L 16 KR 573/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 611/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 573/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.08.2015 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung als Rentenantragssteller im Zeitraum vom 26.08.2011 bis 31.10.2011.

Der am 00.00.1946 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er hat seinen Wohnsitz seit dem 01.06.1980 (wieder) in Italien, nachdem er in der Vergangenheit in Deutschland gelebt und gearbeitet hatte. In Italien existiert in Form des Servizio Sanitario Nazionale (Nationaler Gesundheitsdienst, im Folgenden: SSN), eingeführt durch Gesetz Nr. 833/1978, ein staatliches, steuerfinanziertes Gesundheitssystem, das allen Bürgern unabhängig vom Einkommen und sozialen Stand eine einheitliche, kostenlose medizinische Grundversorgung bietet. Auch Rentenantragsteller und Rentner erhalten mittels des SSN Gesundheitsleistungen. Der Kläger besitzt jedenfalls seit dem 17.12.2008 Anspruch auf Sachleistungen gegenüber dem SSN.

Am 26.07.2011 stellte der Kläger beim italienischen Versicherungsträger einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung, der am 22.09.2011 bei der Beigeladenen zu 1. einging. Diese bewilligte mit Bescheid vom 06.10.2011 die begehrte Altersrente ab dem 01.11.2011 in Höhe von 154,80 Euro (Zahlbetrag). Ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 06.10.2011 waren in dem Versicherungskonto des Klägers bei der Beigeladenen zu 1. Versicherungszeiten in Deutschland (mit Unterbrechungen) im Zeitraum zwischen dem 29.07.1965 und 28.10.1971 sowie vom 15.05.1974 bis 31.07.1980 gespeichert. Für die Zeit vom 01.09.1980 bis zum 30.07.2011 waren vom italienischen Versicherungsträger gespeicherte Zeiten mitgeteilt worden, wodurch die Vorversicherungszeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V erfüllt war.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 28.12.2011 aufgrund seines Rentenantrages die Pflichtversicherung des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) für die Zeit vom 26.07.2011 bis 31.10.2011 fest und forderte Beiträge in Höhe von 466,05 Euro. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 06.03.2012 Widerspruch, den er mit dem Vorrang des SSN begründete. Aufgrund eines entsprechenden Ersuchens verrechnete die Beigeladene zu 1. die für die Zeit der Rentenantragstellung von der Beklagten gegenüber dem Kläger geforderten Beiträge mit dessen laufender Rente.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.06.2012 als unbegründet zurück. Die Pflichtversicherung in der KVdR und eine damit verbundene Beitragsverpflichtung bestünden ab dem 26.07.2011. Nach § 225 Satz 1 Nr. 3 SGB V sei als Rentenantragsteller beitragsfrei versichert, wer an Stelle der Mitgliedschaft als Rentenantragsteller beitragsfrei familienversichert wäre. Analog sei in der VO (EG) 883/2004 nach dem zwischenstaatlichen Recht geregelt, dass dies auch gelte, wenn der Anspruch auf eine Familienversicherung in Italien bestehe. Beitragsfreiheit sei hingegen nicht deshalb gegeben, weil ein Anspruch auf eine beitragsfreie Einwohnerkrankenversicherung vorliege.

Hiergegen hat der Kläger am 04.07.2012 Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, er sei im streitigen Zeitraum in Italien wohnhaft und aufgrund seines Wohnsitzes über den SSN abgesichert gewesen, bei dem es nicht darauf ankomme, ob man Beschäftigter, Rentner oder Ähnliches sei. Diesen Gesundheitsschutz habe er auch nicht - wie in Art. 22 VO (EG) 883/2004 vorausgesetzt - durch den deutschen Rentenantrag verloren. Im streitigen Zeitraum habe weder nach deutschem, noch nach europäischen Recht Versicherungspflicht in der deutschen Krankenversicherung bestanden; deutsche Leistungen habe er nicht erhalten. Die Beklagte beachte bei ihrer Argumentation zudem nicht hinreichend, dass in der VO (EG) 883/2004 zwischen Rentenantragstellern und Rentnern differenziert werde.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 28.12.2011 in Form des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2012, ihre Beitragsforderung für die Zeit vom 26.7.2011 bis 31.10.2011 zurückzunehmen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat darauf hingewiesen, dass der italienische Krankenversicherungsträger keine Ansprüche auf Leistungsersatz aus der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung habe, wenn man allein auf die am Wohnsitz bestehende Einwohnerkrankenversicherung abstellte. Zudem komme es zu einer Ungleichbehandlung mit Rentenantragstellern anderer Staaten und Organisationsformen. Sie hat sich durch eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 20.03.2013, in der es heißt, dass Art. 22 EGVO 883/2004 Spielraum für unterschiedliche Interpretationen eröffne, bestätigt gesehen.

