S 23 U 125/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 125/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 51/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Das Erleiden eines Verkehrsunfalls kann das sog. A-Kriterium der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erfüllen (S3-Leitlinie der AWMF-Fachgesellschaften vom August 2011 "Posttraumatische Belastuungsstörung ICD10: F43.1", AWMF-Register-Nr. 051/010).
2. Die Diagnose PTBS ist nicht ausgeschlossen, wenn das Ereignis im Sinne einer dissoziativen (Teil-)Amnesie nicht mehr erinnert wird, was umso häufiger vorkommt, je schwerwiegender das Ereignis gewesen ist (S3-Leitlinie aa0, Erläuterungen zu Leitlinien-Empfehlungen 3 und 4 Ziffer 3).
3. Es ist Aufgabe des Sachverständigen, eine mögliche dissoziative Amnesie im Rahmen einer akuten Belastungsreaktion herauszuarbeiten, die das Korrelat eines krankheitswertigen psychischen "Primärschadens" darstellen kann (Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, AWMF-Registernr. 051/029).
4. Nach den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt es bisher in der Begutachtungspraxis psychiatrischer Krankheitsbilder keinen Konsens darüber, welche und wie viele der zahlreich verfügbaren „Beschwerdevalidierungstests“ zum Einsatz kommen sollten.
Solange die Auswahl der Beschwerdevalidierungsverfahren dem Belieben des Sachverständigen überlassen bleibt, kann der Einsatz solcher Tests auch kein Qualitätsmerkmal eines sozialmedizinischen Gutachtens oder gar ein einzufordernder Standard sein.
Insbesondere:
4.1 Es gibt keine Nachweise dafür, dass bei der Begutachtung eines Versicherten mit fraglichem psychiatrischem Krankheitsbild Simulation und Aggravation gehäuft auftreten.
4.2 Verdeutlichungstendenzen sind ein durchaus „normaler“, mehr oder weniger bewusster Versuch, den Gutachter vom Vorhandensein der geklagten Symptomatik zu überzeugen und können nicht mit Simulation oder Aggravation gleichgesetzt werden. Zunehmende Verdeutlichung kann stattdessen auch mit einem desinteressierten, oberflächlichen Sachverständigen zusammenhängen.
Der Bescheid vom 19.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.08.2014 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) sowie die Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F32.2) Folgen des Versicherungsfalls vom 30.12.2009 sind und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 01.01.2013 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 100 v. H. zu gewähren. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung einer Rente infolge ihres Arbeitsunfalls vom 30.12.2009.

Die Klägerin, damals abhängig beschäftigt als Raumpflegerin, wurde am 30.12.2009 auf dem Nachhauseweg von ihrer Arbeit auf einem Fußgängerüberweg ("Zebrastreifen") von einem Pkw angefahren. Zuvor hatte die Klägerin wartend am Zebrastreifen gestanden. Als ein von links kommender Pkw-Fahrer anhielt, hatte die Klägerin – auf einem unbeleuchteten Fahrrad fahrend – begonnen, den Zebrasteifen zu überqueren, wurde jedoch von einem Pkw erfasst, der sich dem Zebrastreifen auf der Gegenfahrbahn von rechts angenähert hatte (beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft Hanau).

Die Klägerin wurde am Unfalltag im Krankenhaus Gelnhausen stationär auf der Intensivstation behandelt und am Folgetag in die Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Gießen (Prof. C.) verlegt. Im Krankenhaus Gelnhausen wurden die Diagnosen Commotio cerebri, Orbitabodenfraktur rechts mit Einblutung in den Sinus maxillaris und Kieferhöhlenfraktur rechts gestellt. Bei der Aufnahmeuntersuchung wurde eine retrograde Amnesie für mehrere Stunden und anterograde Amnesie für ca. eine Stunde festgestellt (Bericht des Krankenhauses Gelnhausen vom 15.02.2010). Im Fragebogen der Beklagten zum Unfall gab die Klägerin am 04.02.2010 an, sie sei nach dem Unfall bewusstlos gewesen.

Im Universitätsklinikum Gießen diagnostizierte Prof. C. eine Jochbeinfraktur rechts, eine Schädelbasisfraktur rechts, eine Störung des Nervus opticus rechts sowie eine Basisfraktur des Endglieds des Daumens links diagnostiziert (D-Arztbericht vom 08.01.2010). Die Jochbeinfraktur wurde am 05.01.2010 operativ versorgt und die Klägerin am 08.01.2010 in die ambulante durchgangsärztliche heimatnahe Weiterbehandlung bei Dr. D. und Dr. E. entlassen. Weiterhin fanden ambulante Untersuchungs- und Behandlungstermine der Klägerin in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Gießen, statt. Die Klägerin wurde von dort der ophthalmologischen Behandlung in der Augenklinik zugeführt. In der Augenklinik wurde eine traumatische Opticopathie rechts bei deutlicher Visusreduktion und einer Reduktion der Netzhautempfindlichkeit mit Reduktion des Farbensehens festgestellt (Arztbrief vom 10.03.2010). Bezüglich der stattgehabten Jochbeinfraktur rechts bestanden weiterhin Sensibilitätsstörungen im Versorgungsgebiet des Nervus facialis rechts (Bericht Universitätsklinikum Gießen vom 08.04.2010). Wegen unfallbedingter Zerstörung der vorhandenen zahnprothetischen Versorgung im Oberkiefer rechts musste sich die Klägerin diesbezüglich neu versorgen lassen.

Der wegen Kopfschmerzen vor dem Unfall, nämlich im März 2009, einmalig aufgesuchte Neurologe und Psychiater Dr. F., den die Klägerin nach dem Unfall u. a. wegen verschwommenem Sehen mit dem rechten Auge, Schwindel und diffusem Benommenheitsgefühl und dumpfem Kopfdruck am 01.02.2010 wiederaufsuchte, stellte nach neurologischer Untersuchung der Klägerin die Diagnosen "commotio cerebri, Sehstörung rechtes Auge". Es gebe keinen Hinweis für eine neurologische Ursache dieser Erkrankungen.

Im Bericht über die Vorstellung der Klägerin am 04.05.2010 vom selben Tag wurde im Universitätsklinikum Gießen u. a. folgender Befund erhoben: "Die Unfallverletzte beschreibt nun, erstmals auch psychische Probleme aufgrund der Verletzungen sowie des stattgehabten Unfalls zu haben. Dies schildert sie glaubwürdig ohne Aggravation. [ ...] Die Unfallverletzte erhielt eine Überweisung zur Psychotherapie. Dort wird sie sich selbständig vorstellen zur Behandlung eines vermutlich posttraumatischen Syndroms."

Am 14.06.2010 teilte die Klägerin anlässlich eines Gesprächs mit dem von der Beklagten eingesetzten Berufshelfer Herrn G. (vgl. dessen Gesprächsvermerk) mit, dass sie keine Erinnerungen an den Unfall und keine sogenannten Flashbacks habe. Sie verspüre jedoch eine ständige innere Unruhe, habe ein "komisches Gefühl im Kopf" und mache sich Gedanken über die Zukunft. Sie sei alleinerziehende Mutter von 2 Kindern im Alter von 8 und 14 Jahren. Um über die Runden zu kommen habe sie bislang 3 Putzjobs angenommen: Neben ihrer Haupttätigkeit als Reinigungskraft (3 x wöchentlich jeweils 6 Stunden) habe sie eine weitere lohnsteuerpflichtige Tätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 8 Stunden gehabt, die auf Grund der langen krankheitsbedingten Ausfallzeit zwischenzeitlich vom Arbeitgeber gekündigt worden sei, und eine dritte Beschäftigung auf 210,- Euro-Basis. Das Hauptarbeitsverhältnis sehe die Klägerin nicht als gefährdet an. Am 19.07.2010 suchte die Klägerin Herrn Dr. F. erneut auf. Dieser stellte den "dringenden Verdacht auf eine Anpassungsstörung als Folge des Unfallereignisses". Für eine hirnorganische Läsion bestünden keine Hinweise. Die Beschwerden der Klägerin werden in dem Bericht vom selben Tag angegeben mit: "überhaupt nicht belastbar, ständig Kopfschmerzen, bei jeder Belastung zunehmend, unscharfes Sehen mit dem rechten Auge, dumpfes Benommenheitsgefühl im ganzen Kopf, sie sei auch nervös, zittrig, traue sich weniger zu, fahre beispielsweise seit dem Unfall kein Rad mehr, sei unkonzentrierter."

Die Beklagte genehmigte der Klägerin fünf probatorische Sitzungen bei dem Psychologen H. In dem diesbezüglichen Bericht vom 29.07.2010 beschreibt der Psychologe die psychische Symptomatik der Klägerin seit dem Verkehrsunfall wie folgt: Initiativ- und Kraftlosigkeit, Müdigkeit, Probleme, den alltäglichen Pflichten nachzukommen, Traurigkeit – häufiges Weinen, Ängste, dass sich ihre körperlichen und psychischen Einschränkungen nie wieder bessern, Gefühl von Überforderung und Unverstandensein, Nervosität, Somatisierung über Verstärkung vorhandener somatischer Einschränkungen: wegen der Probleme mit dem rechten Auge Schwindelgefühl und komisches Gefühl im Kopf, das sich bis zu starken Kopfschmerzen steigert – Symptome bessern sich bei Abdecken des betroffenen Auges. Der Psychologe stellte die Diagnose "Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion bei depressiver Neurosenstruktur". Telefonisch teilte der Psychologe der Beklagten am 09.08.2010 mit, dass der Klägerin eine Verhaltenstherapie zu empfehlen sei. Sie habe große Probleme und Ängste gerade dadurch, weil sie nicht wisse, ob sich ihr derzeitiges Sehvermögen wieder bessere. Er selbst könne eine Verhaltenstherapie aber nicht anbieten.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin bei der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, – Psychoanalyse –, Frau Dr. K., eine Verhaltenstherapie als Kurzzeittherapie.

Aus dem Bericht des Universitätsklinikums Gießen – Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie Prof. C. – vom 13.08.2010 geht über ihre dortige Vorstellung am selben Tag hervor, dass Konzentrationsschwächen, Sehschwächen und Schwindel fortbestünden und die Klägerin die Möglichkeit einer Wiedereingliederung abgelehnt habe. Diesbezüglich wandte sich die Klinik, Dr. L., am 26.08.2010 auch telefonisch an die Beklagte und bat um Verhaltensinstruktionen (Gesprächsnotiz von diesem Tag).

Am 27.08.2010 wurde die Klägerin zuhause vom Berufshelfer G. aufgesucht. Dieser hielt zum Stand des medizinischen Heilverfahrens fest, dass die unfallbedingt erlittenen Frakturen an Jochbein, Schädel und Daumen der Klägerin keine Probleme mehr bereiteten. Seit dem Unfall könne sie aber auf dem rechten Auge nur noch unscharf und verschwommen sehen, wie durch einen Nebel (vgl. auch die von der Augenpraxisklinik N. am 06.08.2010 ausgestellte Brillengläser-Verordnung; die Versorgung der Klägerin mit einer entsprechenden Sehhilfe brachte laut Aussage der Klägerin keine Verbesserung, vgl. Bericht Prof. C. vom 09.09.2010). Die Klägerin verspüre ein Benommenheitsgefühl im Kopf und habe ständig Kopfschmerzen. Die bislang stattgefundene augenfachärztliche Behandlung habe bislang noch zu keiner eindeutigen Diagnose geführt. Die Klägerin berichte, dass der erlittene Unfall sie psychisch aus der Bahn geworfen habe; sie fühle sich kraftlos, müde und habe Probleme, den Alltag zu bewältigen, könne sich nur mit sich selbst beschäftigen, sei nervös und fühle sich häufig überfordert. Manchmal denke sie, dass alles keinen Sinn mehr habe. Der Berufshelfer G. schloss seinen Bericht damit, dass die Arbeitsunfähigkeit derzeit von der psychischen Problematik verursacht werde und die Einleitung eines Arbeitsversuchs zu gegebener Zeit mit Frau Dr. K. abgestimmt werden müsse.

Bei ihrer Vorstellung bei dem Unfallchirurgen Dr. M. (Main-Kinzig-Kliniken, Standort A Stadt) am 15.09.2010 auf eigenen Anlass (Zwischenbericht vom selben Tag) berichtete die Klägerin von einem Schwindel, der seit dem 12.09.2010 (bei diesem Datum handelt es sich möglicherweise um einen Schreib- oder Übertragungsfehler, da der Unfall im Dezember 2009 – 12/2009 - war; Anm. d. Verf.) bestehe. Dr. M. stellte die Verdachtsdiagnose posttraumatische Belastungsstörung und empfahl eine neurologische Konsultation im Universitätsklinikum Gießen. Zunächst aber wurde der Klägerin nach ihrer (von der Beklagten veranlassten) Vorstellung in der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Gießen und Marburg am 30.09.2010 (vgl. Bericht der Klinik vom 01.10.2010, Augenarztbericht an die Beklagte vom 21.10.2010), bei der beidseits die Verdachtsdiagnose Fusionsstörung, rechts die Verdachtsdiagnose traumatische Optikopathie sowie "vor allem" links die Verdachtsdiagnose eines Glaukoms gestellt worden war, entsprechend der dortigen Empfehlung in der Augen-Praxisklinik N. eine Fernbrille mit Mattglas rechts verordnet. Aus dem Bericht der Augenklinik vom 01.10.2010 geht hervor, dass am rechten Auge der Klägerin u. a. eine Pupillenreaktionsstörung (relatives afferentes Pupillendefizit, kurz RAPD; Internetrecherche der Kammervorsitzenden unter https://www.ukm.de/index.php?id=8453 am 24.06.2019) sowie eine nahezu konzentrische Einengung des Gesichtsfelds festgestellt wurden. Der Bericht der Praxisklinik N. vom 14.10.2010 beschreibt zudem rechts diffuse Gesichtsfeldausfälle sowie links zarte Ausfälle im 30 Grad-Bereich. Am 21.10.2010 suchte die Klägerin Herrn Dr. F. auf, der am selben Tag einen neurologischen Befundbericht abgab: Das rechte Auge sei jetzt seit einer Woche abgeklebt [Mattglasversorgung, s. o.], die Klägerin habe aber große Probleme, sich daran zu gewöhnen, weiterhin habe sie viel Schwindel, ein Taubheitsgefühl am rechten Oberkiefer "relativ". Unverändert sei sie immer wieder etwas nervös, die Dosis von Opipramol sei in Absprache mit der Psychotherapeutin inzwischen auf 50-50-100 mg gesteigert worden. Der neurologische Befund lautete u. a. auf "nach wie vor Dysästhesien Bereich des zweiten Trigeminusastes rechts, seitengleich normale Pupillenreaktion, bei der Lagerungsprobe beim Hinlegen beidseits diffuses Schwindelgefühl geschildert, aber kein Nystagmus." Den psychischen Befund gab Dr. F. mit ängstlich angespannt an, keine Zeichen einer hirnorganischen Beeinträchtigung, dringender Verdacht auf eine Somatisierungsstörung. Als vorläufige Diagnosen formulierte er neben einer commotio cerebri eine Anpassungsstörung. Der Arzt empfahl eventuell eine hno-ärztliche Abklärung zum Ausschluss einer Labyrinthläsion, die nach der Anamnese denkbar wäre, klinisch gebe es aber von seiner Seite bisher keine Hinweise in diese Richtung. Der HNO-Arzt Dr. O. schloss bei der dortigen Vorstellung der Klägerin am 12.11.2010 (Bericht vom selben Tag) bezüglich der Diagnose Schwindel eine "cochleo-vestibuläre Beteiligung nach Schädelhirntrauma" aus.

Aufgrund der augenärztlichen Untersuchung der Klägerin am 26.10.2010 erstattete der von der Beklagten beauftragte Prof. P. unter dem 06.12.2010 ein Erstes Rentengutachten – Augen –. Augenanamnestisch seien vor dem Unfall vom 30.12.2009 keine Augenerkrankungen und kein Schielen bekannt gewesen. Auch seien keine Augenoperationen durchgeführt worden und keine Brille getragen worden. Der Sachverständige stellte die unfallabhängige Diagnose "traumatische Optikopathie (partielle Optikusatrophie)" sowie die unfallunabhängigen Diagnosen Hyperopie, Astigmatismus und Presbyopie. In seiner Zusammenfassung und Beurteilung führte Prof. P. aus, dass die partielle Optikusatrophie als eindeutig unfallbedingt anzusehen sei infolge der Schädelbasis- und Gesichtsschädelfraktur z. B. des fachärztlichen Berichts vom 15.01.2010. Die Visusminderung, die Farbensättigung und die aus der Gesichtsfeld-Beschreibung hervorgehende Reduktion der Lichtunterschiedsempfindlichkeit seien durch die partielle Optikusatrophie bedingt. Die Angaben bei den entsprechenden Untersuchungen seien glaubhaft gewesen und würden durch die objektiven Befunde erklärt. Eine Verbesserung des Sehvermögens am rechten Auge sei nicht zu erwarten. Therapeutische Möglichkeiten bestünden diesbezüglich nicht. Eine Besonderheit sei die empfundene Störung des Sehens mit zusätzlichem angegebenem Schwindel und Kopfschmerzen unter binokularen Sehbedingungen. Daher okkludiere die Klägerin das rechte Auge seit zwei Wochen. Unter Berücksichtigung der Visusreduktion, insbesondere bezogen auf die alltagsrelevante Situation in der Nähe, schätzte der Sachverständige die MdE auf ophthalmologischem Fachgebiet auf Dauer auf 10 v. H. ein.

Unter dem 08.10.2010 gab Frau Dr. K. der Beklagten nach 9 Stunden Kurzzeittherapie einen ausführlichen Befundbericht bei den Diagnosen Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und mittelgradige depressive Episode ab. Hierin führte sie aus, dass die Klägerin zu Beginn der Therapie noch geglaubt habe, dass sie bald wieder arbeiten gehen könnte. Die erhoffte Besserung des Sehvermögens sei aber nicht eingetreten, wie sich aus dem Bericht der Augenklinik des Universitätsklinikums Gießen und Marburg ergebe. Wohl deshalb und auch, weil die Klägerin von Seiten ihrer Familie wenig Verständnis für ihre psychischen Beschwerden erfahre, habe sich bei ihr eine mittelgradige Depression entwickelt. Die Symptome seien Freudlosigkeit, Interessenverlust, Antriebsarmut, sozialer Rückzug, körperliche Unruhe, Schlafstörungen, Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit, Zukunftsängste und starke Schwindelzustände. Die Symptome der PTBS seien Ängste, z. B. über die Straße zu gehen, vor allem auf einem Zebrastreifen, als Beifahrerin; selbst Auto zu fahren, könne sie sich überhaupt nicht mehr vorstellen und wenn sie den alten grünen Golf der Unfallverursacherin sehe, die in der Nachbarschaft wohne, werde es ihr schlecht. Außerdem meide die Klägerin den Unfallort, die Straße, in der die Unfallverursacherin wohne, verdränge Gedanken an den Unfall, sei schreckhaft, gereizt und emotional distanziert. Sie mache sich große Vorwürfe, weil sie keine gute Mutter mehr sei. Vom psychischen Befund her sei die Klägerin körperlich sehr unruhig, wirke deutlich gedrückt und habe eine depressiv-ängstliche Stimmungslage. Wichtige Therapieziele seien z. Zt. die Verbesserung der Alltagsfähigkeit wie Ablenkung, Selbstannahme, Affektkontrolle, Minderung der Schuldproblematik und der körperlichen Missempfindungen wie Schwindel und Sehstörungen. Eine leichte Besserung der Symptomatik sei schon erreicht worden. Es bestünden eine sehr gute Mitarbeit der Klägerin und ein starker Veränderungswille.

