L 10 U 204/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 319/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 U 204/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 210/19 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 01.03.2018 wird zurückgewiesen. Der Beklagten werden Kosten iHv 1000 EUR auferlegt. Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger wegen Verschlimmerung der Folgen einer anerkannten Berufskrankheit nach Nr 2102 (BK 2102) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) Rente nach einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu gewähren ist.

Mit Bescheid vom 18.01.2011 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab dem 11.08.2008 Rente nach einer MdE von 30 vH und erkannte Bewegungseinschränkungen des linken und rechten Kniegelenks, eine Minderbelastbarkeit beider Beine sowie röntgenologisch nachweisbare mittelgradige Kniegelenksarthrose beidseits nach operativer Teilentfernung des linken und rechten Innenmeniskus und Umstellungsosteotomie im Schienbeinkopfbereich beidseits als Folgen der BK 2102 an. Ihre Entscheidung stützte sie auf ein Gutachten und eine ergänzende Stellungnahme des Chirurgen / Unfallchirurgen Dr. T vom 02.07.2010 und 23.08.2010, der die Auffassung vertreten hatte, dass aufgrund der seinerzeit insbesondere von Dr. S erhobenen Befunde ab dem 11.08.2008 fortlaufend eine MdE von 30 vH anzunehmen sei. In einem Folgegutachten vom 04.07.2012 konnte Dr. T wesentliche Veränderungen nicht feststellen und bewertete die MdE weiterhin mit 30 vH.

Aufgrund fortschreitender Sekundärarthrose erfolgte am 24.03.2015 die Implantation einer zementierten, ungekoppelten, bikondylären Oberflächenersatzprothese und Resektionsarthroplastik links. Die Beklagte zog im Folgenden Arztberichte bei und holte ein fachchirurgisches Gutachten von Dr. D vom 21.11.2015 ein, der die MdE mit 40 vH bewertete. In einer hierzu eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 02.03.2016 vertrat Dr. C die Auffassung, die Gesamt-MdE betrage weiterhin 30 vH.

Mit Bescheid vom 15.03.2016 lehnte die Beklagte die Erhöhung der Verletztenente ab. Die dem Bescheid vom 18.01.2011 zugrunde liegenden Verhältnisse hätten sich nicht wesentlich geändert. Die dokumentierten Funktionseinschränkungen seien mit einer MdE von 30 vH sachgerecht bewertet. Hiergegen erhob der Kläger am 23.03.2016 Widerspruch. Es liege eine progrediente Verschlimmerung der Situation im Bereich des linken Knies vor, die trotz erfolgter Implantation einer neuen Oberflächenersatzprothese nicht vollständig behoben worden sei. Er habe weiterhin Schmerzen im linken und rechten Knie. Es sei nicht ersichtlich, warum der Beurteilung des Sachverständigen Dr. D nicht gefolgt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 21.09.2016 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Münster (SG) erhoben und zur Begründung sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat er vorgetragen, es liege eine Verschmächtigung des linken Beines gegenüber rechts im Bereich der Ober- und Unterschenkelmuskulatur um zwei Zentimeter vor. Er habe weiter erhebliche Schmerzen in beiden Kniegelenken und ein wackeliges Gefühl im linken Kniegelenk. Das Ein- und Aussteigen aus einem Pkw, langes Stehen oder "in-die-Hocke-Gehen" würden ihm Probleme bereiten. Hinzu komme eine schmerzhafte linke Hüfte.

