L 12 AS 1601/20 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 120/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1601/20 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 28.08.2019 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der bei der Klägerin zu berücksichtigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, insbesondere die Anerkennung eines Zuschlags zur Angemessenheitsgrenze wegen einer erfolgten energetischen Sanierung.

Die Klägerin stand beim beklagten Jobcenter im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Sie bewohnt allein eine 61,25 m² große Wohnung im Stadtgebiet des kommunalen Trägers zur Miete. Unter dem 22.06.2005 wies die Rechtsvorgängerin des Beklagten die Klägerin darauf hin, dass ihre Unterkunftskosten unangemessen seien; sie könne diese daher nur noch bis 30.09.2005 in tatsächlicher Höhe anerkennen. Für die Zeit ab 01.10.2005 erkannte der Beklagte Bedarfe für Unterkunft und Heizung nur noch in vermeintlich angemessener Höhe an.

Im Jahr 2012 modernisierte der Vermieter das von der Klägerin bewohnte Haus. Im Anschluss erhöhte er die Miete ab 01.02.2013 um 0,50 Euro je Quadratmeter auf dann insgesamt 303,47 Euro monatlich. Die monatlichen Vorauszahlungen auf die Heiz- und kalten Betriebskosten beliefen sich auf zunächst 75 Euro bzw. 93 Euro. Ab Juli 2013 betrugen sie 80 Euro bzw. 95 Euro.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.06.2013 bis 30.11.2013 (i.H.v. 784,79 Euro für Juni 2013 und 785,79 Euro ab Juli 2013; Bescheide vom 27.05.2013 und 01.08.2013) sowie vom 01.12.2013 bis 30.04.2014 (i.H.v. 790,79 Euro bis einschließlich Dezember 2013 und 799,79 Euro ab Januar 2014; Bescheid vom 28.11.2013). Die Miete berücksichtigte der Beklagte dabei mit einem nach seiner Meinung angemessenen Betrag von zunächst 220 Euro und ab Dezember 2013 dann 225 Euro. An Heiz- und kalten Betriebskosten berücksichtigte er für Juni 2013 75 Euro bzw. 99 Euro sowie für die Folgezeiträume 80 Euro bzw. 95 Euro. Die hiergegen erhobenen Widersprüche der Klägerin blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 06.12.2013 und 30.09.2014).

Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die hiergegen erhobenen Klagen, mit denen die Klägerin die Gewährung eines "energetischen Bonus‘" bei den Bedarfen für Unterkunft und Heizung begehrt hat, zunächst zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und - nach teilweiser Anerkennung des Klageanspruchs durch den Beklagten - sodann abgewiesen (Urteil vom 28.08.2019). Streitgegenständlich sei allein die Zeit vom 01.06.2013 bis 30.04.2014. Soweit der Beklagte höhere Bedarfe für Unterkunft und Heizung bereits anerkannt habe, sei die Klage unzulässig. Im Übrigen sei sie jedenfalls unbegründet. Soweit die Klägerin geltend mache, dass das "schlüssige Konzept" des Beklagten unzureichend sei, sei dies ebenso zutreffend wie irrelevant. Der Beklagte habe aufgrund seines Anerkenntnisses bereits Leistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe des nach § 12 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) maßgeblichen Wertes zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % sowie der tatsächlichen Heizkosten gewährt. Damit habe er den Maximalbedarf zugrunde gelegt. Darüber hinausgehende Bedarfe für Unterkunft und Heizung kämen nicht in Betracht. Für die Berücksichtigung eines energetischen Bonus fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Das Zinsverlangen sei unstatthaft, weil der Beklagte über einen Zinsanspruch noch nicht entschieden habe.

Eine gegen das Urteil des SG gerichtete Berufung hat der Senat als unzulässig verworfen, weil die Streitsache weder einen Berufungsstreitwert von mehr 750 Euro erreicht noch laufende oder wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Urteil vom 30.09.2020, L 12 AS 1835/19).

Am 02.11.2020 hat die Klägerin Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des SG eingelegt.

Die "Zulassung zum Berufungsverfahren" sei notwendig zur Prüfung des Urteils des SG und der zugrundeliegenden Amtsermittlung als Verfahrensgrundlage in vollem Umfang sowie zur Beantragung der Zulassung der Revision, da die in dem Rechtsstreit aufgeworfenen Rechtsfragen zur "erhöhten Referenzmiete bei energetisch sanierten Wohnungen" von grundsätzlicher Bedeutung für eine einheitliche Rechtsanwendung seien.

