L 12 AS 1860/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 2231/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1860/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 379/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.01.2016 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger machte ursprünglich eine Untätigkeit seitens des Beklagten geltend und begehrt nun, den Beklagten zu verpflichten, an ihn Rechtsmittelkosten i.H.v. 32,85 EUR zu zahlen.

Der im Jahre 1966 geborene Kläger bezieht seit dem Jahre 2005 von dem Beklagten fortlaufend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Mit Bescheid vom 09.01.2014 erließ der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 15.01.2014 Widerspruch.

Am 19.06.2015 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Düsseldorf Untätigkeitsklage erhoben mit dem Begehren, den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch vom 15.01.2014 gegen den Verwaltungsakt vom 09.01.2014 zu entscheiden.

Nachdem der Beklagte zunächst den Eingang des Widerspruchs in den Verwaltungsakten nicht verzeichnen konnte, legte der Kläger das Schreiben im Klageverfahren in Kopie vor (eine Seite, ohne Unterschrift). Hierauf befinden sich ein Eingangsstempel des Beklagten vom 16.01.2014 und der handschriftliche Vermerk "mein Widerspruch vom 15.01.2014 wurde nicht beschieden". Nach Vorlage dieser Unterlage hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2015 über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 09.01.2014 entschieden. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben (LSG NRW Urteil vom 09.10.2019, L 12 AS 1862/17: vormals S 23 AS 4909/15).

Gegenüber dem Sozialgericht hat der Kläger im hiesigen Verfahren mitgeteilt, dass er die Untätigkeitsklage nicht für erledigt erklären könne, da seine Anträge vom 09.01.2014 und der Schriftsatz vom 15.01.2014 seitens des Beklagten noch nicht beschieden worden seien.

Daraufhin hat der Beklagte um Übersendung einer Kopie des vollständigen Schreibens vom 15.01.2014 gebeten, da bislang nur die Seite 1 in Kopie vorläge und daher nur der darin enthaltene Widerspruch, auf den sich die Betreffzeile auch nur beziehe, beschieden worden sei.

Nach Anhörung mit Schreiben vom 22.12.2015 hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.01.2016 abgewiesen. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig, da keine Untätigkeit des Beklagten (mehr) vorliege. Die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Auf die Einzelheiten der Entscheidung wird Bezug genommen.

Gegen den ihm am 27.01.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 02.02.2016 Berufung eingelegt, welche zunächst unter dem Aktenzeichen L 12 AS 215/16 geführt wurde. Das Berufungsschreiben wurde zeit- und inhaltsgleich zu drei weiteren Verfahren des Klägers mit jeweils unterschiedlichen Streitgegenständen eingereicht.

Mit Schreiben vom 13.03.2017 hat die Berichterstatterin die Beteiligten dazu angehört, dass beabsichtigt sei, die Berufung nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf sie zu übertragen. Ein Übertragungsbeschluss ist in der Folge nicht ergangen.

Am 19.07.2017 hat - ebenso wie in 11 weiteren Streitsachen des Klägers - eine mündliche Verhandlung stattgefunden, bei der der Senat mit der Berichterstatterin als Vorsitzende sowie zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt war. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung das Verfahren L 12 AS 215/16 für erledigt erklärt und eine Kostenentscheidung seitens des Gerichts beantragt.