Das SG hat ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. T1 vom 30.03.2017 eingeholt, der die Auffassung vertreten hat, gegenüber dem maßgeblichen Vorgutachten von Dr. T sei am linken Kniegelenk eine Veränderung durch den Einsatz des Kunstgelenks am 24.03.2015 festzustellen. Dieses sei prinzipiell mit einer Minderbelastbarkeit aufgrund der bestehenden Lockerungstendenz des Implantats verbunden. Es bestehe nunmehr eine etwas deutlichere Beugebehinderung links von 100 Grad, während am rechten Kniegelenk eine Verschlechterung von 125 auf 110 Grad bei einem nachweisbaren Streckdefizit von 10 Grad feststellbar sei. Zudem bestehe eine Verdickung der Gelenkkontur mit Schwellung der Gelenkschleimhaut als Zeichen einer fortgeschrittenen Gelenkarthrose. Bei einem Vergleich der Befunde sei aufgrund der og Veränderungen eine relevante Verschlechterung festzustellen, die eine Veränderung der MdE um 10 vH begründe. Diese Feststellung sei nachdrücklich als Relativbewertung zwischen dem Status am 29.06.2010 bei der Untersuchung durch Dr. T und seiner Untersuchung am 28.03.2017 zu sehen. Bei einer fiktiven Neubewertung der BK-Folgen sei eine MdE von lediglich 30 vH festzustellen. Eine Bewertung im Verhältnis zum Gutachten von Dr. T und damit dem maßgeblichen Gutachten vor Bescheiderteilung am 18.01.2011 führe aber zu einer wesentlichen Verschlechterung, da die zwischenzeitlich aufgetretenen Gangbildveränderungen, die Zunahme der Bewegungseinschränkung und der Minderbelastbarkeit durch die zwischenzeitlich eingesetzte Knie-TEP links eine MdE Erhöhung von 40 vH erfordere.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das Gutachten von Dr. T1 mit einer MdE von 30 vH entspreche den tatsächlichen Verhältnissen. § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ermögliche dem Leistungsträger die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, um den Regelungsgehalt (Höhe der MdE) an die tatsächlichen Verhältnisse anzupassen. Da die Höhe der MdE den aktuellen Verhältnissen entspreche, sei bei Anwendung dieser Regelung der Dauerverwaltungsakt wegen wesentlicher Änderungen der Verhältnisse aufzuheben und die MdE in Höhe der aktuell tatsächlich vorliegenden MdE von 30 vH festzustellen. § 48 SGB X biete dagegen keine Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Differenz zur bisher festgestellten Leistung. Im Ergebnis seien die Feststellungen der Beklagten durch Dr. T1 bestätigt worden.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 01.03.2018 verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen der BK nach Nr 2102 der Anlage zur BKV Verletztenrente nach einer MdE von 40 vH seit dem 24.03.2015 zu gewähren, denn es sei eine nach § 48 SGB X wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers, die dem Bescheid vom 18.01.2011 zugrunde gelegen hätten, eingetreten. Dies ergebe sich aus dem im Feststellungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. D sowie dem im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. T1. Danach sei im Vergleich zum Gutachten von Dr. T eine wesentliche Verschlimmerung in den Folgen der Berufskrankheit eingetreten, sodass die MdE seit der Knieendoprothese links mit 40 vH zu bewerten sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten könne eine fiktive Neubewertung nicht stattfinden, da die von Dr. T im Jahr 2010 vorgenommene MdE-Einschätzung von 30 rechtmäßig gewesen sei. Gegenteiliges habe auch die Beklagte nicht vorgetragen.

