L 12 AS 1859/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 4660/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1859/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 A S 378/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.12.2015 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger machte ursprünglich eine Untätigkeit seitens des Beklagten geltend und begehrt nun, den Beklagten zu verpflichten, an ihn Rechtsmittelkosten i.H.v. 32,95 EUR zu zahlen.

Der im Jahre 1966 geborene Kläger bezieht seit dem Jahre 2005 von dem Beklagten fortlaufend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

In einem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Düsseldorf am 08.04.2011 wurde folgende Erklärung des Klägers zu Protokoll genommen: "Der Kläger beantragt, dass der Beklagte im Wege der Überprüfung für die Zukunft nach dem Hausbesuch noch einmal überprüft, ob ein Anteil der Stromkosten wegen des Heizens mit dem Radiator vom Jobcenter übernommen werden kann." Im Mai 2011 fand ein Hausbesuch des Außendienstes bei dem Kläger statt; die Bescheide zu den Bewilligungszeiträumen ab 01.01.2011 sind in nachfolgenden Klageverfahren überprüft worden. In mehreren Änderungsbescheiden vom 17.06.2015 sind dem Kläger für den Betriebsstrom der Gastherme 0,55 EUR pro Monat nachträglich bewilligt worden (vgl. auch LSG NRW Urteile vom 25.11.2014, L 2 AS 797/14, L 2 AS 273/14, L 2 AS 564/14, L 2 AS 567/14). Die Frage, ob dem Kläger ein Anteil seiner Stromkosten wegen des Betriebes eines Radiators bewilligt werden könne, war ebenfalls Gegenstand dieser Gerichtsverfahren und wurde abschlägig beschieden.

Des Weiteren erhob der Kläger mit Schreiben vom 07.01.2014 Widerspruch gegen den Bescheid des Beklagten vom 18.12.2013, mit dem ihm für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 30.06.2014 vorläufig Leistungen bewilligt wurden und der mit Bescheiden vom 21.02.2014 und 26.02.2014 abgeändert wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Klage und Berufung sind erfolglos gewesen (Sozialgericht Düsseldorf Urteil vom 06.04.2017, S 46 AS 4050/14; Senatsbeschluss vom 16.10.2017, L 12 AS 1045/17; BSG Beschluss vom 28.12.2017, B 14 AS 94/17 BH).

Der Kläger hat am 10.12.2014 bei dem Sozialgericht Düsseldorf Untätigkeitsklage mit dem Begehren erhoben, den Beklagten zu verpflichten, über seinen Widerspruch vom 07.01.2014 und seinen Antrag vom 08.04.2011 zu entscheiden.

Der Beklagte verwies darauf, dass der Widerspruch vom 07.01.2014 bereits entschieden und zudem Gegenstand eines anderweitigen Klageverfahrens sei. Über die Überprüfungsanträge vom 25.11.2013, 02.12.2013 und 08.04.2011 habe er mit Bescheid vom 13.08.2015 entschieden und zu den Heizkosten für die Zeit ab 01.01.2011 unter dem 17.06.2015 Änderungsbescheide erlassen, die den Betriebsstrom für die Gastherme des Klägers berücksichtigen würden.

Nach Anhörung mit Schreiben vom 01.12.2015 hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.12.2015 abgewiesen. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig, da keine Untätigkeit des Beklagten (mehr) vorliege. Die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Widerspruch vom 07.01.2014 sei mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2014 erledigt. Dagegen habe der Kläger Klage erhoben. Der Überprüfungsantrag vom 08.04.2011 (Antrag auf Überprüfung der zukünftigen Heizkosten ab April 2011) sei durch die Erteilung der Änderungsbescheide vom 17.06.2015 erledigt, welche ab dem 01.01.2011 den Betriebsstrom für die Gastherme des Klägers berücksichtigten.

Gegen den ihm am 05.01.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 02.02.2016 Berufung eingelegt, welche zunächst unter dem Aktenzeichen L 12 AS 214/16 geführt wurde. Das Berufungsschreiben wurde zeit- und inhaltsgleich zu drei weiteren Verfahren des Klägers mit jeweils unterschiedlichen Streitgegenständen eingereicht.

Mit Schreiben vom 13.03.2017 hat die Berichterstatterin die Beteiligten dazu angehört, dass beabsichtigt sei, die Berufung nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf sie zu übertragen. Ein Übertragungsbeschluss ist in der Folge nicht ergangen.

Am 19.07.2017 hat - ebenso wie in 11 weiteren Streitsachen des Klägers - eine mündliche Verhandlung stattgefunden, bei der der Senat mit der Berichterstatterin als Vorsitzende sowie zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt war. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung das Verfahren L 12 AS 214/16 für erledigt erklärt und eine Kostenentscheidung seitens des Gerichts beantragt.

