L 21 AS 2164/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 27 AS 1992/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 21 AS 2164/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.11.2018 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch in dem Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 27 SGB II für die Zeit von April 2017 bis August 2018.

Die 1989 geborene Klägerin besuchte von August 2007 bis Juli 2009 ein Berufskolleg in D und erwarb die Fachhochschulreife. Von August 2009 bis Oktober 2015 ging sie einem Bachelor-Studium der Betriebswirtschaftslehre nach. Mit Wirkung vom 15.10.2015 wurde sie im Alter von 26 Jahren und nach insgesamt nach 13 Semestern Studiendauer exmatrikuliert, nachdem sie die Modulprüfung "externes Rechnungswesen" zum dritten Mal nicht bestanden hatte.

Für die Zeit ab dem 14.4.2016 beantragte sie die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten. Sie wohne mietfrei bei ihrer Schwester, werde aber im Übrigen von dieser nicht weiter finanziell unterstützt. Mit - nicht streitgegenständlichem - Bescheid vom 25.5.2016 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs von April 2016 bis März 2017.

Die Klägerin begann am 24.8.2016 eine schulische Ausbildung zur Erzieherin am H-Berufskolleg der Stadt D, Fachschule für Sozialwesen. Es handelte sich um eine zweijährige Ausbildung mit 16 Wochen Blockpraktikum und anschließendem einjährigen Berufspraktikum.

Mit Bescheid vom 19.9.2016 lehnte das Amt für Ausbildungsförderung der Stadt D die Bewilligung von BAföG ab, da die Klägerin die Erstausbildung nicht aus unabweisbarem Grund abgebrochen habe; eine Ausnahme, nach welcher eine Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung geleistet werden könne, liege nicht vor. Dieser Bescheid wurde von der Klägerin nicht angegriffen und ist bestandskräftig.

Am 27.9.2016 zeigte die Klägerin die Aufnahme der Ausbildung bei dem Beklagten an. Dieser zahlte die bereits bewilligten Leistungen bis März 2017 weiter.

Mit Bescheid vom 28.3.2017 lehnte die Bundesagentur für Arbeit die Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe ab, da es sich bei der Ausbildung zur Erzieherin um eine schulische Ausbildung handele. Dieser Bescheid ist bestandskräftig.

Auf den - hier streitgegenständlichen - Weiterbewilligungsantrag vom 9.3.2017 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14.3.2017 die Gewährung von weiteren Leistungen an die Klägerin ab. Diese sei nach § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, da sie eine nach dem BAföG dem Grunde nach förderfähige Ausbildung absolviere. Anhaltspunkte für eine besondere Härte lägen nicht vor.

Dagegen legte die Klägerin am 30.3.2017 Widerspruch ein. Es sei für sie unerlässlich, eine Ausbildung abzuschließen, da sie sonst dauerhaft auf Transferleistungen angewiesen sei und lediglich auf Helferstellen vermittelt werden könne. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6.4.2017 als unbegründet zurück.

Am 24.4.2017 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Dortmund Klage erhoben.

Zugleich stellte sie durch ihre Bevollmächtigten bei dem Sozialgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, welcher mit Beschluss vom 22.5.2017 abgewiesen wurde. Dagegen richtete sich die Beschwerde an das Landessozialgericht NRW, welche unter dem Aktenzeichen L 7 AS 1248/17 B ER geführt wurde. Mit Beschluss vom 28.8.2017 hat das LSG NRW den Beklagten vorläufig zur Leistungsgewährung verpflichtet. Im Rahmen der lediglich vorläufigen Entscheidung übertrug der Senat im Rahmen der Interessenabwägung die in § 27 Abs. 3 Satz 2 SGB II enthaltene Wertung auf die Situation der Klägerin; es liege auch bei dieser eine besondere Härte vor.

Die Klägerin begründete ihre Klage vor dem Sozialgericht damit, ihr stünden die Leistungen zu, da sie keine Ausbildungsförderung erhalte. Gegen die BAföG-Ablehnung sei sie nicht vorgegangen, zudem liege eine Zwangsexmatrikulation vor, da sie die Bachelor-Prüfung nicht bestanden habe. Sie vertrat die Auffassung, ihr stünden Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss zu.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 14.3.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.4.2017 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II von April 2017 bis August 2018 als Zuschuss zu gewähren.

Der Beklagte hat benatragt,

die Klage abzuweisen.

