L 9 AL 131/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 13 AL 502/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 131/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 41/20 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.04.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Erlass einer Forderung in Höhe von 6.275,90 Euro.

Die am 00.00.1970 geborene Klägerin ist von Beruf Dekorateurin. 2005 verlor sie durch betriebsbedingte Kündigung ihr letztes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Sie steht aktuell im Bezug von SGB II-Leistungen. Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Die aktenkundigen versorgungsärztlichen Feststellungen führen folgende Diagnosen auf: Panikstörung bei komplexer PTBS, mittelgradig depressive Episode, HWS-Syndrom, opthalmische Migräne, Asthma bronchiale, Tinnitus aurium.

Die Klägerin bezog von der Beklagten in der Zeit vom 01.05.2006 bis zum 30.09.2006 Überbrückungsgeld in Höhe von monatlich 1.561,10 Euro. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie nicht ausschließlich im Bereich der geförderten selbständigen Tätigkeit als Einrichtungsberaterin, sondern zumindest auch selbständig in dem Bereich Body Painting tätig war, nahm die Beklagte durch Bescheid vom 01.09.2007 die Bewilligung von Überbrückungsgeld zurück und machte einen Erstattungsanspruch in Höhe von 9.366,60 Euro geltend. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2007 zurückwies. Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund gab die Beklagte im Termin am 27.01.2011 ein Teilanerkenntnis ab, mit dem sie den Aufhebungszeitraum auf die Zeit vom 01.06.2006 bis zum 30.09.2006 beschränkte und die Erstattungsforderung auf 6.244,40 Euro reduzierte. Die darüber hinausgehende Klage wurde abgewiesen. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund wies der Senat durch rechtskräftiges Urteil vom 23.01.2012 - L 9 AL 112/11 - zurück.

In der Folgezeit stundete die Beklagte die Erstattungsforderung mehrfach raten- und zinsfrei. Am 06.01.2017 beantragte die Klägerin den Erlass der Forderung, die sich einschließlich von Mahngebühren auf insgesamt 6.275,90 Euro belief. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.02.2017 ab.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 08.03.2017 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2017 zurück. Gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 3 Bundeshaushaltsordnung (BHO) in Verbindung mit § 76 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) dürften Ansprüche nur erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Der Erlass begünstige Einzelne und belaste die Allgemeinheit, dies erfordere strenge Maßstäbe und führe zu einem engen Ermessensspielraum bei der Frage, ob die Forderung zu erlassen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass gesetzliche Zahlungspflichten zunächst selbst dann nicht unbillig seien, wenn sie den Zahlungspflichtigen erheblich wirtschaftlich belasteten. Die Einziehung der Forderung könne sowohl aus persönlichen als auch aus sachlichen Gründen unbillig sein. Unbilligkeit aus persönlichen Gründen liege beispielsweise vor, wenn sich der Schuldner in einer Notlage befinde und zu besorgen sei, dass die Weiterverfolgung des Anspruches zu einer Existenzgefährdung führe, also ohne den Erlass der notwendige Lebensunterhalt nicht mehr bestritten werden könne. Es müsse sich allerdings um eine Beeinträchtigung von dauerhafter Natur handeln, da ansonsten auch eine Stundung möglich sei. Sachliche Unbilligkeit läge hingegen vor, wenn die Einziehung der Forderung dem Zweck der anspruchsbegründenden Regelung widerspreche oder mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen unvereinbar sei. Bei der Klägerin liege weder aus persönlichen noch aus sachlichen Gründen Unbilligkeit vor. Insbesondere werde sie nicht in ihrer Existenz gefährdet. Ihren derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnissen könne durch andere Maßnahmen, wie einem vorübergehenden Verzicht auf Maßnahmen zur Beitreibung der Forderung durch Gewährung einer Ratenzahlung angemessen Rechnung getragen werden. Ein Billigkeitserlass scheide daher aus. Es sei zumutbar, dass eine geringe Ratenzahlung oder Aufrechnung durchgeführt werde.