Gegen das am 14.03.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 05.04.2018 Berufung eingelegt. Die mit Bescheid vom 18.01.2011 gewährte Rente sei nicht zu erhöhen, da die beim Kläger vorliegende MdE selbst bei einer inzwischen eingetretenen Verschlimmerung 30 vH nicht überschreite. Dies ergebe sich aus dem Gutachten von Dr. T1. Das Urteil des SG beruhe auf einer fehlerhaften Anwendung des § 48 SGB X, weil es sich darauf beschränke, zu der bereits festgestellten Rente den Verschlimmerungsanteil zu addieren. § 48 SGB X enthalte keine Regelung über eine bloße Addition bzw Subtraktion des Änderungsbetrages. Bei Anwendung des § 48 SGB X auf von Anfang an rechtswidrige Verwaltungsakte müsse dafür Sorge getragen werden, dass die Vertrauensschutzregelung des § 45 SGB X nicht unterlaufen werden. Dies geschehe dadurch, dass in Fällen anfänglicher Rechtswidrigkeit die Aufhebung wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse auf das Ausmaß der Änderung beschränkt werde. Ein Unterlaufen der Vertrauensschutzregelung des § 45 SGB X drohe nur, wenn aufgrund eines Absinkens der MdE der durch § 45 SGB X geschützte Zahlbetrag angetastet werde. Für den Fall der Erhöhung der MdE bestehe dagegen, sofern die ursprünglich festgesetzte MdE nicht unterschritten werde, kein schutzwürdiges Interesse daran, dass ein Unrecht weiter wachsen solle. Der ursprüngliche Bescheid sei daher wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse aufzuheben und eine Rentenentscheidung in Höhe der neuen MdE zu treffen, die mindestens den bestandsgeschützen Betrag erreiche. Darüber hinaus sei die MdE durch Dr. T nach eingehender Untersuchung und Befragung, insbesondere auch zu den Belastungsschmerzen, zutreffend mit 30 vH eingeschätzt worden. Zwischenzeitlich sei durch Implantation der Oberflächenersatzprothese links eine Reduktion der belastungs-schmerzbedingten Einschränkungen erreicht worden. Dem stehe eine Verschlimmerung durch Fortschreiten der Arthrose im rechten Knie gegenüber, sodass die MdE in der Gesamtschau weiter bei 30 vH liege. Demgegenüber basiere die Kritik der Sachverständigen Dr. T1 und Dr. T2 an der MdE-Bewertung durch Dr. T ausschließlich auf den klinisch-funktionellen Faktoren und lasse die Besserung der Belastungsschmerzen außer Acht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 01.03.2018 zu ändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine fehlerhafte Anwendung des § 48 SGB X durch das Vordergericht liege nicht vor. Maßgeblich sei, ob in den tatsächlichen Verhältnissen gegenüber dem Zeitpunkt, zu dem der Vorbescheid erteilt wurde, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Vorbescheid sei der letzte bestandskräftige Bescheid, mit dem eine MdE festgestellt worden sei. Die Änderung müsse zeitlich nach Erteilung des Vorbescheides erfolgt sein. Soweit der Bescheid bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses unrichtig gewesen sei, könne er nicht über § 48 SGB X geändert werden. Vielmehr würden hier die §§ 45 SGB X und 44 SGB X greifen. Vorliegend liege eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nach Erlass des Ausgangsbescheides in Form einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes vor.

Der Senat hat ein Gutachten von Dr. T2 vom 04.04.2019 eingeholt, der festgestellt hat, dass abweichend zu den bereits mit Bescheid vom 18.01.2011 anerkannten Folgen der BK 2102 am linken Kniegelenk nunmehr eine bikondyläre Oberflächenprothese einliege. Das Ausheilungsergebnis der prothetischen Ersatzoperation am linken Knie könne in der Gesamtschau überzeugen. Auf der rechten Gegenseite sei die Bewegungsfunktion mit 0-10-100° sowohl der Streck- wie auch Beugeseite ungünstiger als 2011. Auf dem Boden des Streckverlustes habe sich eine gewisse Störung im Gangbild eingestellt. Unter Berücksichtigung der im Verlauf seit 2011 im Befund der anerkannten BK-Folgen eingetretenen wesentlichen Änderung im Sinne von Verschlimmerungen sei die MdE ab 24.03.2015 mit 40 vH zu bewerten. Mit dem Gutachten von Dr. T1 bestehe auch Übereinstimmung dahingehend, dass bei freier Einschätzung/Neubewertung der dauerhaft verbliebenen BK-bedingten Gesundheitsschäden eine höhere MdE als 30 vH sachlich nicht zu begründen sei. Denn nach Auswertung der in der Verwaltungsakte befindlichen Gutachten und beschriebenen Befunde, insbesondere derjenigen von Dr. S vom 10.10.2008 und Dr. T vom 02.07./23.08.2010 sei die MdE zutreffender Weise von August 2008 bis März 2015 mit 20 vH und ab März 2015 mit 30 vH zu bewerten gewesen. Aufgrund der Implantation einer Knieendoprothese sei ab März 2015 eine Höherbewertung der BK-bedingten Erwerbsminderung begründbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

Der angefochtene Bescheid vom 15.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 25.08.2016 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE von 40 vH, denn es ist eine wesentliche Änderung nach § 48 SGB X in den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 18.01.2011 zugrunde gelegen haben, eingetreten.

Gemäß § 48 Abs 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Von einer solchen Änderung ist im Zusammenhang mit einer Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung der MdE um wenigstens 10 vH folgt. § 73 Abs 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) konkretisiert insofern den unbestimmten Rechtsbegriff der wesentlicher Änderung. Die MdE-Änderung muss mehr als 5 vH betragen, weil Abweichungen von 5 vH innerhalb der natürlichen Fehlergrenzen liegen (vgl Bereiter-Hahn/Mehrtens: Gesetzliche Unfallversicherung, § 48 SGB X, Nr 5.1 mwN). Gemäß § 48 Abs 1 S 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt.

