S 49 AS 73/19 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Potsdam (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
49
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 49 AS 73/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antragsteller zu 1) vorläufig Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 14. Januar 2019 in Höhe von 240,27 Euro für Januar 2019 und ab Februar 2019 in Höhe von monatlich 424,00 Euro bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. Juni 2019, zu gewähren.

2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antragsteller zu 2) vorläufig Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ab dem 14. Januar 2019 in Höhe von 240,27 Euro für Januar 2019 und ab Februar 2019 in Höhe von monatlich 424,00 Euro bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. Juni 2019, zu gewähren. 3. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten, im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

Gründe:

I.

Die 1985 geborenen Zwillingsbrüder, die mit einem diagnostizierten frühkindlichen Autismus schwerbehindert im Sinne des § 152 SGB IX sind und Eingliederungshilfe nach dem SGB XII erhalten, stellten am 5. Oktober 2018 bei der Beigeladenen einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2018 leitete die Beigeladene die Anträge an den Antragsgegner wegen sachlicher Unzuständigkeit weiter und führte aus, dass die Antragsteller erwerbsfähig seien und zum leistungsberechtigten Personenkreis des § 7 SGB II gehörten. Sie wies darauf hin, dass die Weiterleitung nach § 14 SGB IX nach sich ziehe, dass eine Entscheidung in der Sache auch im Falle der Annahme der Unzuständigkeit zu treffen sei und ggf. ein Erstattungsanspruch geltend gemacht werden könne.

Die Antragsteller sind Promotionsstudenten der Philosophie im 10. Semester, wobei sie bis zum 31. Juli 2018 ein Förderstipendium der Universität P für ihr Studium in Höhe von monatlich je 825 Euro erhielten. Sie wohnen seit dem 1. Januar 2017 zusammen in einer Haushaltsgemeinschaft in einer 2-Zimmer-Wohnung im Zentrum P, wobei Vermieter der weitere Bruder der Antragsteller ist. Als Kosten der Unterkunft fallen jeweils Kosten für Grundmiete von 380 Euro und Nebenkosten von 130 Euro, insgesamt jeweils 510 Euro an. Als Einkommen steht den Antragstellern laufendes Kindergeld in Höhe von jeweils derzeit 194 Euro zur Verfügung. Die Mutter unterstützte die Antragsteller nach Wegfall der Stipendien zunächst weiter. Bis zu ihrem Einzug in die jetzige Wohnung lebten die Antragsteller bei ihrer Mutter und zahlten jeweils einen Mietzins von 250 Euro an diese.

Der Antragsgegner wies die Anträge der Antragsteller mit Bescheiden vom 14. November 2018 und vom 4. Dezember 2018 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er jeweils aus, die Antragsteller hätten kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, weil sie sich in einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung befänden und stützte die Entscheidung auf § 7 Abs. 5, Abs. 6 SGB II. Die Widersprüche wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Mai 2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er nunmehr aus, die Antragsteller seien nicht hilfebedürftig. Mit dem Stipendium abzüglich des Freibetrags von 225 Euro und dem Kindergeld stünde ihnen ein monatliches anrechenbares Einkommen von 792 Euro zur Verfügung und könnten die Antragsteller ihren Lebensunterhalt sichern. Dabei erkannte der Antragsgegner keine Kosten der Unterkunft und Heizung an. Allein durch die Anmietung der Wohnung bestünde Hilfebedürftigkeit. Zudem sei aufgrund der umfangreichen täglichen Hilfe ein autarkes Wohnen der Antragsteller gar nicht möglich.

Die Antragsteller erhoben hiergegen Klagen vor dem Sozialgericht Potsdam, die die Kammer zu dem Aktenzeichen S 49 AS 980/17 verbunden hat. In dem Verfahren gab die Mutter der Antragsteller an, eine finanzielle Unterstützung von derzeit monatlich 900 Euro für die Antragsteller aufgrund ihrer eigenen Rente nicht mehr aufbringen zu können.