Mit Telefax vom 20.07.2017 hat der Kläger "sofortige Beschwerde" eingelegt und erklärt, dass er dieses Verfahren für erledigt erklärt habe, weil die Vorsitzende Richterin ihm mehrfach gedroht habe, Gerichtskosten i.H.v. 150 EUR aufzuerlegen, wenn er die Untätigkeitsverfahren nach der Bescheidung durch den Beklagten nicht für erledigt erkläre. Daraufhin habe er u.a. dieses Untätigkeitsverfahren für erledigt erklärt und Kostenfestsetzung durch das Gericht beantragt. Das Verfahren sei aber nicht erledigt, er beantrage, so gestellt zu werden, als sei die Untätigkeit nicht eingetreten. Ihm seien seine Rechtsmittelkosten (Reisekosten zur Rechtsantragsstelle, Kopierkosten 0,15 EUR je Seite, Porto, Faxgebühren) zu erstatten. Die Berichterstatterin hat mit Beschluss vom 28.08.2017, dem Kläger zugestellt am 07.09.2017, entschieden, dass die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten haben. Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 10.09.2017, u.a. das Verfahren L 12 AS 214/16 fortzusetzen. Das Verfahren ist am 04.10.2017 wiederaufgenommen worden (neues Aktenzeichen: L 12 AS 1859/17).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 09.10.2019 hat der Kläger folgende Erklärung abgegeben: "Ich sehe auch hier in dem Verfahren die Untätigkeit als erledigt an, mache aber Rechtsmittelkosten als Erstattungsanspruch gegen den Beklagten geltend in Höhe von 32,95 EUR und behalte mir auch hier vor, Schadensersatzansprüche geltend zu machen."

Der Kläger beantragt sodann,

den Beklagten zu verpflichten, an ihn 32,95 EUR zu erstatten, und weist darauf hin, dass er hier ggfls. auch Schadensersatzansprüche geltend machen werde.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, § 158 S. 1 SGG.

Zwar war das ursprüngliche Verfahren auf den Antrag des Klägers fortzusetzen, auch wenn er dieses im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19.07.2017 für erledigt erklärt hatte. Die Erledigungserklärung des Klägers war als Berufungsrücknahme im Sinne von § 156 Abs. 1 SGG zu werten (vgl. zur einseitigen Erledigungserklärung im sozialgerichtlichen Verfahren Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 102 Rn. 3). Der Kläger kann jedoch nach Auffassung des Senats in entsprechender Anwendung von § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. § 579 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht zulässig an der Prozesserklärung der Berufungsrücknahme festgehalten werden. In Rechtsprechung und Literatur besteht im Wesentlichen Einigkeit darin, dass Prozesshandlungen wie die Berufungs- oder Klagerücknahme grundsätzlich nicht nach Maßgabe der §§ 119ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anfechtbar sind, insofern also Irrtümer im Zusammenhang mit der Prozesserklärung ebenso unbeachtlich sind wie die von dem Kläger vermeintlich wahrgenommene "Drohung" (vgl. § 123 BGB) hinsichtlich der Verhängung von Verschuldenskosten (vgl. BSG Urteil vom 06.04.1960, 11/9 RV 214/57 juris Rn. 9; BSG Urteil vom 24.04.2003, B 11 AL 33/03 B juris Rn. 3; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 156 Rn. 2a; Fock in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 156 Rn. 5; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 102 SGG Rn. 39 m.w.N.). Eine Ausnahme wird nur dann angenommen, wenn die Voraussetzungen der §§ 179, 180 SGG i.V.m. §§ 579f ZPO in entsprechenden Anwendung vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 08.05.1970, 7 RU 12/70 juris Rn. 6; BSG Urteil vom 14.06.1978, 9/10 RV 31/77 juris Rn. 12ff). Das ist hier der Fall, weil der Nichtigkeitsgrund des § 579 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts erfüllt ist. Der Senat war in der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2017 in der Zusammensetzung mit der Berichterstatterin als Vorsitzende und zwei ehrenamtlichen Richtern nicht vorschriftsmäßig besetzt, da es an dem für eine Übertragung nach § 153 Abs. 5 SGG erforderlichen Beschluss fehlt (vgl. hierzu auch BSG Beschlüsse vom 21.03.2019, B 14 AS 171/17 B bis B 14 AS 176/18 B, zu den in der mündlichen Verhandlung am 19.07.2017 in dieser Spruchkörperbesetzung entschiedenen Streitverfahren des Klägers). Vor diesem Hintergrund ist das ursprüngliche Berufungsverfahren nach Auffassung des Senats grundsätzlich fortzusetzen.