Am 04.11.2010 (Gesprächsnotiz) sprach Herr G. mit Frau Dr. K. Diese berichtete, dass die Klägerin sich psychisch derzeit in einem sehr schlechten Zustand befinde, sehr depressiv sei und auch an Selbstmord denke, da ihr gesamtes Leben aus den Fugen geraten sei. Die Klägerin habe sich stark zurückgezogen, habe noch immer Ängste, so dass sie sich kaum traue, über die Straße zu gehen, fühle sich müde und kraftlos. Dr. K. empfahl ein stationäres Heilverfahren in der Fachklinik Katzenelnbogen, das die Beklagte umgehend bewilligte. Dort wurde die Klägerin vom 24.11.2010 bis 07.01.2011 behandelt. Aus dem diesbezüglichen Bericht der Klinik vom 21.10.2011 gehen ebenfalls die Diagnosen PTBS sowie mittelgradige depressive Episode hervor. Unter "Therapie und Verlauf" wird ausgeführt, dass die Klägerin mit typischen Symptomen einer PTBS wie Schreckhaftigkeit, Hypervigilanz und ausgeprägtem Vermeidungsverhalten nach einem Autounfall vor einem Jahr stationär aufgenommen worden sei. Darüber hinaus habe eine mittelgradige depressive Symptomatik mit Hoffnungslosigkeit und Affektlabilität bestanden. Medikamentös sei die Klägerin in der Klinik mit Cipralex behandelt worden, worunter sich ihre Stimmungslage deutlich verbessert habe. Die Klägerin sei während des stationären Aufenthalts teilweise sehr unruhig gewesen, vor allem dann, wenn es um Planung und Entscheidungen bezüglich der Zeit nach der Entlassung gegangen sei. Deshalb sei zusätzlich Promethazin verordnet worden. In den verhaltenstherapeutisch orientierten Gesprächen sei es vor allem um ein Konfrontationstraining gegangen. Hierzu sei die Klägerin im Straßenverkehr begleitet worden. Da die Klägerin Unterstützung bei Behördengängen und bei Gesprächen mit der Beklagten benötige, sei eine ambulante Sozialberatung initiiert worden. Abschließend einschätzend lasse sich die Depression als gebessert beurteilen. Die PTBS habe jedoch auch bei der Entlassung noch einen manifesten Symptombereich dargestellt. Die Klinik empfahl eine soziotherapeutische Unterstützung, die Fortsetzung der psychotherapeutischen Behandlung sowie die psychiatrische Mitbehandlung. Die Klägerin wurde weiterhin arbeitsunfähig entlassen.

Am 21.01.2011 fand ein Gespräch zwischen Herrn G. und der Klägerin statt (Gesprächsvermerk). Hierin berichtete die Klägerin, dass sie von der stationären Rehabilitationsbehandlung in Katzenelnbogen sehr profitiert habe. Es gehe ihr psychisch jetzt weitaus besser. Trotz der fortbestehenden Beschwerden, Kopfschmerzen und Schwindel, wolle die Klägerin möglichst bald einen Arbeitsversuch unternehmen.

In einem Gespräch am 26.01.2011 mit Herrn G. (Gesprächsvermerk) berichtete Frau Dr. K., dass die Klägerin zwischenzeitlich wieder einen deutlich nervösen Eindruck mache. Grund hierfür seien sicherlich die zu erwartenden finanziellen Schwierigkeiten, sofern die Klägerin ihre frühere Leistungsfähigkeit nicht wiedererlange. Die Ärztin halte die Klägerin aufgrund der Sehstörung und insbesondere wegen des fortbestehenden Schwindels auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bis auf Weiteres für nicht wieder eingliederbar. Deshalb habe sie der Klägerin dringend geraten, Rente wegen voller Erwerbsminderung bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zu beantragen (vgl. auch Bericht der Ärztin an die Beklagte vom selben Tag). Dieser Empfehlung kam die Klägerin nach.

Unter dem 16.02.2011 berichtete Frau Dr. K. (nach 15 Stunden traumafokussierter Psychotherapie) der Beklagten erneut. Die Psychotherapie habe aktuell zu einer Besserung der Selbstregulation geführt. Es sei eine Besserung der depressiven Symptome und der Zukunftsängste durch psychoedukative Maßnahmen und imaginative Übungen eingetreten. Die Medikation sei auf die Einnahme von Cipralex reduziert worden.

Nachdem durch Kernspintomografie vom 04.03.2011 der Verdacht auf subdurale Blutung ausgeschlossen worden war (radiologischer Bericht vom selben Tag), äußerte Prof. C. nach Auswertung des o. g. Entlassungsberichts der Fachklinik Katzenelnbogen und des Berichts der Frau Dr. K. vom 26.01.2011 in seinem Bericht vom 11.03.2011, dass die Diagnosen der PTBS und der mittelgradigen depressiven Episode sich mit seinem Bild von der Klägerin im Rahmen ihrer BG-lichen Vorstellung bei ihm decke und dass er sich der psychotherapeutischen und fachärztlichen Ansicht anschließe, dass eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt nicht möglich sei. Die Klägerin bleibe bis auf weiteres arbeitsunfähig und bedürfe der weiteren Psychotherapie. Die unfallchirurgische und mund-kiefer-gesichtschirurgische Behandlung in seinem Haus sei abgeschlossen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grad sei sicherlich eingetreten. Die Klägerin stellte sich auf Veranlassung der Beklagten in der Deutschen Klinik für Diagnostik – Neurologie – bei Prof. Q./Dr. R. zur diagnostischen Einordnung ihrer Schwindelsymptomatik vor. Dort wurde (Bericht vom 21.04.2011) der neurologische und psychische Befund erhoben sowie ein HNO-ärztliches Konsil durchgeführt. Zusammenfassend teilte Dr. R. mit, dass die Schwindelattacken auf einen hier teilweise nachweisbaren benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel des rechten posterioren Bogengangs zurückzuführen seien. Die Klägerin zeige beim Aufrichten aus Rechtsseitenlage eine deutliche Schwindelsymptomatik ohne eindeutigen Nystagmus, was typischerweise bei residualen Otolithen auftreten könne. Für eine anderweitige peripher-vestibuläre Störung habe sich kein Anhalt gefunden. Aus HNO-ärztlicher Sicht sei eine Dünnschicht-CT der Schädelbasis anzuraten, da linksseitig eine Hörminderung gefunden worden sei, die sowohl das Innenohr als auch das Mittelohr betreffe. Für eine Optikusläsion habe sich in den evozierten Potentialen kein Anhalt gefunden, so dass die Blendempfindlichkeit und das Zukneifen des rechten Auges zunächst unklar blieben. Diesbezüglich sei eine augenärztliche Begutachtung sinnvoll. Als Behandlungsmaßnahme riet Dr. R. ein stationäres Lagerungstraining an, da ein posttraumatischer Lagerungsschwindel, der als Unfallfolge zu werten sei, sehr gut behandelbar sei. Darüber hinaus sollte die augenärztliche Untersuchung und eine kraniale CT zum Ausschluss einer Gehörknöchelchenluxation durchgeführt werden, was im Rahmen eines stationären Aufenthalts mitgemacht werden könnte. Das klinische Bild werde jedoch durch eine schwere posttraumatische Belastungsstörung dominiert. Die Klägerin sei im Alltag sicherlich aufgrund der psychiatrischen Diagnosen nicht erwerbsfähig und es sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grad sicherlich eingetreten. Sie bleibe bis auf weiteres arbeitsunfähig.

Die Beklagte stimmte dem Behandlungsvorschlag der Deutschen Klinik für Diagnostik zu. Vom 07.06.2011 bis 09.06.2011 hielt sich die Klägerin deswegen stationär in der Deutschen Klinik für Diagnostik auf. Die intensiven Lagerungsmanöver in hoher Frequenz hatten allerdings auf den Schwindel keinen positiven Einfluss. Bezüglich der Sehstörungen wurde nunmehr eine Optikusatrophie rechts und eine beginnende Schädigung links diagnostiziert. Zur Beurteilung eines Unfallzusammenhangs sei die Durchführung einer HRT (Papillentomograhie) mit Frage nach normotonem Glaukom erforderlich. Die CT-Untersuchung der Latero- und Frontobasis des Schädels habe unauffällige Verhältnisse im Bereich der Gehörknöchelchen ergeben. Die schwere posttraumatische Belastungsstörung bedürfe einer stationären und anschließend ambulanten Psychotherapie (psychologisches Konsil vom 07.06.2011). Die posttraumatische Belastungsstörung und der Lagerungsschwindel seien entsprechend der Katamnese mit dem Unfallereignis in Verbindung zu bringen. Es wurde die Umstellung auf ein schlafanstoßendes Antidepressivum empfohlen.

Unter dem 16.05.2011 gab Frau Dr. K. einen weiteren Befundbericht nach 25 Stunden Psychotherapie ab. Hierin beschrieb sie die Symptome der Klägerin wie folgt: "[ ...] Das zentrale Gefühl seit dem Unfall ist die Hilflosigkeit. In nahezu jeder Lebenssituation, die nicht vorhersehbar ist, tritt dieses Gefühl auf. Patientin fühlt sich vollkommen unsicher und ausgeliefert und kann mit Stresssituationen nicht umgehen. Dazu gehört auch die Unsicherheit bezüglich ihrer finanziellen Situation. Insgesamt deutliche Besserung des depressiven Befundes nach der Reha-Maßnahme in Katzenelnbogen und bestehender antidepressiver Medikation von 40 mg Cipralex. Trotzdem bestehen noch Kraftlosigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsstörungen. Ihre Ängste, wie z. B. über die Straße zu gehen oder dass ihren Kindern etwas passieren könnte ebenso wie die Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die an den Unfall erinnern, sind Folge der Posttraumatischen Belastungsstörung. Patientin fühlt sich emotional betäubt und gleichgültig anderen Menschen gegenüber, z. B. ihren Eltern oder auch ihren Kindern. `Ich bin ein vollkommen anderer Mensch.´"

Unter dem 25.05.2011 erstattete Herr Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, nach Untersuchung der Klägerin am 23.05.2011 auf Veranlassung der Beklagte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. Hierbei kam er zu dem Ergebnis, dass die Reduktion des Visus rechts mit Verschwommensehen auf den Unfall, sprich auf die Schädelbasisfraktur, zurückzuführen sei. Im Rahmen der Jochbeinfraktur rechts, der Schädelbasisfraktur rechts und der Reduktion des Visus rechts müssten auch die geschilderten Kopfschmerzen im Sinne eines symptomatischen Kopfschmerzes eingeordnet werden. Daneben finde sich eine chronifizierte ängstlich agitierte depressive Verstimmung im Sinne einer dysthymen Störung. Die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung lägen seines Erachtens nach nicht vor, insbesondere keine Intrusionen. Nachdem die Klägerin geschildert habe, dass sie vor dem Unfall mit solchen psychologisch-psychiatrischen Symptomen nicht konfrontiert gewesen sei, sei davon auszugehen, dass sich diese Störung ebenfalls durch den Unfall entwickelt habe. Darüber hinaus liege als Unfallfolge eine Hypästhesie im Bereich des rechten Gesichts vor. Aus dem Gutachten des Dr. S. geht hervor, dass sich die Klägerin nicht an den Unfall erinnern könne. Den Unfallhergang kenne sie nur aus Erzählungen. Sie wisse jedoch noch, wie sie (vor dem Unfall) von der Arbeitsstelle weggefahren sei. Die Klägerin schilderte sich gegenüber dem Sachverständigen als körperlich unruhig, sie leide unter Nervosität, Herzklopfen und Angst. Wenn sie unter psychischen Stress gerate, nehme die Angst zu. Schlimm sei ihre Angst, die Straße zu überqueren, Zebrastreifen könne sie nicht mehr benutzen. Am Unfallort sei sie nie mehr vorbeigegangen, geschweige denn habe die Straße dort überquert. Der Sachverständige erhob folgenden psychischen Befund: "[ ...] Die Stimmung ist depressiv, sie wirkt ängstlich, agitiert und unruhig, schildert, dass sie sich nicht konzentrieren kann, dabei wirkt sie wenig belastbar, ganz auf ihren Unfall und ihre Folgezustände konzentriert. Keine inhaltlichen Denkstörungen, keine Wahrnehmungsstörungen. Das Gedächtnis ist intakt. Kein Hinweis für Simulation und Aggravation." Mit Schreiben vom 26.07.2011 nahm Dr. S. zur MdE auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet dahingehend Stellung, dass diese 40 v. H. betrage, wobei eine endgültige Einschätzung zwei Jahre nach dem Unfall durchgeführt werden sollte. Die ängstlich-agitierte eher chronifizierte depressive Episode müsse fachgerecht eingeordnet werden, auch wenn, wie schon im Gutachten ausgeführt, nicht alle Kriterien vorhanden seien, um die Diagnose einer PTBS zu stellen.

Zwecks Erstattung eines Ersten Rentengutachtens (auf unfallchirurgischem Fachgebiet) wurde die Klägerin im Auftrag der Beklagten in der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Gießen am 15.06.2011 körperlich und radiologisch untersucht. Prof. C./Dr. T. erstatteten das Gutachten unter dem 20.06.2011. Die Sachverständigen kamen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin sich auf unfallchirurgischem Fachgebiet lediglich eine Endgliedbasisfraktur D 1 der linken Seite zugezogen habe. Diese Verletzungsfolge sei ohne relevante Folgen ausgeheilt. Die Klägerin sei seit dem Unfall nicht wieder arbeitsfähig. Grund hierfür seien Traumafolgen auf ophthalmologischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Aufgrund der unfallbedingten rechtsseitigen Jochbeinfraktur in Verbindung mit persistierenden Schmerzen im rechten Oberkiefer hielten die Sachverständigen ein mund-, kiefer- und gesichtschirurgisches Gutachten bzw. eine explizite Stellungnahme zu den dort verbliebenen Unfallfolgen indiziert. Zur Gesamt-MdE könne erst nach dessen Erstellen sowie nach Vorlage des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Dr. S. Stellung genommen werden (vgl. auch gesondertes Schreiben der Sachverständigen vom 20.06.2011). Unter dem 08.08.2011 erstattete Frau Dr. K. einen weiteren Verlaufsbericht über die psychotherapeutische Behandlung der Klägerin. Hierin führte sie (offenbar in Bezug auf das Gutachten des Dr. S. vom 25.05.2011, s. o.) aus, dass die Diagnose der PTBS weniger auf Intrusionen, sondern vielmehr auf massivem Vermeidungsverhalten der Klägerin beruhe. Jeder Gedanke an oder jede Konfrontation mit dem Unfall, das Krankenhaus, die Unfallverursacherin, deren Auto oder der Ort des Geschehens, lösten eine heftige Angstattacke bei der Klägerin aus. Sie erlebe es wie ein Überschwemmtwerden von diesen Gefühlen, was sie kaum aushalten könne. Die Ärztin habe in Ansätzen versucht, über die vorhandenen Erinnerungen zu sprechen, was mit der Methode der langsamen bilateralen Stimulation möglich gewesen sei. Diese Technik der sanften Traumakonfrontation solle fortgesetzt werden.

Am 01.09.2011 teilte Frau Dr. K. der Sachbearbeiterin U. mit, dass es der Klägerin derzeit sehr schlecht gehe, weil sie unter starken Existenzängsten leide [die Verletztengeldzahlung war zum 29.06.2011 eingestellt worden; Anm. d. Verf.]. Die Klägerin müsse eine gesetzliche Betreuung erhalten, wenn sie Geld vom Sozialamt beantragen müsse, da sie nicht in der Lage sei, dies selbständig zu erledigen. Die Beklagte bewilligte der Klägerin einen Rentenvorschuss. Die Beraterin im Integrationsfachdienst des Behinderten-Werk V. e. V., die die Klägerin seit 21.02.2012 psychosozial betreute, beantragte am 07.11.2012 beim Amtsgericht für die Klägerin eine gesetzliche Betreuung zur Unterstützung in Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten. Die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, insoweit für sich selbst zu sorgen, als sie aufgrund ihrer psychischen Verfassung überfordert scheine. Unter dem 14.02.2013 teilte die Sozialarbeiterin des Gesundheitsamts Betreuungsstelle des Main-Kinzig-Kreises dem Amtsgericht Gelnhausen ergänzend mit, dass die Klägerin seit einem schweren Verkehrsunfall 2009 mit Schädelbasis- und Jochbeinfraktur an einer schweren depressiven Erkrankung leide. Aus dem ärztlichen Befundbericht der Frau Dr. K. vom 06.02.2013, der u. a. dem Schreiben beigefügt war, gehe hervor, dass die Klägerin bis zum Unfall gesund und leistungsfähig gewesen sei, nun aber leistungsunfähig und schwerbehindert. In dem Schreiben der Sozialarbeiterin vom 14.02.2013 wird die Klägerin als "im Kontakt sehr zurückhaltend, aber auch klagend" beschrieben. Bei ihrer Vorsprache in der Dienststelle am 08.02.2013 habe sie erklärt, dass sie sehr blendempfindlich sei und nach dem Betreten des Büroraums eine Brille aufgesetzt, deren eines Glas mit Paketband zugeklebt gewesen sei. Zur ihrer bisherigen Arbeit als Raumpflegerin bei der Firma W. gab sie an, dass sie gerne dort gearbeitet habe und ihr großer Wunsch sei es, dort auch wieder zu arbeiten. Erklärungen, ob nach dem Unfall eine Schadensersatzklage angestrengt worden sei, habe die Klägerin nicht geben können. Für sie sei "alles so kompliziert", dass sie mutlos werde. Psychisch fertig mache sie der Gedanke, dass sie vorher so gesund gewesen sei, jetzt habe sie das Gefühl, ihr Kopf sei kaputt. Mit Beschluss vom 10.06.2013 bestellte das Amtsgericht Gelnhausen der Klägerin, aufgrund der Auswertung der (auch im hiesigen Rechtsstreit) aktenkundigen medizinischen Unterlagen, der persönlichen Anhörung und dem Schlussgespräch mit der Klägerin sowie der o. g. Stellungnahme der Betreuungsbehörde (Main-Kinzig-Kreis – MKK –), eine Betreuerin für die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen und sonstigen Institutionen. Die Bestellung einer Betreuerin mit diesem Aufgabenkreis sei erforderlich, weil die Klägerin aufgrund einer Posttraumatischen Belastungsstörung und einer mittelgradigen depressiven Episode nicht in der Lage sei, diese Angelegenheiten selbst zu besorgen. Mit Beschluss vom 28.05.2015 wurde die bestehende Betreuung auf Wunsch der Klägerin vom Amtsgericht Gelnhausen verlängert und der Aufgabenkreis um die Gesundheitssorge erweitert. Zugrunde lagen das ärztliche Attest der Frau Dr. K. vom 22.04.2015 (bei der Diagnose Organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma), die Angaben der Betreuerin des Main-Kinzig-Kreises (u. a. "[ ...] Betroffene besucht die Tagesstätte, welches ihr nach Überwindung von Ängsten sehr gut gefällt. Ambulantes Betreutes Wohnen soll dazukommen. Hierzu konnte sie sich noch nicht entschließen [ ...].", Schreiben MKK vom 21.04.2015 an Amtsgericht Gelnhausen; "[ ...] Frau A. kam frühzeitig zum Termin, sie war sehr aufgeregt und es war offensichtlich sehr anstrengend für sie, das Gespräch zu führen. Sie leidet weiter unter starken Kopfschmerzen und ist schnell überfordert. Zur Tagesklinik geht sie gerne, allerdings könne sie oft nur den halben Tag aushalten. Nachmittags falle es ihr zunehmend schwerer unter anderen Menschen zu sein und ihre Angstzustände nähmen dann zu [ ...].", Scheiben MKK vom 27.05.2015) und der unmittelbare Eindruck des Gerichts durch Anhörung der Klägerin ("[ ...] die Betroffene macht einen gepflegten, aber sehr ängstlichen Eindruck. Sie ringt mit ihren Händen, verdeckt teilweise das Gesicht. [ ...]"). Im letzten aktenkundigen Bericht der gesetzlichen Betreuerin vom 05.12.2018 teilte diese mit, dass die Klägerin immer wieder starke Depressionen, eine starke Ängstlichkeit und Panikattacken habe. Die Tagesstätte sei positiv, die Therapie habe kleine Verbesserungen gebracht. Die Betreuung sei weiterhin mit dem bisher angeordneten Aufgabenkreis erforderlich. Die Klägerin sei stark traumatisiert, sehr schüchtern, habe Angstattacken.

Die Beratungsärztin der Beklagten, Frau Dr. X., gab unter dem 26.10.2011 eine hno-ärztliche Stellungnahme ab. Zusammenfassend ergebe sich, dass sich die Klägerin aufgrund der Verletzungen des Unfalls am 30.12.2009 unter anderem einen benignen Lagerungsschwindel zugezogen habe. Die Gleichgewichtsfunktionsprüfungen vom November 2010 hätten noch leichte Differenzen ergeben, bei der neurologischen Diagnostik 4 bzw. 6 Monate später habe bereits kein eindeutiger Nystagmus bei den Lagerungsprüfungen nachgewiesen werden können, nur subjektive Angaben über Schwindel, die Elektronystagmographie habe keinen Spontannystagmus ergeben und seitengleiche Reizantworten in der Warmspülung. Dieselben Ergebnisse seien auch im Mai 2011 erhoben worden. Auch im Juni 2011 sei die Schwindelsymptomatik wiederum subjektiv gewesen, ein pathologischer Nystagmus habe nicht nachgewiesen werden können, sodass doch der begründete Verdacht bestehe, dass es sich jetzt um eine erhebliche psychosomatische Reaktionsbildung handele, wie im Befundbericht vom 22.06.2011 beschrieben. Eine MdE für den posttraumatischen Lagerungsschwindel lasse sich auf hno-ärztlichem Fachgebiet nicht erkennen.