Die Antragsteller haben den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz am 14. Januar 2019 bei dem Sozialgericht Potsdam gestellt. Sie tragen zum Anordnungsgrund vor, durch die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners sei der Lebensunterhalt der Antragsteller nicht gesichert. Die Mutter der Antragsteller sei gezwungen, den Lebensunterhalt sicherzustellen, obwohl sie weder verpflichtet noch in der Lage dazu sei und auch nicht gewillt. Die Antragsteller verfügten nicht über finanzielle Reserven. Der Vermieter – Bruder der Antragsteller – müsse einen Kredit abzahlen, wobei eine Eilbedürftigkeit hinsichtlich der Kosten der Unterkunft noch nicht eingetreten sei.

Zum Anordnungsanspruch sind sie der Ansicht, aufgrund der Sachentscheidung des Antragsgegners sei dieser sachlich zuständig und käme es für den Eilantrag nicht auf die Erwerbsfähigkeit an. Die Beigeladene gehe von einer solchen aus.

Der Antragsteller zu 1) beantragt wörtlich,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen der Grundsicherung in Höhe von mindestens 416 Euro monatlich zu bewilligen.

Der Antragsteller zu 2) beantragt wörtlich,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen der Grundsicherung in Höhe von mindestens 416 Euro monatlich zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Anträge abzulehnen.

Er ist der Ansicht, die Antragsteller seien nicht erwerbsfähig und daher nicht vom Leistungssystem des SGB II erfasst. Er ist weiter der Ansicht, die Beigeladene sei als erstangegangener Träger vorleistungspflichtig.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie teilt die Ansicht der Antragsteller, dass der Antragsgegner unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt Verpflichteter sei. Eine vorläufige Leistungspflicht der Beigeladenen widerspräche der Vorschriften der § 44a Abs. 5 SGB II sowie § 21 S. 3 SGB XII. Es ist ihrer Ansicht nach nicht Aufgabe des Gerichts, die Erwerbsfähigkeit festzustellen.

Die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit gem. § 44 a SGB II hat der Antragsgegner bislang nach eigenen Angaben im Klageverfahren nicht vorgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners (je ein Band zu AZ:) sowie auf die herangezogene Gerichtsakte S 49 AS 980/17 mit dem verbundenen Verfahren S 35 AS 981/17 verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag der Antragsteller zu 1) und 2) ist begründet. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund in der begehrten Höhe sind glaubhaft gemacht worden. Die Kammer hat den Antrag des Bevollmächtigten ausgelegt, dass vorläufige Leistungen ab Antragstellung im einstweiligen Rechtsschutz begehrt werden.

1) Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung im Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnisses zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Neben einem Anordnungsgrund, der bei der Eilbedürftigkeit der Anordnung gegeben ist, setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtschutz einen Anordnungsanspruch voraus. Dies ist ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet werden soll. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System der gegenseitigen Wechselbeziehung. Ist etwa die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund.

Alle Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind – unter Beachtung der Grundsätze der objektiven Beweislast – glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die richterliche Überzeugungsgewissheit in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes erfordern insoweit eine lediglich überwiegende Wahrscheinlichkeit. Wenn dem Gericht im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist, ist auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927 ff.).

Danach sind die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG erfüllt. Nach der hier vorzunehmenden Prüfung der Erfolgsaussicht der Hauptsache erweisen sich die angegriffenen Bescheide in der Hauptsache als offensichtlich rechtswidrig. Die Antragsteller haben einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II.

Sie haben gem. § 37 Abs. 1 SGB II, § 16 Abs. 2 S. 2 SGB I am 5. Oktober 2016 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt. Sie stellten diesen Antrag beim unzuständigen Träger, der Beigeladenen. Diese hat den Antrag unverzüglich am 16. Oktober 2016 weitergeleitet, ohne eine Sachentscheidung zu treffen. Unerheblich ist, dass die Beigeladene die Entscheidung auf § 14 SGB IX stützt, statt auf den einschlägigen § 16 Abs. 2 S. 1 SGB I. Denn der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ist nicht vom Leistungskatalog des § 5 SGB IX – Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – erfasst. Der Antragsgegner hat daraufhin eine Sachentscheidung getroffen und damit seine sachliche Zuständigkeit anerkannt.