Maßgebend ist der Bescheid vom 18.01.2011 über die Feststellung einer MdE von 30 vH wegen der Folgen der BK 2102. Es handelt sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist nach den zutreffenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. T1 und Dr. T2 eine wesentliche Änderung im og Sinne dahingehend eingetreten, dass die MdE um 10 vH höher, nämlich mit 40 vH zu bewerten ist. Bei der Bewertung der MdE hat der Senat, ebenso wie die Sachverständigen, die in den Standardwerken (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 669, 685ff; Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, Unfallbegutachtung, 14. Auflage, S. 202) für die Bewertung der MdE auf chirurgischem Fachgebiet für Funktionsausfälle der Kniegelenke genannten Tabellenwerte zugrundegelegt. MdE-Tabellen bezeichnen typisierend das Ausmaß der durch eine körperliche, geistige oder seelische Funktionsbeeinträchtigung hervorgerufenen Leistungseinschränkungen in Bezug auf das gesamte Erwerbsleben und ordnen körperliche oder geistige Funktionseinschränkungen einem Tabellenwert zu. Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte geben damit auch allgemeine Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit aufgrund des Umfangs der den Verletzten versperrten Arbeitsmöglichkeiten wieder und gewährleisten, dass die Verletzten bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (vgl Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R - in juris Rn. 15; BSG, Urteil vom 07.05.2019 - B 2 U 25/17 R - in juris Rn. 33).

Dr. T1 hat zutreffend dargelegt, dass gegenüber dem für den Bescheid vom 18.01.2011 maßgeblichen Vorgutachten am linken Kniegelenk eine Veränderung durch den Einsatz des Kunstgelenks am 24.03.2015 vorliegt. Außerdem hat sich die Beugefähigkeit von 120 Grad im Jahr 2011 auf 100 Grad vermindert. Am rechten Kniegelenk lag eine Verschlechterung der Beugefähigkeit von 125 Grad auf 110 Grad bei nunmehr nachweisbaren Streckdefizit von 10 Grad vor. Gegenüber dem Vorgutachten von Dr. T bestand zudem eine Verdickung der Gelenkkontur mit Schwellung der Gelenkschleimhaut als Zeichen einer fortgeschrittenen Gelenkarthrose. Dr. T2 hat die von Dr. T1 erhobenen Befunde aufgrund seiner Untersuchung bestätigt. Die Sachverständigen haben nachvollziehbar ausgeführt, dass bei einem Vergleich der Befunde aufgrund der og Veränderungen eine relevante Verschlechterung festzustellen ist, die eine Erhöhung der MdE um 10 vH auf 40 vH begründet (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S. 685 f.; Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, aaO, S.202). Diese ist neben der Zunahme der Bewegungseinschränkungen auch mit der zusätzlichen Minderbelastbarkeit durch die Endoprothese links sowie den nunmehr feststellbaren Gangbildauffälligkeiten mit Schrittlängenverkürzung rechts und Beschwielungsrückbildung der rechten Ferse zu begründen.

Die gegen die überzeugenden Gutachten der Sachverständigen erhobenen Einwände der Beklagten vermögen das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu widerlegen. Soweit diese ausführt, einer Verschlimmerung rechts stehe eine Besserung links gegenüber, verkennt sie, dass sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Besserung bezüglich des linken Kniegelenks feststellen lässt. Die Sachverständigen Dr. T1 und Dr. T2 haben überzeugend darauf verwiesen, dass der Einsatz einer Oberflächenprothese, wie beim Kläger, regelhaft mit einer Minderbelastbarkeit aufgrund der bestehenden Lockerungstendenz des Implantats verbunden ist und auch der Einbau einer regelhaft funktionierenden Knieendoprothese nach den allgemeinen Bewertungsmaßstäben, wovon die Sachverständigen zutreffend ausgegangen sind, eine MdE von 20 vH rechtfertigt (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S. 686 f.; Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, aaO, S. 202). Überdies hat, wie dargelegt, die Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks zugenommen, so dass von einer Besserung des Zustandes in Bezug auf dieses nicht ausgegangen werden kann; die Sachverständigen haben eine solche Besserung überzeugend verneint. Es ist vielmehr, wie dargelegt, eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber dem Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 18.01.2011 eingetreten, die eine MdE um 40 vH rechtfertigt. Soweit die Beklagte ausführt, die MdE-Einschätzung von Dr. T1 und Dr. T2 basiere ausschließlich auf den klinisch-funktionellen Faktoren und lasse die Belastungsschmerzen außer Acht, greift das Argument bereits deshalb nicht, weil auch Dr. T die MdE nicht unter Hinweis auf belastungsschmerzbedingte Einschränkungen der Gehstrecke begründet hat. Vielmehr hat auch dieser sich auf die durch ihn erhobenen Befunde gestützt, ohne ausdrücklich auf Belastungsschmerzen abzustellen.