Unter dem 10.11.2011 erstattete Prof. Y./Frau Z. (Universitätsklinikum Gießen und Marburg, in dem die Klägerin mund-, kiefer- und gesichtschirurgisch mitbehandelt worden war) auf Veranlassung der Beklagten, zurückgehend auf die Empfehlung des Prof. C. (s. o.) nach Untersuchung der Klägerin am 10.08.2011 ein mund-, kiefer- und gesichtschirurgisches Zusatz-Gutachten. Hierin kam er zu der Bewertung, dass die persistierende Hypästhesie im Ausbreitungsgebiet des Nervus infraorbitalis rechts Unfallfolge sei und keine MdE bedinge.

Zum neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. S. ließ sich die Beklagte am 16.09.2011 durch den Psychologen CC. beraten. Dieser hielt die MdE-Einschätzung von 40 v. H. für zu hoch und das Gutachten insgesamt für unvollständig. Es solle ein neuer Bericht bei Herrn Dr. S. angefordert werden und die Klägerin solle sich in der BG-Unfallklinik Frankfurt bei Dr. DD./Herrn EE. vorstellen, damit hier "eine sinnvolle Verhaltenstherapie begonnen werden" könne. Dementsprechend sei darüber nachzudenken, die Therapie bei Frau Dr. K. ausschleichen zu lassen. Am 25.10.2011 telefonisch und am 01.11.2011 schriftlich wandte sich die hierüber informierte Ärztin an die Beklagte und führte aus, dass die eingetretene leichte Stabilisierung zunichte gemacht worden sei, als die Klägerin die Mitteilung bekommen habe, sich in der BGU vorzustellen. Seitdem nähmen Schlafstörungen und körperliche Unruhe wieder zu. Die Klägerin habe auch angegeben, dass sie unheimlich nervös sei und seit einer Woche viel weine. Nur stockend habe die Klägerin Frau Dr. K. mitteilen können, dass eine Untersuchung von mehreren Stunden angekündigt sei. Frau Dr. K. schlug der Beklagten stattdessen vor, die Untersuchung in der BGU auf das nächste Jahr zu verschieben. Vorher sei ein zweiter Aufenthalt in der Klinik Katzenelnbogen zur weiteren Stabilisierung geplant. Unter dem 08.12.2011 teilte Frau Dr. K. der Beklagten mit, dass sich die Hauptdiagnose geändert habe. Durch die Beobachtung des Symptomverlaufs sei jetzt von einem organischen Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma auszugehen. Es handele sich um eine gesicherte Diagnose, mit der die Klägerin voll erwerbsunfähig sei.

Die Beklagte beauftragte ihren Beratungsarzt, den Neurologen und Psychiater Dr. DD., mit einer Stellungnahme zu der von Dr. S. (Gutachten vom 25.05.2011 sowie Schreiben vom 26.07.2011) eingeschätzten MdE von 40 v. H. Unter dem 10.12.2011 teilte dieser der Beklagten mit, dass Herrn Dr. S. dahingehend zuzustimmen sei, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nicht vorliegen könne. Es sei zwar ganz klar, dass das Ereignis grundsätzlich geeignet sei, eine psychotraumatologische Störung hervorzurufen. Wegen der Unfallamnesie sei die Diagnose einer PTBS nicht stichhaltig und auch eine chronifizierte depressive Episode könne seines Erachtens nicht diagnostiziert werden. Vielmehr sei von einer andauernden depressiven Anpassungsstörung auszugehen, die eben durch den körperlichen Befund unterhalten werde, wobei ein zunehmender psychischer Überbau zu konstatieren sei, insbesondere, was den Schwindel angehe. Wenn man die Optikusatrophie berücksichtige und eine depressive Anpassungsstörung, die üblicherweise jetzt noch mit einer MdE von 20 v. H. zu bewerten wäre, würde sich unter Mitberücksichtigung der Trigeminusläsion und des posttraumatischen Kopfschmerzes eine MdE von 30 v. H. auf neuropsychiatrischem Gebiet begründen lassen. Auch Dr. DD. schlug eine Heilverfahrenskontrolle bei Herrn EE. vor.

Mit Bescheid vom 12.01.2012 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 v. H. ab 29.06.2011, der unangefochten blieb. Der Arbeitsunfall der Klägerin habe zu nachstehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen geführt, die bei der Bewertung der MdE berücksichtigt worden seien: Kopf: Knöchern vollständig verheilter Mittelgesichtsbruch mit Beteiligung des Orbitabodens, operativ versorgter, knöchern fest verheilter Bruch des Jochbeines rechts und folgenlos verheilte Schädelbasisfraktur rechts. Leichte Sensibilitätsstörung im Bereich des Nervus infraorbitalis rechts. Andauernde depressive Anpassungsstörung. Rechtes Auge: Teilweise Schwund des Sehnerves mit leichter Visusminderung, Farbentsättigung und Reduktion der Lichtunterschiedsempfindlichkeit. Linker Daumen: Endgliedbasisbruch des Daumens mit geringer endgradiger Einschränkung der Beugung. Unabhängig vom Arbeitsunfall lägen Weitsichtigkeit, Hornhautverkrümmung und Alterssichtigkeit vor. Zur Begründung bezog sich die Beklagte auf die aktenkundigen Sachverständigengutachten des Prof. P., des Prof. Y. sowie des Prof. C. (s. o.), deren Empfehlungen sie gefolgt sei. Weiterhin stütze sich die Entscheidung auf das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. S. vom 25.05.2011. Dessen Empfehlung zur Höhe der MdE (auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet 40 v. H. unter Einbeziehung der Beeinträchtigungen am rechten Auge) sowie seiner Einschätzung zur Diagnose (chronifizierte depressive Episode) sei die Beklagte nicht gefolgt. Nach unfallversicherungsrechtlicher Literatur, Schönberger/Mehrtens/Valentin liege eine andauernde depressive Anpassungsstörung vor, die durch den körperlichen Befund unterhalten werde, mit einem zunehmend psychischen Überbau. Bei einer stärkergradigen depressiven Anpassungsstörung sei eine MdE von 20 v. H. gerechtfertigt. Bei der Einschätzung der Gesamt-MdE sei zu berücksichtigen, dass nebeneinanderstehende Funktionseinschränkungen auf verschiedenen Fachgebieten nicht zu addieren seien, sondern eine integrierende Gesamtbetrachtung der Funktionseinschränkungen aller Fachgebiet auf die Erwerbsfähigkeit vorzunehmen sei. Der Grad der Gesamt-MdE sei daher in aller Regel niedriger als die Summe der Einzelschäden. Mit der Einschätzung der MdE durch Prof. P. auf augenärztlichem Fachgebiet (10 v. H.), durch Prof. C. auf chirurgischem Fachgebiet (0 v. H.) und der MdE auf dem Gebiet der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (0 v. H.) gehe die Beklagte unter Berücksichtigung einer MdE von 20 v. H. für das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet deshalb von einer Gesamt-MdE von 30 v. H. aus.

Wie von Frau Dr. K. angeregt, stellte die Beklagte die geplante "ambulante Heilverfahrenskontrolle" der Klägerin in der BGU-Frankfurt bei dem Psychologen EE. zu Gunsten eines vorherigen, erneuten stationären Aufenthalts der Klägerin in der Fachklinik Katzenelnbogen zunächst zurück. Im Schreiben vom 25.01.2012 hatte die Ärztin ausgeführt: "Ich möchte hier nochmal an die psychische Dekompensation im Oktober erinnern, als Frau A. das erste Mal die Aufforderung bekam, sich in der BGU vorzustellen. Jede unbekannte Situation überfordert die Patientin und löst große Angst aus. [ ...] Denn das sie außer den Kopfschmerzen und Schwindelzuständen am meisten belastende Problem sind die seit einem Jahr bestehenden Magenschmerzen. Sie werden durch eine ständige körperliche Anspannung ausgelöst. Eine Magenspiegelung hat einen Heliobakter ergeben, der antibiotisch behandelt wurde. Leider bestehen die Schmerzen immer noch. Die körperliche Anspannung mit Anhalten des Atems ist deutlich im Gespräch mit der Patientin zu beobachten. Zur Diagnostik möchte ich vorschlagen, dass bei einer kommenden Begutachtung auf die Symptome der Kopfschmerzen und des Schwindels explizit eingegangen werden soll. Denn diese Symptomatik passt nur zu der Diagnose des Organischen Psychosyndroms. Psychischer Befund: [ ...] peritraumatische Amnesie, Störung der Wahrnehmung und der Aufmerksamkeit, das Denken ist verlangsamt, Wortfindungsstörungen, Konzentrationsstörungen, depressive Stimmung, Gereiztsein, Weinen, Antriebsarmut, Zukunftsängste, große Ängste, dass sich die Krankheit verschlimmern könnte, Unfähigkeit, mit Stress umzugehen, Hoffnungslosigkeit, Wertlosigkeit, Schuldgefühle, verminderte emotionale Schwingungsfähigkeit und ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, denn alle Gedanken und Gefühle, die mit dem Unfall zu tun haben, werden vermieden. [ ...] Außerdem haben wir versucht, über die Erinnerungen an den Unfall und den Moment des Wachwerdens im Krankenhaus zu sprechen. Diese Themen bedeuten eine enorme psychische Belastung für Frau A. [ ...]".

Über den stationären Aufenthalt der Klägerin in der Fachklinik Katzenelnbogen vom 03.02.2012 bis 06.03.2012 berichtete die Klinik unter dem 09.03.2012. Diese teilte unter "Therapie und Verlauf" mit: "Bei zunächst ausgeprägter innerer Anspannung, hohem Leidensdruck, auch nach wie vor ausgeprägtem Vermeidungsverhalten nach Autounfall 2009 (z. B. Schwierigkeiten, eine Straße zu überqueren) und mittelgradiger depressiver Symptomatik mit Affektlabilität, Früherwachen, auch der Befürchtung, dass es zu keiner Besserung mehr komme, wurde Venlafaxin (bei niedrigem Plasmaspiegel) aufdosiert und im weiteren Verlauf bei anhaltender innerer Unruhe versuchsweise Pregabalin (Antiepileptikum) angeordnet. [ ...] Zuletzt wirkte die Patientin im Kontakt gelöster, psychomotorisch deutlich ruhiger, beklagte aber weiterhin innere Anspannung. [ ...]" Es wurde Fortführung der ambulanten Psychotherapie empfohlen, zur Tagesstrukturierung das Aufsuchen einer Tagesstätte sowie sozialpsychiatrische Betreuung. Im Befund wurde die Klägerin wie folgt geschildert: [ ...] Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis intakt. Im Kontakt klagsam, leidend, auch unsicher, ängstlich, niedergeschlagen. Psychomotorische Unruhe (rutscht auf dem Stuhl hin und her). Die affektive Schwingungsfähigkeit ist deutlich herabgesetzt, auch Ängste, die Straße zu überqueren werden geschildert. [ ...] Im formalen Denken etwas verlangsamt und eingeengt. Keine inhaltlichen Denkstörungen. Antrieb gehemmt. [ ...]"

Unter dem 24.04.2012 erstattete der Psychologe EE. (Psychotraumatologisches Zentrum für Diagnostik und Therapieplanung an der BGU-Frankfurt) nach Untersuchung der Klägerin am 12.04.2012 einen psychologischen Bericht zur Heilverfahrenskontrolle. Bei der Untersuchung anwesend war die 16jährige Tochter der Klägerin. Diese gab an, dass ihre Mutter oft traurig sei, sehr nervös, sie weine häufiger. Früher sei sie viel fitter gewesen. Sie könne sich noch etwas um den Haushalt kümmern, koche und mache die Wäsche. Durch die Therapie sei ihre Mutter ein bisschen ruhiger geworden, aber eine relevante Veränderung habe sich in den letzten Monaten nicht ergeben. Ihr Gedächtnis sei soweit unbeeinträchtigt, aber die Mutter leide unter starken Konzentrationsstörungen, auch sei ihre Orientierung ab und zu schlecht. Die Untersuchung wurde durch Herrn EE. unterbrochen, weil die in der Untersuchungssituation sehr agitiert wirkende, sehr ängstliche, zittrige Klägerin schon nach einer kurzen Unterredung deutlich belastungsbeeinträchtigt gewesen sei. Mit der Beklagten wurde vereinbart, die Untersuchung unter stationären Bedingungen stattfinden zu lassen.

Im Rahmen ihres stationären Aufenthalts in der BG-Unfallklinik wurde die Klägerin am 03.05.2012 durch die Neurologin und Psychiaterin Dr. FF. (ebenfalls Psychotraumatologisches Zentrum an der BGU-Frankfurt) untersucht und am 04.05.2012 ein neurologisch-psychiatrischer Befundbericht zur Heilverfahrenskontrolle erstattet. Festzustellen sei eine ausgeprägte depressive Symptomatik, die eher zunehme. Ob diese depressive Symptomatik ursächlich ausschließlich auf den Unfall zurückzuführen sei, sei in Anbetracht des Verlaufs und der hiesigen Befunde doch zu hinterfragen. Diesbezüglich wäre eine Zusammenhangsbegutachtung zu empfehlen wegen möglicher Änderung der Wesensgrundlage. Die Kopfschmerzen seien eher im Rahmen der Depression zu sehen mit eindeutig somatoformer Komponente. Zu diskutieren sei aber auch ein inzwischen medikamenteninduzierter Kopfschmerz. Hinsichtlich des diffusen Schwindels könne die Diagnose eines Lagerungsschwindels jetzt nicht nachvollzogen werde, allerdings seien die Untersuchungsbedingungen auch eingeschränkt gewesen. Plausibler erscheine der Schwindel als Ausdruck der psychischen Störung. Ebenso werde eine augenärztliche Kontrolle empfohlen, da die visuell evozierten Potentiale hier nun völlig unauffällig gewesen seien. Insgesamt sei festzuhalten, dass für eine Reihe körperlicher Symptome eine eindeutige organische Ursache jetzt nicht mehr feststellbar sei, sich aber eine erhebliche Chronifizierungstendenz entwickelt habe, so dass auch aus therapeutischen Gründen eine nochmalige genaue Diagnostik und Abgrenzung empfehlenswert erscheine, um die Patientin nicht in Krankheitsmanifestationen zu bestärken, die möglicherweise andere, nämlich psychische Ursachen haben. In der Gesamtwertung der Befunde ergäben sich keine Hinweise auf eine anhaltende hirnorganische Störung. Auch eine PTBS liege - wie im Gutachten des Dr. S. festgestellt – eindeutig nicht vor. Die Klägerin erinnere sich an das Unfallereignis nicht, es bestünden keinerlei Intrusionen. Im psychischen Befund seien in der orientierenden Überprüfung im Rahmen der Exploration keine Störungen des psychomotorischen Tempos oder der Konzentration aufgefallen. Allerdings habe die Klägerin manchmal länger zurückliegende Daten nicht genau erinnern können. Die Klägerin habe mehrfach in der Untersuchung geweint und Zukunftsängste geäußert. Bei der körperlichen Untersuchung sei eine Tendenz zur Ausgestaltung und Beschwerdeverdeutlichung aufgefallen. So sei die Klägerin kaum dazu zu bewegen gewesen, ihre Hände von ihrem Kopf zu nehmen, da sie meinte, festhalten zu müssen, da dies ihr Erleichterung verschaffe bzw. Schmerzen verhindere.

Am 04.05.2012 wurde die Klägerin von Herrn EE. (auch testpsychologisch, zur Beschwerdevalidierung unter Anwendung von Test of Memory Malingering, TOMM, Word Memory Test, WMT, sowie Strukturierter FB simulierter Symptome, SFSS) untersucht, der hierüber unter dem 21.05.2012 einen psychologischen Bericht erstattete. Zum Untersuchungsbefund führte Herr EE. u. a. aus, dass bei der Klägerin von Anfang an ein sehr demonstratives, appellativ wirkendes Verhalten auffalle. Die Stimmungslage sei neben dem Labilen und Weinerlichen vor allen Dingen depressiv gestimmt. Die Klägerin wirke auch sehr erschöpft. Ängste seien insoweit erkennbar, dass die Persönlichkeit sehr ängstlich wirke. Konkrete Ängste seien allerdings nicht erkennbar, d. h., die Klägerin könne sich "soweit" unter Menschen bewegen, sich in Räumen aufhalten usw. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen fielen außerhalb des demonstrativen, appellativ wirkenden Charakters nicht auf. In seiner "Beurteilung" führte Herr EE. aus: "[ ...] dass eine Posttraumatische Belastungsstörung sicherlich nicht vorliegt, ganz allein schon aus dem Grund, weil sich die Patientin nicht an das Unfallereignis erinnern kann und letztlich auch nicht die typischen Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung aufweist. [ ...] Rein aus dem klinischen Eindruck heraus lässt sich sicherlich eine depressive Störung auch mindestens mittleren Grades annehmen. Zwar zeigte sich keine schwere Antriebsstörung, eher eine gewisse Agitiertheit, aber es zeigte sich eigentlich durchgehend eine depressive, sehr leidensbetonte Stimmung, auch wenn sicherlich ein gewisser demonstrativer Charakter durchaus vorhanden war. An der Echtheit der depressiven Störung kann also schon allein aus dem psychopathologischen Befund heraus sicherlich nicht ernsthaft gezweifelt werden. Unabhängig von der als gesichert geltenden depressiven Erkrankung mit mindestens mittelgradigem Niveau (F32.1) wird häufig auch immer wieder über die Grundpersönlichkeit spekuliert, über eine gewisse Grundängstlichkeit. [ ...] Ob hier natürlich eine selbstunsichere Persönlichkeit oder Ähnliches vorliegt, lässt sich anhand einer zweimaligen Untersuchung nicht eindeutig sagen. [ ...] Auch eine somatoforme Beschwerdeentwicklung kann sicherlich bereits aus der Aktenlage und aus dem klinischen Eindruck heraus sehr wahrscheinlich gemacht werden. So zeigt sich ein sehr demonstratives Verhalten, ein sehr auf organische Symptome fixiertes Verhalten, viele Symptome sind nach Rücksprache mit der hier auch untersuchenden Neurologin Frau Dr. med. FF. nicht immer so nachvollziehbar, wie dies in der Aktenlage beschrieben wird. [ ...] Vor diesem Hintergrund und einer ängstlichen Grundpersönlichkeit sowie einer depressiven Entwicklung wäre eine psychosomatische Beschwerdeausgestaltung sicherlich als wahrscheinlich zu betrachten. Nun wird aber in der Aktenlage auch die Frage nach den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas aufgeworfen. Dies begründet sich sicherlich damit, dass eine Bewusstlosigkeit bestand und dass rein formal die Kriterien für ein Schädel-Hirn-Trauma durchaus gegeben sind, allerdings muss angemerkt werden, dass die Vermutung, dass hier schwere Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas vorliegen, erst sehr spät gestellt wurde, dies ganz ohne neurologische Befundung und mit unauffälligen bildgebenden Verfahren, die keinerlei Hinweise auf eine Hirnsubstanzschädigung aufweisen. [ ...] Bei der hiesigen neuropsychologischen Untersuchung stellte sich allerdings ein erhebliches Problem dar, welches eine sinnvolle Beantwortung dieser Frage verhindern muss. Die Patientin zeigte Reaktionszeitwerte, die etwa dem 6-fachen der normalen Reaktionszeit entsprechen. Dies wäre nur vorstellbar, wenn die Patientin unter einer schwersten Hirnstammschädigung leiden würde, dann würde man aber auch die Verlangsamung in anderen Bereichen bemerken, wie z. B. der Sprache, den Bewegungen oder Ähnliches, was hier eindeutig nicht der Fall ist. Das Unvermögen, einfachste Konzentrationsaufgaben zu absolvieren, die nur 2 bis 3 Minuten dauern, ist ebenfalls vollständig unplausibel. Sie schafft es, eine Unterhaltung durchaus längere Zeit durchzuhalten, den Weg in das Krankenhaus zu finden, sich im Krankenhaus selbst zurechtzufinden, so dass eine so massive Störung der Konzentrationsleistung dem psychopathologischen Befund völlig entgegensteht. Auch die stärkten Gedächtnisstörungen, die hier präsentiert und befundet werden, sprechen dem psychopathologischen Befund entgegen. Die Patientin ist durchaus in der Lage, in der Anamnese Fragen zu beantworten, auch zu Zuständen, wie es vor einer Woche war, wie es vor zwei Wochen war, dies wäre mit schwersten Gedächtnisstörungen, wie in den Testverfahren präsentiert, einfach nicht möglich. [ ...]" Sämtliche Verfahren der Beschwerdevalidierungsdiagnostik hätte den Hinweis auf eine negative Antwortverzerrung gezeigt. In Zusammenschau mit den anderen neuropsychologischen Befunden könne unter Zugrundelegung der Kriterien von Slick et al (2011) festgehalten werden, dass es sich im vorliegenden Fall eindeutig um eine Aggravations- oder Simulationstendenz in Bezug auf die neurokognitiven Defizite handele. Es sollte aufgepasst werden, dass diese Aussage nicht generalisiert und auf den Rest der beschriebenen Symptomatik bezogen werde. Aufgrund des klinischen Eindrucks, dass hier eine erhebliche depressive Symptomatik vorhanden sei, müsse dieses Verhalten sicherlich auch im Rahmen der Depression abgewogen werden. Vielleicht sei das Einnehmen der Krankenrolle und der daraus entstehende sekundäre Krankheitsgewinn ein Motivationsgrund für das Auftreten dieses Phänomens. In Bezug auf die kognitiven Defizite sei die Frage, inwieweit hier tatsächlich Störungen vorlägen, letztlich nicht beantwortbar, da dies voraussetzen würde, dass die Klägerin motiviert in der Untersuchungssituation mitarbeite, was offenkundig nicht gegeben sei. Aus ebendiesem konzeptionellen Grund sei auch die Kausalitätsbeurteilung im Hinblick auf die gesichert vorliegende depressive Störung nicht möglich. Auch lasse sich nicht sicher sagen, inwieweit bestimmte Beschwerden, auch durchaus organisch anmutende Symptome auf eine psychosomatische Beschwerdeausgestaltung zurückführbar seien oder auf eine Aggravationstendenz. Eine Plausibilitätsprüfung würde wahrscheinlich ein Mischbild dergestalt ergeben, dass ein Teil der Beschwerden psychosomatisch determiniert und ein anderer Teil der Beschwerden auf Aggravationstendenzen zurückzuführen sei. Abschließend empfahl Herr EE. eine stabilisierende ambulante psychiatrische (Dr. F.) und psychotherapeutische (Dr. K.) Therapie, da die Klägerin mit beiden Ärzten sehr gut zurechtkomme. Die Häufigkeit der medizinischen Abklärungen, die Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Untersuchungen führten in jedem Fall nicht zur Stabilisierung der Klägerin.

Unter dem 27.06.2012 wandte sich Frau Dr. K. an die Beklagte und nahm zu dem Bericht des Herrn EE. vom 21.05.2012 wie folgt Stellung: Bei der Klägerin lägen drei Diagnosen vor, nämlich 1. eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, 2. ein organisches Psychosyndrom sowie 3. eine rezidivierende Depression. Zu 1: Seit dem Unfall erlebe sich die Klägerin als eine "total andere Person". Die Symptome seien Intrusionen in Form von Alpträumen. Z. B. sehe die Klägerin im Traum viele Tote oder wie ihr Sohn mit dem Fahrrad verunglücke oder sich selbst im Krankenhaus. Immer sei große Angst dabei. Außerdem vermeide die Klägerin Erinnerungen, Gedanken und Gefühle, die sie an das Trauma und vor allem an die Zeit im Krankenhaus erinnern könnten. Sie habe große Angst, die Unfallstelle zu passieren, Ängste beim Überqueren der Straße und Angst, ihren Kindern könnte etwas passieren. Zusätzlich bestehe ein andauerndes Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit. Die Angst der Klägerin vor den vehementen Gefühlen, die durch den psychischen Stress während des Unfalls und im Krankenhaus ausgelöst worden seien, habe sich zu einer Phobie entwickelt. In jeder unbekannten Situation konzentriere sie sich nur noch darauf, innere Ängste zu vermeiden. Deshalb sei die Klägerin oft unkonzentriert und verlangsamt. Die moderne Traumaforschung habe festgestellt, dass es bei Traumafolgestörungen auch zum Verlust mentaler Fähigkeiten komme, wovon Denkfähigkeit, Gedächtnis, Konzentration, Aufmerksamkeit sowie Planungs- und Urteilsvermögen betroffen sein könnten (van der Hart, Nijenhuis & Stelle: Das verfolgte Selbst). Außerdem sei es wichtig, festzuhalten, dass die Klägerin nach dem Unfall nicht durchgehend bewusstlos gewesen sei. Sie habe erzählt bekommen, dass sie, als sie auf der Straße gelegen habe, mit der Frau, die sich um sie gekümmert habe, gesprochen habe. Aber es bestehe eine peritraumatische Amnesie für diese Zeit. Leider habe Herr EE. nicht nach diesen Umständen gefragt. Deshalb sei die Aussage Herrn EE.s in dem psychologischen Bericht vom 21.05.2012, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung nicht möglich sei, falsch. Zu 2: Das Organische Psychosyndrom folge einem Schädeltrauma, das gewöhnlich schwer genug ist, um zu Bewusstlosigkeit zu führen. Die Furcht vor bleibender Hirnschädigung führe zu einem Circulus vitiosus, der die Symptomatik verstärke. Nach Erkenntnis der Ärztin sei diese Diagnose nicht von einer nachweisbaren Schädigung des Gehirns abhängig. [Doch!, s. ICD-10]. Zu 3: Depressive Symptome seien Schlafstörungen, Erschöpfung, Antriebsarmut, Schuldgefühle, Zukunftsängste und Selbstwertprobleme.

In ihrem Verlaufsbericht vom 18.09.2012 teilte Frau Dr. K. der Beklagten u. a. mit, dass trotz der antidepressiven Medikation anhaltende Erregung, Hyperarousal und Reizbarkeit bestehe. Die Klägerin fühle sich unsicher, ängstlich und hoffnungslos und es seien eine ausgeprägte Selbstwertproblematik und Schuldgefühle nachweisbar. Alle diese Probleme bestünden seit dem Unfallereignis. Früher habe die Klägerin gerne gearbeitet, viel Sport getrieben, sei körperlich fit gewesen und habe keine Probleme und Ängste gehabt. Sie habe gerne gelebt. Die demnächst geplante Begutachtung des psychischen Befundes in Mannheim (bei Dr. GG.) löse Angst bei der Klägerin aus, was typisch sei für die Diagnose eines organischen Psychosyndroms, denn die Klägerin könne mit unbekannten Situationen nicht umgehen, weil die Stresstoleranz vermindert sei. Der Therapieverlauf habe zu einer Besserung des psychischen Befundes geführt. Unabhängig von den aktuellen Ängsten und Befürchtungen sei die Klägerin wacher und aufmerksamer geworden und mittlerweile in der Lage, flüssig zu erzählen und Probleme zu erkennen und zu schildern. Die Konzentrationsstörungen, die Verlangsamung des Denkens und die phobische Vermeidung der Erinnerungen, Gedanken und Gefühle, die mit dem Unfall zu tun hätten, hätten nachgelassen. Die Ärztin spreche mit der Klägerin oft über den Unfall, die Erinnerungen an das Krankenhaus und alle Begleitumstände. Das vorherrschende unangemessene Gefühl im Zusammenhang mit dem Unfall sei schuld. Deshalb könne sich die Klägerin zurzeit bei ihren heranwachsenden Kindern nicht adäquat abgrenzen und durchsetzen. In der Folge komme es immer wieder zu Konflikten, in denen sie gereizt reagiere und sich danach große Vorwürfe mache. Dann richte sie die Aggression gegen sich selbst. Einmal habe sie zu ihrem Sohn gesagt: Nimm einen Stein und haue ihn mir auf den Kopf. Bei der Klägerin sei es zu einer Chronifizierung der PTBS gekommen, weshalb sie noch weiterhin psychotherapeutische Unterstützung und kognitive Umstrukturierung benötige. Jetzt wolle Frau Dr. K. erst einmal eine Kurzzeittherapie gegenüber der Krankenkasse [? Anm. d. Verf.] abrechnen.

Nach gutachtlicher Untersuchung der Klägerin am 08.08.2012 und 14.08.2012 erstattete der Chefarzt der Augenklinik der Wilhelm Fresenius Klinik, Prof. HH. (Dres. II. und JJ.), unter dem 28.08.2012 auf Aufforderung der Beklagten unter dem 28.08.2012 ein Zweites Rentengutachten – Augen. Hierin kam der Sachverständige zu der Beurteilung, dass die Visusminderung am rechten Auge, die Störung des Farbensehens und Defekte im Gesichtsfeld durch die partielle Optikusatrophie am rechten Auge bedingt seien und auf das Unfallgeschehen zurückzuführen seien. Eine Verbesserung des Sehvermögens am rechten Auge sei nicht zu erwarten. Hier bestünden keine therapeutischen Möglichkeiten. Eine Besonderheit in diesem Fall seien die von der Klägerin empfundene Lichtempfindlichkeit, Schwindel und Kopfschmerzen, die während der ganzen Untersuchung dazu geführt hätten, dass die Klägerin das rechte Auge massiv zugekniffen habe und schon seit anderthalb Jahren okkludiere, um die soeben beschriebenen Symptome zu vermeiden. Deshalb seien die Sehschärfenprüfung und die weiteren augenärztlichen Untersuchungen nur sehr schwer durchzuführen gewesen. Hierbei bestehe die Möglichkeit einer psychosomatischen Komponente, wie in den bereits durchgeführten Gutachten erwähnt. Unter Berücksichtigung der Visusreduktion und der beschriebenen ophthalmologischen Symptome schätzte der Sachverständige die MdE auf seinem Fachgebiet mit 10 v. H. ein. Explizit als Unfallfolgen bezeichnete Prof. HH. die Traumatische Optikopathie (partielle Optikusatrophie) sowie einen Blepharospasmus (Lidkrampf).

Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 20.09.2012 erstattete der von der Beklagten beauftragte Neurologe und Psychiater Dr. GG. unter dem 30.10.2012 ein nervenfachärztliches Zusammenhangsgutachten zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit. Hierin gab der Sachverständige im Einzelnen folgende Stellungnahmen ab: Eine PTBS liege nicht vor, weil nicht sämtliche Diagnosekriterien erfüllt seien: Die Klägerin erfülle nicht das A2-Kriterium (Reaktion der Person durch Angst, Hilflosigkeit oder Schreck direkt nach dem Unfallereignis). Das B-Kriterium (Wiedererinnern, Albträume) werde durch die Angabe wiederholter, stark belastender Träume reklamiert, die Beschreibung derselben sei vage. Zitat aus dem Gutachten GG. Seite 7: "Seit dem Unfall bestehende Beschwerden": "Sie träume häufig `Blödsinn´, merke, wie sie im Traum Angst bekomme, jemand sei tot, werde mit einer Decke zugedeckt ". Das C-Kriterium (anhaltende Vermeidung von Stimuli, die mit dem Trauma in Verbindung stehen) werde zwar auch angegeben, dahingehend, dass die Klägerin an der Unfallstelle noch nie gewesen sei, aber auch hier sei bei der gedanklichen Annäherung an das Unfallereignis keine authentische vegetative oder psychische Affektion zu beobachten gewesen. Vielmehr sei von der Klägerin von unspezifischem Vermeidungsverhalten gesprochen worden, also das Meiden von Menschenmengen, Autofahren, Angst, das Haus alleine zu veranlassen, dies sei jedoch Ausdruck einer diffusen Klagsamkeit und nicht PTBS-spezifisch. Zitat aus dem Gutachten GG. Seite 7 "Seit dem Unfall bestehende Beschwerden": "Sie sei sehr sehr ängstlich seit dem Unfallereignis, sie sitze z. B. nur noch hinten im Auto, gehe auch nur noch mit den Eltern einkaufen, alleine traue sie sich nicht mehr auf die Straße. Sie habe eine andauernde Angst um die Kinder, wenn diese außer Haus seien. Dort, wo der Unfall direkt passierte, sei sie auch nie mehr hingegangen. Sie könne eine Straße nur noch in Begleitung überqueren und auch da nur am Fußgängerübergang." Zitat aus dem Gutachten GG. Seite 6 unten "Unfallanamnese": "Die Unfallgegnerin, die ja eindeutig schuld war, eine 85jährige Frau, habe sich bis heute nicht bei ihr gemeldet, keine Entschuldigung, nichts (heftige emotionale Reaktion).". Zitat aus dem Gutachten GG. Seite 12 Mitte: "Der grundlegende Affekt ist in allererster Linie eine hilflose Erregung, Klagsamkeit bis hin zu einer dramatischen Ausgestaltung, insbesondere im neurologischen Befund [ ...] die Emotionsregulierung ist beeinträchtigt, erhöhte innere Anspannung und Ängstlichkeit keimen rasch auf, im Laufe der doch mehrstündigen Begutachtung gelingt es der Versicherten, dies besser zu kontrollieren." Es liege, so der Sachverständige, eine "objektive nachgewiesene Aggravation" vor (Gutachten GG. Seite 17 Mitte). In die Beurteilung des psychischen Befundes seien die körperlichen Beschwerden zu integrieren, die ebenfalls einer organischen Grundlage entbehrten: Es bestehe durchaus die Möglichkeit, dass initial ein Lagerungsschwindel bestanden habe. Dies sei jedoch durch die Deutsche Klinik für Diagnostik nicht mehr objektiviert worden. Die jetzt grotesk anmutende Verhaltensauffälligkeit der Körperlagerung (Zitat aus dem Gutachten GG. Seite 11 oben: "Die neurologische Untersuchung gestaltet sich recht schwierig, da die Patientin sich nur in der Lage sieht, in 45 Grad Oberkörperposition nach links gedreht, die Untersuchung durchführen zu lassen, da es andernfalls zu heftigem Schwindel käme.") beweise die Psychogenie: Angst und Depression (F41.1) und eine Somatisierungsstörung (F45.0) seien zu diagnostizieren. Aus dem Querschnittsbefund und aus der Beschwerdelage selbst, wie sie in dem Gutachten S. niedergelegt sei, lasse sich schwerlich eine höhergradige oder krankheitswertige psychoreaktive Störung ableiten. An dieser Stelle verweist der Sachverständige wiederum darauf, dass Herrn EE.s testpsychologische Untersuchung (s. o.) zu dem Ergebnis geführt habe, dass eine "erhebliche Aggravationsneigung" vorliege. Auch der von ihm, Dr. GG., selbst erhobene psychopathologische Befund habe eine mehr als leichtgradige depressive Störung und Angstsymptomatik darstellen können, die sich jedoch nicht in Zusammenhang mit dem Unfallereignis herleiten lasse. Die Somatisierungsstörung (DD: konversionsneurotische Störung) sei eine in der Persönlichkeit und Anlage begründete Störung. Zitat aus dem Gutachten GG. Seite 18: "Die erheblichen Inkonsistenzen und Inplausibilitäten (siehe private Anamnese) in Verbindung mit dem psychopathologischen Befund schließen eine unfallreaktive Störung von Krankheitswert aus. Auch die Angabe der regelmäßigen Einnahme von Venlafaxin muss bei einem negativen Venlafaxin-Serumspiegel und knapp grenzwertigem Desmethylvenlafaxin-Spiegel (Hauptmetabolit) sehr kritisch beleuchtet werden." Hier ist gerichtlicherseits zu erwähnen, dass es die Überschrift "private Anamnese" in dem Gutachten des Dr. GG. nicht gibt. Inhaltlich kann aber nur gemeint sein, dass die Klägerin in der Exploration auch auf "Bitten der Mitteilung ihrer Beschwerden" (Gutachten GG. Seite 7 unten) keine Kopfschmerzen und keine Persönlichkeitsveränderung erwähnte, obwohl diese in dem handschriftlichen Beschwerdevortrag der Klägerin aufgeführt sind, den sie dem Sachverständigen anlässlich der Begutachtung ausgehändigt hatte und den der Sachverständige in seinem Gutachten wiedergegeben hat. Auch bezieht sich die o. g. Aussage des Sachverständigen offenbar auf den unter "Tagesablauf" (Gutachten GG. Seite 9) stehenden Passus: "Es wird dann im Grunde erfolglos versucht, das Ausmaß der Betreuung von außen durch Eltern oder Brüder zu konkretisieren, es wird mehrfach geantwortet, dass diese eben für sie da seien. Konkret gefragt ist es wohl möglich, dass sie kocht, zu weiteren Angaben zu ihren häuslichen und nichthäuslichen Aktivitäten sind keine näheren verwertbaren Informationen zu erhalten." Und sie bezieht sich auf den "Psychopathologischen Befund" (Gutachten GG. Seite 11 und 12): "[ ...] Insbesondere in der Darbietung der umfänglichen mitgebrachten Vorbefunde [ ...] zeigt sich eine innere Ordnung und Geschäftigkeit, die mit der späterhin dargebotenen Konfusion und Unruhe erheblich kontrastiert. Die an sie gestellten Fragen kann sie durchaus erfassen, allerdings sind die Antworten je nach Inhalt recht unterschiedlich präzise. Hinweise auf Störungen des Kurzzeitgedächtnisses oder der Merkfähigkeit [im handschriftlichen Beschwerdevortrag, s. o. hatte die Klägerin "Konzentrationsprobleme" erwähnt, aber keine Störungen des Kurzzeitgedächtnisses oder der Merkfähigkeit; Anm. d. Verf.] existieren nicht, logisches Denken und Urteilsvermögen sind erhalten. Das formale Denken ist recht weitschweifig strukturiert, im inhaltlichen Denken dominieren das Darbieten der bestehenden Beschwerden, keine paranoiden oder sonstigen Inhalte. [ ...] Eine emotionale Erschöpfung im Rahmen der Begutachtung ist nicht zu beobachten, im Gegenteil wirkt die Patientin am Ende der Begutachtung deutlich ruhiger und geordneter als zu Beginn. [ ...] Die Beschwerdeschilderung ist sehr plakativ, undifferenziert, im Grunde stereotyp und auch bei geduldigem und präzisem Nachfragen nicht zu präzisieren, so dass der Umfang der Inanspruchnahme fremder Hilfe doch nebulös bleibt." Auch ein organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma sei ausgeschlossen, da dieses sog. postcommotionelle Syndrom nach wenigen Wochen, jedoch allerspätestens nach 6 Monaten als ausgeheilt angesehen werden dürfe. Strukturell traumatische Veränderungen seien durch das zeitnah nach dem Unfallereignis durchgeführte MRT des Hirnschädels ausgeschlossen worden. Die Klägerin habe durch das Unfallereignis auf körperlich-organischer Seite eine Schädelbasisfraktur und die irreversible Optikus-Schädigung erlitten, jedoch kein seelisches Primärtrauma. Ohne die Diagnose eines solchen als Anknüpfungstatsache könne kein Folgeschaden wie z. B. die jetzt bestehende Angst und Depression und Somatisierungsstörung diagnostiziert werden. Die wahrscheinlich vorübergehend bestandene Unfallfolge "Lagerungsschwindel" sei mit zunehmendem Abstand von dem Unfallereignis mehr und mehr psychogen somatisierend ausgeweitet worden. Zitat aus dem Gutachten GG. Seite 21: "Da der Gutachter die mithin häufigste Schwindelform des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels auch in seiner Praxis recht häufig sieht, ist es für ihn klar, dass die Verarbeitungsform dieses Schwindels psychisch determiniert ist und keine Entsprechung in dem organischen Kern hat, sofern dieser überhaupt noch vorliegt. Aus der Aktenlage kann leider keine Eingrenzung eines möglicherweise initial bestehenden Lagerungsschwindels gemacht werden; ich empfehle, diesen für die ersten 6 Monate nach dem Unfallereignis anzunehmen." Bis zu zwei Jahre nach dem Unfallereignis sei die depressive Anpassungsstörung (F43.2) sowie für 6 Monate nach dem Unfallereignis sei ein paroxysmaler Lagerungsschwindel wesentlich ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Danach seien die bestehenden Störungen unfallunabhängiger Natur. Unter Dauerrentengesichtspunkten sei eine MdE auf nervenärztlichem Fachgebiet nicht mehr anzunehmen. Die noch genehmigten Therapiestunden (gemeint ist wohl die Psychotherapie) seien durchzuführen. Die Weiterbehandlung gehe zu Lasten der GKV.

Unter dem 12.12.2012 gab Frau Dr. K. eine Stellungnahme zu dem Sachverständigengutachten des Herrn Dr. GG. ab. Hierin machte sie deutlich, dass es schwer sei, die Klägerin zu ihren Flashbacks und Albträumen zu befragen, weil sie zunächst mit Abwehr reagiere. Bei weiterem Insistieren aber erzähle sie, dass ein Bild unerwartet komme, in dem sie das hellgrüne Auto sehe. Aber gleichzeitig könne sie sich nicht mehr an den Unfall erinnern. Hierbei handele es sich um eine peritraumatische Amnesie. Trotzdem sei das Bild des Autos, welches von rechts komme und noch weit entfernt sei, in ihrem Gedächtnis gespeichert und erscheine als Flashback. Früher habe es auch noch Flashbacks von Situationen im Krankenhaus gegeben, welche durch die Behandlung deutlich hätten reduziert worden seien. Weitere Intrusionen seien Albträume. Zusätzlich bestehe eine deutlich erkennbare Hypervigilanz. Auch das ausgeprägte Vermeidungsverhalten sei schwer nachzuweisen, da jede Frage abgewehrt und jede Erinnerung vermieden werde. Aber es drücke sich auch darin aus, dass die Klägerin jeden Gedanken an den Unfall und jedes Gefühl, jede Begegnung mit beteiligten Menschen und den Ort des Geschehens vermeide.

Unter dem 19.12.2012 erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Bescheid, in dem sie die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit ablehnte und ihr die durch Bescheid vom 12.01.2012 gewährte Rente als vorläufige Entschädigung ab dem 01.01.2013 entzog. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass unabhängig vom Arbeitsunfall (u. a.) Angstzustände, Depressionen und Somatisierungsstörungen vorlägen. Die Entscheidung zu den Folgen des Arbeitsunfalls (als Unfallfolgen wurden sämtliche Gesundheitsstörungen anerkannt, die auch mit Bescheid vom 12.01.2012 anerkannt worden waren, mit Ausnahmen der "Andauernden depressiven Anpassungsstörung") und zur MdE stütze sich auf das augenärztliche Gutachten des Herrn Prof. HH. vom 28.08.2012. Die Entscheidung zu den Folgen auf nervenärztlichem Gebiet stütze sich auf das Gutachten des Herrn Dr. GG. vom 30.10.2012. Dieser komme in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass auf nervenärztlichem Fachgebiet keine Unfallfolgen mehr festzustellen seien. Ein, wie in den Behandlungsbefunden beschriebenes, organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma sei nach den allgemein anerkannten Erfahrungswerten der gesetzlichen Unfallversicherungen und dem ärztlichen Schrifttum nach einigen Wochen, spätestens 6 Monate nach dem Unfallereignis als ausgeheilt zu betrachten. Strukturell traumatische Veränderungen seien durch eine zeitnah nach dem Ereignis vom 30.12.2009 durchgeführten MRT des Hirnschädels ausgeschlossen. Die anlässlich der Begutachtung festgestellten Angstzustände, die Somatisierungsstörung sowie die leichtgradige depressive Störung ließen sich nicht in einen Zusammenhang mit dem Unfallereignis bringen. Sie seien in der Persönlichkeit und der Anlage der Versicherten begründet. Auf nervenärztlichem Gebiet liege daher keine MdE vor.

Gegen den Bescheid vom 19.12.2012 legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. Hierin beanspruchte sie die Feststellung ihrer psychischen Erkrankungen als Unfallfolgen sowie eine Nachbegutachtung im Hinblick auf die Schädigung ihres rechten Auges (die letzte Untersuchung inklusive Sehnervuntersuchung hatte durch Prof. HH. im August 2012 stattgefunden). Die Rente nach einer MdE von 30 v. H. sei weiterhin zu gewähren. Beigefügt war eine Bescheinigung von Frau Dr. K. vom 10.04.2013, wonach die Klägerin vor dem Unfall eine gesunde und leistungsfähige Frau gewesen sei, sowie ein Kurzarztbericht über den erneuten stationären Aufenthalt der Klägerin in der Fachklinik Katzenelnbogen vom 26.02.2013 bis 28.03.2013 bei den Diagnosen (u. a.) Rezividierende depressive Störung, aktuell schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, DD: Hirnorganisch affektive Störung, andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung.

Zwecks Erstattung eines weiteren Zusammenhangsgutachtens auf psychiatrischem Gebiet wurde entsprechend der Empfehlung Frau Dr. K.s der Leitende Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, Prof. KK., von der Beklagten beauftragt. Das fachpsychiatrische Gutachten wurde nach Untersuchung der Klägerin am 30.08.2013 durch Herrn Dr. LL. und Frau Dr. MM. (ebendort) unter dem 28.11.2013 erstattet. (Die Klägerin hatte sich bereits vor der Begutachtung mit dem Gutachterwechsel einverstanden erklärt, der Klägervertreter tat dies nach Kenntnisnahme des Gutachtensinhalts.) Die Sachverständigen kommen zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine schwere depressive Episode sowie eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegen, die Folgen des Arbeitsunfalls seien. Bei der Klägerin lägen gedrückte Stimmung, Rückgang von Freuden und Interessen sowie verminderter Antrieb mit erhöhter Ermüdbarkeit vor. Außerdem finde sich ein vermindertes Selbstwertgefühl mit vermindertem Selbstvertrauen im Sinne von Versagensängsten, Schuldgefühlen, Konzentrationsstörungen sowie verminderte Entscheidungsfähigkeit, Agitation und Schlafstörungen mit Ein- und Durchschlafstörungen. Hinsichtlich des Appetits finde sich eine Appetitzunahme mit Gewichtszunahme. Insgesamt seien die Kriterien für eine schwere depressive Episode erfüllt. Auch erfülle die Klägerin sämtliche Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung: Ein Verkehrsunfall mit Kopfverletzung und Bewusstlosigkeit bei Schädelhirntrauma müsse als außergewöhnliche Bedrohung mit potentiell tödlichem Ausgang gewertet werden (Kriterium A). Die Klägerin gerate bei Erwähnung des Unfalls oder in Situationen im Straßenverkehr, die dem Ereignis ähnelten oder damit in Zusammenhang stünden, in einen starken Anspannungszustand (Kriterium B). Daher wird das Sprechen über das Ereignis sowie größtenteils die Teilnahme am Straßenverkehr oder das Passieren des Unfallorts seitdem vermieden (Kriterium C). Das Unfallereignis könne nur unvollständig erinnert werden (Kriterium D1), und seit dem Ereignis fänden sich auch Symptome einer erhöhten psychischen Erregung mit Ein- und Durchschlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen und erhöhter Schreckhaftigkeit. Das Zeitkriterium sei ebenfalls erfüllt. Angesichts der vorliegenden Informationen und der plausiblen und zusammenhängenden soziobiographischen Angaben sei die Klägerin zuvor lebenstüchtig, zuverlässig, freudfähig und sozial integriert gewesen. Weder der Aktenlage noch der Anamnese seien über den Unfall hinausgehende schädliche Einflüsse zu entnehmen. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte Persönlichkeitszüge seien bei der Klägerin nicht zu erheben gewesen. Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs sowie der gegebenen Schwere des potentiell lebensbedrohlichen Unfalls mit Kopfverletzungen im Straßenverkehr sei der Zusammenhang für den Eintritt des Gesundheitsschadens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben. Weiterhin habe in einer Studie von Roitman et al 2013 gezeigt werden, dass die Prävalenz einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie die Symptomausprägung bei Patienten mit Bewusstlosigkeit und Kopfverletzungen nach einem Verkehrsunfall erhöht seien, so dass von einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung bei diesen Risikofaktoren ausgegangen werde. Die Klägerin sei durch die Symptomatik in ihrem Alltag und im Hinblick auf soziale Kontakte massiv eingeschränkt. Es sei ihr nicht mehr möglich, den Haushalt wie gewohnt zu führen, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und ihre Kinder wie zuvor zu versorgen. Je länger die depressive Episode im Vorfeld bestehe bzw. je mehr Therapieversuche bereits ohne Erfolg unternommen worden seien, umso ungünstiger sei der Verlauf einzuschätzen. Bei 15 bis 25 % der von einer posttraumatischen Belastungsstörung Betroffenen persistierten die Symptome. Insgesamt spielten sowohl das Unfallereignis als auch die körperlichen Folgeschäden, insbesondere durch die Schädigung des N. opticus eine Rolle in der Entstehung und Aufrechterhaltung der Symptomatik. Es sei nicht zu erwarten, dass die Klägerin in den nächsten zwei Jahren ihre Tätigkeit als Raumpflegerin wettbewerbsfähig wieder aufnehme. Aktuell sei von einer 100%igen Erwerbsminderung auszugehen.

Auf Aufforderung der Beklagten an die Sachverständigen LL. und MM. gaben diese unter dem 04.04.2014 zu ihrem Gutachten eine ergänzende Stellungnahme ab, die sich insbesondere mit dem abweichenden Sachverständigengutachten des Dr. GG. befasst: Die Klägerin habe dem Sachverständigen GG. sämtliche Symptome, die für eine schwere depressive Episode sowie eine Posttraumatische Belastungsstörung sprächen, nur in einer schriftlichen Stellungnahme liefern können. Diese sei von Dr. GG. offensichtlich deshalb nicht gewertet worden. Bei der Begutachtung durch Herrn Dr. LL. und Frau Dr. MM. sei die Befragung zwar anfangs gegen erheblichen Widerstand der Klägerin erfolgt, indem diese sich unwissend gegeben oder belanglose Antworten gegeben habe. Nur mühsam sei es durch die entsprechende Befragung gelungen, sowohl die Herrn Dr. GG. gegenüber nur schriftlich vorgelegten Beschwerden ("traurig, muss immer weinen"; "alles ist nicht mehr interessant, ich kann mich nicht mehr freuen, meine Hobbies ist [sic!] auch nicht mehr interessant"; "ich habe keine Lust mehr, bin immer müde"; "ich habe keine Zukunftsperspektive mehr"; "Konzentrationsprobleme"; "innere Unruhe, Nervosität, Herzklopfen"; "Albträume"; "Angst, die Straße zu überqueren, Zebrastreifen kann ich nicht mehr benutzen, am Unfallort bin ich nicht mehr vorbeigelaufen") als auch die gegenwärtige Alltagsbewältigung (dass ihre Mutter die Klägerin seit dem Unfall im Haushalt unterstütze und meistens für die ganze Familie koche, Gutachten LL./MM. vom 28.11.2013 Seite 9 unten) detailliert und authentisch zu erfahren. Allerdings sei die Klägerin bei dieser eingehenden Befragung in einen massiven Erregungszustand geraten, aufgrund dessen die Exploration habe unterbrochen werden müssen. Auch dies zeige das Vorliegen eines Vermeidungsverhaltens, das sich auf die Besprechung des Unfalls und der damit verbundenen Störungen bezogen habe. Bei dessen Durchbrechung im Rahmen der Befragung seien die von Dr. GG. vermissten psychischen und vegetativen Reaktionen in massiver Weise aufgetreten. Im unterschiedlichen Gelingen der Befragung lägen die unterschiedlichen Auffassungen des Dr. GG. einerseits und der Unterzeichner LL. und MM. andererseits. Dr. GG. erwähne zudem auch das D1-Kriterium (teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern), es sei von ihm aber nicht als solches in der Einschätzung berücksichtigt worden, da es im D-Arzt-Bericht nicht beschrieben worden sei. Die Sachverständigen LL. und MM. könnten diesen Fakt nachträglich auch nicht mehr zuverlässig erschließen. Es gebe aber einen indirekten Hinweis auf eine stattgehabte Bewusstseinsstörung, da die Klägerin beschreibe, dass sie beim Erwachen in der erstversorgenden Klinik einen Zettel mit der Mitteilung vorgefunden habe, dass ihre Kinder versorgt seien (Gutachten LL./MM. vom 28.11.2013 Seite 7 unten). Dr. GG. schließe aus unklarem Grund das A-Kriterium aus und beziehe sich beim B Kriterium lediglich auf zwei mögliche Ausprägungsformen (Albträume und Wiedererinnern), die die Klägerin sogar angebe. Der Sachverständige GG. erwähne bei der Exploration des Unfallhergangs eine "heftige emotionale Reaktion", die als B-Kriterium im Sinne einer "starken inneren Anspannung in Situationen, die mit dem Unfallereignis in Zusammenhang stehen" gewertet werden könne. LL. und MM. würden nicht erkennen, ob Dr. GG. die Diagnosekriterien exploriert und entsprechend ausgeschlossen habe. Die Fachklinik Katzenelnbogen habe (entgegen der Darstellung von Dr. GG.) auch zahlreiche anamnestische Details und Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung genannt. Mit den von der Fachklinik Katzenelnbogen vergebenen Diagnosen stimmten die Sachverständigen teilweise überein. Ebenfalls werde eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome gesehen. Da weder aus den Unterlagen noch aus der Exploration hervorgehe, dass zwischenzeitlich eine Remission der Symptomatik erfolgt sei, könne nicht von einer rezidivierenden depressiven Störung gesprochen werden. Eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung schlössen LL. und MM. aufgrund des Zeitkriteriums aus. Zur unterbliebenen testpsychologischen Untersuchung äußerten sich die Sachverständigen dahingehend, dass die Klägerin bereits nicht in der Lage gewesen sei, einfache Screeningtests auszufüllen. Darüber hinaus sei es nicht belegt, dass eine testpsychologische Untersuchung bei schweren depressiven Episoden oder posttraumatischen Belastungsstörungen dem klinischen Urteil überlegen sei. Diese Auffassung finde sich erneut in einem nach Abfassung des Gutachtens veröffentlichten Artikel in der führenden deutschsprachigen neurologisch-psychiatrischen Zeitschrift "Der Nervenarzt" ("Forensisch-psychiatrische Beurteilung posttraumatischer Belastungsstörungen", Band 85, Heft 3, März 2014, Seite 279-288; es handelt sich um einen Artikel von H. Dreßing und K. Foerster). Hinsichtlich der posttraumatischen Belastungsstörung gingen die Sachverständigen isoliert betrachtet von einer MdE von 50 v. H. aus. Bei einer schweren depressiven Episode allein ergebe sich hier eine MdE von mindestens 80 v. H. Aufgrund der Kombination der Störungsbilder sei von einer MdE von 100 v. H. für zwei Jahre auszugehen. Es sei in den nächsten zwei Jahren mit keiner Besserung zu rechnen, die eine Wiederkehr in das Berufsleben gestatte. Um erfolgreich zu sein, müsste eine weiterführende Psychotherapie stationär stattfinden.

Die Beklagte ließ sich zu dem Gutachten der Sachverständigen LL. und MM. vom 28.11.2013 sowie deren ergänzender Stellungnahme vom 04.04.2014 durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. NN. beraten. Dieser führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage unter dem 19.05.2014 aus, dass hinsichtlich der Posttraumatischen Belastungsstörung das A-Kriterium nicht erfüllt sei: Die Klägerin sei als Fahrradfahrerin von einem Auto erfasst worden und gestürzt, was schwerlich die Diagnosekriterien (Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde) erfülle. Hinzu komme, dass die Klägerin selbst keine Erinnerung habe und dass von Anfang an bis zuletzt keine Intrusionen bzw. Flashbacks beschrieben worden seien. Ein Vermeidungsverhalten hinsichtlich des Fahrradfahrens sei naheliegend und normalpsychologisch verständlich. Symptome des Hyperarousal seien – wie alle übrigen Symptome der PTBS – natürlich rein subjektiv. Dringend erforderlich wäre es gewesen, hier eine testpsychologische Diagnostik, vor allem Beschwerdevalidierungstests, durchzuführen. Dass dies von den Sachverständigen LL. und MM. nicht für erforderlich gehalten worden sei, sei nicht nachvollziehbar, vor allem dann nicht, wenn im Rahmen der Heilverfahrenskontrolle in der BG-Unfallklinik Frankfurt am 21.05.2012 erhebliche Auffälligkeiten im Sinne einer negativen Antwortverzerrung bestanden hätten. LL. stütze sich ausschließlich auf die subjektiven Angaben der Klägerin vier Jahre nach dem Unfall. Er sei in seinem Gutachten nicht einmal auf die umfangreichen Vorbefunde eingegangen, da man den Akteninhalt als bekannt voraussetzen könne. Sein Gutachten erfülle damit nicht die Anforderungen an ein psychiatrisches Gutachten. Schließlich dürfe ausdrücklich auf die AWMF-Leitlinie "Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen" verwiesen werde, die LL. zwar zitiere, aber diesbezüglich nicht beachte. Die Annahme einer PTBS sei somit nicht ausreichend begründet. Dem Gutachten des Dr. GG. vom 30.10.2012 sei vollumfänglich zuzustimmen. Dieses entspreche auch dem Ergebnis im Gutachten Dr. S. vom 25.05.2011 und letztlich auch dem der Heilverfahrenskontrolle in der BG-Unfallklinik Frankfurt. Eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion sei nachvollziehbar, letztlich für den Zeitraum bis zu zwei Jahren nach dem Unfallereignis. Nach den allgemein anerkannten "Vorschlägen zur MdE-Einschätzung bei psychoreaktiven Störungen in der gesetzlichen Unfallversicherung" nach Foerster et al (MedSach 103 (2007) 52-56) könne für eine Anpassungsstörung in der Frühphase bei stärkergradig ausgeprägtem Störungsbild eine MdE bis 30 v. H. angenommen werden, später bis 20 v. H. Akzeptiere man den paroxysmalen Lagerungsschwindel als unfallbedingt, so könne eine MdE von 30 v. H. für den Zeitraum von zwei Jahren nach dem Unfallereignis für eine "Anpassungsstörung mit verlängerter depressiver Reaktion (F43.21) akzeptiert werden. Danach lasse sich eine unfallbedingte MdE nicht mehr begründen. Eine MdE von 100 v. H. liege weit jenseits der in der Literatur allgemein akzeptierten Erfahrungswerte. Eine PTBS sei ebenso wenig belegt wie eine organisch-psychische Störung. Die Beklagte zog noch die medizinische Akte der Deutschen Rentenversicherung Hessen bei, die jedoch keine neuen Informationen enthielt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 19.12.2012 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass das Gutachten des Dr. LL. vom 28.11.2013 "in keiner Weise" den Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherung entspreche. Deshalb sei der Beratungsarzt Dr. NN. abschließend gehört worden. Dieser schließe sich in seiner Stellungnahme vom 19.05.2014 vollumfänglich den Ausführungen des Dr. GG. in seinem Gutachten vom 30.10.2012 an, welches auch Grundlage des Ausgangsbescheids vom 19.12.2012 gewesen sei. Demzufolge scheide eine PTBS aus. Da kein seelisches Primärtrauma vorliege, könnten psychische Folgeschäden wie z. B. Ängste, Depressionen und Somatisierungsstörungen als Unfallfolgen nicht diagnostiziert werden. Insofern lasse sich auch die Depression der Klägerin nicht auf den Arbeitsunfall zurückführen. Unfallbedingt habe sich die Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet eine depressive Anpassungsstörung für die Dauer von maximal zwei Jahren, gerechnet ab dem Unfalltag, zugezogen. Darüber hinaus lasse sich eine Anpassungsstörung per Definition nicht mehr begründen, sie gelte als vollständig ausgeheilt. Nervenärztlich lasse sich ab diesem Zeitpunkt eine MdE nicht mehr begründen. Sämtliche auf psychiatrischem Fachgebiet über die Anpassungsstörung hinausgehenden Gesundheitsstörungen ließen sich nicht rechtlich wesentlich auf den Arbeitsunfall zurückführen. Die Ausführungen von Frau Dr. K. könnten aus den genannten Gründen ebenfalls nicht überzeugen. Die Klägerin sei auf augenärztlichem Fachgebiet vor Bescheiderteilung umfassend und ausreichend untersucht worden (Gutachten Prof. HH. vom 28.08.2012). Ihre abweichende Auffassung teile die Beklagte nicht. Die Gutachten des Dr. GG. und des Prof. HH. seien im Übrigen schlüssig und nachvollziehbar. Nach alledem sei der Bescheid vom 19.12.2012 nicht zu beanstanden und der Klägerin zu Recht zum 01.01.2013 mangels rentenberechtigender MdE die Rente entzogen worden.

Die Klägerin hat am 27.08.2014 durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Frankfurt erhoben.

Der Klägervertreter beruft sich auf das Sachverständigengutachten des Dr. LL. vom 28.11.2013 inklusive dessen ergänzende Stellungnahme vom 04.04.2014, auf das Sachverständigengutachten des Herrn OO. vom 13.07.2016 inklusive dessen ergänzender Stellungnahme vom 08.10.2019 sowie auf die von ihm im Klageverfahren vorgelegten ärztlichen Unterlagen. Der Klägervertreter legt einen Arztbrief der Frau Prof. Dr. PP., Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin der Johannes-Guttenberg-Universität Mainz vom 06.04.2016 vor, erstellt aufgrund der dortigen Untersuchung der Klägerin am 22.03.2016. In der Epikrise heißt es, dass ursächlich für die Beschwerden der Klägerin von einem multimodalen Schwankschwindel mit im Vordergrund stehender somatoformer Komponente ausgegangen werde. Erschwerend könnten die rechtsseitige Optikopathie und auch ein benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel beigetragen haben. Über die beschriebenen Beschwerden hinaus seien kein fokal-neurologisches Defizit und kein Hinweis auf eine periphere oder zentral-vestibuläre Störung gefunden worden. Darüber hinaus legt der Klägervertreter einen Bericht der Frau Dr. K. vom 12.05.2016 vor. Auch ein ausführlicher "vorläufiger Brief" der Fachklinik Katzenelnbogen an Frau Dr. K. vom 16.02.2017 über den dortigen erneuten stationären Aufenthalt der Klägerin vom 19.01.2017 bis 16.02.2017 wird vorgelegt. In dem Brief heißt es, dass die Klägerin seit dem Verkehrsunfall im Dezember 2009 nun schon das vierte Mal in den Wintermonaten in der Klinik aufgenommen worden sei (nach 11/2010, 2/2012 und 1/2013) wegen ähnlicher Beschwerden (zunehmend schlechte Stimmung, innere Unruhe, Schwindel, Kopfschmerzen, Ängstlichkeit, Traurigkeit, Überforderung, Übelkeit und Druck im Oberbauch). Die Klägerin beklage Lebensüberdruss-Gedanken und dass sie sich bei starker Anspannung an den Haaren ziehe und in letzter Zeit gereizter, ihrer Familie gegenüber verbal aggressiv, sei. Der psychopathologische Befund beschreibt u. a., dass die Klägerin sich nicht in der Lage gesehen habe, "den 100-7-Rechentest zu lösen und kann sich 3 Begriffe nicht über eine Minute hinweg merken." Hinsichtlich der Affektivität zeige die Klägerin eine starke Unruhe, sie sei klagsam, gereizt, ängstlich, affektlabil, berichte Verarmungsgefühle, Interessenverlust und Ängstlichkeit. Der Antrieb sei deutlich gemindert, die Psychomotorik sehr unruhig. Die Klägerin berichte von Panikattacken, besonders bei vielen Menschen sowie von Einschlaf- und Durchschlafstörungen und Gewichtszunahme. Bei Aufregung und bei Anflug von Panikattacken, vor allem in Menschenmengen bestünden Herzklopfen sowie Dyspnoe. Darüber hinaus berichte die Klägerin von Vermeidungsverhalten in Bezug auf den Unfallort, beim Überqueren von Straßen ("bei einer Ampel traue sie sich jedoch [die Straße zu überqueren; Anm. d. Verf.] bei vorherigem mehrfachem Sich-Vergewissern, dass alle Autos stehen, was zum Teil dazu führe, dass die Ampel wieder rot sei und die Patientin wieder lange warten müsse."). "Sie habe Zukunftsängste, auch finanzieller Art. Sie lebe von einer Erwerbsminderungsrente, der Unterhalt der Kinder [Tochter, 20 Jahre, Studentin und Sohn, 14 Jahre, Gymnasiast; Anm. d. Verf.] durch den Kindsvater sei zurzeit weniger geworden, da der Kindsvater zurzeit arbeitslos sei. Über den Verlauf der Therapie berichtet die Fachklinik, dass die Klägerin weiterhin nichts an sich habe heranlassen können, was eine Beziehung zum Unfall gehabt habe (z. B. rechte Körperhälfte bewusst wahrnehmen, über den Zebrastreifen gehen). Die körperlichen Beschwerden, die sicherlich größtenteils psychosomatisch mitbedingt seien, wie Kopfschmerzen und Oberbauchschmerzen, seien ebenfalls geblieben.

Der Klägervertreter beantragt,

den Bescheid vom 19.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.08.2014 aufzuheben und festzustellen, dass die Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) sowie die Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F32.2) Folgen des Versicherungsfalls vom 30.12.2009 sind und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 01.01.2013 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 100 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf die Ergebnisse der Beweisaufnahmen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und die beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. NN.: Im Klageverfahren hat die Beklagte zum für die Klägerin günstigen Sachverständigengutachten des Herrn OO. (s. u.) eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. NN. vom 03.11.2016 vorgelegt. Hierin führt der Beratungsarzt aus, dass sich der Sachverständige OO. ausschließlich auf die Angaben der Klägerin gestützt habe, ohne die "Aktenunterlagen" zu beachten. Das Verhalten der Klägerin im Rahmen der Exploration bei Herrn OO., nämlich die gravierenden mnestischen Störungen (keine Erinnerung an den lebenszeitlich Abstand ihrer Geschwister zu ihr, Zeitpunkt der Übersiedlung nach Deutschland, Zeitpunkt der Eheschließung, Zeitpunkt der Scheidung) seien eindeutig demonstrativ gewesen. Derartige Störungen entsprächen einem schwersten hirnorganischen Psychosyndrom vom Ausmaß einer Demenz, obwohl eine strukturelle Hirnschädigung bei dem Unfall habe ausgeschlossen werden können. Daher wäre es zwingend erforderlich gewesen, die Authentizität der geklagten Beschwerden zu überprüfen. Mittlerweile habe die Klägerin auch genügend Erfahrung mit vorausgegangenen Begutachtungen, so dass sie sehr wohl wisse, was gefragt sei. Erfahrene Gutachter wie Stevens und Fabra (MedSach 111(2015)162-168) betonten das Erfordernis von Beschwerdevalidierungstests. Natürlich stellten solche Tests nur einen Mosaikstein in der Gesamtbeurteilung dar und könnten für sich alleine niemals die Diagnose einer Simulation begründen. Sie stellten aber einen wichtigen Baustein in der Gesamtbeurteilung dar, gerade dann, wenn es sich um rein subjektive Beschwerden handele, die ansonsten durch nichts belegbar seien. Die gelegentlich geübte Kritik an der Testdiagnostik beruhe auf der Verabsolutierung der einzelnen Ergebnisse, ohne sie in den Kontext des Gesamtbefundes einzufügen und kritisch zu beurteilen. Dahingehend sei auch die Aussage der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde; Stellungnahme vom 28.01.2011, die von dem Sachverständigen OO. in seinem Gutachten zitiert wird; Anm. d. Verf.) zu verstehen. In zahlreichen Studien sei nachgewiesen worden, "dass Experten, die sich allein auf die klinische Exploration stützen in ihrer Unterscheidung zwischen aufrichtig antwortenden Menschen und solchen, die die Unwahrheit sagen, nicht besser als per Zufall abschneiden" (Merckelbach et al., 2009 in: Diagnostik der Beschwerdenvalidität, Deutscher Psychologenverlag). Eine Beschwerdevalidierung hätte im vorliegenden Fall, so der Beratungsarzt, zwingend schon deshalb durchgeführt werden müssen, weil schon in den Vorgutachten der Dres. GG. und QQ. sowie im Bericht des Herrn EE. negative Antwortverzerrungen festgestellt worden seien.

Zum vorläufigen Brief der Fachklinik Katzenelnbogen vom 16.02.2017 (s. o.) hat die Beklagte eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. NN. (vom 05.04.2017) vorgelegt. Hierin äußert dieser, dass die dortige Behandlung der Klägerin "immer im Winter" wegen einer depressiven Episode nicht einer PTBS und auch keiner psychoreaktiven Störung in Bezug auf den Versicherungsfall, sondern einer "endogenen" Depression entspreche. Abgesehen davon sei das Vermeidungsverhalten der Klägerin (dass sie den Unfallort nicht mehr aufsuchen könne und Angst habe, die Straße zu überqueren) "im Grunde ein normalpsychologisch verstehbares Verhalten" und es ergäben sich durchaus Hinweise auf ein nichtauthentisches Verhalten der Klägerin, wie schon zuvor. Ängste finanzieller Art unter Hinweis auf noch nicht abgeschlossene Verhandlungen mit der Beklagten ließen auf eine "Zielkonflikt" schließen.

Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akte des Amtsgerichts Gelnhausen in der Betreuungssache, die Akte des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales in der Schwerbehindertenangelegenheit, das (hinsichtlich psychischer Erkrankungen vor dem Versicherungsfall "leere") Vorerkrankungsverzeichnis der AOK sowie die medizinische Akte der DRV Hessen zu dem Rechtsstreit beigezogen.

Darüber hinaus hat das Gericht Sachverständigenbeweis erhoben bei dem Facharzt für Innere Medizin, Neurologie Psychiatrie und Psychotherapie Dr. QQ. Dieser hat sein neurologisch-psychiatrisches Gutachten, nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 15.07.2015, dem Gericht unter dem 24.07.2015 vorgelegt. Der Sachverständige ist hierin zu dem Ergebnis gekommen, dass aus aktueller neurologisch-psychiatrischer Sicht keine Gesundheitsstörungen dieses Fachgebiets mit der notwendigen Objektivität nachgewiesen werden könnten. Die Klägerin hatte zur Begutachtung folgende Dokumente mitgebracht: Befundbericht des Dr. F. vom 18.05.2015 mit den Diagnosen Somatisierungsstörung, depressive Episode, mittelschwer, Angst und depressive Störung, gemischt, Z. n. Commotio cerebri 2009. Befund: Immer wieder sei die Klägerin wechselhafter Stimmung, habe diverse familiäre Belastungen, wobei sie immer wieder die reduzierte Stressbelastung bemerke. Sie sei nach wie vor durch das Sozialgerichtsverfahren belastet. Psychotherapie und Tagesstätte "liefen relativ regelmäßig". Medikamente: Venlafaxin morgens, Quetiapin abends und nachts; Rentenbescheid der DRV Hessen vom 14.01.2015 über Gewährung einer Dauerrente wegen voller Erwerbsminderung; Verlängerung der Kostenzusage für die Betreuung der Klägerin in einer Tagesstätte des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen vom 04.02.2015 als Eingliederungshilfeleistung nach integriertem Behandlungs- und Rehabilitationsplan; ärztliches Attest der Frau Dr. K. vom 22.06.2015; drei Seiten handschriftliche Aufzeichnungen, die die Klägerin mit Hilfe von Frau Dr. K. niedergeschrieben habe (die sind entweder ganz oder zum allergrößten Teil identisch sind mit dem handschriftlichen Beschwerdevortrag, den Dr. GG. in seinem Gutachten vom 30.10.2012 auf Seite 8 auszugsweise zitiert).

Der Sachverständige QQ. berichtet zur Begutachtungssituation: Die Kontaktaufnahme mit der Klägerin sei erschwert gewesen. Die anamnestischen Angaben seien oft sehr vage und unspezifisch gewesen und es hätten lange Antwortlatenzen bestanden. Bei vielen Fragen habe die Klägerin auf die Aktenlage und auf ihre handschriftlichen Aufzeichnungen verwiesen oder angegeben, dass sie etwas nicht wisse. Auch die körperliche Untersuchung sei deutlich erschwert gewesen. Signifikante internistische oder neurologische Auffälligkeiten hätten nicht objektiviert werden können. Die Angabe der Klägerin, dass sie nur auf der linken Seite liegen könne, sei so pathophysiologisch aus ärztlicher Sicht nicht nachvollziehbar gewesen. Vom gesamten Bewegungsablauf her habe sich kein Hinweis für eine hirnorganisch bedingte neurologische Symptomatik ergeben. Im psychopathologischen Befund habe sich die extreme Agitiertheit gezeigt. Kognitive oder mnestische Defizite hätten nicht erhoben werden können. Für eine hirnorganisch bedingte Symptomatik habe sich kein Anhalt ergeben. In der Grundstimmung habe die Klägerin depressive bzw. niedergeschlagen gewirkt und vermehrt geweint. Insgesamt sei sie psychomotorisch sehr unruhig gewesen. Das EEG habe einen unauffälligen Befund gezeigt. Das Ergebnis des durchgeführten Rey-Memory-Tests sei sehr auffällig gewesen. Allein vom Verhalten der Klägerin in der Testsituation hätten sich deutliche Hinweise für eine mangelnde Anstrengungsbereitschaft bzw. dann auch für eine Simulation ergeben. Weitere testpsychologische Untersuchungen seien nicht sinnvoll gewesen. Das Verhalten der Klägerin sei derart auffällig gewesen, dass eine regelrechte Verwertbarkeit der anamnestischen Angaben und des körperlichen Untersuchungsbefundes gutachterlich nicht möglich sei. In Zusammenschau der Aktenlage, der Anamnese und der jetzt erhobenen Untersuchungsbefunde könne eine psychiatrische Diagnose bei dem offensichtlichen Aggravations- bzw. Simulationsverhalten von dem Sachverständigen nicht gestellt werden. Auch habe sich so kein Anhalt für eine objektivierbare Erkrankung des neurologischen Fachgebiets ergeben. Insgesamt scheine es so, dass die Klägerin alle Belastungen und Widrigkeiten ihres Lebens auf den Unfall projiziere. Es habe sich hier kein sicher zu objektivierender Anhalt für das Vorliegen einer unfallreaktiven psychischen Erkrankung nach den Maßstäben der gesetzlichen Unfallversicherung gezeigt. Die Klägerin machte gegenüber dem Sachverständigen QQ. Angaben zu ihren aktuellen Beschwerden. Zitate aus der "Anamnese" des Gutachtens QQ.: "[ ...] Hier in der Praxis sei alles neu für sie. Es mache ihr so Angst. Sie habe immer Kopfschmerzen im ganzen Kopf. [ ...] Sie beschreibt dann auch einen Schwindel. Beschrieben wird dieser Schwindel am ehesten wie ein Schwankschwindel, wenn sie den Kopf bewege. Der ganze Raum würde dann wackeln. Sie habe einen Druck im Bauch und eine Übelkeit seit dem Unfall. Sie rede nicht gerne über den Unfall. [ ...] Sie sehe auch jetzt verschwommen. Alles erinnere sie an den Unfall. Sie selbst könne sich an den Unfall nicht erinnern. Sie könne sich erst wieder im Krankenhaus erinnern. [ ...] Es mache ihr alles Angst. Sie sei oft wütend. Alles gehe ihr auf die Nerven. Es sei jetzt alles anders als früher. [ ...] Es wäre einfach alles viel. Sie weine immer. Sie nennt dann auch eine Licht- und Blendempfindlichkeit. [ ...] Sie nennt dann auch Unruhe. [ ...] Ihre Arbeit habe ihr viel Spaß gemacht. Jetzt sei alles anders. Körperlich sei sie fit. Vom Kopf her gehe es aber nicht. Sie habe ein Gefühl, als wenn sie betrunken sei. [ ...] Man schicke sie von Arzt zu Arzt – zum Beispiel heute. Es sei weit und für sie unbekannt. [ ...] Sie habe den Führerschein. Seit dem Unfall fahre sie selbst kein Auto und auch kein Fahrrad mehr. Sie habe auch Probleme als Beifahrerin." "Affektives Befinden: [ ...] es sei für sie nichts interessant. Es mache ihr nichts Spaß. Gegenwärtig könne sie sich über gar nichts freuen. Sie würde sich freuen, wenn sie nicht von einem Arzt zu dem nächsten Arzt geschickt werde, und es wieder so sei wie früher. [ ...] In der Tagesstätte sei sie nicht traurig. Sie sei dort abgelenkt. Sie vergesse dann, dass sie wie betrunken sei. [ ...]" "Hobbies und Interessen: [ ...] Sie habe jetzt keine Hobbies oder Interessen mehr. [ ...]" "Appetit: Manchmal habe sie so Hunger. In der letzten Zeit habe sie zugenommen." "Zukunftswünsche: Sie habe keine Zukunftswünsche. Sie habe Angst vor der Zukunft." Zur Aktenlage merkte der Sachverständige an, dass sowohl Dr. F. (Bericht vom 19.07.2010) als auch der Psychologe H. (Bericht vom 19.07.2010) eine Anpassungsstörung und nicht eine PTBS diagnostiziert hätten. In seinem Bericht vom 18.05.2015 habe Dr. F. nicht explizit die Diagnose einer psychoreaktiven Erkrankung gestellt. Die von Frau Dr. K. im Bericht vom 08.10.2010 angeführten Symptome bedingten nicht die Diagnose einer PTBS. Das geschilderte Vermeidungsverhalten in den ersten Monaten nach dem Ereignis beziehe sich eher unspezifisch auf Verkehrssituationen; dieses Verhalten sei mit einem physiologischen Lernverhalten ebenso wie mit einer leichten phobischen Störung vereinbar. Die Diagnose eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma durch Frau Dr. K. sei falsch. Ein Hirntrauma mit einer relevanten hirnorganischen Verletzung habe nicht vorgelegen. Eine commotio cerebri sei eben dadurch charakterisiert, dass eine relevante Hirnschädigung nicht vorliege. Auch seien in der Kernspintomografie des Schädels entsprechend der Aktenlage Blutungsreste ausgeschlossen worden, obwohl insbesondere die T2-Stern-Sequenz bzw. HAEM-Sequenz des MRT (die craniale MRT erfolgte mit axialer T2-Wichtung; vgl. Kernspintomografie-Befund vom 04.03.2011) auch nach 90 Monaten noch traumatische Kleinstblutungen zeigen. Die Bewertung des Sachverständigen Dr. S. teile Dr. QQ. – wie dargelegt – nicht. Auch die Bewertung des Dr. DD. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10.11.2011 könne der Sachverständige rückblickend nicht teilen. Der Verweis des Herrn EE. (Bericht vom 21.05.2012) auf eine ausgeprägte negative Antwortverzerrung bei der Beschwerdevalidierung spreche "für eine sehr bewusste Aggravation bzw. Simulation." Zum Sachverständigengutachten des Dr. GG. vom 13.10.2012 führte Dr. QQ. an, dass es richtig sei, dass eine somatoforme Störung in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen auftrete, denen die Hauptrolle für Beginn, Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhalten der Beschwerden zukomme [Dr. GG. hatte geschrieben, dass die Somatisierungsstörung eine in der Persönlichkeit und Anlage begründete Störung ist. Hierzu ist anzumerken, dass die Klägerin im Zustand ihrer Persönlichkeit und Anlagen versichert ist. Rechtserheblich ist nur, ob es sich bei dem Unfall um eine Gelegenheitsursache handelt, was von keinem Sachverständigen angegeben wird.] Dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens des Dr. GG., nämlich dass die erheblichen Inkonsistenzen und Inplausibilitäten in Verbindung mit dem psychopathologischen Befund eine unfallreaktive Störung von Krankheitswert ausschlössen, pflichtet Dr. QQ. unter Bezugnahme auf die Beweislast bei. Das Antidepressivum Venlafaxin sei bei der Laboruntersuchung durch Dr. GG. nicht nachweisbar gewesen, was vor allem Rückschlüsse auf den subjektiven Leidensdruck zulasse, aber ebenso einen Inkonsistenzfaktor darstelle. Die Bewertung des Dr. LL. in seinem fachpsychiatrischen Gutachten vom 28.11.2013, dass sich keine Hinweise für eine Aggravation, Simulation oder Dissimulation gefunden hätten, sei aufgrund der von Dr. LL. selbst angeführten schlechten Mitarbeit nicht nachvollziehbar. Dr. QQ. teile die Ansicht des Dr. NN. (beratungsärztliche Stellungnahme vom 19.05.2014), wonach das A-Kriterium für die PTBS nicht erfüllt sei. Auch zusammenfassend ergäben sich keine Diskrepanzen zwischen der Beurteilung des Sachverständigen QQ. und des Dr. NN.

Auf Antrag des Klägervertreters nach § 109 SGG hat das Gericht ein weiteres psychiatrisches Gutachten bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie OO. eingeholt, das dieser, nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 07.07.2016, inklusive einer Fremdanamneseerhebung bei der die Klägerin begleitenden Tochter, dem Gericht unter dem 13.07.2016 vorgelegt hat. Die Klägerin sei ihm nicht bekannt und sei auch von ihm nicht behandelt worden. Zur Begutachtungssituation führt der Sachverständige aus, dass die Klägerin von Beginn an eine starke psychomotorische Unruhe und Anspannung gezeigt habe. Sie habe bei der Erwähnung des Unfallereignisses geweint und erklärt, sie könne nicht über den Unfall reden. Es sei immer dasselbe. Die Klägerin habe immer wieder zur Fortsetzung der Untersuchung motiviert werden müssen und sei in ihren spontanen Aussagen einsilbig und ausweichend gewesen. – An welchen Stellen der Untersuchung bzw. aus welchen Anlässen dies jeweils gewesen ist, hat der Sachverständige an ebendiesen Stellen im Gutachten selbst vermerkt, so z. B., dass er die Klägerin gebeten habe, ihre Erinnerungen an den Unfall selbst zu schildern. Hiernach sei die Klägerin in verstärkte Unruhe geraten und habe den Raum verlassen wollen. Ihr sei dann gestattet worden, an die frische Luft zu gehen, wohin sie von ihrer Tochter begleitet worden sei. Nach etwa zehn Minuten habe die Untersuchung fortgesetzt werden können. Die Klägerin habe dann gefragt, ob es noch lange dauern werde und dass sie platzen werde. Danach habe sie angegeben, sich an keine weiteren Details des Unfalls mehr zu erinnern und sei bei dieser Haltung geblieben; als der Sachverständige die Klägerin aufgefordert habe, ihren Tagesablauf zu schildern, habe sie entgegnet, dies sei schlimm. Sie habe vor dem Termin schon eine Bedarfstablette zur Beruhigung genommen. – Immer wieder sei deshalb ein gezieltes Nachfragen notwendig gewesen. Neben dem zu beobachtenden grobschlägigen Zittern, hauptsächlich der Beine, habe die Klägerin während der Untersuchung mehrfach ausgeprägte Mundtrockenheit gehabt, obwohl sie etwas zu trinken gehabt hätte. Die Klägerin habe auf Befragung hin angegeben, dass sie immer Angst habe, wenn sie in eine unbekannte Situation komme, was früher nicht so gewesen sei. Seit dem Unfall habe sie auch täglich Kopfschmerzen, es sei ein komisches Gefühl, wie benommen oder betrunken. Alles sei anders als früher und die Klägerin könne sich nicht mehr richtig konzentrieren. Früher sei sie gerne arbeiten gegangen, habe zwei Arbeitsstellen gehabt, an denen sie als Reinigungskraft gearbeitet habe. In ihrer Freizeit habe sie gern Sport gemacht, sei ins Fitnessstudio gegangen oder habe sich mit Freunden getroffen. Heute sehe sie für sich keine Zukunft mehr und erleben sich als Versager. Jetzt habe sie keine Kraft mehr, fühle sich bei Aktivitäten rasch erschöpft, habe im Weiteren sozialen Rückzug beschrieben und Verlust von Antrieb, Interesse und Freudfähigkeit eingeräumt. Die Klägerin fahre kein Fahrrad mehr, könne auch nicht mehr über einen Zebrastreifen gehen, könne im Auto nicht mehr vorne sitzen und auch nicht selbst fahren. Wenn die Kinder Fahrrad führen, habe sie Angst, dass ihnen etwas zustoße. Wenn die Kinder abends noch nicht zuhause seien, wenn es dunkel werde, bekäme sie auch Angst, dass die Kinder einen Unfall gehabt hätten. Ihr Unfall sei am Nachmittag passiert zu einem Zeitpunkt, zu dem es ebenfalls bereits dunkel geworden sei. Die Klägerin könne sich an das Krankenhaus erinnern. Jemand habe ihr einen Telefonhörer gegeben und ihre Mutter sei am anderen Ende gewesen. Die Mutter habe ihr erzählt, dass sie einen Unfall gehabt habe. Die Klägerin werde häufig von Albträumen wach. Manchmal träume sie, dass sie allein in einem fremden Raum sei und Angst habe. Manchmal liege ein Mann tot auf dem Bett und eine Frau sitze daneben und weine. Aus der Schilderung des Tagesablaufs durch die Klägerin habe sich ergeben, dass die Klägerin täglich eine Tagesstätte in A-Stadt besuche. Dort seien die Leute sehr nett. Sie könne es aber oft nicht lange aushalten. Es werde ihr dann einfach zu eng. Das Mittagessen könne sie auch nicht aushalten mit so vielen Menschen. Die Tagesstätte erlaube ihr, dass sie dann einfach nach Hause gehe. Sie sei am liebsten allein. Ihre Mutter mache zuhause das Mittagessen und die Klägerin esse dann mit ihrer Mutter und den Kindern zusammen. Auf die Frage, wie sie ihren Haushalt bewältige, habe die Klägerin ausweichend geantwortet, dass das früher alles anders gewesen sei. Sie könne sich jetzt gar nicht mehr bücken und bekomme gleich Schwindel. Die Tochter der Klägerin habe berichtet, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, den Haushalt zu führen oder Einkäufe zu erledigen. Die Großmutter und die Tante würden abwechselnd nahezu täglich kommen und helfen, ansonsten habe sich die heute 20jährige Tochter schon früh um alles kümmern müssen. Die meiste Zeit sei die Klägerin so unruhig wie jetzt oder lege sich ins Bett, wenn sie ihre Beruhigungstabletten genommen habe. Oft sei sie auch reizbar und alles werde ihrer Mutter schnell zu viel. Die Tochter sei bei dem Unfall 14 Jahre alt gewesen. Sie habe noch eine gute Erinnerung an die Zeit und bestätige die Angaben der Klägerin, dass diese sich in ihrem Verhalten und ihrem Wesen seither verändert habe. Die Mutter sei vor dem Unfall aktiv gewesen, sei gerne zu Feiern gegangen und habe oft Sport gemacht. Der Sachverständige OO. berichtet, dass die Tochter der Klägerin einen Ordner mit abgehefteten Befunden mitgebracht habe, aus dem sie auf die Frage nach aktuellen Unterlagen mehrere Schriftstücke herausgesucht habe. Die Klägerin habe auf vier DIN-A4 Seiten handschriftlich ihre Beschwerden zusammengetragen (diese handschriftlichen Aufzeichnungen lagen dem Sachverständigengutachten nicht bei und konnten von diesem auch im Nachhinein nicht mehr vorgelegt werden). Es hätten sich hier Angaben zu Angstsymptomen, sowohl generalisiert, als auch auf den Straßenverkehr bezogen, sowie zahlreiche Symptome einer Depression gefunden. Zum psychopathologischen Befund führt der Sachverständige OO. aus, dass die Klägerin äußerlich durch starke psychomotorische Unruhe auffällig gewesen sei. Im Kontakt sei sie abweisend und misstrauisch-abwartend gewesen. Der Rapport sei verlangsamt erfolgt, ohne eine eigene Initiative, den Gesprächsverlauf zu gestalten. Inhaltlich seien ihre Äußerungen einsilbig, oft ausweichend und unkonkret gewesen. Zugleich sei die Klägerin aber in der Darstellung ihres Leidens theatralisch und klagsam gewesen. Hinweise für grobe Störungen von Gedächtnis, Merkfähigkeit und Auffassungsgabe hätten nicht vorgelegen. Die Konzentrationsfähigkeit sei eingeschränkt gewesen. Das Denken sei formal geordnet, verlangsamt und thematisch eingeengt gewesen. Die Grundstimmung sei depressiv, die affektive Schwingungsfähigkeit sei reduziert gewesen. Durchgehend habe eine ängstliche Anspannung bestanden, die sich bei der Erörterung des Unfalls gesteigert habe. Der Sachverständige OO. gelangt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung und eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome bestehen. Dies leitet der Sachverständige aus dem Nachfolgenden ab: Unmittelbar nach dem Unfall sei keine psychische Beeinträchtigung bei der Klägerin zu Tage getreten. Erstmalig im Mai 2010, also zwischen vier und fünf Monaten nach dem Unfall, würden auch psychische Beschwerden beschrieben (ängstliche Anspannung und Vermeidungsverhalten bezüglich der Unfallsituation sowie eine eingeschränkte Befähigung, alltägliche Anforderungen zu erfüllen). Im Oktober 2010 habe erstmalig eine ausführliche Schilderung von Symptomen durch Frau Dr. K. stattgefunden, die auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung hingedeutet hätten. Diese Symptome bestünden bis heute fort und seien im Verlauf der Akte auch immer wieder dokumentiert. Von einer posttraumatischen Belastungsstörung betroffene Personen berichteten zumeist nicht spontan über ihr traumatisierendes Erlebnis und die damit assoziierten Symptome. Charakteristisch sei ein Vermeidungsverhalten, das sich auch auf die gedankliche Beschäftigung mit dem Thema erstrecke. Schilderungen fielen dann zumeist kurz, oberflächlich, unvollständig und ausweichend aus und die Exploration der Betroffenen stelle eine gewisse Anstrengung für den Untersucher dar, diesem Widerstand und der Vermeidung der Betroffenen zu begegnen. Aufgrund dieser Besonderheiten entspreche es der beruflichen Erfahrung des Sachverständigen, dass die Störung häufig übersehen werde. Die Häufigkeit für Opfer von Verkehrsunfällen, eine posttraumatische Belastungsstörung zu erleiden, liege bei 10 %, wobei das gleichzeitige Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas deren Auftreten begünstige. Die Klägerin habe einen Verkehrsunfall mit Schädel-Hirn-Verletzung und daraus resultierenden anhaltenden Sehstörungen erlitten. Ihre unmittelbare emotionale Reaktion auf das Unfallereignis und die Frage, ob initial eine Bewusstlosigkeit bestanden habe, sei nicht dokumentiert. Angesichts der Schwere der Kopfverletzung und der zumindest teilweisen Amnesie sei eine Bewusstlosigkeit jedoch hochwahrscheinlich. Das Unfallereignis als solches erfülle das A-Kriterium der PTBS. Das B-Kriterium sei ebenfalls erfüllt. Die Klägerin gerate in Angstzustände, innere Bedrängnis und intensives psychisches Leid, wenn sie mit Situationen konfrontiert werde, die mit dem Unfall assoziiert seien. Dazu gehörten Fahrrad fahren, eine Straße überqueren, einen Zebrastreifen benutzen, aber auch, wenn ihre Kinder Fahrrad fahren oder die Kinder bei einsetzender Dunkelheit (wie bei ihrem Unfall an einem Nachmittag im Dezember) draußen unterwegs seien. Auch gerate die Klägerin bei der Konfrontation mit dem Unfall in zunehmende Unruhe, die Untersuchung habe unterbrochen werden müssen, damit sich die Klägerin habe beruhigen können, und die Klägerin habe über anhaltende Mundtrockenheit geklagt. Anhaltende Vermeidung von Stimuli, die mit dem Trauma in Verbindung stünden und eine Einschränkung der allgemeinen Reagibilität (Versuche, Gedanken, Gefühle oder Gespräche, die mit dem Trauma in Verbindung stehen, zu vermeiden; Versuche, Aktivitäten, Situationen oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachriefen, zu vermeiden; Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Bestandteil des Traumas zu erinnern; auffallend vermindertes Interesse an bedeutenden Aktivitäten; Gefühl der Isolierung bzw. Entfremdung von anderen; eingeschränkter Affekt; Gefühle, keine Zukunft zu haben) (Kriterium C) lägen bei der Klägerin vor. Auch das D-Kriterium (teilweise oder vollständige Unfähigkeit, sich an wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern; anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität/eines erhöhten Erregungsniveaus, nämlich Ein- und Durchschlafstörungen, Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz, erhöhte Schreckhaftigkeit) liege bei der Klägerin vor. Die Beschwerden seien erstmalig im Abstand von vier bis fünf Monate nach dem Unfall dokumentiert und hielten seither über mehrere Jahre an, so dass auch das E-Kriterium erfüllt sei. Auch liege bei der Klägerin eine schwere depressive Episode mit allen drei Hauptsymptomen und mindestens vier der Nebensymptome nach ICD-10 vor. In dieser Hinsicht decke sich das Ergebnis des Selbstbeurteilungsfragebogens (BDI) mit dem klinischen Eindruck, den der Sachverständige in der Untersuchung gewonnen habe. Für die Entwicklung der posttraumatischen Belastungsstörung und die anschließend zusätzliche Entwicklung einer schweren depressiven Episode sei das Unfallereignis ein wesentlicher auslösender Einfluss im Sinne des Unfallversicherungsrechts. Aus der Aktenlage ergäben sich zunächst keine Hinweise darauf, dass die Klägerin vor dem Unfallereignis bereits unter einer psychischen Störung gelitten habe. Hierzu lägen Angaben des ambulant behandelnden Psychiaters Dr. F. vor, der relevante Vorerkrankungen verneine. Auch bei seiner ersten Befunderhebung nach dem Unfall sei dieser noch zu keiner psychiatrischen Diagnose gekommen. Die decke sich mit den Informationen zur Biografie der Klägerin. Obwohl diese mit ihrer Familie mit Anfang 20 nach Deutschland gekommen sei, habe sie keine Schwierigkeiten gehabt, in der für sie fremden Umgebung Fuß zu fassen, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Die Klägerin sei ohne Einschränkungen erwerbstätig gewesen und auch in der Lage gewesen, ihren Alltag als alleinerziehende Mutter zweier Kinder nach der Ehescheidung zu bewältigen. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Unfalls 43 Jahre alt gewesen und habe bis dahin eine völlig unauffällige Biografie bezüglich seelischer Beeinträchtigungen gehabt. Eine gewisse Disposition zur Ausbildung psychischer Beschwerden wirke bei der Genese einer psychischen Störung mit. Etwaige konstitutionelle oder persönlichkeitsbedingte Schwächen und Krankheitsdispositionen seien ausdrücklich in den Versicherungsschutz eingebunden. Das Vorhandensein einer Krankheitsdisposition spiele aber nur dann eine Rolle, wenn die Erkrankung auch durch eine Gelegenheitsursache leicht ausgelöst werden könnte. Dies sei im vorliegenden Fall eindeutig nicht gegeben. Durch das Unfallereignis sei ganz maßgeblich eine körperliche und psychische Schädigung der Klägerin verursacht. Im für die Störung charakteristischen Abstand von mehreren Monaten nach dem Unfall seien zunächst Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgetreten. Begleitend seien schon seit Sommer 2010 durch verschiedene Untersucher depressive Symptome beschrieben worden. In ihrer Ausprägung habe die Depression im Verlauf zugenommen und zeige sich heute als schwer ausgeprägt. Sie sei als Folgeerkrankung der posttraumatischen Belastungsstörung zu sehen und sei damit ebenfalls wesentlich vom Unfallereignis ausgelöst. Das gleichzeitige Auftreten weiterer psychiatrischer Störungen, sog. komorbider Störungen, sei bei rund 80 % der von einer posttraumatischen Belastungsstörung Betroffenen nachweisbar. Affektive und somatoforme Störungen seien neben der Entwicklung einer Suchterkrankung die am häufigsten anzutreffenden komorbiden Störungen. Der Verlauf der Beschwerden bei der Klägerin entspreche genau diesen Erfahrungswerten. Die Klägerin sei seit dem Unfall durchgängig arbeitsunfähig bzw. seit Gewährung einer Rente zum 01.02.2011 erwerbsunfähig. Ein Ende der durchgängig gegebenen Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin sei nicht absehbar. Zum Zeitpunkt seiner Begutachtung sei die durch die posttraumatische Belastungsstörung und die schwere depressive Episode ausgelöste Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin mit 100 v. H. zu bewerten. Beim Vorliegen beider Störungen sei zweifellos von einer unfallbedingten MdE von 100 v. H. auszugehen, dies sei bereits spätestens seit dem 01.02.2011 (Dokumentation voller Erwerbsunfähigkeit der Klägerin) der Fall gewesen. Mit dem Sachverständigengutachten des Dr. LL. und dessen ergänzender Stellungnahme stimme der Sachverständige OO. voll überein. Dr. GG. verneine das Vorliegen einer PTBS, weil die Klägerin beim Unfall keine unmittelbare Angstreaktion oder Hilflosigkeit erlebt habe. Dies werde jedoch vom Gutachter postuliert, ohne dass darüber überhaupt verwertbare Informationen in der Akte vorlägen. Außerdem bewerte GG. das Vermeidungsverhalten der Klägerin als unspezifisch, die Schilderung der Träume als vage. Das in der Akte immer wieder geschilderte Vermeidungsverhalten habe aber einen sehr deutlichen Bezug zu dem Unfallgeschehen, was die Bewertung des Dr. GG. für Herrn OO. nicht nachvollziehbar mache. Die Schilderung von Träumen sei in aller Regel für Betroffene schwierig und bleibe oft vage; der Aussagewert dieses Arguments sei dem Sachverständigen deshalb ebenfalls unklar. Dem Gutachten des Dr. GG. lasse sich nicht entnehmen, inwieweit dieser die Klägerin gezielt bezüglich der relevanten Symptome exploriert habe oder nur die spontan dargebotenen Symptome berücksichtigt habe. Durch das Fehlen einer gezielten Exploration gerate der Untersucher in die Gefahr, das Vermeidungsverhalten des Betroffenen, sich nämlich nicht aus freien Stücken mit dem traumatisierenden Ereignis zu beschäftigen, unabsichtlich mitzumachen. Selbst da, wo GG. eine starke emotionale Reaktion beschreibe, nämlich, als die Klägerin berichtete, durch die Unfallverursacherin nie eine Entschuldigung erhalten zu haben, verneine der Sachverständige einen Bezug zum Unfallgeschehen, begründe dies aber nicht. Er beschreibe, innere Anspannung und Angst seien immer wieder aufgekeimt, verneine aber einen Zusammenhang mit den besprochenen Gesprächsinhalten. Auch auf wiederholtes Nachfragen habe Dr. GG. keine konkreten Antworten erhalten, es habe eine lange Antwortlatenz bestanden, eine Störung der Konzentration oder der Aufmerksamkeit habe er bei der Klägerin dennoch ausgeschlossen. Diesen Widerspruch begründe Dr. GG. aber nicht. Es habe eine Diskrepanz bestanden zwischen der Tatsache, dass die Klägerin schriftliche Aufzeichnungen zur Untersuchung mitgebracht habe, sich zugleich aber als konfus beschrieben habe. Hier erkenne OO. keine Diskrepanz. Gerade weil ein Proband für ihn wichtige Details nicht vergessen wolle, müsse er sie sich ggf. aufschreiben. Auch in der Untersuchung bei ihm, dem Sachverständigen OO., sei die Klägerin am Anfang stark angespannt und am Ende erleichtert und ruhiger gewesen. Diese Dynamik sei leicht nachvollziehbar, werde von Dr. GG. aber als Inkonsistenz zu den vorgebrachten Beschwerden gesehen. Die Diagnosekriterien einer Depression habe Dr. GG. erst gar nicht geprüft, sei aber zu der Einschätzung gekommen, dass diese nicht vorliege. Die Einschätzung des Dr. NN., dass der Verkehrsunfall als solcher gar nicht geeignet gewesen sei, eine posttraumatische Belastungsstörung auszulösen, sei für den Sachverständigen OO. nicht nachvollziehbar und widerspreche den in der ICD-10 genannten Kriterien. Soweit sich NN. auf den psychologischen Bericht des Herrn EE. vom 21.05.2012 berufe und damit von einer generellen Aggravation aller Beschwerden der Klägerin ausgehe, gelte, dass Herr EE. ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass die Tendenz zur negativen Antwortverzerrung lediglich in Bezug auf die untersuchten neuro-kognitiven Beeinträchtigungen attestiert werden könne; er habe regelrecht davor gewarnt, sie auf den Bereich der affektiven Beschwerden der Klägerin auszuweiten und habe bekräftigt, dass kein Zweifel an einer erheblichen depressiven Symptomatik bei der Klägerin bestehen könne. Der Einsatz sog. Beschwerdevalidierungstests (BVT), wie der von Dr. QQ. durchgeführte Rey-Memory Test werde durchaus kontrovers diskutiert. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) habe im Jahr 2011 dazu eine Stellungnahme (Nr. 3/28.01.2011) veröffentlicht, in der es heiße: "Zwar mag es bei der Abklärung hirnorganischer Schäden sinnvoll sein, bei der Überprüfung der Authentizität geklagter Beschwerden BVT zu berücksichtigen. Auch bei diesen Begutachtungen müssen die oben dargestellten grundsätzlichen Limitationen der Methodik der BVT aber beachtet werden. Bei anderen psychiatrischen Fragestellungen, z. B. der Begutachtung depressiver Syndrome oder somatoform determinierter Schmerzsyndrome ist der schwerpunktmäßige Einsatz von BVT jedoch kritisch zu sehen. Bezüglich der Begutachtung posttraumatischer Belastungsstörungen hat die DGPPN in einer früheren Stellungnahme bereits darauf hingewiesen, dass es keine Hinweise dafür gibt, dass Simulation und Aggravation bei diesem Syndrom häufiger auftreten als bei anderen psychischen Störungen und dass eine "Objektivierung" der PTBS Symptomatik durch den obligatorischen Einsatz von Simulationstests bei der PTBS-Begutachtung weder möglich noch sinnvoll ist." Durch die Anwendung solcher Testverfahren werde der Eindruck einer in Wirklichkeit nicht vorhandenen Objektivität erweckt. Zudem werde sie von der Fachgesellschaft DGPPN für die Beurteilung des Beschwerdebildes der Klägerin ausdrücklich als ungeeignet eingestuft. Bereits Dr. LL. habe darauf hingewiesen, dass die Anwendung von testpsychologischen Untersuchungen keinen nachgewiesenen Vorteil gegenüber der klinischen Untersuchung bringe. Der Sachverständige QQ. lasse in seinem Gutachten ebenfalls nicht erkennen, ob er gezielt die relevanten Symptome bei der Klägerin exploriert habe. Seine Formulierung, dass Nachhallerinnerungen so nicht berichtet worden seien, lege eher den Schluss nahe, dass QQ. sich ausschließlich auf spontan vorgetragene Symptome beschränkt habe. Insgesamt werde deutlich, dass er die Beschwerden der Klägerin für unglaubwürdig halte. U. a. führe er an, dass bei zurückliegenden Untersuchungen ein ermittelter Medikamentenspiegel unter dem therapeutischen Bereich gelegen habe, was sinngemäß darauf hindeute, dass die Klägerin ihre Behandlung nicht ernsthaft umsetze. Hierzu sei zu sagen, dass bei aufmerksamem Studium der Akte auffalle, dass von der Klinik Katzenelnbogen unter zwei verschiedenen Antidepressiva niedrige Medikamentenspiegel gemessen wurden und eines der Medikamente sogar oberhalb der zulässigen Höchstdosis habe verordnet werden müssen, um einen therapeutischen Spiegel aufzubauen. Das spreche dafür, dass die Klägerin die entsprechenden Wirkstoffe in ihrem Organismus rasch verstoffwechsle und abbaue. Letztlich sage der von Dr. QQ. angeführte Laborwert also nur aus, dass die Aussage der Klägerin, am Vorabend die letzte Tablette Venlafaxin genommen zu haben, nicht stimme. Wohl aber sei das länger wirksame Abbauprodukt des Antidepressivums im Blut vorhanden gewesen, so dass davor eine Einnahme stattgefunden haben müsse: "Der Spiegel für Desmethylvenlafaxin, ein wirksames Abbauprodukt des Medikaments im Organismus, lag [ ...] innerhalb des therapeutischen Bereichs [ ...]. Die Interpretation dieser Laborwerte ist komplexer, als von Dr. QQ. propagiert, zumal er nur einen Teil des Untersuchungsergebnisses zitiert." (Gutachten OO., Seite 21, erster Absatz). Die Einnahme von Medikamenten werde aber auch zuweilen von weniger stark beeinträchtigten Menschen einmal vergessen. Soweit Dr. QQ. erkläre, dass aufgrund der Aggravation eine Diagnosestellung nicht möglich sei, lasse sich seinem Gutachten aber auch nicht entnehmen, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung und systematische Abklärung relevanter Krankheitssymptome stattgefunden hätten. Eine Tendenz zur Verdeutlichung von Beschwerden trete in Begutachtungen regelmäßig auf. Untersuchungen zufolge verstärke sich diese Tendenz, wenn die Probanden den Untersucher als desinteressiert und wenig einfühlsam erlebten. Im Falle der Klägerin würden von unterschiedlichen Quellen seit Jahren die im Wesentlichen übereinstimmenden Symptome und Beeinträchtigungen berichtet. Sie habe sich wiederholt in stationären Behandlungen verschiedener Kliniken befunden und nehme seit Jahren eine ambulante Psychotherapie wahr. Ebenfalls bestünden seit Jahren eine juristische Betreuung und die Klägerin besuche eine Tagesstätte für psychisch kranke Menschen. Diese Beeinträchtigungen der Alltagsfertigkeiten stünden ganz im Einklang mit dem von ihm, Herrn OO., erhobenen Befund. Die wirklich für die Diagnosestellung relevanten Informationen biete die Klägerin im Übrigen nicht übertrieben und noch nicht einmal freiwillig dar, was für das Krankheitsbild mit scham- und schuldhafter Verarbeitung der eigenen Defizite und massiver Vermeidung ebenfalls ganz charakteristisch sei.