Der Beklagte hält die Nichtzulassungsbeschwerde für verfristet und daher unzulässig. Die Klägerin habe ihre Nichtzulassungsbeschwerde erst am 02.11.2020 und damit nach Ablauf eines Jahres seit Zustellung des SG-Urteils eingelegt; auf diese Jahresfrist habe der Senat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung über die Berufung gegen das SG-Urteil auch hingewiesen. Jedenfalls aber sei die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet. Es sei weder ersichtlich, dass eine grundsätzliche Bedeutung gegeben sein könnte, noch, dass eine Divergenz vorliege. Die Rechtsfrage, ob bei einem "unschlüssigen Konzept" Leistungen für die Bruttokaltmiete von mehr als den Tabellenwerten des WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 % in Betracht kämen, wenn die Heizkostenobergrenze noch nicht vollständig ausgeschöpft sei, sei in der Rechtsprechung dadurch geklärt, dass das Bundessozialgericht stets zwischen Bruttokaltmiete und Heizkosten unterscheide.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig (dazu A). Überdies wäre sie auch unbegründet (dazu B).

A. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist bereits unzulässig, weil die Klägerin sie nicht innerhalb der zu beachtenden Frist von einem Jahr eingelegt hat.

Die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde belief sich vorliegend auf ein Jahr seit Zustellung des angegriffenen Urteils des SG. Zwar beträgt die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich einen Monat ab Zustellung des angegriffenen Urteils (§ 145 Abs. 1 S. 2 SGG). Diese Frist fand jedoch vorliegend keine Anwendung, weil die dem angegriffenen SG-Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung unrichtig war (dazu 1). An ihre Stelle trat die Frist von einem Jahr (dazu 2). Ein Ausnahmefall, in dem die Nichtzulassungsbeschwerde ohne Fristbindung zulässig wäre, liegt nicht vor (dazu 3).

1. Die Frist für ein Rechtsmittel beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem dieser Rechtsbehelf anzubringen ist sowie den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist (§ 66 Abs. 1 SGG). Im vorliegenden Fall enthielt das angegriffene Urteil zwar eine Rechtsmittelbelehrung. Eine Rechtsmittelfrist wird aber nur in Gang gesetzt, wenn die Belehrung auch vollständig und richtig war (BSG Urteil vom 10.09.1997, 5 RJ 18/97, juris Rn. 14; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 66 Rn. 5; Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2020, § 66 Rn. 17). Die vorliegende Rechtsmittelbelehrung war aber unrichtig, weil sie als statthaftes Rechtsmittel die Berufung nannte. Diese war indes unstatthaft, weil - wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 30.09.2020 über die von der Klägerin eingelegte Berufung umfassend ausgeführt hat - weder der Berufungsstreitwert den insoweit maßgeblichen Betrag von 750 Euro erreichte (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) noch wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit standen (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Statthaft war anstelle der Berufung vielmehr die Nichtzulassungsbeschwerde.

2. Ist die Rechtsmittelbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs gem. § 66 Abs. 2 S. 1 SGG nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Urteils war - wie soeben ausgeführt (unter a) - unrichtig. Die danach geltende Jahresfrist hat die Klägerin nicht gewahrt. Das angegriffene Urteil des SG wurde ihr am 05.10.2019 (gegen Postzustellungsurkunde) zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde endete danach mit Ablauf des 05.10.2020 (§ 64 Abs. 3 SGG). Die Nichtzulassungsbeschwerde ging aber erst am 02.11.2020 beim LSG ein.

3. Die Nichtzulassungsbeschwerde war auch nicht ausnahmsweise ohne Fristbindung zulässig. Insbesondere greift die Ausnahmeregelung des § 66 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGG nicht ein, wonach u.a. dann gar keine Fristbindung besteht, wenn eine Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben ist (dazu a) oder die Einhaltung der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (dazu b).