Damit liegt damit eine im Sinne des § 48 Abs 1 S 1 SGB X relevante Änderung der Verhältnisse vor. Rechtlich unerheblich ist, dass die Sachverständigen übereinstimmend, überzeugend dargelegt haben, dass die MdE bei "isolierter" Bewertung, die ohne Berücksichtigung der 2011 bestandskräftig festgesetzten MdE, ab dem 24.03.2015 lediglich mit 30 vH einzuschätzen wäre. Dr. T2 hat insoweit überzeugend dargelegt, dass zutreffender Weise die MdE ab August 2008 bis März 2015 mit 20 vH und ab 24.03.2015 wegen der eingetretenen Verschlimmerung mit 30 vH einzuschätzen gewesen wäre. Er hat hierzu ausgeführt, dass die durch Dr. S in dem Gutachten vom 10.10.2008 erhobenen Befunde eine MdE von 30 vH nicht rechtfertigten. Insofern war eine Beweglichkeit im rechten Kniegelenk von 0-0-130°, dh ein Normalbefund sowie im linken Knie von 0-0-115°, dh mit einer Differenz von 15° zur Untergrenze des natürlichen Beugevermögens gegeben. Die Muskulatur des rechten Beines wurde als unauffällig befundet, linksseitig war eine leichte Abmagerung nachvollziehbar, die jedoch auf keiner Höhe der jeweiligen Referenzpunkte einem Umfangminus von mehr als 1 cm entsprach. In der Gesamtschau konnte Dr. T2 eine Einschränkung, wie bei Gesundheitsstörungen, die eine MdE von 30 vH begründen (Limitierung der Bewegungsausmaße im Kniegelenk auf 0-30-90°/höhergradige Instabilität mit der Notwendigkeit zum ständigen Gebrauch einer kniestabilisierenden Orthese/Knieführungsschiene; vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S. 685 f.; Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, aaO, S. 202), nicht feststellen. Auch aufgrund der durch Dr. T am 29.06.2010 erhobenen, oben bereits dargelegten und im Wesentlichen vergleichbaren Befunde wie 2008 war nach den Ausführungen von Dr. T2 keine höhere MdE-Bewertung als 20 vH gerechtfertigt. Soweit Dr. T unter Verweis auf die noch nicht vollständige Ausheilung der Tibiakopfosteotomie eine gewichtige BK-Folge in Gestalt einer bedeutsamen Minderbelastung der betroffenen Gliedmaße postuliert hat, hat sich ausweislich des Gutachtens von Dr. S vom 10.10.2008 der Faktor der "Minderbelastbarkeit" klinisch-funktionell ausschließlich in Form der Befundabweichung einer Schonverschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur entsprechend einem Umfangminus von 1 cm widergespiegelt. Einen signifikanten Seitenunterschied im Gangverhalten hat Dr. T ebenso wenig beschrieben wie eine Demineralisierung. Zu den Verhältnissen gegenüber rechts hat das linke Kniegelenk noch nicht einmal eine intraartikuläre Ergussbildung aufgezeigt. Nach Darlegung von Dr. T2 ist im Hinblick auf die vorliegenden Befunde nicht nachvollziehbar, dass 2011 dem Merkmal einer "Minderbelastbarkeit" ein wesentlicher Stellenwert im Hinblick auf die Bildung der MdE beizumessen war.