Mit Telefax vom 20.07.2017 hat der Kläger "sofortige Beschwerde" eingelegt und erklärt, dass er dieses Verfahren für erledigt erklärt habe, weil die Vorsitzende Richterin ihm mehrfach gedroht habe, Gerichtskosten i.H.v. 150 EUR aufzuerlegen, wenn er die Untätigkeitsverfahren nach der Bescheidung durch den Beklagten nicht für erledigt erkläre. Daraufhin habe er u.a. dieses Untätigkeitsverfahren für erledigt erklärt und Kostenfestsetzung durch das Gericht beantragt. Das Verfahren sei aber nicht erledigt, er beantrage, so gestellt zu werden, als sei die Untätigkeit nicht eingetreten. Ihm seien seine Rechtsmittelkosten (Reisekosten zur Rechtsantragsstelle, Kopierkosten 0,15 EUR je Seite, Porto, Faxgebühren) zu erstatten. Die Berichterstatterin hat mit Beschluss vom 28.08.2017, dem Kläger zugestellt am 07.09.2017, entschieden, dass die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten haben. Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 10.09.2017, u.a. das Verfahren L 12 AS 215/16 fortzusetzen. Das Verfahren ist am 04.10.2017 wiederaufgenommen worden (neues Aktenzeichen: L 12 AS 1860/17).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 09.10.2019 hat der Kläger folgende Erklärung abgegeben: "Ich sehe auch hier in dem Verfahren die Untätigkeit als erledigt an, mache aber Rechtsmittelkosten als Erstattungsanspruch gegen den Beklagten geltend in Höhe von 32,85 EUR und behalte mir auch hier vor, Schadensersatzansprüche geltend zu machen."

Der Kläger beantragt sodann,

den Beklagten zu verpflichten, ihm Rechtsmittelkosten in Höhe von 32,85 EUR zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, § 158 S. 1 SGG.

Zwar war das ursprüngliche Verfahren auf den Antrag des Klägers fortzusetzen, auch wenn er dieses im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19.07.2017 für erledigt erklärt hatte. Die Erledigungserklärung des Klägers war als Berufungsrücknahme im Sinne von § 156 Abs. 1 SGG zu werten (vgl. zur einseitigen Erledigungserklärung im sozialgerichtlichen Verfahren Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 102 Rn. 3). Der Kläger kann jedoch nach Auffassung des Senats in entsprechender Anwendung von § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. § 579 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht zulässig an der Prozesserklärung der Berufungsrücknahme festgehalten werden. In Rechtsprechung und Literatur besteht im Wesentlichen Einigkeit darin, dass Prozesshandlungen wie die Berufungs- oder Klagerücknahme grundsätzlich nicht nach Maßgabe der §§ 119ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anfechtbar sind, insofern also Irrtümer im Zusammenhang mit der Prozesserklärung ebenso unbeachtlich sind wie die von dem Kläger vermeintlich wahrgenommene "Drohung" (vgl. § 123 BGB) hinsichtlich der Verhängung von Verschuldenskosten (vgl. BSG Urteil vom 06.04.1960, 11/9 RV 214/57 juris Rn. 9; BSG Urteil vom 24.04.2003, B 11 AL 33/03 B juris Rn. 3; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 156 Rn. 2a; Fock in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 156 Rn. 5; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 102 SGG Rn. 39 m.w.N.). Eine Ausnahme wird nur dann angenommen, wenn die Voraussetzungen der §§ 179, 180 SGG i.V.m. §§ 579f ZPO in entsprechender Anwendung vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 08.05.1970, 7 RU 12/70 juris Rn. 6; BSG Urteil vom 14.06.1978, 9/10 RV 31/77 juris Rn. 12ff). Das ist hier der Fall, weil der Nichtigkeitsgrund des § 579 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts erfüllt ist. Der Senat war in der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2017 in der Zusammensetzung mit der Berichterstatterin als Vorsitzende und zwei ehrenamtlichen Richtern nicht vorschriftsmäßig besetzt, da es an dem für eine Übertragung nach § 153 Abs. 5 SGG erforderlichen Beschluss fehlt (vgl. hierzu auch BSG Beschlüsse vom 21.03.2019, B 14 AS 171/17 B bis B 14 AS 176/18 B, zu den in der mündlichen Verhandlung am 19.07.2017 in dieser Spruchkörperbesetzung entschiedenen Streitverfahren des Klägers). Vor diesem Hintergrund ist das ursprüngliche Berufungsverfahren nach Auffassung des Senats grundsätzlich fortzusetzen