Seit dem 01.11.2012 bezieht der Kläger auch aus der italienischen Rentenversicherung eine Altersrente. Die Beklagte hat der Beigeladenen zu 1. daraufhin mit Schreiben vom 06.11.2014 mitgeteilt, dass ab dem 01.11.2012 die Mitgliedschaft bei ihr entfalle.

Das Sozialgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 28.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2012 mit Urteil vom 13.08.2015 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, weder nach deutschem noch nach europäischen Recht bestehe eine Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers gegenüber der Beklagten. Der Kläger habe durch seinen Rentenantrag nicht im Sinne des Art. 22 VO (EG) 883/2004 einen Anspruch auf Sachleistung gegen den zuletzt zuständigen Mitgliedsstaat - dies sei die Bundesrepublik Deutschland - verloren, denn er habe einen solchen schon vor der Antragstellung nicht besessen. Das Sozialgericht hat die Sprungrevision zugelassen.

Gegen das ihr am 20.08.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.09.2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung hält sie an ihren erstinstanzlichen Ausführungen fest und trägt vor, die Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers ergebe sich vorliegend aus europäischem Gemeinschaftsrecht, Art. 30 Abs. 1, 22, 25 VO (EG) 883/2004 i.V.m. §§ 189, 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V. Nach Art. 30 Abs. 1 i.V.m. Art. 22, 25 VO (EG) 883/2004 unterliege dieser trotz seines bestehenden Wohnsitzes in Italien im Zeitpunkt der Rentenantragstellung der Beitragspflicht in der KVdR. Zwar gölten für eine Person, soweit keiner der Tatbestände des Art. 11 Abs. 3 a) bis d) VO (EG) 883/2004 vorliege, grundsätzlich die Rechtsvorschriften des Wohnstaates. Allerdings gelte dies, wie sich ebenfalls aus Art. 11 Abs. 3 a) bis d) VO (EG) 883/2004 ergebe, "unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedsstaaten zustehe". Für den vorliegenden Fall treffe Art. 22 VO (EG) 883/2004 für den Risikobereich der Krankheit eine andere Zuständigkeit. Diese Vorschrift gewährleiste damit zum einen den Anspruch auf Sachleistungen für Rentenantragsteller und regle zum anderen die Kostentragung. Letzteres geschehe, indem gemäß Art. 22 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 bereits während des Antragsverfahrens die vermutlich endgültige Zuordnung der Kosten gelten solle (Fiktion des Rentenbezugs). Also ergebe sich aus über- und zwischenstaatlichem Recht, dass der Kläger (bereits) als Rentenantragsteller in Deutschland in der KVdR versicherungs- und beitragspflichtig gewesen sei, obwohl er in Italien wohnte. Das Sozialgericht sei insoweit auch irrtümlich davon ausgegangen, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um den zuständigen Mitgliedsstaat in Sinne des Art. 22 VO (EG) 883/2004 handele. Aus der Verordnung ergebe sich vielmehr, dass im Falle des Klägers Italien als Wohnstaat der zuständige Mitgliedstaat sei. Der Antrag des Klägers auf Gewährung einer deutschen Rente habe dazu geführt, dass eine sogenannte Betreuungspauschale an den italienischen Krankenversicherungsträger abgeführt worden sei. Da Italien bis zum 31.12.2012 in Anhang 3 der VO (EG) 987/2009 aufgeführt gewesen sei, sei bis zu diesem Zeitpunkt in Konstellationen wie der vorliegenden eine Betreuungspauschale unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme von Leistungen zu zahlen gewesen. Im Falle des Klägers sei so vorgegangen worden, wie in dem Fallbeispiel auf S. 32 des Leitfadens des Beigeladenen zu 2. "Krankenversicherung der Rentner im Rahmen der EG-Verordnung 883/04 und nach