Der Bescheid vom 18.01.2011 ist hinsichtlich der Feststellung der MdE um 30 vH in Bestandskraft erwachsen. Da eine Korrektur des ungerechtfertigten Vorteils den Vertrauensschutz des Betroffenen unterlaufen würde, ist das ihm durch den Verwaltungsakt Zugesprochene entsprechend der eingetretenen Änderung aufzustocken oder zu vermindern. Bei einer Verschlechterung/Verbesserung des Gesundheitszustandes muss die MdE im gleichen Maße überhöht bleiben wie bisher (vgl Bereiter-Hahn/Mehrtens, aaO Ziff 4.3 b). Entgegen der Auffassung des Beklagten ist rechtlich davon auszugehen, dass mit dem Bescheid vom 18.01.2011 eine MdE von 30 vH auf Dauer festgestellt worden ist. Hieran ist die Beklagte gebunden, und zwar innerhalb des durch § 39 SGB X und § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gesetzten Rahmens in ihrer Eigenschaft als Träger des Verwaltungsverfahrens und zuständige Stelle für den Erlass des Verwaltungsakts. Das bedeutet, dass die Regelung des Verwaltungsakts für die erlassende Behörde und die Beteiligten im Sinne des § 12 SGB X grundsätzlich verbindlich ist. § 39 Abs 2 SGB X bestimmt, dass ein - gemäß § 39 Abs 1 SGB X wirksam erlassener - Verwaltungsakt wirksam bleibt, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Nach § 77 SGG ist, wenn der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolgslos eingelegt wird, der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (materielle Bestandskraft). Gerade wegen der Schutzwirkung, die sich aus der Bindungswirkung für die von dem Verwaltungsakt betroffenen Personen ergibt, muss die den Verwaltungsakt erlassende Stelle ebenfalls daran gebunden sein (vgl BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 6/12 R - in juris Rn 32 mwN).

Zum Verwaltungsakt über die Feststellung des GdB im Schwerbehindertenrecht und zu dessen Bindungswirkung bei späterem Hinzutreten einer dauerhaften Gesundheitsstörung hat das BSG schon unter Geltung des Schwerbehindertengesetzes entschieden, dass eine ursprünglich unrichtige Entscheidung unter Beachtung ihrer Bestandskraft grundsätzlich nicht korrigiert werden darf, vielmehr hierbei die Vorschriften der §§ 48 und 45 SGB X maßgeblich sind.

Eine (mögliche) "Abschmelzung" gemäß § 48 Abs 3 SGB X durch die Beklagte ist unterblieben. Danach kann die Verwaltung anlässlich einer nachträglichen Änderung eines Teils der maßgeblich gewesenen Verhältnisse möglicherweise bestandskräftig gewordene Feststellungen über Schädigungsfolgen oder Behinderung und über ihre Auswirkungen mit der wirklichen Sachlage in Einklang bringen. Liegt ein Feststellungsbescheid vor, der rechtswidrigerweise die MdE zu hoch festgestellt hat, kann dieser entweder nach § 45 SGB X - teilweise - zurückgenommen werden, oder, wenn dies - wie vorliegend - nicht mehr möglich ist, gemäß § 48 Abs 3 SGB X "abgeschmolzen" werden. Wird diese Möglichkeit der Abschmelzung nicht wahrgenommen, kann die unterbliebene Abschmelzung nicht bei einer zukünftigen Änderung der Verhältnisse nachgeholt werden (vgl BSG, aaO, Rn 35). Die Korrektur der Folgen eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 Abs 3 SGB X setzt eine entsprechende ausdrückliche Verwaltungsentscheidung voraus (vgl BSG, aaO, BSG, Urteil vom 02.11.1988 - 2 RU 39/87 - in juris Rn 22 mwN; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.07.2009 - L 2 U 1556/07 - in juris Rn 26 mwN). Demgegenüber ist § 48 Abs 3 SGB X nicht eigenständig durch die Gerichte dergestalt anwendbar, dass diese eine Klage auf eine höhere Leistung oder auf Feststellung eines höheren GdB von sich aus unter Hinweis auf diese Vorschrift abweisen dürfen. Dementsprechend darf die Verwaltung § 48 Abs 3 SGB X nicht stillschweigend ("freihändig") anwenden, sondern muss eine förmliche Entscheidung in Gestalt eines Verwaltungsaktes treffen, der seinerseits angefochten werden kann (vgl BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 6/12 R - in juris Rn 37). Konstitutiv ist für eine Entscheidung nach § 48 Abs 3 SGB X die durch Verwaltungsakt vorzunehmende Feststellung, dass und in welchem Umfang die ursprüngliche Bewilligung oder Feststellung rechtswidrig ist. Die Entscheidung über eine Ablehnung der Erhöhung der Leistung oder der Erhöhung der MdE kann - aus gegebenem Anlass - später getroffen werden (BSG, aaO, Rn 38 mwN).