Am 22.09.2017 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Die Einziehung der Forderung sei sowohl aus sachlichen als auch aus persönlichen Gründen unbillig. Die Einziehung sei sachlich unbillig, da die Überzahlung durch ein Mitverschulden der Beklagten verursacht worden sei. Die persönliche Unbilligkeit ergebe sich zum einen aus der Existenzgefährdung, da sie derzeit und auf unabsehbare Zeit Leistungen nach dem SGB II beziehe. Bei Aufrechterhaltung der Forderung drohe ihr die Privatinsolvenz. Eine Ratenzahlung würde dazu führen, dass sie auf Dauer unter dem Existenzminimum leben müsse. Bei monatlichen Raten in Höhe von 10 % des ihr zustehenden Regelbedarfs nach dem SGB II seien angesichts der Höhe der Forderung ca. 13 Jahre bis zur Tilgung erforderlich. Dieser lange Tilgungszeitraum und damit das Leben unterhalb des Existenzminimums verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip. Außerdem leide sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und könne deshalb derzeit einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen. Das Verhalten der Beklagten führe zu einer Retraumatisierung, da sie es als willkürlich empfinde.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13.02.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden,

hilfsweise,

den Bescheid der Beklagten vom 13.02.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Rückforderung von 6.275,90 Euro in voller Höhe zu erlassen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen,

und im Wesentlichen auf die Begründung ihres Widerspruchsbescheides verwiesen.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vom 26.04.2018 abgewiesen:

Die Beklagte habe mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht den beantragten Erlass der Forderung abgelehnt und dabei das ihr zustehende Ermessen rechtmäßig ausgeübt.

Es liege weder aus persönlichen noch aus sachlichen Gründen eine Unbilligkeit vor. Die Ausführungen der Klägerin, eine sachliche Unbilligkeit ergäbe sich aus einem Mitverschulden der Beklagten wegen fehlender ausdrücklicher Hinweise und aufgrund eines Gespräches mit ihrem damaligen Sachbearbeiter, könnten schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie dies schon im Berufungsverfahren vor dem LSG NRW zum Az. L 9 AL 112/14 vorgebracht habe. Der Senat habe dieses Vorbringen berücksichtigt und dennoch die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Dortmund zurückgewiesen. Auf die dortigen Ausführungen zu den dennoch vorliegenden erheblichen Sorgfaltspflichtverletzungen der Klägerin werde verwiesen. Da das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin bereits bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Erstattungsanspruches berücksichtigt worden sei, vermöge das Gericht nicht zu erkennen, warum sich daraus eine grobe Unbilligkeit der Forderung aus sachlichen Gründen ergeben könnte.

Es liege auch keine Unbilligkeit aus persönlichen Gründen vor. Allein der Umstand, dass die Klägerin derzeit Leistungen nach dem SGB II beziehe und daher möglicherweise über viele Jahre in geringen monatlichen Raten die Erstattungsforderung tilgen müsse, führe nicht zu einer Unbilligkeit aus persönlichen Gründen. Eine Vielzahl von Schuldnern der Beklagten beziehe nur ein sehr geringes Einkommen oder Leistungen nach dem SGB II. Wenn in allen diesen Fällen die Forderung erlassen werden müsste, würde der Erlass keine Ausnahme vom Grundsatz der rechtzeitigen und vollständigen Einnahmeerhebung darstellen. Auch die Höhe der Forderung und die Dauer der demnach notwendigen Ratenzahlung könnten nicht zu einer unbilligen Härte führen. Wenn die Höhe der Forderung und damit die Dauer der notwendigen Ratenzahlung ein entscheidendes Kriterium wäre, würde dies dazu führen, dass gerade besonders hohe Erstattungsforderungen erlassen werden müssten. D.h., dass derjenige, der besonders hohe Leistungen zu Unrecht bezogen habe, anders als derjenige, der eine relativ geringe Überzahlung verursacht habe, diese nicht erstatten müsse. Gerade dies wäre unbillig. Zudem sei angesichts des Alters der Klägerin auch nicht ausgeschlossen, dass es ihr bis zum Eintritt in das Rentenalter noch gelinge, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, und aus dem Erwerbseinkommen Raten an die Beklagte zu zahlen. Darüber hinaus bestehe auch die Möglichkeit einer ratenfreien Stundung. Die Beklagte habe der Klägerin aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse auch bereits in der Vergangenheit die Forderung ratenfrei gestundet. Es sei daher nicht erkennbar, inwieweit durch die Ablehnung des Erlasses eine Existenzgefährdung eintreten solle.

