L 7 AS 993/20 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 1957/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 993/20 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.05.2020 geändert. Dem Kläger wird für das Klageverfahren für die Zeit ab dem 24.01.2020 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt U, H, gewährt. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren.

Der am 00.00.1972 geborene Kläger ist geschieden. Er lebt alleinstehend in einer Mietwohnung in H für die monatlich eine Bruttowarmmiete - inklusive der Warmwasseraufbereitungskosten - von 300 EUR (200 EUR Grundmiete + 100 EUR Nebenkosten) zu zahlen ist. Er bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Am 22.07.2017 hat der Kläger die Fortzahlung von Leistungen ab dem 01.08.2017 beantragt. Er gab an, einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen (Montage von Baufertigteilen, z.B. Regalen). Mit Bescheid vom 17.08.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für August 2017 bis Dezember 2017 auf vorläufiger Basis iHv monatlich 709 EUR (409 EUR Regelbedarf, 300 EUR Unterkunfts- und Heizbedarfe). Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit des Klägers rechnete der Beklagte nicht an.

Am 19.01.2018 legte der Kläger betriebswirtschaftliche Auswertung seiner Betriebseinnahmen und -ausgaben für das Jahr 2017 vor, die mit einem Jahresgewinn von 2.011,39 EUR endete. Bezogen allein auf die Monate August 2017 bis Dezember 2017 betrug der durchschnittliche Gewinn des Klägers monatlich (9.574,02 EUR: 5 =) 1.914,80 EUR. Gestützt auf den Gewinn in den Monaten August 2017 bis Dezember 2017 setzte der Beklagte die Leistungen für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 26.01.2018 auf monatlich 0 EUR endgültig fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 23.03.2018 als unbegründet zurück. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 23.03.2018 hat der Kläger keine Klage erhoben.

Mit Bescheid vom 06.09.2018 setzte der Beklagte gegen den Kläger eine Erstattungsforderung für die in August 2017 bis Dezember 2017 zu Unrecht erbrachten Leistungen iHv (5 x 709 EUR =) 3.545 EUR fest. Hiergegen hat der Kläger keinen Widerspruch eingelegt.

Mit Schreiben vom 04.11.2018 beantragte der Kläger die Überprüfung der Bescheide vom 26.01.2018 und 06.09.2018. Die Nullfestsetzung mit Bescheid vom 26.01.2018 sei zu Unrecht erfolgt, sodass auch der Erstattungsbescheid vom 06.09.2018 rechtswidrig sei.

Mit Bescheid vom 17.01.2019 lehnte der Beklagte eine Rücknahme der Bescheide vom 26.01.2018 und 06.09.2018 ab. Ausgehend von einem Durchschnittsgewinn iHv monatlich 1.914,80 EUR sei der Kläger in den Monaten August 2017 bis Dezember 2017 nicht hilfebedürftig gewesen, sodass er die erbrachten Leistungen iHv insgesamt 3.545 EUR zu erstatten habe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 18.02.2019 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2019 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 18.07.2019 bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage eingereicht und sein Vorbringen wiederholt und vertieft. Der Kläger hat für die Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe beantragt und am 24.01.2020 seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht sowie die Belege gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 ZPO iVm § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG beigefügt.

Mit Gerichtsbescheid vom 25.05.2020 hat das Sozialgericht nach Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen und mit gesondertem Beschluss vom selben Tag den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Gegen den ihm am 02.06.2020 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 28.06.2020 Beschwerde eingelegt und auf die Begründung seiner Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 25.05.2020 Bezug genommen. Der Kläger hat für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe beantragt.

Der Bitte des Senats um Zustimmung zur Entscheidung durch den Berichterstatter allein (§ 155 Abs. 3, Abs. 4 SGG) haben die Beteiligten zugestimmt.

II.