a) Vorliegend hat das SG die Klägerin zwar über das falsche Rechtsmittel und damit unrichtig belehrt, nicht aber dahin, dass gar kein Rechtsmittel gegeben sei. Dieser Fall der Belehrung über ein falsches Rechtsmittel ist dem einer Belehrung dahin, dass gar kein Rechtsmittel gegeben sei, auch nicht gleichzusetzen (a.A. BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 19/06 R; juris Rn. 54; Keller a.a.O., § 66 Rn. 13d; Littmann in Berchtold, SGG, 6. Auflage 2020, § 66 Rn. 6; vgl. auch BVerwG Urteil vom 25.06.1985, 8 C 116/84; juris Rn. 8; BFH Urteil vom 31.01.2005, VII R 33/04, juris Rn. 31; wie hier dagegen Neumann in Hennig, SGG (Stand der Einzelkommentierung: 01.01.2020), § 66 Rn. 58; Senger a.a.O., § 66 Rn. 49; LSG für das Saarland Beschluss vom 16.12.2002, L 2 U 88/02, juris Rn. 24 f.; offengelassen: BSG Urteile vom 04.07.2018, B 3 KR 14/17 R, juris Rn. 15; und vom 25.05.2005, B 11a/11 AL 15/04 R, juris Rn. 16; differenzierend: Wolff-Dellen in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Auflage 2020, § 66 Rn. 14, 40).

aa) Einer solchen Auslegung steht der Gesetzeswortlaut entgegen. § 66 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGG betrifft, soweit er Fälle regelt, in denen eine Belehrung dahin erfolgt, dass kein Rechtsmittel gegeben sei, lediglich Fälle sog. Negativbelehrungen, in denen ausdrücklich hingewiesen wird, die Entscheidung sei "unanfechtbar" o.ä. (dazu Neumann a.a.O., § 66 Rn. 56). Der Gesetzgeber hielt es für

"notwendig, den von einem Verwaltungsakt Betroffenen auch dann vor einer Präklusion des Rechtsbehelfs zu schützen, wenn er dahin belehrt worden ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Dieser Schutz soll ihm allerdings nur dann zustehen, wenn die Belehrung schriftlich erteilt wurde, da sonst unter Umständen Beweisschwierigkeiten entstehen. [ ]" (vgl. die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung, BT-Drucks. I/4278, S. 62 f., dort unter Nr. 41 (zu § 61 Abs. 3))

Die Fälle einer unterbliebenen Rechtsmittelbelehrung stellt § 66 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGG demgegenüber denen einer unrichtigen Belehrung ausdrücklich gleich.

bb) In gesetzessystematischer Hinsicht kommt hinzu, dass § 66 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGG die Jahresfrist allein daran anknüpft, dass eine Rechtsmittelbelehrung unterblieben oder - wie vorliegend - unrichtig erteilt ist. Weder unterscheidet die Vorschrift danach, worin die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung begründet ist, noch setzt sie voraus, dass die Rechtsmittelbelehrung das an sich statthafte Rechtsmittel bezeichnet und lediglich über dessen Einzelheiten - etwa dessen Form oder Frist, die Stelle, bei er es anzubringen ist, oder aber deren Sitz - unrichtig belehrt. Ausreichend ist vielmehr, dass die Rechtsmittelbelehrung in irgendeiner Hinsicht unrichtig (oder unvollständig) ist.

cc) Sinn und Zweck der Regelung gebieten keine andere Auslegung. Unabhängig davon, inwieweit § 66 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGG als Ausnahmevorschrift einer erweiternden Auslegung oder auch analogen Anwendung überhaupt zugänglich ist, stünde eine solche in Widerspruch zum Anliegen des SGG, Rechtssicherheit zu schaffen. Dieses Anliegen kommt in § 66 Abs. 2 SGG selbst zum Ausdruck, der vorsieht, dass auch bei unrichtigen oder sogar gänzlich unterbliebenen Rechtsmittelbelehrungen nach Ablauf eines Jahres grundsätzlich Rechts- bzw. Bestandskraft eintritt. Der Gesetzgeber führte dazu aus:

"Die Vorschrift schützt die rechtsungewandten Versicherten und Versorgungsberechtigten vor Rechtsnachteilen. Wenn auch grundsätzlich ohne Rechtsbehelfsbelehrung der Lauf einer Frist nicht beginnt, so erscheint eine Ausschlussfrist zweckmäßig. Eine Frist von einem Jahr gibt hinreichenden Schutz, gewährleistet andererseits aber auch den Abschluss eines Verfahrens in angemessener Zeit. [ ]" (Begründung der Bundesregierung zum Entwurf einer Sozialgerichtsordnung, BT-Drucks. I/4357, S. 25 (zu § 15))