Auch aus den vorgetragenen, gesundheitlichen Gründen ergebe sich keine persönliche Unbilligkeit. Zwar leide die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Diese beruhe jedoch nicht auf dem Verhalten der Beklagten, sondern auf Erfahrungen aus der Kindheit. Dass die Klägerin subjektiv das Verfahren der Beklagten als willkürlich empfinde und dies nach ihrer Auffassung zu einer Retraumatisierung führe, könne nicht berücksichtigt werden, da das Verhalten der Beklagten objektiv nicht willkürlich, sondern rechtmäßig sei.

Gegen den ihr am 14.05.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12.06.2018 Berufung beim Sozialgericht eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Sie beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Düsseldorf vom 26.04.2018 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 zu verpflichten, die Rückforderung (inkl. Mahngebühren) von 6.275,90 Euro in voller Höhe zu erlassen,

hilfsweise,

ihren Erlassantrag vom 06.01.2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

Der Senat hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 24.09.2018 abgelehnt.

Die Klägerin hat gleichwohl ihr Berufungsverfahren fortgeführt und insbesondere geltend gemacht, dass der Senat ihre gesundheitliche Situation und die daraus folgende persönliche Unbilligkeit bisher nicht berücksichtigt habe. Sie hat in diesem Zusammenhang Auszüge des Entlassungsberichts der Rehaklinik H vom 14.01.2019 zur Akte gereicht, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Die Streitsache ist am 30.07.2020 mündlich verhandelt worden. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben bei der Entscheidungsfindung des Senats Berücksichtigung gefunden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist insbesondere gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 151 Abs. 1, 64 Abs. 2 SGG).

II. Die Berufung ist unbegründet. Denn das Sozialgericht hat zutreffend erkannt, dass die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. und 2. Alt., 56 SGG) zulässig, aber unbegründet ist.

Zur Begründung nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung unter Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug. Lediglich ergänzend weist er auf Folgendes hin:

Die Klageanträge sind im wohlverstandenen Interesse der Klägerin und trotz anwaltlicher Vertretung dahingehend auszulegen, dass sie mit dem Hauptantrag die Verpflichtung zum Erlass der Rückforderung und für den Fall von dessen Ablehnung mit ihrem (echten) Hilfsantrag die Verpflichtung zur Neubescheidung begehrt.

Im Übrigen wiederholt der Senat die nach wie vor zutreffenden Ausführungen aus seinem Beschluss vom 24.09.2018 über die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe:

"Der Berufungsvortrag der Klägerin, der sich in einer Wiederholung der erstinstanzlichen Argumentation erschöpft, rechtfertigt keine ihr günstige Entscheidung.

Der Bescheid vom 13.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 ist rechtmäßig. Ein Anspruch auf einen Erlass nach § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) hat die Klägerin ebenso wenig wie einen Anspruch auf Neubescheidung.

1. Einem Anspruch auf einen Erlass steht bereits entgegen, dass § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches Viertes Buch (SGB IV) den Erlass der Forderung in das Ermessen des Versicherungsträgers stellt (so insbesondere BVerfG, Beschluss vom 15.04.2005 - 1 BvL 6/03 u.a. - juris Rn. 10; s.a. BSG, Urteil vom 04.03.1999 - B 11/10 AL 5/98 R - juris Rn. 19; von Boetticher, in: jurisPK-SGB IV, 3.Aufl., § 76 Rn. 41). Für eine Ermessensreduzierung auf Null ist weder etwas vorgetragen, noch ersichtlich. Damit käme allenfalls ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung in Betracht, nicht jedoch der letztlich begehrte Erlass.

2. Ein solcher Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung besteht nicht. Denn es liegen schon mangels Unbilligkeit die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Erlass nicht vor (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2008 - L 30 AL 18/07 - juris Rn. 32) bzw. war die Entscheidung der Beklagten, einen Erlass abzulehnen, nicht ermessensfehlerhaft (vgl. LSG NRW, Urteil vom 28.05.2013 - L 18 KN 138/12 - juris Rn. 18).

