sich - wie hier - im Alltag verdecken lässt (BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R -, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R -; jeweils a.a.O.).

Ob und in welchem Grad Gesundheitsstörungen entstellend wirken, lässt sich regelmäßig nicht nach dem Eindruck eines Sachverständigen oder der behandelnden Ärzte beurteilen. Nach dem maßgebenden unmittelbaren Eindruck des Senats (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R - a.a.O., Urteil vom 26. Januar 1994 - 9 RV 25/93 - SozR 3-1750 § 372 Nr. 1), den er sich durch Augenschein verschafft hat, liegt bei der Klägerin keine Auffälligkeit vor, die sich bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht. Abzustellen ist auf das Erscheinungsbild in üblicher Alltagskleidung, nicht jedoch auf den unbekleideten Zustand.

Eine Ausnahme hiervon hat zwar das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht im Urteil vom 23. Mai 2017 - L 5 KR 6/15 - gesehen. Dies betraf aber nur den Fall einer Jugendlichen, bei der eine Asymmetrie von rechts 850 g Brustgewicht zu links 80 g Brustgewicht bestand. Zusätzlich hat sich das LSG darauf gestützt, dass auch eine psychische Erkrankung einen Anspruch auf eine Brustangleichungsoperation begründen könne, wenn diese nur dadurch erfolgreich therapiert werden könne im Sinne einer "ultima ratio" der Behandlungsmöglichkeiten. Damit ist die Situation der Klägerin nicht vergleichbar.

Das von der Klägerin angeführte Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 02. Mai 2012 - L 1 KR 38/10 - war im Fall eines Poland-Syndroms davon ausgegangen, dass eine Krankheit vorliege. Auf die Frage der Entstellung (für die entgegen der Behauptung der Klägerin auch nach diesem Urteil auf den bekleideten Zustand abzustellen ist) kam es ausdrücklich nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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