Der Senat kann durch den Berichterstatter allein (§ 155 Abs. 3 und Abs. 4 SGG) entscheiden, da die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren abgelehnt.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist u.a. der Fall, wenn von Amts wegen (§ 103 SGG) weitere Ermittlungen durchzuführen sind, bevor die streiterheblichen Fragen einer Klärung zugeführt werden können oder die Entscheidung von einer diffizilen Rechtsfrage abhängt (BVerfG Beschluss vom 14.06.2006 - 2 BvR 626/06). Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (Beschlüsse des Senats vom 05.11.2020 - L 7 AS 1520/20 B und L 7 AS 1186/20 B).

Vorliegend ist von einer diffizilen Rechtsfrage auszugehen, die nicht im summarischen Verfahren der Prozesskostenhilfe geklärt werden kann. Zudem hat auch der Beklagte, auf dessen Widerspruchsbescheid vom 18.06.2019 das Sozialgericht gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug nimmt, nicht abschließend geklärt, ob die von ihm angenommene Durchschnittsberechnung auf § 41a Abs. 4 SGB II und "ergänzend" auf § 13 SGB II iVm § 3 Abs. 4 Alg IIVO gestützt werden kann. Beides begegnet im Übrigen Bedenken: Zwar ist § 41a SGB II in der hier geltenden Fassung vom 01.08.2016 grundsätzlich anwendbar (vgl. BSG Urteil vom 12.09.2018 - B 4 AS 39/17 R), jedoch soll gemäß § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II von der Bildung eines Durchschnittseinkommens abgewichen werden, wenn - wie hier - der Leistungsanspruch in mindestens einem Monat entfällt. Diese Rückausnahme ist vom alle Einkommensarten umfassenden Grundsatz des § 41a Abs. 4 Sätze 1 und 3 SGB II auch auf Einkommen aus selbständiger Tätigkeit anwendbar, und zwar schon deshalb, weil sich der Regelung keine entsprechende Beschränkung auf bestimmte Einkommensarten entnehmen lässt (dazu schon LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 11.05.2020 - L 18 AS 732/18 mwN).

Ob bei den Einkünften selbständiger Gewerbetreibender ergänzend auf § 13 SGB II iVm § 3 Abs. 4 Alg II VO zurückgegriffen werden kann, ist zweifelhaft. Hiergegen spricht, dass dem Gesetzgeber zwar die - auch nach dem 01.08.2016 weiter geltende - Regelung in § 3 Abs. 4 Alg II VO bei Schaffung der Ausnahmevorschrift bekannt war, diese indes als Verordnungsrecht von § 41a SGB II als lex specialis verdrängt wird (so auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/8041, Seite 52; vgl. auch dazu LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 11.05.2020 - L 18 AS 732/18 mwN).

Nach alledem spricht viel dafür, dass vorliegend die Einkommensanrechnung nach § 11 Abs. 3 SGB II zu erfolgen hat, was zur Folge hat, dass die Klage jedenfalls für die Monate August 2017 und September 2017 hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, da der Kläger mangels Durchschnittsberechnung im Leistungszeitraum im September 2017 einen betriebswirtschaftlichen Verlust aufweist und eine Anrechnung für September nach § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II ausscheidet.

Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind gegeben.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorliegende Beschwerdeverfahren hat dagegen keinen Erfolg. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann Prozesskostenhilfe für die "Prozessführung" verlangt werden. Hierunter ist lediglich das eigentliche Streitverfahren zu verstehen, nicht aber auch das Verfahren der Prozesskostenhilfe, in dem lediglich über die Gewährung staatlicher Hilfe für den Antragsteller zu befinden ist. Für das Prozesskostenhilfeverfahren kann daher Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden (LSG NRW Beschluss vom 17.01.2014 - L 1 KR 536/13 B; BVerwG Beschluss vom 22.08.1990 - 5 ER 640.90; BGH Beschluss vom 30.05.1984 - VII ZR 298/83).

Kosten für die PKH-Beschwerde sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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