dd) Die Erwägung, dass mit der Belehrung über einen nicht statthaften Rechtsbehelf zugleich der in Wahrheit statthafte Rechtsbehelf als nicht gegeben dargestellt werde (so etwa BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 19/06 R; juris Rn. 54), verfängt nicht. Für einen Analogieschluss im methodologischen Sinne ist kein Raum, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt: Soweit die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 66 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGG nicht erfüllt sind, verbleibt es ohne weiteres bei der Anwendung der Grundregel des § 66 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGG. Überdies stehen die Fälle der hier vorliegenden Art, in denen die Rechtsmittelbelehrung anstelle des tatsächlich gegebenen auf ein nicht statthaftes Rechtsmittel verweist, wertungsmäßig denen einer unterbliebenen Rechtsmittelbelehrung näher als denen einer Negativbelehrung. Denn eine Negativbelehrung ist ein eindeutiges Signal, dass der Adressat einer Entscheidung sich mit dieser begnügen solle (so Neumann a.a.O., § 66 Rn. 58). Eine bloß unrichtige Rechtsmittelbelehrung suggeriert dem Adressaten demgegenüber, dass die getroffene Entscheidung noch angegriffen werden kann. Insoweit macht es auch keinen Unterschied, ob die Rechtsmittelbelehrung von vorneherein auf ein unstatthaftes Rechtsmittel verweist oder aber "nur" in Bezug auf Form und Frist des gegebenen Rechtsmittels oder aber die Stelle, bei der dieses einzulegen ist, oder deren Sitz unrichtig ist. Auch wird der Adressat einer Rechtsmittelbelehrung, die auf ein tatsächlich unstatthaftes Rechtsmittel Bezug nimmt, von der Einlegung des falschen Rechtsmittels durch die Belehrung nicht mehr abgehalten als durch eine gänzlich fehlende Rechtsmittelbelehrung (so erneut Neumann a.a.O., § 66 Rn. 58).

b) Die Klägerin war auch nicht infolge höherer Gewalt an der Einhaltung der Jahresfrist gehindert. Vielmehr hat der Senat sie noch in der mündlichen Verhandlung über die Berufung am 30.09.2020 auf die in Bezug auf die Nichtzulassungsbeschwerde zu wahrende Jahresfrist und deren bevorstehenden Ablauf am 05.10.2020 hingewiesen.

B. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet wäre. Die Berufung wäre nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG erfüllt sind. Danach ist die Berufung nur zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht, oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit nach Nr. 1 der Vorschrift ist nicht zu erkennen. Eine solche wäre nur anzunehmen, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Natur aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Keller a.a.O., § 144 Rn. 28). Ist lediglich ein tatsächlicher, individueller Sachverhalt zu beurteilen, so fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung (LSG NRW Beschluss vom 26.03.2010, L 6 B 110/09 AS NZB, juris Rn. 15). Eine Rechtsfrage ist auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lässt oder höchstrichterlich bereits entschieden ist (vgl. BSG Beschluss vom 15.05.1997, 9 BVg 6/97 [zu § 160 SGG]; s. auch LSG NRW Beschluss vom 07.10.2011, L 19 AS 937/11 NZB, juris Rn. 17). Nach diesen Maßstäben kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung zu.

a) Dies gilt insbesondere mit Blick auf die von der Klägerin für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob die Angemessenheitsgrenze hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Fällen energetisch sanierter Unterkünfte um einen "Bonus" zu erhöhen ist. Dass dies nicht der Fall ist, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und der zu diesem ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, inwieweit die Berücksichtigung eines solchen "Bonus" im Rahmen der Angemessenheitsprüfung möglich ist. Rechtlich zwingend ist eine solche aber in keinem Fall. Welche Maßstäbe bei Bestimmung der Angemessenheitsgrenze i.S.d. § 22 Abs. 1 S.1 SGB II gelten, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vielmehr im Wesentlichen geklärt.

aa) Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft hat danach in zwei größeren Schritten zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten, zu ermitteln; dann ist die konkrete (subjektive) Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen, einschließlich eines Umzugs, zu prüfen. Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen wiederum hat unter Anwendung der sog. Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen, das u.a. die Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept beinhaltet (dazu BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R juris Rn. 19 f. m.w.N. - st.Rspr.).