Die 1985 geborenen Antragsteller sind dem Grunde nach leistungsberechtigt gemäß § 7 SGB II. Sie haben das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II nicht erreicht und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Sie bilden als Brüder einer gemeinsam bewohnten Wohnung eine Haushaltsgemeinschaft. Ein Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 5 SGB II liegt nicht vor. Ein Promotionsstudium ist nicht dem Grunde nach förderungsfähig nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (BAfÖG) und damit nicht von einem Ausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II erfasst. Der Gesetzgeber hat in Kenntnis dieser Problematik den Anwendungsausschluss unverändert in § 7 Abs. 5 SGB II übernommen, so dass auch keine planwidrigen Regelungslücke vorliegt. Eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 5 SGB II auf Hochschulbesuche, die nicht nach BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sind, ist daher nicht möglich (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 03. April 2008 – L 2 AS 71/06 –, Rn. 36, juris). Der Antragsgegner hat sich in seinen Widerspruchsbescheiden von dem Ausschluss der Antragsteller nach § 7 Abs. 5 SGB II distanziert und unter Annahme eines grundsätzlichen Leistungsanspruchs mit den Voraussetzungen des §§ 7f SGB II den Anspruch mangels Hilfebedürftigkeit abgelehnt.

Die Antragsteller sind nach summarischer Prüfung auch hilfebedürftig. Der jeweilige Bedarf setzt sich zum Zeitpunkt der Entscheidung über den einstweiligen Antrag wie folgt zusammen: Regelbedarf gem. § 20 SGB II in Höhe von 424 Euro. Anhaltspunkte für einen Mehrbedarf ergeben sich nach summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht, insbesondere liegt kein Fall des § 21 Abs. 4 SGB II vor. Die Antragsteller sind nicht erwerbstätig. § 22 Abs. 5 SGB II mit der Einschränkung eines Umzug in eine eigene Wohnung unter Beschränkung der Anerkennung von Unterkunftskosten ist offensichtlich nicht gegeben, so dass Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von jeweils 510 Euro zum Bedarf der Antragsteller zu berücksichtigen sind. Daraus ergibt sich ein Gesamtbedarf von insgesamt jeweils 934 Euro. Dem gegenüber steht als Einkommen das Kindergeld von 194 Euro, bereinigt um 30 Euro, gesamt 164 Euro. Ein weiteres Einkommen insbesondere finanzielle Unterstützung der Mutter der Antragsteller ist nicht anzurechnen. Diese hat erklärt, die Antragsteller nicht mehr unterstützen zu wollen und können. Die Antragsteller leben nicht mehr im Haushalt der Mutter. Eine Unterhaltsverpflichtung der Mutter besteht nach Vollendung des 25. Lebensjahres der Antragsteller und nach abgeschlossenem Hochschulabschluss nicht mehr, die Voraussetzungen für eine Anrechnung durch Übergang eines Unterhaltsanspruchs aus § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 b) SGB II sind ausgeschlossen. Soweit die Mutter der Antragsteller diese tatsächlich weiterhin unterstützt hat, käme dies einer Vorausleistung für den SGB II-Träger gleich. Denn durch die Ablehnung der Leistungen sind die Antragsteller bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache tatsächlich darauf angewiesen, weitere Hilfen zu erhalten. Eine nachträgliche Anrechnung dürfte in den Fällen ausscheiden, in dem die Zahlung aufgrund der Ablehnung der Leistungen erfolgt ist, weil – zu Unrecht – Leistungen vorenthalten blieben.

Danach ergibt sich – derzeit nach Aktenlage - ein ungedeckter Bedarf von 770 Euro monatlich.

