S 3 SB 522/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 3 SB 522/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 SB 69/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 67/19 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Höhe des GdB (Grades der Behinderung) nach dem SGB IX (Sozialgesetzbuch, 9. Buch).

Mit zuletzt bindendem Bescheid vom 02.04.2009 war bei der Klägerin ein GdB von 50 festgestellt worden. Als Behinderung war anerkannt worden:

Brusterkrankung im Stadium der Heilungsbewährung.

Im März 2014 fand eine Nachprüfung von Amts wegen statt, im Rahmen derer ein Befundbericht von Dr. C. vom 03.04.2016 und ein Audiogramm vom 06.06.2013 beigezogen wurde. Des Weiteren wurden befundberichtlich gehört Dr. D. am 13.05.2014, Dr. E. am 22.05.2014 und Dr. F. vom 11.08.2014. Nach versorgungsärztlicher Auswertung dieser medizinischen Unterlagen wurde die Klägerin angehört mit Schreiben vom 27.08.2014 wegen Ablaufs der Heilungsbewährung zur geplanten Herabstufung des GdB auf 40. Entsprechend erging am 23.10.2014 ein Bescheid, in dem ein GdB von 40 festgestellt wurde und die Behinderungen wie folgt bezeichnet wurden:

Ohrgeräusche, psychische Störungen, Brustteilverlust (rechts), Funktionsstörungen der Wirbelsäule und der Gliedmaßen, Störungen der Verdauungsorgane.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch vom 03.11.2014, woraufhin am 01.12.2014 zurückweisender Widerspruchsbescheid erging.

Am 29.12.2014 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie die Zuerkennung eines GdB von mindestens 50 begehrt. Zur Begründung hat sie dargelegt, dass die in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen vorgesehene fünfjährige Heilungsbewährung nicht akzeptiert werden könne, darüber hinaus die Behinderung seitens der Psyche zu niedrig bewertet sei. Ein Gesamt-GdB bei Werten von 20/20, 20/10 sei im Übrigen mit 50 festzustellen. Sie leide unter einer Rezidivangst. Ferner müssten die Behinderungen seitens des Darms und der Wirbelsäule und ihres Tinnitus Berücksichtigung finden. Die Klägerin hat diverse medizinische Unterlagen zur Stützung ihres Vorbringens vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, unter Abänderung seines Bescheides vom 23.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2014 bei ihr weiterhin einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat es durch Dr. G. vorgetragen, dass nach dem psychopathologischen Befund und den Teilhabestörungen für das psychiatrische Fachgebiet von einem Krankheitsverlauf mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ausgegangen werden könne. Dieser sei bereits im Bescheid festgestellt, psychische Störungen würden sich unter Punkt 1 und 2 der Feststellungen finden. Sowohl die Ohrgeräusche als auch der Brustteilverlust rechts seien jeweils nur mit einem GdB von maximal 10 zu bewerten, so dass sich der GdB von 30 fast in alleiniger Weise auf diese psychischen Störungen beziehe.

Die erkennende Kammer hat einen Befundbericht von Dr. K. vom 13.06.2016 eingeholt nebst Ergänzung vom September 2016. Ferner wurden befundberichtlich gehört Dr. H. am 04.07.2016 und Dipl.-Psych. J. am 24.01.2017.

Die Verwaltungsakte wurde dem Verfahren beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sachverhaltsaufklärung und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte vorliegend durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil der Rechtsstreit keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist und das Gericht den Sachverhalt als geklärt ansieht.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Nach § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 10. Buch (SGB X) ist, soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, dieser Verwaltungsakt aufzuheben. § 48 SGB X findet auf alle Verwaltungsakte mit Dauerwirkung und damit auch auf feststellende Verwaltungsakte, wie sie die Bescheide nach § 69 SGB IX (Sozialgesetzbuch, 9. Buch) darstellen, Anwendung. Zu den faktischen Verhältnissen im Sinne dieser Vorschrift zählen auch die medizinischen Verhältnisse, so dass insbesondere objektiv nachweisbare Veränderungen im klinischen Befund, soweit sie für den ursprünglichen Verwaltungsakt maßgebend waren, zu seiner Aufhebung und Abänderung führen.

Nach § 69 Abs. 1 SGB IX stellt das für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständige beklagte Land das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 SGB IX). Eine Feststellung nach § 69 Abs. 1 SGB IX ist nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidung zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach § 69 Abs. 1 SGB IX glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt sogleich als Feststellung des Grades der Behinderung (§ 69 Abs. 2 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 SGB IX).

Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. § 2 Abs. 2 SGB IX regelt, dass Menschen schwerbehindert sind, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX regelmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben.

Bei der Bestimmung des Grades der Behinderung ist im Regelfall zum Zwecke der Gleichbehandlung aller Antragsteller von der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizinische Grundsätze (VG) der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedVO) vom 10.12.2008 (s. BGBl 2008, Nr. 57, Bl. 2412 ff), dem Nachfolgewerk zu den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" auszugehen.

Die Rechtsprechung hat die "Anhaltspunkte" seit langem als eine Zusammenfassung der Erkenntnisse der ärztlichen Wissenschaft zu Fragen der Klassifizierung, des Umfangs und der Schwere von Gesundheitsstörungen anerkannt, von denen ein Abweichen nur bei Vorliegen besonderer Gründe angezeigt ist.

Soweit die Klägerin die Berechtigung einer fünfjährigen Heilungsbewährung nach den VG anzweifelt, sei – wie vorstehend dargelegt – darauf verwiesen, dass die VG antizipierte Sachverständigengutachten sind, die hinsichtlich der Heilungsbewährung nach Mammakarzinom zu eben genau diesem Zeitraum von 5 Jahren gelangt sind. Die erkennende Kammer sieht keinen Anlass, die diesbezüglichen Feststellungen des Sachverständigenbeirates in Zweifel zu ziehen.

Die Behinderung seitens der Psyche ist – wie vom beklagten Land – zutreffend vorgetragen – bereits in den Behinderungen Nr. 1 und 2 mitberücksichtigt. Bei der Klägerin wurde ausweislich des Arztbriefs des Markus Krankenhauses vom 08.01.2009 eine brusterhaltende Therapie durchgeführt. Entspricht bedingt der Brustteilverlust nur den zuerkannten GdB von 10. Die psychologische Therapeutin Frau J. hat im Befundbericht vom 24.01.2017 dargelegt, dass eine generalisierte Angststörung und eine depressive Episode, leicht- bis mittelgradig vorliegen würde. Im psychopathologischen Befund wird die Klägerin beschrieben als unsicher und sichtlich angespannt, tendenziell überflutend, mit leichtem sprunghaftem Denken, grüblerisch auf diverse Ängste fixiert, weitschweifiger Rapport, Stimmung wechselhaft, histrionische Züge, dabei affektiv gut schwingungsfähig. Beschrieben wird damit eine stärker behindernde Störung im Grenzbereich zur leichteren psychovegetativen und der psychischen Störung, die unter Berücksichtigung des Tinnitus, den die Klägerin im Übrigen nicht gegenüber der psychologischen Therapeutin erwähnt hat, einen GdB von 30 rechtfertigt.

Die Behinderung seitens der Funktionsstörung der Wirbelsäule und der Gliedmaßen hat das beklagte Land zutreffend mit einem GdB von 20 bewertet. Nach den von Dr. K. im September 2016 mitgeteilten Bewegungsmaßen der Wirbelsäule liegen leichte bis mittelgradige Bewegungseinschränkungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule vor, die für sich einen GdB von 20 nach den Vorgaben der VG bedingen.

Auch die Verdauungsstörungen sind bei normalem Ernährungszustand (Dr. K., September 2016) zutreffend mit einem GdB von 10 bewertet.

Der Gesamt-GdB ist vorliegend zu bilden aus Werten von 30 für die Behinderung seitens der Psyche, 20 für die Behinderung seitens der Wirbelsäule und jeweils 10 für den Brustteilverlust und die Störungen der Verdauungsorgane. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit sich hierdurch das Gesamtausmaß der Behinderung vergrößert. Kleinbehinderungen mit einem GdB von 10 fallen in der Regel bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht ins Gewicht, dies gilt auch für Behinderungen mit einem GdB von 20. Vorliegend ist die schwerwiegendste Behinderung der Klägerin die infolge der psychischen Beeinträchtigungen. Die hinzutretende Kleinbehinderung seitens der Funktionsstörungen der Wirbelsäule hat das beklagte Land integrativ GdB-erhöhend berücksichtigt und den GdB von 40 gefunden. Eine weitere Erhöhung des GdB durch das Vorliegen der weiteren Kleinbehinderungen mit GdB’s von 10 kann nicht erfolgen. Eine Addition der Einzel-GdB-Werte ist ausdrücklich in den VG nicht vorgesehen, die integrative Betrachtungsweise ist vorgeschrieben.

Das beklagte Land hat die Vorgaben der VG vorliegend zutreffend beachtet und subsummiert, den GdB mit 40 zutreffend festgestellt.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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