Abkommensrecht" beschrieben. Die Sichtweise des Klägers lasse außer Acht, dass es hiernach zu einer Schlechterstellung der Mitgliedsstaaten mit steuerfinanzierter Gesundheitsversorgung komme. Weitergedacht führe sie zu einer Art "Steueroase" für krankenversicherungspflichtige Rentenantragsteller, die nicht mit Europarecht vereinbar sei. Folge man der Argumentation des Klägers, würde zudem der Verweis in Art. 22 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 auf deren Art. 25 leerlaufen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts vom 13.08.2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Berufung für unbegründet. Seiner Auffassung nach ergebe sich aus dem europäischen koordinierenden Sozialrecht, dass in seinem Fall die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedsstaates, also Italien, zur Geltung kommen. Denn in Titel III der VO (EG) 883/2004 finde sich keine Vorschrift, die die Besonderheiten seines Falles (Wohnsitz Italien, Rentenanspruch in Deutschland) regele. Also sei auf Titel II der Verordnung zurückzugreifen, dort auf Art. 11 Abs. 3 lit. e). Art. 25 VO (EG) 883/2004 sei nicht einschlägig, denn er beziehe sich auf Rentner, nicht auf Rentenantragsteller. Eine analoge Anwendung scheide aus, da es aufgrund der explizit die Rentenantragsteller betreffenden Vorschrift des Art. 22 VO (EG) 883/2004 an einer hierfür erforderlichen Regelungslücke fehle. Soweit die Beklagte Art. 22 VO (EG) 883/2004, der in Abs. 2 auf Art. 25 verweise, anwenden wolle, übersehe sie, dass dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegend nicht erfüllt seien, da er weder bei Einreichung des Rentenantrages noch nach Rentenantragstellung den Sachleistungsanspruch gegenüber dem italienischen Gesundheitsdienst verloren habe. Daher greife auch die in Art. 25 VO (EG) 883/2004 vorgesehene Rechtsfolge nicht.

Die Beigeladenen (Deutsche Rentenversicherung - Beigeladene zu 1. -, GKV-Spitzenverband - Beigeladener zu 2.) haben keine Anträge gestellt. Die Beigeladene zu 1. hat jedoch darauf hingewiesen, dass nach einem aktuellen Auszug aus dem Rentenarchiv des italienischen Versicherungsträgers in Italien noch bis zum 25.08.2011 Pflichtbeiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung entrichtet wurden. Ihrer Auffassung nach müsse daher eine vorrangige Krankenversicherung nach den Vorschriften des Wohnsitzstaates auf jeden Fall bis 25.08.2011 bestanden haben.

Daraufhin hat die Beklagte die für die Zeit vom 26.07.2011 bis 25.08.2011 einbehaltenen Beiträge erstattet.

Das BMAS hat auf Anfrage des Senates mit Schreiben vom 24.03.2020 an seiner früheren Auffassung festgehalten und sich nicht in der Lage gesehen, einer bestimmten Interpretation einen eindeutigen Vorzug zu geben. Nichtsdestotrotz seien die aufgeführten Aspekte, die für eine Anwendung des Art. 22 VO (EG) 883/2004 auch bei Mitgliedsstaaten mit nationalem Gesundheitsdienst sprächen, nicht von der Hand zu weisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1. verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden können, weil dieser ordnungsgemäß zum Termin geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die Berufung der Beklagten ist - auch wenn man sie nur auf eine Beitragsforderung von weniger als 750 EUR gerichtet ansieht - schon deswegen statthaft, weil in der Zulassung der Sprungrevision durch das Sozialgericht zugleich auch die Zulassung der Berufung liegt, an die der Senat gemäß § 144 Abs. 3 SGG gebunden ist (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2019 - B 14 AS 279/18 B -, Rn. 3, m.w.N.). Sie ist auch im Übrigen in zulässiger Weise eingelegt.