Nach § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV darf der Versicherungsträger Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, woran es fehlt. Weder liegt unter Berücksichtigung einer gebotenen engen Auslegung des Tatbestandsmerkmals (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2005 - L 8 AL 4537/04 - juris Rn. 25; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2008 - L 30 AL 18/07 - juris Rn. 26) eine persönliche, noch eine sachliche Unbilligkeit vor.

a. Eine persönliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn eine sichere oder zumindest hochgradig wahrscheinliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz vorliegt, die sich auch durch die mit einer Stundung verbundene Planungssicherheit nicht abwenden lässt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2005 - L 8 AL 4537/04 - juris Rn. 28; LSG Berlin-Brandenburg - Urteil vom 12.11.2008 - L 30 AL 18/07 - juris Rn. 28; Breitkreuz, in: LPK-SGB IV, 2. Aufl., § 76 Rn. 16; Auerbach, in: Jansen, SGB IV, § 76 Rn. 8). Zwar ist die Klägerin Bezieherin von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ihr finanzieller Spielraum ist damit (derzeit) begrenzt. Gegen eine Unbilligkeit spricht insoweit aber bereits, dass sie durch die Pfändungsfreigrenzen ausreichend geschützt ist. Möglich wäre zudem die Vereinbarung einer Ratenzahlung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2005 - L 8 AL 4537/04 - juris Rn. 33; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2008 - L 30 AL 18/07 - juris Rn. 28). Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz ist damit nicht ersichtlich, zumal diese sich überdies durch eine Stundung in jedem Falle vermeiden ließe. Schon aus diesem Grunde ist die vorgetragene, aber aufgrund der bisherigen Stundungen in keiner Weise nachgewiesene finanzielle Mehrbelastung unbeachtlich. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine überschaubare Forderungshöhe handelt und aufgrund des Alters der Klägerin davon auszugehen ist, dass sie wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen und Einkommen erzielen können wird, so dass die Rückzahlung der Forderung in der Zukunft wahrscheinlich erscheint.

b. Eine sachliche Unbilligkeit der Geltendmachung offener Forderungen kann sich zwar daraus ergeben, dass die Geltendmachung der Forderung nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist, weil es dessen Wertungen zuwiderläuft (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2008 - L 30 AL 18/07 - juris Rn. 29; von Boetticher, in: jurisPK-SGB IV, § 76 Rn. 33). Ein solcher Fall ist indes nicht ersichtlich.

Soweit sich die Klägerin auf die Rechtswidrigkeit der Rückforderung beruft, führt dies nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit. Der Senat hat mit Urteil vom 22.11.2012 (Az.: L 9 AL 112/11) ausführlich dargelegt, dass der der Forderung zugrundeliegende Aufhebungs- und Erstattungsbescheid rechtmäßig ist. Der Inhalt des Aktenvermerkes vom 18.09.2007 ist nicht geeignet, eine andere Sichtweise zu rechtfertigen. Der Senat hat sich ausführlich mit den dort angeführten Argumenten im oben genannten Urteil auseinandergesetzt. Neue Gesichtspunkte ergeben sich insoweit nicht. Im Übrigen verkennt die Klägerin, dass bei der Prüfung der Unbilligkeit im Rahmen des § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV die Umstände, die zum Rückforderungsbetrag geführt haben, nicht zu berücksichtigen sind (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2005 - L 8 AL 4537/04 - juris Rn. 31; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2008 - L 30 AL 18/07 - juris Rn. 30). So steht einer erneuten Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides gemäß § 141 Abs. 1 SGG die Rechtskraft der Entscheidung des Senats entgegen. Die materielle Rechtskraft bindet die am gerichtlichen Verfahren Beteiligten im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Sie ist insbesondere auch zu beachten, wenn das rechtskräftige Urteil falsch ist oder von einem Beteiligten dafür gehalten wird."

Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, dass der Senat ihre gesundheitliche Situation unberücksichtigt gelassen hätte, hat sie - anders als die Beklagte - übersehen, dass er sich insoweit der Auffassung des Sozialgerichtes angeschlossen hat. Dem ist - auch unter Berücksichtigung des im Berufungsverfahren auszugsweise vorgelegten Reha-Entlassungsberichtes sowie des Schreibens vom 18.08.2020 - nichts hinzuzufügen.

III. Die Kostenentscheidung richtet sich nach den §§ 183, 193 SGG.

IV. Gründe, gem. § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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