Vorliegend hat die Beklagte keinen Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs 3 SGB X gesetzt, so dass die Anwendung des § 48 Abs 3 SGB X bei der Berücksichtigung der im März 2015 eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes in der Weise, dass die Feststellung einer MdE von 40 vH nur dann in Betracht käme, wenn dies nach den tatsächlichen Umständen gerechtfertigt wäre, ausscheidet (vgl hierzu BSG, aaO, Rn 40). Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 13.02.2013 (Az: B 2 U 25/11 R, in juris). Vielmehr hat das BSG in dieser Entscheidung ausdrücklich darauf abgestellt, dass im Rahmen des § 48 Abs 1 S 1 SGB X maßgebend auf einen Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellungen mit denjenigen zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides abzustellen ist. Maßgeblich ist insofern für die Beurteilung der (rechtlichen) Wesentlichkeit der Änderung von dem Tenor des bindend gewordenen Verwaltungsaktes auszugehen (aa0 Rn 16). Darüber hinaus hat das BSG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Vertrauensschutz, wie er sich aus § 48 SGB X ergibt, nicht unterlaufen werden darf (aa0 Rn 18).

Ausgehend von der bestandskräftig mit Bescheid vom 18.01.2011 festgestellten MdE von 30 vH hat das SG angesichts der Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers im März 2015, welcher eine Erhöhung der MdE gegenüber den Umständen bei Erlass des Bescheides vom 18.01.2011 rechtfertigt, die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen der BK 2102 Rente nach einer MdE von 40 vH zu gewähren. Hierin liegt - entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten - nach og gerade keine fehlerhafte Anwendung des § 48 Abs 1 SGB X, sondern eine zutreffende Berücksichtigung der Bestandskraft des Bescheides vom 18.01.2011.

Der Senat hat im Rahmen seines Ermessens von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, der Beklagten sogenannte Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufzuerlegen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass er den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Vertreter der Beklagten ist in der mündlichen Verhandlung auf die Aussichtslosigkeit der Fortführung des Rechtsstreits und die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden. Er hat den Rechtsstreit dennoch fortgeführt. Mit diesem Verhalten hat er objektiv missbräuchlich gehandelt. Eine Rechtsverfolgung ist missbräuchlich, wenn sie offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und von jedem Einsichtigen als völlig aussichtlos angesehen werden muss (vgl BVerfG, Beschluss vom 19.12.2002 - 2 BvR 1255/02 - in juris Rn 3; BVerfG, Beschluss vom 03.07.1995 - 2 BvR 1379/85 - in juris Rn 10). Der Senat hält die Fortführung des Rechtsstreits durch den Bevollmächtigten der Beklagten nach diesen Maßstäben angesichts der eindeutigen Rechtslage für missbräuchlich. Die Berufung der Beklagten war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, der gesetzlichen Regelung und unter Zugrundelegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung völlig aussichtslos. Dies ist mit dem Bevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung des Senats eingehend erörtert worden. Dass dieser nicht in der Lage gewesen wäre, die Rechtslage zu verstehen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat er ohne weitergehende sachliche Argumente an seiner den gesetzlichen Regelungen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden Rechtsauffassung vorgehalten. Insoweit erscheint es nicht nachvollziehbar, auf einer gerichtlichen Entscheidung zu bestehen und hierfür staatliche Ressourcen in einem grundsätzlich kostenfreien Verfahren in Anspruch zu nehmen. Das Verhalten ihres Bevollmächtigten im Rahmen der mündlichen Verhandlung muss sich die Beklagte zurechnen lassen. Angesichts der Höhe hält der Senat mit Blick auf die zu schätzenden Kosten für die Vorbereitung, den Erlass, die Absetzung und die Zustellung des Urteils einen Betrag in Höhe von 1.000 EUR für angemessen.

Die Kostenentscheidung im Übrigen beruht auf § 193 SGG.

Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht, da die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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