Die Berufung ist hingegen nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid vom 28.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2012 aufgehoben, weil diese rechtswidrig sind. Der Kläger unterlag im Zeitraum der Rentenantragstellung (auch) vom 26.08.2011 bis 31.10.2011 nicht der Versicherungspflicht in der KVdR und war aufgrund dessen nicht beitragspflichtig.

Der Kläger fällt nicht unter die die Mitgliedschaft von Rentenantragstellern regelnde Vorschrift des § 189 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der vorliegend maßgeblichen Fassung vom 20.12.1988. Danach gelten als Mitglieder Personen, die eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt haben und die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 und 12 und Abs. 2, jedoch nicht die Voraussetzungen für den Bezug der Rente erfüllen. Nach Satz 2 gilt dies nicht für Personen, die nach anderen Vorschriften versicherungspflichtig oder nach § 6 Abs. 1 versicherungsfrei sind. § 189 Abs. 2 Satz 1 SGB V bestimmt, dass die Mitgliedschaft mit dem Tag der Stellung des Rentenantrages beginnt.

Grundsätzlich gelten nach § 3 Satz 1 Nr. 2 SGB IV die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie - wie hier - eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit nicht voraussetzen, für Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs haben. Das war beim Kläger zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung ersichtlich nicht der Fall, denn er hatte bereits seit Jahren seinen Wohnsitz in Italien.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts, die gemäß § 6 SGB IV unberührt bleiben. Vielmehr folgt aus den hier anzuwendenden Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts, dass für den Kläger in der Zeit der Rentenantragstellung insoweit (allein) die italienischen Rechtsvorschriften maßgeblich waren, wie den Regelungen der VO (EG) 883/2004 zu entnehmen ist. Der Kläger als italienischer Staatsangehöriger fällt gemäß Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 unter den persönlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung. Auch ist deren sachlicher Anwendungsbereich gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 lit. a) VO (EG) 883/2004 betroffen (Leistungen bei Krankheit).

Art. 11 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004 bestimmt, dass jede Person den Rechtsnormen nur eines Mitgliedsstaates unterliegt. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH bezwecken die Vorschriften des Titels II dieser Verordnung, dem Art. 11 voransteht, u. a., dass die Betroffenen grundsätzlich dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, so dass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden (EuGH, Urteil vom 11.09.2014 - C-314/13 -, Rn. 23 m.w.N., juris). Dieser Grundsatz kommt insbesondere in Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung zum Ausdruck (vgl. u. a. EuGH, Urteil vom 12.06.2012 - C-611/10 und C-612/10 -, Rn. 41, juris). Dadurch soll verhindert werden, dass die betroffene Person ohne sozialen Schutz bleibt; andererseits sollen auch die mit einer Doppelversicherung verbundenen Beitragslasten vermieden werden (Devetzi in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art. 11 VO (EG) 883/2004, Rn. 1).

In dem zwischenzeitlich nicht mehr streitigen Zeitraum ab der Rentenantragstellung am 26.07.2011 bis zum 25.08.2011, also dem letzten Tag, an dem in Italien Pflichtbeiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung entrichtet wurden, unterlag der Kläger mangels anderweitiger Regelungen in den Art. 12 bis 16 der VO (EG) 883/2004 gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a) VO (EG) 883/2004 aufgrund dieser Beschäftigung den italienischen Rechtsvorschriften. Dementsprechend hat die Beklagte zwischenzeitlich die Beiträge für diesen Zeitraum an den Kläger erstattet.