Der Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist auf den Regelbedarf als Minimum beschränkt worden. Daher bedarf es hier keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Kosten der Unterkunft und Heizung gem. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angemessen sind und vorläufig zu übernehmen. Auch hat der Antragsgegner ein Kostensenkungsverfahren gem. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II bislang nicht vorgenommen. In diesem Zusammenhang weist die Kammer – ohne dass es darauf für die Entscheidung ankommt – darauf hin, dass sich aus der Tatsache der Eingliederungshilfe der Antragsteller ein höherer Wohnbedarf ergeben könnte.

Dem Leistungsanspruch steht auch nicht eine fehlende Erwerbsfähigkeit der Antragsteller entgegen. Nach gegenwärtiger Sach- und Rechtslage gelten sie auch als erwerbsfähig i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB II. Dies ergibt sich aus § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II in der weiten Auslegung und Anwendung, die die Norm durch die Rechtsprechung des BSG gefunden hat (BSG, Urt. v. 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R -, juris Rn. 20). § 44a SGB II soll verhindern, dass sich der Streit über die Erwerbsfähigkeit eines Hilfebedürftigen für diesen so auswirkt, dass er weder von den Leistungsträgern des SGB II noch denen des SGB XII Leistungen erhält. Denn ist ein Hilfebedürftiger erwerbsfähig, fällt er in die Zuständigkeit des SGB II, ist er nicht erwerbsfähig, in die des SGB XII. Damit der Hilfebedürftige, bildlich gesprochen, nicht "zwischen zwei Stühlen sitzt", darf die in § 44a SGB II angeordnete Regelung der Zahlung von Arbeitslosengeld II durch die Träger des SGB II nicht erst einsetzen, wenn zwischen den Leistungsträgern des SGB II und des SGB XII tatsächlich Streit über das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit besteht. Vielmehr muss § 44a Satz 3 SGB II mit seiner endgültigen Zahlungspflicht der Leistungsträger des SGB XII auch für den Fall gelten, dass die Leistungsträger des SGB II von einer fehlenden Erwerbsfähigkeit ausgehen, sich aber nicht um eine Klärung der Angelegenheit mit dem zuständigen Leistungsträger des SGB XII bemüht haben (Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 44a RdNr 15; ders, SGb 2005, 377, 379 zitiert in BSG, Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 10/06 R –, Rn. 20).

Die Leistungspflicht auch vor Einleitung des besonderen Widerspruchsverfahrens und damit über den reinen Wortlaut des § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II hinaus rechtfertigt sich aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung, den Antragsteller, der existenzsichernde Leistungen geltend macht, auch im Falle eines "unausgesprochenen" negativen Kompetenzkonfliktes nicht genauso "zwischen die Stühle" geraten zu lassen wie im Falle eines durch die Einleitung eines Widerspruchsverfahrens manifestierten Zuständigkeitsstreits (Bender, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 44a Rn. 29; Blüggel, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 44a Rn. 72 zitiert in Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09. Juni 2016 – L 9 SO 427/15 B ER –, Rn. 5 - 7, juris).

Hier hat der Antragsgegner zunächst die Ablehnung von Leistungen in den Bescheiden vom 14. November 2018 und 4. Dezember 2018 und den Widerspruchsbescheiden vom 15. Mai 2017 nicht auf die vermeintlich fehlende Erwerbsfähigkeit nach § 8 SGB II gestützt. Ein Berufen auf eine fehlende Erwerbsfähigkeit erfolgte erstmals im nunmehr verbundenen Klageverfahren zu AZ: S 49 AS 980/17. Sie wäre in dem Hauptsacheverfahren zu bewerten, wobei zur beachten sein wird, dass ein Feststellungsverfahren nach § 44a SGB II noch nicht einmal eingeleitet worden ist, geschweige denn die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des nach § 109a Abs. 2 SGB VI zuständigen Rentenversicherungsträgers durchgeführt worden (§ 44a Abs. 1 Satz 5 SGB II).

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Försterweg 2-6, 14482 Potsdam, zulässig. Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Sozialgericht Potsdam, Rubensstraße 8, 14467 Potsdam, schriftlich, in elektronischer Form oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder

- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden.
Rechtskraft
Aus
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