bb) Fehlt ein schlüssiges Konzept und gelingt es dem Jobcenter auch nicht, diesbezügliche Beanstandungen des Gerichts auszuräumen, ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache nicht befugt, seinerseits eine eigene Vergleichsraumfestlegung vorzunehmen oder ein schlüssiges Konzept - ggf. mit Hilfe von Sachverständigen - zu erstellen. Vielmehr kann das Gericht zur Herstellung der Spruchreife, wenn ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist, auf diesen zurückgreifen; andernfalls sind mangels eines in rechtlich zulässiger Weise bestimmten Angemessenheitswerts die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft dem Bedarf für die Unterkunft zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem WoGG plus Zuschlag von 10 %; (BSG a.a.O., juris Rn. 29 f. m.w.N.; bestätigt durch Urteil vom 03.09.2020, B 14 AS 40/19 R, juris Rn. 22 f.; ausführlich zur Anwendung der Werte nach § 12 WoGG bereits BSG Urteil vom 16.06.2015, B 4 AS 44/14 R, juris Rn. 25; Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 87/12 R, juris Rn. 25 ff.; ebenso Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 22 Rn. 106; Boerner in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Auflage 2011, § 22 Rn. 44). Die Tabellenwerte nach § 12 WoGG zuzüglich des Sicherheitszuschlags fungieren dabei als "Angemessenheitsobergrenze", die die Finanzierung extrem hoher und per se unangemessener Mieten verhindert (so BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R, juris Rn. 30; Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R, juris Rn. 27). Liegen keine anderen Erkenntnismöglichkeiten vor, wird die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen durch diese nach oben hin begrenzt (so ausdrücklich Luik, a.a.O., § 22 Rn. 106; ähnlich Berlit in Münder/Geiger, LPK-SGB II, 7. Auflage 2021, § 22 Rn. 103: "gedeckelt"; vgl. auch BSG Urteil vom 10.09.2013, B 4 AS 4/13 R, juris Rn. 14: "Obergrenze"). Eine Durchbrechung dieser Werte wäre mit dieser Handhabung als "Deckel" bzw. Obergrenze unvereinbar.

cc) Ebenso schreibt § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II die Berücksichtigung eines "energetischen Bonus" nicht vor. Die dortigen Vorgaben sind auch bei der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (BVerfG Beschluss vom 06.10.2017, 1 BvL 2/15 u.a., juris Rn. 17; dem folgend BSG Urteil vom 12.12.2017, B 4 AS 33/16 R, juris Rn. 17). Danach sollen die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen (Nr. 1), der Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards (Nr. 2), aller verschiedenen Anbietergruppen (Nr. 3) und der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen (Nr. 4). Klimapolitische Erwägungen finden im Gesetz indes keine Erwähnung. Der von der Klägerin geltend gemachte § 558 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (i.d.F. des Mietrechtsänderungsgesetzes vom 11.03.2013, BGBl. I (2013) S. 434) betrifft dagegen nicht die Ermittlung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung i.S.d. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II.

b) Ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung hat die Frage, ob dann eine Erhöhung der Obergrenzen aus § 12 WoGG zuzüglich des Sicherheitszuschlages in Betracht kommt, wenn auf der einen Seite der kommunale Träger über kein schlüssiges Konzept verfügt und auf der anderen Seite zwar die Unterkunftskosten (Bruttokaltmiete) des Leistungsberechtigten unangemessen sind, dieser die Angemessenheitsgrenze bezüglich der Heizkosten aber nicht ausschöpft. Der Beklagte hat diese Frage in seiner Beschwerdeerwiderung aufgeworfen, ihre grundsätzliche Bedeutung aber sogleich mit Recht verneint. In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass die Angemessenheit von Unterkunftskosten auf der einen und Heizkosten auf der anderen Seite grundsätzlich unabhängig voneinander zu erfolgen hat (BSG Urteil vom 02.07.2009, B 14 AS 36/08 R, juris Rn. 18 f.). Ein Ausgleich zwischen beiden ist danach allein dann möglich ist, wenn der kommunale Träger sich für die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze (sog. Bruttowarmmietkonzept; § 22 Abs. 10 SGB II i.d.F. des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.06.2016, BGBl. I (2016) S. 1824) entschieden hat (zum Ganzen vgl. auch BSG Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 11/20 R, juris Rn. 27). Letzteres ist hier aber nicht der Fall.

2. Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) ist nicht gegeben. Die Zulassung der Berufung wegen Divergenz erfordert, dass das Sozialgericht einen mit der Rechtsprechung z.B. des BSG nicht übereinstimmenden Rechtssatz seiner Entscheidung zu Grunde legt, insoweit eine die Entscheidung tragende Rechtsansicht entwickelt und mit dieser im Ergebnis der abweichenden Rechtsprechung im Grundsätzlichen widerspricht (vgl. BVerfG Beschluss vom 02.01.1995, 1 BvR 320/94; BSG Beschluss vom 29.11.1989, 7 BAr 130/88; BSG Beschluss vom 07.10.2009, B 1 KR 15/09). Dagegen genügt nicht ein Rechtsirrtum im Einzelfall, also z. B. eine fehlerhafte Subsumtion, eine unzutreffende Beurteilung oder das Übersehen einer Rechtsfrage (BSG Beschluss vom 27.01.1999, B 4 RA 131/98 B; BSG Beschluss vom 22.01.2008, B 3 KS 1/07 B); denn dann hat das Sozialgericht keinen Rechtssatz aufgestellt, der höherinstanzlicher Rechtsprechung im Grundsätzlichen widersprechen könnte. Es genügt auch nicht, dass das anzufechtende Urteil nicht den Kriterien entspricht, die ein höherinstanzliches Gericht aufgestellt hat, etwa wenn das Sozialgericht zwar einem aufgestellten Rechtssatz folgen will, diesen aber missversteht, ihn in seiner Tragweite verkennt oder sonst Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung im Einzelfall nicht übernimmt (BSG Beschluss vom 29.11.1989, 7 BAr 130/88; Beschluss vom 27.01.1999, B 4 RA 131/98 B).

Vorliegend ist kein von einem der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte aufgestellter Rechtssatz ersichtlich, von dem das SG in seiner Entscheidung abgewichen wäre. Insbesondere ergibt sich aus der Rechtsprechung des BSG kein Rechtssatz, aus dem sich ergäbe, dass die aus § 12 WoGG entnommene und um einen Sicherheitszuschlag erhöhte "Angemessenheitsobergrenze" (dazu BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R, juris Rn. 30; Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R, juris Rn. 27 sowie die weiteren Nachweise oben unter 1a/cc) in Fällen wie dem vorliegenden nochmals zu erhöhen wäre.

3. Schließlich ist auch ein relevanter Verfahrensmangel (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) nicht ersichtlich. Verfahrensmangel im Sinne der Vorschrift ist ein Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens in dem unmittelbar vorangehenden Rechtszug. Ein Verfahrensmangel kann auch das Urteil selbst betreffen, z.B. wenn statt eines Prozessurteils ein Sachurteil ergangen ist oder umgekehrt (vgl. mit vielen Beispielen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Auflage 2020, § 160 Rn. 16a ff.). Ein solcher "error in procedendo" ist vorliegend nicht ersichtlich.

a) Die Klägerin rügt zwar, "erhebliche Zweifel an der Anwendung von Rechtsnormen sowohl bei der Urteilsfassung als auch beim durchgeführten Verfahren am [SG]", ohne dies aber näher zu konkretisieren. Vielmehr führt sie im Wesentlichen aus, das SG (wie auch der Senat) "liege falsch", wenn es davon ausgehe, dass es keine gesetzliche Grundlage für die Anerkennung eines "energetischen Bonus" gebe. Damit ist aber keine Verfahrensvorschrift, sondern das materielle Recht angesprochen. Soweit die Klägerin darüber hinaus rügt, dass das SG ihren Anträgen auf Hinzuverbindung verschiedener (andere Bewilligungszeiträume betreffender) Klageverfahren nicht gefolgt sei (§ 113 Abs. 1 SGG), begründet dies grundsätzlich keinen Verfahrensmangel, auf dem die Sachentscheidung beruhen kann (vgl. Keller a.a.O., § 113 Rn. 3 m.w.N.).

b) Soweit der Senat in der Begründung seines Urteils (vom 30.09.2020, L 12 AS 1835/19) über die Berufung der Klägerin darauf hingewiesen hat, dass das SG den erstinstanzlich geltend gemachten Klageanspruch der Klägerin versehentlich teilweise übergangen hat (namentlich für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.05.2013), trägt dies die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Klägerin diesen Verfahrensmangel in der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde ausreichend geltend gemacht hat (zum Erfordernis einer entsprechenden Rüge s. Keller a.a.O., § 144 Rn. 36 m.w.N.). Vielmehr hat die Klägerin in ihrer Begründung ausgeführt, sie beantrage die Nachzahlung von Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum 01.06.2013 bis 30.06.2014. Der vom SG übergangene Teilzeitraum findet demgegenüber keine Erwähnung. In jedem Fall ist eine Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig, soweit - wie im Fall der Klägerin - ein Antrag auf Urteilsergänzung gem. § 140 SGG statthaft gewesen wäre (zur Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a SGG vgl. BSG Beschluss vom 16.07.2004, B 2 U 41/04 B, juris Rn. 4; Keller a.a.O., § 140 Rn. 3c).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.

D. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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