Seit dem 26.08.2011 ergibt sich für den Kläger die Geltung der Rechtsvorschriften seines Wohnmitgliedsstaates aus Art. 11 Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004. Danach unterliegen Personen, die - wie der Kläger - nicht unter die Buchstaben a) bis d) fallen, unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen eines oder mehrerer anderer Mitgliedsstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedsstaates. Eine solche anderslautende Bestimmungen enthält die Verordnung für den hier streitigen Sachverhalt nicht, insbesondere ist die in Art. 22 VO (EG) 883/2004 unter der Überschrift "Besondere Bestimmungen über die verschiedenen Arten von Leistungen" im Titel III, Kapitel 1, Abschnitt 1 in Bezug auf Rentenantragsteller enthaltene Regelung im Falle des Klägers nicht einschlägig. Aus diesem Grund liegt entgegen der Auffassung der Beklagten keine speziellere, gegenüber Art. 11 Abs. 3 lit. e) der VO (EG) 883/2004 vorrangige Zuständigkeitsbestimmung vor.

Nach Art. 22 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004 hat ein Versicherter, der bei der Einreichung eines Rentenantrags oder während dessen Bearbeitung nach den Rechtsvorschriften des letzten zuständigen Mitgliedstaats den Anspruch auf Sachleistungen verliert, weiterhin Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er wohnt, sofern der Rentenantragsteller die Versicherungsvoraussetzungen nach den Rechtsvorschriften des in Absatz 2 genannten Mitgliedstaats erfüllt.

Der Anwendungsbereich dieser Norm ist vorliegend nicht eröffnet, weil nach dem sozialen Sicherungssystem Italiens, dem entsprechend obigen Ausführungen gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a) VO (EG) 883/2004 letzten zuständigen Mitgliedstaat, die Krankenversorgung des Klägers erhalten geblieben ist.

Der Kläger hat bei der Einreichung seines Rentenantrags nicht, wie von Art. 22 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 vorausgesetzt, seinen Sachleistungsanspruch in Italien verloren und es konnten folglich nicht gemäß Abs. 2 Sachleistungen für Rechnung der Beklagten erbracht werden. Für Rentenantragsteller mit Wohnsitz in Mitgliedsstaaten mit einem sogenannten nationalen Gesundheitsdienst, also u.a. Italien, stellt sich das Problem des Anspruchsverlustes regelmäßig nicht, denn bei fortbestehendem Sachleistungsanspruch in diesen Mitgliedsstaaten bleiben diese auch primär leistungszuständig (vgl. Bieback in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Auflage 2018, Art. 22, Rn. 8). Art. 22 VO (EG) 883/2004 findet dort daher keine Anwendung (Wolf in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, VO (EG) 883/2004, 58. Edition (Stand: 01.09.2020), Art. 22, Rn. 1).

Nichts anderes ergibt sich vor dem Hintergrund der auf Rentner bezogenen, die Kostenlastverteilung regelnden Vorschrift des Art. 25 VO (EG) 883/2004. Diese bestimmt, dass falls eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält, in einem Mitgliedstaat wohnt, nach dessen Rechtsvorschriften der Anspruch auf Sachleistungen nicht vom Bestehen einer Versicherung, einer Beschäftigung oder einer selbstständigen Erwerbstätigkeit abhängt und von dem sie keine Rente erhält, die Kosten für die Sachleistungen, die ihr oder ihren Familienangehörigen gewährt werden, von dem Träger eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten übernommen werden, der nach Art. 24 Absatz 2 bestimmt wird, soweit dieser Rentner und seine Familienangehörigen Anspruch auf diese Leistungen hätten, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Durch diese Regelung sollen übermäßige Belastungen bzw. eine Benachteiligung von Mitgliedsstaaten mit einem steuerfinanzierten nationalen Gesundheitsdienst verhindert werden, indem kollisionsrechtlich an die Rentenleistung angeknüpft und die primäre Leistungszuständigkeit den Mitgliedsstaaten zugewiesen wird, nach deren Rechtsvorschriften eine Rente gewährt wird (vgl. Janda in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Auflage 2018, Art. 25 Rn. 2; Klein in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art. 25 VO (EG) 883/2004, Rn. 1).

In Bezug auf Rentner wurde folglich in der Verordnung explizit eine Regelung geschaffen, die die Besonderheiten von sowohl Mitgliedsstaaten mit beitragsfinanziertem Gesundheitssystem als auch solchen mit steuerfinanziertem Gesundheitssystem berücksichtigt. Eine entsprechende Regelung für Rentenantragsteller hat die Verordnung jedoch nicht getroffen. Art. 22 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 weist vielmehr nur für den Fall des vollständigen Verlustes des Sachleistungsanspruchs den für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaaten die Kostenlast für die Gesundheitsfürsorge zu, indem auf die Bestimmungen der Art. 23-25 der Verordnung Bezug genommen wird.

Aus diesem Verweis kann aber nicht hergeleitet werden, dass die dort festgelegten Grund- sätze im Fall des Klägers Geltung haben. Hieraus folgt zwar eine Zuständigkeitsfiktion für die Zuständigkeit zum Zeitpunkt vor der Entscheidung über die Rentengewährung (vgl. Bieback in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Auflage 2018, Art. 22 Rn. 18), er kann aber nicht die in Art. 22 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 verlangten Voraussetzungen ersetzen.

Es ist auch systemgerecht, Rentenantragsteller und Rentenbezieher diesbezüglich unterschiedlich zu behandeln. Erstere finanzieren ihren Lebensunterhalt regelmäßig ausschließlich oder zumindest wesentlich aus den Leistungen der für die Rentengewährung zuständigen Staaten. Daher ist es naheliegend, diesen auch die Kosten für die Gesundheitsfürsorge zuzuweisen. Letztere sichern in der Übergangszeit zwischen Rentenantrag und der Entscheidung über diesen ihren Lebensunterhalt in der Regel aus Leistungen des Wohnsitzstaates. Wenn sie in diesem Zeitraum einen vom Bestehen einer Versicherung, einer Beschäftigung oder einer selbstständigen Erwerbstätigkeit unabhängigen Anspruch auf Gesundheitsfürsorge haben, ist es naheliegend, dem Wohnsitzstaat auch die Kosten hierfür zuzuweisen, soweit und solange jedem Bürger eine entsprechende Gesundheitsfürsorge zur Verfügung gestellt wird. Aus diesem Grund fehlt es auch an der von der Beklagten postulierten Notwendigkeit einer Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Fürsorgesystemen.

Soweit der Beigeladene zu 2. geltend macht, dass der Verweis in Art. 22 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 auf Art. 25 ohne eine Anwendung auf Sachverhalte wie den vorliegenden ins Leere liefe, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Zwar mag sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt diese Bezugnahme nach dem System der Mitgliedstaaten mit steuerfinanziertem Gesundheitssystem als bedeutungslos erweisen, es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich ein Anwendungsbereich durch zukünftige Änderungen der jeweiligen Rechtssysteme ergibt. So ist es nicht ausgeschlossen, dass diese Mitgliedsstaaten mit nationalem Gesundheitsdienst in Zukunft für den Fall der Rentenantragstellung den Verlust der Sachleistungsansprüche bestimmen. Für diese Konstellation gewinnt dann der Verweis des Art. 22 VO (EG) 883/2004 auch auf Art. 25 Bedeutung.

Der Hinweis der Beklagten auf das zur Vorgängerverordnung (EG) 1408/71 ergangene Urteil des EuGH vom 14.10.2010 in der Rechtssache C-345/09 (van Delft u.a.) führt - insbesondere da es Rentner und nicht Rentenantragsteller betrifft - zu keiner anderen Beurteilung. Der Kläger hebelt nicht durch sein Verhalten die Wirkung einer Kollisionsnorm aus, die Voraussetzungen der Art. 22 bzw. 25, 30 VO (EG) 883/2004 sind in seinem Fall vielmehr nicht erfüllt.

Da demzufolge keine Versicherungspflicht des Klägers in der Zeit der Rentenantragstellung bei der Beklagten gegeben war, bestand auch keine entsprechende Beitragspflicht im Sinne des § 250 Abs. 2 SGB V. Ebenso kann keine Beitragspflicht aus Art. 30 VO (EG) 883/2004 hergeleitet werden, denn diese Vorschrift bezieht sich nur auf Rentner, nicht auf Rentenantragsteller.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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