Die Berufung des Klägers ist jedoch unzulässig, weil sie nach § 144 Abs. 4 SGG ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt, wobei mit "Verfahren" der laufende Rechtsstreit, d.h. das Gerichtsverfahren, gemeint ist (vgl. BSG Urteil vom 29.01.1998, B 12 KR 18/97 R juris Rn. 14 m.w.N.; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 144 Rn. 48). Zu den Kosten des Verfahrens, über deren Erstattung das Gericht nach § 193 Abs. 1 SGG zu befinden hat, gehören die gesamten (außergerichtlichen) Kosten des Rechtsstreits (vgl. BSG Urteil vom 24.08.1976, 12/1 RA 105/75 juris Rn. 7 ff.; Urteil vom 20.10.2010, B 13 R 15/10 R juris Rn. 21 m.w.N.).

Das im Berufungsverfahren verfolgte Begehren des Klägers betrifft vorliegend allein die Kosten des Verfahrens in diesem Sinne, nämlich die Erstattung seiner von ihm errechneten (außergerichtlichen) Rechtsmittelkosten i.H.v. 32,95 EUR. Der von ihm errechnete Betrag setzt sich nach seinem eigenen Vortrag aus den Reisekosten zur Rechtsantragsstelle, den Kopierkosten für die Erstellung der Schriftsätze sowie Porto- und Faxkosten zusammen. Der Betrag steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem geführten Rechtsstreit. Die Erstattung seiner ihm durch die Untätigkeit des Beklagten entstandenen Kosten hat der Kläger im Berufungsverfahren letztlich von Anfang an verfolgt. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat eindeutig erklärt, dass auch seiner Ansicht nach die Untätigkeit beseitigt und sein eigentliches Anliegen die Erstattung seiner Rechtsmittelkosten sei. Es ist für den Senat auch nicht ersichtlich, dass der Kläger in der Berufung ein anderes Ziel als die Erstattung seiner Rechtsmittelkosten begehrt oder begehrt hat. Neben seiner Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat wird sein Anliegen auf Erstattung seiner Rechtsmittelkosten insbesondere auch durch seine Schriftsätze vom 19.07.2017 und 10.09.2017 deutlich, die der Senat genauso wie seinen jetzigen Vortrag im Termin zur mündlichen Verhandlung als Konkretisierung seines Berufungsbegehrens versteht. Aufgrund des Umstandes, dass der Kläger jeweils gleichlautende, umfangreiche, sich inhaltlich wiederholende Schriftsätze zu mehreren Verfahrensaktenzeichen - häufig ohne Ausdifferenzierung zu den jeweiligen Verfahrensinhalten - übersendet, ist eine Konkretisierung seines Begehrens regelmäßig erforderlich.

Die von dem Kläger begehrte Erstattung zielt folglich allein darauf ab, dass seine außergerichtlich entstandenen Kosten i.H.v. 32,95 EUR von dem Beklagten übernommen werden. Dies ergibt sich daraus, wie bereits oben geschildert, dass der Kläger fortlaufend die Auffassung vertritt, ohne die Untätigkeit des Beklagten seien seine Kosten in genannter Höhe nicht entstanden. Die Vorschrift des § 144 Abs. 4 SGG dient jedoch auch der Prozessökonomie und soll "stets" das Rechtsmittel ausschließen, wenn es sich "nur" um die Kosten des Verfahrens handelt. Sie soll außerdem verhindern, dass das Rechtsmittelgericht, die nicht angefochtene Hauptsacheentscheidung zumindest inzident mit nachprüfen muss, weil davon letztlich auch die Kostenentscheidung abhängt (BSG Beschluss vom 13.07.2004, B 2 U 84/04 B juris Rn. 13; LSG NRW Urteil vom 26.04.2012, L 9 SO 505/11 Rn. 26 m.w.N.).

Nur der Form halber weist der Senat darauf hin, dass er über (mögliche) Schadensersatzansprüche des Klägers gegenüber dem Beklagten vorliegend nicht zu befinden hat, da der Kläger sich diese ausdrücklich vorbehalten und gerade nicht zur Entscheidung des Senates gestellt hat. Abgesehen davon, sieht es der Senat aber auch als zweifelhaft an, dass mit der Verfolgung der Rechtsmittelkosten in der Gestalt eines Schadensersatzanspruchs die gesetzliche Regelung des § 144 Abs. 4 SGG zu umgehen wäre. Denn Kern des Anliegens bleibt die begehrte Festsetzung von Rechtsmittelkosten i.H.v. 32,95 EUR gegen den Beklagten, d.h. die Erstattung der Kosten, die dem Kläger nach seinen Angaben als außergerichtliche Kosten im Sinne von § 193 Abs. 2 SGG entstanden sind. Entscheidend für die Anwendung des § 144 Abs. 4 SGG ist insofern aber allein, ob ausschließlich die Kosten des Verfahrens Gegenstand des Berufungsverfahrens sind (vgl. LSG NRW Urteil vom 26.04.2012, L 9 SO 505/11 Rn. 26 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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