Seit dem 1.9.2018 ist die Klägerin als Erzieherin beschäftigt.

Mit Urteil vom 20.11.2018 hat das Sozialgericht Dortmund die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Zuschuss. Sie sei gemäß § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Die Berufsausbildung der Antragstellerin zur Erzieherin sei eine förderungsfähige Ausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG. Damit sei diese auch im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II dem Grunde nach förderungsfähig. Es komme allein auf die Förderungsfähigkeit der Ausbildung ihrer Art nach an. Die Klägerin erhalte kein BAföG, da sie zuvor 13 Semester Wirtschaft studiert habe und die Ausbildung zur Erzieherin somit ihre Zweitausbildung sei. Sie erfülle auch nicht die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 6 Nr. 1-3 SGB II.

Gegen das den Bevollmächtigten am 29.11.2018 zugestellte Urteil haben diese am 27.12.2018 bei dem LSG NRW fristwahrend Berufung eingelegt. Zur Begründung tragen sie vor, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II bedeute eine besondere Härte. Der 7. Senat des LSG NRW habe in seiner Entscheidung in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren dies ebenfalls so gesehen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.11.2018 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14.3.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.4.2017 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II in Höhe der Regelleistung von April 2017 bis August 2018 als Zuschuss zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Bewilligung als Zuschuss würden nicht vorliegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 172 SGG statthafte, insbesondere fristgerechte Berufung ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 14.3.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.4.2017 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II als Zuschuss.

a) Die Klägerin ist nach § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, über die Leistung nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Ausbildung der Klägerin als Erzieherin ist dem Grunde nach förderungsfähig nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG; es handelt sich um eine Berufsfachschulausbildung, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt und die in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang einen berufsqualifizierenden Abschluss vermittelt.

Einer der in § 7 Abs. 6 SGB II genannten Ausnahmetatbestände liegt nicht vor.

aa) Zwar ist nach § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II der Ausschluss des Absatzes 5 Satz 1 nicht anzuwenden auf Auszubildende, die aufgrund von § 2 Abs. 1a BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben. Das trifft allerdings auf die Klägerin nicht zu. Die Verweisungen des Gesetzgebers sind dabei allerdings etwas unübersichtlich geraten. Bei § 2 Abs. 1a BaföG handelt es sich um zusätzliche, spezifische Anspruchsvoraussetzungen zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG. Sind diese zusätzlichen Voraussetzungen nicht gegeben (und scheidet daher ein BAföG-Anspruch aus), sollen Leistungen nach dem SGB II in Betracht kommen. Diese zusätzlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a BAföG beziehen sich alleine auf weiterfu&776;hrende allgemeinbildende Schulen und Berufsfachschulen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG). Die Klägerin besuchte hier allerdings eine Fachschule, keine Berufsfachschule. Die Ausbildung in der Fachschule ist dem Grunde nach gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG förderungsfähig, wenn in einem zumindest zweija&776;hrigen Bildungsgang ein berufsqualifizierender Abschluss vermittelt wird - wie bei der Klägerin. § 2 Abs. 1a BAföG und damit § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II ist daher im Falle der Ausbildung an einer Fachschule von vornherein nicht anwendbar (so auch LSG Berlin-Brandenburg, 29.7.2009 - L 14 AS 563/09 B ER -, Rn. 6; Hessisches LSG, 6.4.2009 - L 9 AS 61/09 -, Rn. 25 ff.).

bb) Auch die Voraussetzungen von § 7 Abs. 6 Nr. 2 oder 3 SGB II liegen nicht vor. Die Klägerin besuchte keine Abendhauptschule, Abendrealschule oder ein Abendgymnasium (Nr. 3); sie wartete nicht auf die Bescheidung ihres Bafög-Antrags (Nr. 2 Buchst. b); sie bezog keine BAföG-Leistungen und dies nicht nur wegen Einkommen oder Vermögen (Nr. 2 Buchst. a).

b) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf den von ihr begehrten Zuschuss nach § 27 Abs. 3 SGB II.

aa) Nach § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II können Leistungen für Regelbedarf, den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7, Bedarfe für Unterkunft und Heizung, Bedarfe für Bildung und Teilhabe und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Darlehen erbracht werden, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 eine besondere Härte bedeutet. Die Klägerin hat allerdings mehrfach betont, Leistungen als Darlehen nicht zu begehren und auch nicht beantragt zu haben.

bb) Die Voraussetzungen von § 27 Abs. 3 Satz 2 SGB II liegen nicht vor. Leistungen sind danach als Zuschuss zu erbringen, wenn aufgrund von § 10 Abs. 3 BAföG den Antragstellern keine Leistung zustehen, die Ausbildung im Einzelfall für die Eingliederung in das Erwerbsleben zwingend erforderlich ist und ohne die Erbringung von Leistungen der Abbruch der Ausbildung droht.