Die Berufung des Klägers ist jedoch unzulässig, weil sie nach § 144 Abs. 4 SGG ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt, wobei mit "Verfahren" der laufende Rechtsstreit, d.h. das Gerichtsverfahren, gemeint ist (vgl. BSG Urteil vom 29.01.1998, B 12 KR 18/97 R juris Rn. 14 m.w.N.; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 144 Rn. 48). Zu den Kosten des Verfahrens, über deren Erstattung das Gericht nach § 193 Abs. 1 SGG zu befinden hat, gehören die gesamten (außergerichtlichen) Kosten des Rechtsstreits (vgl. BSG Urteil vom 24.08.1976, 12/1 RA 105/75 juris Rn. 7 ff.; Urteil vom 20.10.2010, B 13 R 15/10 R juris Rn. 21 m.w.N.).

Das im Berufungsverfahren verfolgte Begehren des Klägers betrifft vorliegend allein die Kosten des Verfahrens in diesem Sinne, nämlich die Erstattung seiner von ihm errechneten (außergerichtlichen) Rechtsmittelkosten i.H.v. 32,85 EUR. Der von ihm errechnete Betrag setzt sich nach seinem eigenen Vortrag aus den Reisekosten zur Rechtsantragsstelle, den Kopierkosten für die Erstellung der Schriftsätze sowie Porto- und Faxkosten zusammen. Der Betrag steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem geführten Rechtsstreit. Die Erstattung seiner ihm durch die Untätigkeit des Beklagten entstandenen Kosten hat der Kläger im Berufungsverfahren letztlich von Anfang an verfolgt. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat eindeutig erklärt, dass auch seiner Ansicht nach die Untätigkeit beseitigt und sein eigentliches Anliegen die Erstattung seiner Rechtsmittelkosten sei. Es ist für den Senat auch nicht ersichtlich, dass der Kläger in der Berufung ein anderes Ziel als die Erstattung seiner Rechtsmittelkosten begehrt oder begehrt hat. Neben seiner Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat wird sein Anliegen auf Erstattung seiner Rechtsmittelkosten insbesondere auch durch seine Schriftsätze vom 19.07.2017 und 10.09.2017 deutlich, die der Senat genauso wie seinen jetzigen Vortrag im Termin zur mündlichen Verhandlung als Konkretisierung seines Berufungsbegehrens versteht. Aufgrund des Umstandes, dass der Kläger jeweils gleichlautende, umfangreiche, sich inhaltlich wiederholende Schriftsätze zu mehreren Verfahrensaktenzeichen - häufig ohne Ausdifferenzierung zu den jeweiligen Verfahrensinhalten - übersendet, ist eine Konkretisierung seines Begehrens regelmäßig erforderlich.

Die von dem Kläger begehrte Erstattung zielt folglich allein darauf ab, dass seine außergerichtlich entstandenen Kosten i.H.v. 32,85 EUR von dem Beklagten übernommen werden. Dies ergibt sich daraus, wie bereits oben geschildert, dass der Kläger fortlaufend die Auffassung vertritt, ohne die Untätigkeit des Beklagten seien seine Kosten in genannter Höhe nicht entstanden. Die Vorschrift des § 144 Abs. 4 SGG dient jedoch auch der Prozessökonomie und soll "stets" das Rechtsmittel ausschließen, wenn es sich "nur" um die Kosten des Verfahrens handelt. Sie soll außerdem verhindern, dass das Rechtsmittelgericht, die nicht angefochtene Hauptsacheentscheidung zumindest inzident mit nachprüfen muss, weil davon letztlich auch die Kostenentscheidung abhängt (BSG Beschluss vom 13.07.2004, B 2 U 84/04 B juris Rn. 13; LSG NRW Urteil vom 26.04.2012, L 9 SO 505/11 Rn. 26 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved