L 14 R 906/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 41 R 413/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 906/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 255/19 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 26.11.2018 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Berücksichtigung von Zeiten des Besuchs einer Fachschule Ende der 1990er Jahre anstelle der bislang erfolgten Berücksichtigung von Zeiten des Besuchs einer Schule und einer Hochschule bis Ende der 1970er Jahre, letztlich eine höhere Altersrente.

Die am 00.00.1954 geborene Klägerin ist verheiratet, sie hat drei 1984,1988 und 1993 geborene Kinder. Nach dem Abitur 1974 nahm sie im Oktober desselben Jahres ein Studium auf (Pädagogik und Rechtswissenschaften), das sie im März 1980 mit dem Bestehen der Ersten juristischen Staatsprüfung beendete; im Anschluss war sie Referendarin. Da sie in den neunziger Jahren als Juristin keiner Stelle fand, besuchte sie vom 15.09.1997 bis zum 10.06.1999 eine Wirtschaftsfachschule, die sie als Kauffrau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft abschloss; in der Folgezeit war sie als solche tätig.

Am 09.08.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente für langjährig Versicherte ab dem 01.12.2017.

Die Beklagte entsprach dem Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 29.11.2017. Bei der Berechnung der Rente berücksichtigte sie die Zeit vom 02.11.1971 bis zum 30.09.1974, d.h. 35 Monate, als Zeit der Schulausbildung sowie die Zeit vom 01.10.1974 bis zum 31.10.1979, d.h. 61 Monate, als Zeit der Hochschulausbildung. Wegen Überschreitung der Höchstdauer an berücksichtigungsfähigen Zeiten einer schulischen Ausbildung unberücksichtigt blieb die Zeit der Fachschulausbildung vom 15.09.1997 bis zum 10.06.1999.

Mit ihrem Widerspruch vom 27.12.2017 machte die Klägerin geltend, die Beklagte hätte vorrangig die Zeit der Fachschulausbildung berücksichtigen müssen, denn im Gegensatz zu Zeiten einer Schul- oder Hochschulausbildung seien solche Zeiten nicht nur anzurechnen, sondern bis zu einer Dauer von drei Jahren auch zu bewerten (§ 74 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI seien Zeiten einer schulischen Ausbildung nur bis zu einer Höchstdauer von acht Jahren als Anrechnungszeit zu berücksichtigen, wobei nach § 122 Abs. 3 SGB VI die am weitesten zurückliegenden Kalendermonate zunächst zu berücksichtigen seien. Diese Vorschriften habe die Beklagte angewandt. Übersehen habe sie dabei das gesetzgeberische Gebot einer Bewertung von Fachschulzeiten. § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI sei offenbar aufgrund eines redaktionellen Versehens nicht geändert worden, es fehle hinter den Worten "höchstens bis zu acht Jahren" die notwendige Klarstellung etwa in dem Sinne: " vorrangig die Zeiten der Fachschulausbildung und der Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme ". Die dadurch entstandene planwidrige Lücke könne und müsse durch eine Analogie geschlossen werden, denn durch das Gebot der Bewertung habe der Gesetzgeber der Fachschulzeit eindeutig und unmissverständlich den Vorrang eingeräumt. Im konkreten Fall lasse sich der mit der Entscheidung verbundene Nachteil durch einfache vorrangige Berücksichtigung der zu bewertenden Fachschulzeit bei der Ermittlung der Höchstdauer beseitigen.

Mit Bescheid vom 12.03.2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung verwies sie insbesondere auf § 122 Abs. 3 SGB VI, wonach für die Festlegung anrechnungsfähiger Ausbildungszeiten die am weitesten zurückliegenden Kalendermonate zu berücksichtigen seien. An diese gesetzliche Regelung sei sie gebunden.

Daraufhin hat die Klägerin am 27.03.2018 Klage zum Sozialgericht Köln erhoben, um ihr Begehren weiter zu verfolgen.

Auf Bitte des Gerichts hat die Beklagte einer Probeberechnung unter Berücksichtigung der Fachschulausbildung vom 15.09.1997 bis zum 10.06.1999 übersandt; danach würde sich die Altersrente der Klägerin im Fall des Obsiegens um etwa 30 EUR brutto im Monat erhöhen.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2018 zu verurteilen, die Fachschulausbildung vom 15.09.1997 bis zum 10.06.1999 vorrangig anzurechnen, um die vom Gesetzgeber gewollte Bewertung nach § 74 SGB VI zu gewährleisten, und die entsprechende Neuberechnung der Altersrente unter Berücksichtigung dieser Zeit.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Köln die Klage durch Gerichtsbescheid vom 26.11.2018 abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt, die Beklagte habe bei der Berechnung der Altersrente für langjährig Versicherte die Zeit der Fachschulausbildung vom 15.09.1997 bis zum 10.06.1999 zu Recht nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt. Nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI seien Zeiten einer schulischen Ausbildung bis zu einer Höchstdauer von acht Jahren sogenannte Anrechnungszeiten. § 122 Abs. 3 SGB VI bestimme, dass, sofern Zeiten bis zu einer Höchstdauer zu berücksichtigen seien, die am weitesten zurückliegenden Kalendermonate berücksichtigt würden - vorliegend also die 96 Kalendermonate Schul- und Hochschulausbildung von November 1971 bis Oktober 1979. Es sei nicht zu beanstanden, dass diese 96 Kalendermonate nicht zu einer Rentenerhöhung führten. Die monetäre Auswirkung der Anrechnungszeiten auf die Rente erfolge im Wege der Gesamtleistungsbewertung im Sinne der Vorschriften der §§ 71 ff. SGB VI. Beginne eine Rente - wie hier - nach dem 31.12.2008, seien Zeiten der Schul- oder Hochschulausbildung keine Entgeltpunkte im Sinne von § 74 SGB VI mehr zuzuordnen, d.h. diese Zeiten seien letztlich unbewertete Anrechnungszeiten. Dies sei eine ausdrückliche gesetzgeberische Entscheidung. Die Tatsache, dass die vorliegend berücksichtigten Anrechnungszeiten von November 1971 bis Oktober 1979 nicht bewertet würden, führe nicht dazu, dass die Zeit der Fachschulausbildung von 1997 bis 1999 als Anrechnungszeit im Sinne von § 58 S. 1 Nr. 4 SGB VI vorrangig zu berücksichtigen sei. Hätte der Gesetzgeber vorrangig Fachschulzeiten als Anrechnungszeiten berücksichtigen wollen, hätte er eine Klarstellung in § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI eingefügt, was er aber nicht getan habe. Eine planwidrige Regelungslücke im Rahmen des § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI, die etwa aus der in § 74 S. 3 SGB VI normierten vorrangigen Bewertung von Fachschulzeiten folge, oder gar eine Verfassungswidrigkeit des § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht ersichtlich. Vielmehr differenziere der Gesetzgeber zwischen Anrechnungszeiten einerseits und deren Bewertung im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung andererseits. Aus der Tatsache, dass Zeiten der Fachschulausbildung gemäß § 74 S. 3 SGB VI vorrangig bewertet würden, folge nicht, dass Zeiten der Fachschulausbildung vorrangig auch als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen seien. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei der Differenzierung zwischen Anrechnungszeit einerseits und deren Bewertung andererseits um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung. Sie fuße auf der Überlegung, dass beitragsfreie Zeiten wegen fehlender Beitragsleistung Solidarhaftung der Versichertengemeinschaft darstellten und sie eigentlich dem Versicherungsprinzip widersprächen. Daher habe der Gesetzgeber einen weiten Spielraum für Änderungen und könne regeln, dass Anrechnungszeiten monetär nicht unmittelbar zu einer Rentenerhöhung führten.

Gegen den am 04.12.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14.12.2018 Berufung eingelegt. Sie meint, der Gesetzgeber habe die Bewertung von Fachschulzeiten gewollt, er habe also nur vergessen, § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI zu ändern. Anders als im Regelfall habe die Klägerin die Fachschule nicht vor, sondern erst nach dem Studium besucht. Dies ändere jedoch nichts daran, dass nach dem Willen des Gesetzgebers eine Bewertung dieser Zeit erfolgen solle. Es spreche vieles dafür, dass der Gesetzgeber Fälle wie den vorliegenden schlichtweg nicht im Blick gehabt habe. Jedenfalls verstoße es gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz (GG), wenn Versicherte, die zunächst eine Fachschule besucht und später studiert hätten, anders behandelt würden, als Versicherte, die zunächst studiert und später eine Fachschule besucht hätten. Zudem werde sie nun dafür "bestraft", dass sie das Studium überhaupt angegeben habe. Hätte sie dies nicht getan, so wäre die Hochschulausbildung nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt und die Höchstdauer nicht erreicht worden, so dass die Fachschulzeit nicht unberücksichtigt geblieben wäre. Dass auch die Beklagte zumindest ursprünglich erhebliche Zweifel an der nun vertretenen Rechtsauffassung gehabt habe, zeige der Umstand, dass es im Jahr 2004 diesbezügliche Diskussionen unter den Dezernenten der verschiedenen Rentenversicherungsträger gegeben habe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 26.11.2018 sowie den Bescheid vom 29.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2018 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihre Altersrente von Beginn an neu festzustellen und dabei die Zeit vom 15.09.1997 bis zum 10.06.1999 als Anrechnungszeit wegen Fachschulausbildung zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig und die Auffassung der Klägerin für unzutreffend. Sie meint, der Gesetzgeber habe klar geregelt, dass zunächst eine Festlegung der Anrechnungszeiten zu erfolgen habe und erst im nächsten Schritt eine Bewertung. So seien zunächst alle Ausbildungszeiten festzustellen und dann chronologisch bis zum Erreichen der Höchstdauer als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen. Dadurch sei sichergestellt, dass zunächst diejenigen schulischen Ausbildungszeiten als Anrechnungszeiten berücksichtigt würden, die nach dem Ende der Schulzeit zurückgelegt worden seien, um überhaupt (erstmalig) am Erwerbsleben teilnehmen und Rentenanwartschaften aufbauen zu können. Dabei sei es zunächst ohne Bedeutung, ob es sich bei diesen Ausbildungszeiten um Zeiten einer (bewerteten) Fachschulausbildung oder um Zeiten einer (unbewerteten) Hochschulausbildung handele. Wie die Begründung zu der 2008 erfolgten Änderung von § 74 SGB VI zeige, habe der Gesetzgeber bewusst eine Unterscheidung zwischen Hochschulausbildung einerseits und nichtakademischer Ausbildung an Fachschulen oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen andererseits vorgenommen. Bei der Entscheidung, Schul- und Hochschulzeiten im Rahmen des § 74 SGB VI nicht mehr zu bewerten, sei er davon ausgegangen, dass Versicherte aufgrund der in der Regel mit einer akademischen Ausbildung einhergehenden besseren Verdienstmöglichkeit überdurchschnittliche Rentenanwartschaften aufbauen könnten. Vor dem Hintergrund der steigenden demographischen Belastung der Alterssicherung habe er diese Zeiten nicht länger zulasten der Versichertengemeinschaft privilegieren wollen. Stattdessen sollten nur noch diejenigen Versicherten von einer rentenrechtlichen Bewertung ihrer Ausbildung profitieren, die eine nichtakademische Ausbildung an Fachschulen oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen absolvierten und dadurch im späteren Erwerbsleben regelmäßig geringere Rentenanwartschaften aufbauten, als es auf der Grundlage einer akademischen Ausbildung möglich sei. Der Bezug auf das "spätere Erwerbsleben" und zukünftige "Rentenanwartschaften" zeige, dass es dem Gesetzgeber bei der Änderung von § 74 SGB VI in erster Linie um die Bewertung bzw. Nichtbewertung von (notwendigen) Ausbildungszeiten zwischen Schulzeit und Berufsstart gegangen sei. Im Rahmen von typischen Ausbildungsbiografien sollten solche mit nichtakademischer Ausbildung an Fachschulen (oder mit berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen) rentenrechtlich bessergestellt werden als jene mit akademischer Ausbildung. Hingegen fänden sich in der Gesetzesbegründung keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Änderung der Bewertungsvorschrift des § 74 SGB VI auch eine vorrangige Berücksichtigung von im Laufe des späteren Erwerbslebens absolvierten Fachschulausbildungen beabsichtigt habe. Insofern werde davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber bewusst von einer Änderung des § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI abgesehen habe und eine planwidrige Regelungslücke damit nicht vorliege. Ohnehin erschließe sich auch nicht, warum es der Wille des Gesetzgebers hätte sein sollen, zulasten der Versichertengemeinschaft eine spätere Qualifizierungsmaßnahme vorrangig als (bewertete) Anrechnungszeit wegen Fachschulausbildung zu berücksichtigen, wenn zuvor bereits eine akademische Ausbildung abgeschlossen worden sei, die aus seiner Sicht im Regelfall (bei typisierender Betrachtung) bereits mit besseren Verdienstmöglichkeiten und höheren Rentenanwartschaften einhergehe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere ist sie statthaft und form- und fristgerecht erhoben (§ 143 und § 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Köln die Klage abgewiesen, denn die Beklagte hat die Altersrente der Klägerin richtig festgestellt und berechnet.

Zutreffend weist der Versicherungsverlauf der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum neun Monate an Beitragszeit wegen gleichzeitiger Berücksichtigungszeit (01.09.1997 bis 31.05.1998), sieben Monate an Pflichtbeitragszeit (02.06.1998 bis 23.12.1998), sowie eine Lücke (01.01.1999 bis 10.06.1999) aus; einen Anspruch darauf, dass (statt derer) die Zeit ihrer Fachschulausbildung als Anrechnungszeit berücksichtigt und bewertet wird, hat die Klägerin nicht.

Nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI in der ab dem 01.01.2002 geltenden Fassung sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt jedoch höchstens bis zu acht Jahren. Die Wirtschaftsschule, welche die Klägerin besucht hat, ist eine Fachschule im Sinne der genannten Vorschrift; dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Einer Feststellung der Zeit des Besuchs der Wirtschaftsschule als Anrechnungszeit steht jedoch die schon durch die Schul- und Hochschulausbildung erreichte Höchstdauer an Berücksichtigung wegen Anrechnungszeiten entgegen. Für die Klägerin sind 35 Monate an Schulausbildung (02.11.1971 bis 30.09.1974) und 61 Monate an Hochschulausbildung (01.10.1974 bis 31.10.1979), insgesamt also 96 Monate, d.h. acht Jahre, festgestellt. Zu Recht hat die Beklagte diese Zeiten und nicht die - Jahrzehnte später zurückgelegte - Zeit der Fachschulausbildung als Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung festgestellt, denn nach § 122 Abs. 3 SGB VI werden dann, wenn Zeiten bis zu einer Höchstdauer zu berücksichtigen sind, die am weitesten zurückliegenden Kalendermonate zunächst berücksichtigt. Weder § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI noch § 122 Abs. 3 SGB VI differenzieren zwischen zu bewertenden und nicht zu bewertenden Zeiten. Dass die Beklagte die geltenden Vorschriften zutreffend angewandt hat, bestreitet die Klägerin nicht.

Gäbe es § 122 Abs. 3 SGB VI nicht und nähme man an, dass bei mehr als 96 Monaten an Zeiten des Besuchs einer Schule, Fachschule oder Hochschule keine chronologische Feststellung zu erfolgen hätte, so stünde der Berücksichtigung der hier im Streit stehenden Fachschulzeit im Übrigen entgegen, dass § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI nach herrschender Meinung eng auszulegen ist. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 30.05.2002, L 1 RA 134/01, zitiert nach juris) führt dazu unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung aus, der Gesetzgeber habe nur Zeiten der schulischen Ausbildung oder der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen als Anrechnungszeiten rentenversicherungsrechtlich Bedeutung geben wollen, die erstmalig eine Berufsaufnahme ermöglichten. Dabei habe er bestimmte typische Ausbildungen als Ausbildungs-Anrechnungstatbestände normiert. Er habe gerade davon abgesehen, jegliche Ausbildungszeiten als Anrechnungszeiten anzusehen. Erstausbildungen seien gegenüber Fortbildungen und Umschulungen privilegiert. Die insoweit enge Auslegung entspreche dem Ausnahmecharakter der Ausbildungs-Anrechnungszeiten. Diese widersprächen nämlich dem mit Beitragsleistungen verbundenen Versicherungsprinzip. Als Zeiten ohne Beitragsleistung seien sie ein Ausgleich dafür, dass der Versicherte ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen und so Pflichtbeiträge zu entrichten. Sie seien deshalb - als Ausdruck staatlicher Fürsorge - auf den Ausgleich für die entgangene Möglichkeit zu beschränken, überhaupt am Erwerbsleben teilzunehmen. Sie honorierten nicht etwa darüber hinaus Bemühungen des Versicherten, in Zukunft eine qualifiziertere Arbeit aufzunehmen - und damit gleichzeitig höhere Beitragsleistungen zu erbringen (vgl. dazu auch Hauck/Noftz/Fichte SGB VI, Stand 05/2019, Rdnr. 95 m.w.N.). Es sei in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, dass der Versicherte den Ausbildungsberuf später tatsächlich ergreife oder ihn auch nur tatsächlich ausüben könne. Der Senat schließt sich dem aus eigener Überzeugung an.

Soweit die Klägerin meint, in einem Fall wie dem ihren entspreche die gesetzlich geregelte Verfahrensweise nicht dem Willen des Gesetzgebers, es müsse vielmehr von einer planwidrigen Lücke ausgegangen werden, die über eine Analogie zu schließen sei, kann ihr schon deshalb nicht gefolgt werden, weil es an einer Lücke fehlt. Ihre Argumentation lässt die Systematik des Gesetzes außer Acht. Dieses sieht vor, dass zunächst die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente, unter anderem auch die der Berechnung einer Rente zugrunde zu legenden rentenrechtlichen Zeiten, geklärt und erfasst werden (§§ 35 bis 62 SGB VI) und erst in einem nächsten Schritt eine Bewertung und damit auch eine Ermittlung der Rentenhöhe erfolgt (§§ 63 bis 88a SGB VI). Diese Systematik hat der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 74 SGB VI durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) nicht geändert. Dass er die Bedeutung von Anrechnungszeiten einerseits und die Bewertung bestimmter Zeiten andererseits dabei durchaus im Blick hatte, zeigt die Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 15/2149 vom 09.12.2003, Seite 24). Dort heißt es: "Mit der Neufassung entfällt die bisherige rentensteigernde Bewertung von Zeiten des Schul- und Hochschulbesuchs nach dem 17. Lebensjahr. Für Fachschulzeiten und Zeiten der Teilnahme an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen verbleibt es bei der geltenden Regelung. Allgemeine Schulzeiten sowie Fachhochschul- und Hochschulzeiten werden allerdings weiterhin als - unbewertete - Anrechnungszeit berücksichtigt. Dadurch wird sichergestellt, dass schulische Ausbildung bis zu 8 Jahren nach dem 17. Lebensjahr nicht zu rentenrechtlichen Lücken führt, sich also insbesondere im Fall der Frühinvalidität und bei frühem Tod keine einschneidenden Rentenminderungen ergeben. Im Übrigen entspricht die Neufassung dem bisherigen Recht." Ändert der Gesetzgeber eine Bewertungsvorschrift, so folgt daraus nicht, dass er auch die Regelungen bezüglich der Feststellung der zu berücksichtigenden Zeiten ändern müsste. Insoweit kann vollumfänglich auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen der Beklagten verwiesen werden, die unter Heranziehung der Gesetzesbegründung zur Änderung von § 74 SGB VI zeigen, dass der Gesetzgeber nichts übersehen, sondern im Gegenteil den Regelungen eine typisierende Betrachtungsweise zugrunde gelegt hat: Der Versicherungsverlauf soll den gesamten schulischen und beruflichen Werdegang eines Versicherten erfassen. Zeiten der schulischen Ausbildung - typischerweise dem erstmaligen Eintritt ins Erwerbsleben vorgelagert - sollen als Anrechnungszeit Berücksichtigung finden, allerdings nicht unbegrenzt, sondern in einem Umfang von höchstens acht Jahren. Dabei besteht nicht, wie die Klägerin meint, ein Wahlrecht dahingehend, dass Zeiten der Schul- oder Hochschulausbildung "weggelassen" werden können, um statt ihrer auch heute noch bewertete Zeiten wie etwa die des Besuchs einer Fachschule berücksichtigt zu bekommen, denn § 122 Abs. 3 ^ SGB VI schreibt ausdrücklich vor, dass eine chronologische Berücksichtigung zu erfolgen hat. Auch diese Vorschrift ist, obwohl zwischenzeitlich hinreichend Gelegenheit bestanden hätte, nicht geändert worden. Dass es dabei im Einzelfall, so auch im Fall der Klägerin, dazu kommen kann, dass das Maximum an berücksichtigungsfähigen Kalendermonaten erreicht ist, bevor die Fachschulausbildung begonnen wird, ist zwar eine Ausnahme, aber keine, die der Gesetzgeber, legt man die Begründung zugrunde, übersehen und, hätte er sie nicht übersehen, anders hätte regeln wollen. Auch dazu hat die Beklagte mit der Berufungserwiderung bereits zutreffende Ausführungen gemacht, denen der Senat sich nur anschließen kann.

Die Vorschriften über die Berücksichtigung und Bewertung von Anrechnungszeiten verstoßen schließlich auch nicht gegen Art. 3 GG, denn dieser gebietet, Gleiches nicht ungleich zu behandeln. Der Gesetzgeber hat sich entschieden, bei jedem Versicherten "nur" maximal acht Jahre als Zeiten der schulischen Ausbildung zu berücksichtigen. Er hat zudem - mit Begründung - entschieden, dass es, sollte ein Versicherter mehr als acht Jahre an derartigen Zeiten zurückgelegt haben, die ersten 96 Kalendermonate solcher Zeiten sein sollen, die berücksichtigt werden. Der Besuch einer Fachschule (erst) nach einem mehr als achtjährigen Schul- und Hochschulbesuch nach Vollendung des 17. Lebensjahres ist dann ebenso wenig berücksichtigungsfähig wie andere nach Überschreitung der Höchstdauer absolvierte schulische Ausbildungen. Der Vergleich mit einem Versicherten, der innerhalb der Höchstdauer eine Fachschule besucht hat und dadurch diese Zeit berücksichtigt - und bewertet - bekommt, ist insoweit nicht zielführend, als die Sachlage eben nicht gleich, sondern ungleich ist.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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