Es fehlt hier an der Tatbestandsvoraussetzung, dass der Klägerin aufgrund von § 10 Abs. 3 BAföG keine Leistungen zustehen. Nach § 10 Abs. 3 BAföG wird Ausbildungsförderung nicht geleistet, wenn der Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnitts, für den er Ausbildungsförderung beantragt, das 30. Lebensjahr vollendet hat. Das war bei der Klägerin nicht der Fall. Der Antrag der Klägerin auf BAföG-Leistungen ist abgelehnt worden, weil es sich um eine weitere Ausbildung der Klägerin handelte und nach bestandskräftiger Entscheidung des Amtes für Ausbildungsförderung die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 7 Abs. 2, 3 BAföG nicht vorlagen.

Schließlich scheidet auch eine entsprechende Anwendung der Regelung des § 27 Abs. 3 Satz 2 SGB II auf Leistungsauschlüsse nach § 7 Abs. 2, 3 BAföG aus. Eine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke liegt nicht vor. Sie kann nur dort angenommen werden, wo das Gesetz unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht; es muss sich dabei um eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende, also eine "planwidrige Unvollständigkeit" handeln (siehe dazu BSG, 23.2.2000 - B 5 RJ 26/99 R -, Rn. 16 mit zahlr. Nachw.). Dafür ist nichts erkennbar. Vergleichbar sind der § 27 Abs. 3 Satz 2 SGB II zugrundeliegende Sachverhalt und der vorliegende allein insoweit, als dass Leistungen nach dem BAföG ausgeschlossen sind. Im Übrigen unterscheiden die Sachverhalte sich aber grundlegend. Die vom Gesetzgeber getroffene Ausnahmeregelung in § 27 Abs. 3 Satz 2 SGB II ist davon geprägt, dass sie zum einen ältere Leistungsberechtigte betrifft, die zum anderen eine (allgemeinbildende) Abendschule besuchen, weshalb es für diese Schüler auch bei der grundsätzlichen Verpflichtung verbleiben kann, eine Arbeit zur Verminderung der Hilfebedürftigkeit aufzunehmen (dazu Leopold in: Schlegel/Voelzke -Hrsg.-, jurisPK-SGB II, Stand: 22.06.2020, § 7 Rn. 378). Es soll verhindert werden, eine Erhöhung der allgemeinschulischen Qualifikation gerade in der Abschlussphase wieder aufzugeben zu müssen (BT-Drucks. 16/7214, S. 18). Bei dem Begehren der Klägerin geht es hingegen um eine Ausbildung in ihren Anfängen, die nicht allgemeinbildend, sondern beruflich ist, unabhängig vom Lebensalter, tagsüber ohne Möglichkeit der vergleichbaren Erwerbstätigkeit. Es fehlt daher an einer Vergleichbarkeit des Sachverhaltes, damit korrespondierend auch an einer planwidrigen Lückenhaftigkeit des Gesetzes: Der Gesetzgeber wollte (allein) für die genannte besondere Situation eine Sonderregelung schaffen. Alle übrigen Härten fallen unter die Generalklausel in Satz 1. An einer von der Klägerin gewünschten (im Ergebnis gesetzesübersteigenden) Rechtsfortbildung sieht sich der Senat wegen seiner Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 GG) daher gehindert.

cc) Die Interessenabwägung, welche das Gericht in dem für die Klägerin erfolgreichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgenommen hat, ist auf dieses Hauptsacheverfahren nicht übertragbar. Dort hat der zuständige Senat die Wertung des § 27 Abs. 3 Satz 2 SGB II auf § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II übertragen, wobei nach Satz 1 lediglich ein Darlehen hätte gewährt werden können. Die Klägerin begehrt hier ausdrücklich einen Zuschuss; ein Darlehensanspruch nach § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II war daher - wie bereits ausgeführt - nicht zu prüfen.

c) Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.

2) Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

3) Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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