Auf Anforderung der Kammervorsitzenden hat Herr OO. unter dem 08.10.2019 eine ergänzende Stellungnahme zu seinem Gutachten vom 13.07.2016 vorgelegt. Hierin hat er ausgeführt, dass von ihm neben der unfallabhängigen PTBS und der schweren depressiven Episode als komorbide Folgeerkrankung der PTBS keine weitere (unfallunabhängige) Angststörung zu diagnostizieren gewesen sei. Die Angst vor Menschenansammlungen sei unspezifisch, könne im Rahmen verschiedener psychischer Erkrankungen auftreten (Depression, Panikstörung, soziale Phobie etc.) und habe keinen unmittelbaren Unfallbezug. Die PTBS sei mit einer MdE von 50 v. H. zu bewerten, da sie schwer ausgeprägt sei. Durch die schwere depressive Episode komme zusätzlich eine durch diese Störung begründete MdE von 100 v. H. hinzu. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Begutachtung seit Jahren unter juristischer Betreuung gestanden und eine Einrichtung zur Tagesstrukturierung schwer chronisch kranker Menschen besucht. Vor diesem Hintergrund sei von einer schweren Beeinträchtigung der sozialen Funktionen der Klägerin auszugehen. PTBS und Depression wirkten sich gegenseitig verstärkend auf psychische Einschränkungen und Defizite in der Alltagsgestaltung und Belastbarkeit der Klägerin aus. Angstsymptome und Vermeidungsverhalten bedingten sozialen Rückzug; die depressive Grundhaltung, fehlende Freudfähigkeit, Antriebslosigkeit und rasche Erschöpfbarkeit schränkten die Entwicklung und Umsetzung möglicher Kompensationsmechanismen ein. Bei der Klägerin sei von einer gering ausgeprägten prämorbiden Resilienz auszugehen, was jedoch nicht mit einer manifesten psychischen Vorerkrankung gleichzusetzen sei. Menschen mit einem höheren Maß an Resilienz erkrankten statistisch seltener an einer PTBS. Die Behandlungsmöglichkeiten insbesondere der Psychotherapie hingen in hohem Maße von der Fähigkeit des Betroffenen ab, sich einer veränderten Sicht auf die Ereignisse zu bemächtigen und verändertes Verhalten umzusetzen. Bei der PTBS komme es darauf an, dass der Betroffene zunächst das Vorhandensein seiner Symptome akzeptiere, ohne sich dafür schuldig zu führen oder andere verantwortlich zu machen, sondern versuche, der Dynamik aus Vermeidung und zunehmender Angst entgegenzuwirken. Im Falle der Klägerin habe der Sachverständige den Eindruck gewonnen, dass diese von Beginn an in eine Opferrolle geraten sei, sich vom Schicksal betrogen, zu kurz gekommen und in ihrem Leiden nicht angemessen gewürdigt erlebt habe, da das Vorhandensein der Störung von Beginn an in Frage gestellt worden sei. Hierdurch sei eine depressive Verarbeitung des Ereignisses begünstigt worden. Unabhängig davon aber besteht bei der PTBS ein gewisses Risiko zur Chronifizierung. Maßgeblich für die eingetretene Verschlechterung der Gesamtsituation der Klägerin sei das Hinzukommen der depressiven Störung gewesen. Eine solche komorbide Störung sei bei mehrjährigem Verlauf der PTBS in einer Vielzahl von Fällen zu beobachten und sei als Folge einer anhaltenden PTBS und deren Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen zu sehen.

Zuletzt hat das Gericht bei der Psychiatrischen Institutsambulanz der Main-Kinzig-Kliniken A-Stadt und bei der Psychologin SS. Berichte angefordert. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Frau RR. der Main-Kinzig-Kliniken hat in ihrem Bericht vom 05.09.2019 angegeben, dass die Klägerin dort seit dem 04.09.2018 (Übernahme von Dr. F.) bis zuletzt 23.07.2019 in Behandlung (gewesen) sei. Die Diagnosen lauten auf "Rezidivierende depressive Störung, derzeit schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F33.2), PTBS (F43.1) (2011 Deutsche Klinik für Diagnostik) und Somatisierungsstörung (F45.0)". Zum Verlauf wird in dem Bericht mitgeteilt, dass seit dem Unfall ausgeprägte Ängste mit Vermeidungstendenzen, teils Flashbacks, Schlafstörungen mit Somatisierungen wie Kopfschmerzen, Magendruck, Übelkeit und Schwindel bestünden, die trotz langjähriger Psychotherapie persistierten. Weiterhin bestehe als Folgesymptomatik der PTBS eine schwere depressive Symptomatik. Die Psychologin SS., bei der sich die Klägerin seit dem 26.06.2017 fortgesetzt in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befindet, hat in ihrem Bericht vom 04.09.2019 bei den Diagnosen PTBS und rezidivierende depressive Störung, schwere depressive Episode, angegeben, dass bei der Klägerin eine PTBS mit konkreten trauma -bezogenen Ängsten bestehe, z. B. dass ihr im Straßenverkehr erneut ein Unfall passieren könne oder dass Angehörige verunglücken könnten. Diese Ängste könnten durch äußere Reize, die sie mit der Thematik ihres Traumas (Verkehrsunfall) in Verbindung bringe, getriggert werden (z. B. Geräusche eines Hubschraubers, Martinshorns) und sich massiv steigern. Darüber hinaus bestehe eine erhöhte Grundanspannung und vegetative Übererregung, Druck im Bauchbereich/Übelkeit, Schwitzen, außerdem ein diffuses, chronisches Gefühl von Angst. Des Weiteren bestehe eine ausgeprägte innere Unruhe und Anspannung, häufige Kopfschmerzen und Schwindel, Schlafstörungen. Die Konzentrationsfähigkeit der Klägerin sei reduziert, sie sei schnell reizüberflutet und reagiere dann überfordert (Schwierigkeiten der Affekt-/Emotionskontrolle oder Vermeidungs- und Rückzugsverhalten). Die Stimmung sei überwiegend gedrückt, die Klägerin beschreibe emotionale Gleichgültigkeit, ihr Antrieb sei reduziert, aus sozialen Kontakten – außerhalb ihrer direkten Familie – habe sich die Klägerin zurückgezogen. Die Klägerin besuche regelmäßig eine Tagesstätte für psychisch kranke Menschen. Über den gesamten Behandlungsverlauf habe keine Arbeitsfähigkeit für den ersten Arbeitsmarkt bestanden.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Akten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung war.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht Frankfurt eingelegt worden und als kombinierte Anfechtungs- Feststellungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) statthaft.

Die Klage führt auch in der Sache zum Erfolg.

Die Entscheidung der Beklagten, mit der die Gewährung einer Dauerrente ab 01.01.2013 abgelehnt wurde, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat vielmehr Anspruch auf Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit (§ 56 SGB VII) nach einer MdE von 100 v. H. ab 01.01.2013 (im Anschluss an die durch bestandskräftigen Bescheid vom 12.01.2012 gewährte Rente als vorläufige Entschädigung) infolge der festzustellenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet aufgrund des Versicherungsfalls vom 30.12.2009 (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

Das erkennende Gericht folgt aus eigener Überzeugung sowohl dem im Widerspruchsverfahren eingeholten Zusammenhangsgutachten auf psychiatrischem Fachgebiet der Dres. LL. und MM. vom 28.11.2013, deren ergänzender Stellungnahme vom 04.04.2014 und dem im Klageverfahren auf Antrag nach § 109 SGG eingeholten psychiatrischen Gutachten des Herrn OO. vom 13.07.2016 inklusive dessen ergänzender Stellungnahme vom 08.10.2009.

Danach liegen bei der Klägerin als gesundheitliche Folgen des Versicherungsfalls vom 30.12.2009 eine PTBS sowie eine schwere depressive Episode im Vollbeweis vor. Diese Diagnosen sind nicht nur von den Sachverständigen Dr. LL./Dr. MM. und OO. übereinstimmend nach Bejahung der jeweiligen diagnostischen Kriterien nach ICD-10 gestellt worden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Tatbestand verwiesen, wo die Diagnostik der Sachverständigen im Einzelnen wiedergegeben worden ist. Die Diagnosen wurden und werden bis heute auch von den behandelnden Ärzten und Psychotherapeutinnen der Klägerin gestellt (s. im Tatbestand wiedergegebene Befundberichte).

Für die Diagnostizierung der PTBS nach der ICD-10 (F43.1) – wie geschehen – müssen die, in die Buchstaben A bis E unterteilten, Diagnosekriterien erfüllt sein (im Folgenden zitiert nach Dreßing, Kriterien bei der Begutachtung der Posttraumatischen Belastungsstörung, Hessisches Ärzteblatt 5/2016, Seite 272; vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. März 2016 – L 2 U 117/14 –, Rn. 50, juris): A-Kriterium: Die Betroffenen sind einem kurz- oder langhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefe Verzweiflung auslösen würde. B-Kriterium: Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flashbacks), lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen. C-Kriterium: Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden; wobei dieses Verhalten vor dem belastenden Erlebnis nicht bestand. D-Kriterium: Entweder 1. oder 2. 1. Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte des belastenden Erlebnisses zu erinnern. 2. Anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung (nicht vorhanden vor der Belastung), mit zwei der folgenden Merkmale: a) Ein- und Durchschlafstörungen b) Reizbarkeit und Wutausbrüche c) Konzentrationsschwierigkeiten d) Hypervigilanz e) erhöhte Schreckhaftigkeit. E. Die Kriterien B., C. und D. treten innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis oder nach Ende einer Belastungsperiode auf. (In einigen speziellen Fällen kann ein späterer Beginn berücksichtigt werden, dies sollte aber gesondert angegeben werden).

Dass die Sachverständigen LL., MM. und OO. aus der Akte die Angabe übernommen haben, dass die Klägerin bei dem Unfall eine Schädel-Hirn-Verletzung erlitten habe, obwohl tatsächlich keine hirnorganische Schädigung nachgewiesen ist (vgl. neurologische Untersuchungen durch Dr. F. am 01.02.2010 und 21.10.2010; MRT vom 04.03.2011) ist für die Diagnose der PTBS und der nachfolgenden Depression unerheblich, denn diese setzt zum einen keine Hirnverletzung voraus und auch ohne diese war das Unfallereignis nach der Überzeugung der erkennenden Kammer schwer genug, um das A-Kriterium zu erfüllen: In der S3-Leitlinie der AWMF-Fachgesellschaften vom August 2011 "Posttraumatische Belastungsstörung ICD10: F43.1" (AWMF-Register-Nr. 051/010) werden als Beispiele für das A-Kriterium u. a. das Erleben von körperlicher Gewalt, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Unfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit aufgeführt.

Hier wurde die Klägerin bei dem Unfall mitten auf dem Zebrastreifen von einem nicht anhaltenden Pkw erfasst und erlitt mehrere Frakturen am Kopf: eine Schädelbasisfraktur rechts, eine Orbitabodenfraktur rechts mit Einblutung in den Sinus maxillaris, eine Kieferhöhlenfraktur rechts sowie eine Jochbeinfraktur rechts. Darüber hinaus erlitt sie eine Gehirnerschütterung und eine Schädigung des Nervus opticus rechts mit deutlicher Visusreduktion und Reduktion des Farbensehens und sie erlitt Sensibilitätsstörungen im Versorgungsgebiet des Nervus facialis. Durch die unfallbedingte Einwirkung wurde zudem die Brücke, mit der die Klägerin im Oberkiefer zahnprothetisch versorgt war, zerbrochen. Ärztlicherseits wurde eine retrograde Amnesie für mehrere Stunden und eine anterograde Amnesie für ca. eine Stunde festgestellt und die Klägerin gab an, nach dem Unfall zunächst "bewusstlos" gewesen zu sein. Sie musste stationär intensivmedizinisch behandelt werden. Dass das Unfallereignis "schwerlich" geeignet gewesen sei, das A-Kriterium zu erfüllen, konnte der Beratungsarzt Dr. NN. (Stellungnahme vom 19.05.2014) demgegenüber nur deshalb meinen, weil er das Unfallereignis völlig verkürzt und lapidar mit den Worten beschrieb "als Fahrradfahrerin von einem Auto erfasst und gestürzt" und hierbei sowohl vergaß, die erlittenen schweren Verletzungen der Klägerin, die intensivmedizinische Behandlung und die Amnesie aufzuführen als auch die maßgebliche S3-Leitlinie der AWMF-Fachgesellschaften zur Beurteilung der "Geeignetheit" des Ereignisses (s. o.) heranzuziehen, aus der sich das Gegenteil seiner Auffassung ableiten lässt.

Soweit der Sachverständige Dr. GG. in seinem Gutachten vom 30.10.2012 die Auffassung vertreten hat, dass das "A2-Kriterium" der PTBS (Reaktion der Person durch Angst, Hilflosigkeit oder Schreck direkt nach dem Unfallereignis) nicht erfüllt sei, ist zu konstatieren, dass diese Aussage nicht den aktuellen Diagnosekriterien entspricht und daher für die Entscheidung des erkennenden Gerichts unbeachtlich gewesen ist: Das "A2-Kriterium" rekurriert auf das zwischenzeitlich überholte DSM-IV, in dem das in A1 und A2 unterteilte A-Kriterium der PTBS in "A2" noch auf das individuelle subjektive Erleben des Betroffenen abstellte: Die Reaktion der Person musste intensive Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen umfassen. Nach Überarbeitung dieses Diagnosemanuals durch das DSM V, das seit 2015 gilt, gibt es das A2-Kriterium nicht mehr. Insgesamt haben sich die Kriterien nach DSM V damit den Kriterien der ICD-10 angeglichen, die kein A2-Kriterium enthielten und enthalten.

Dass das Unfallereignis "grundsätzlich geeignet" war, eine PTBS auszulösen, hat – mit den Dres. LL. und MM. und Herrn OO. insoweit übereinstimmend – zuvor schon der Beratungsarzt der Beklagten, Dr. DD., in seiner Stellungnahme vom 10.12.2011 angegeben. Soweit Dr. DD. dennoch die Diagnostizierung einer PTBS "wegen der Unfallamnesie" abgelehnt hat (vgl. auch psychologischer Bericht des Beratungs-Psychologen der Beklagten EE. vom 21.05.2012), so entspricht dies nicht den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen, denn aus der S3-Leitlinie PTBS (aa0, Erläuterungen zu Leitlinien-Empfehlungen 3 und 4 Ziffer 3) ergibt sich, dass die Diagnose nicht ausgeschlossen ist, wenn das Ereignis im Sinne einer dissoziativen (Teil-)Amnesie nicht mehr erinnert wird (was, so die Leitlinie, umso häufiger der Fall ist, je schwerwiegender das Ereignis gewesen ist!). Allerdings war auch schon in der, einer Aktualisierung harrenden, "Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen" (AWMF-Registernr. 051/029) ausgeführt worden, dass "es Aufgabe des Sachverständigen [ist], eine mögliche dissoziative Amnesie im Rahmen einer akuten Belastungsreaktion herauszuarbeiten, die das Korrelat eines krankheitswertigen psychischen `Primärschadens´ darstellen kann." (Leitlinie Seite 118 letzter Absatz). Dies ist auch dem Sachverständigen GG. entgegenzuhalten, soweit er den psychischen Primärschaden verneint hat. In den Ausführungen zum "Subjektiven Schweregrad des Ereignisses" der Sk2-Leitlinie (aa0), denen die soeben zitierte Textstelle entstammt, wird der Zustand traumatisch bedingter Amnesie übrigens dem Zustand primärer Bewusstlosigkeit gleichgestellt, woraus zu schließen ist, dass auch eine mögliche Bewusstlosigkeit der Klägerin die Diagnose einer PTBS nicht ausschließen würde, ganz abgesehen davon, dass eine Bewusstlosigkeit der Klägerin nach dem Unfall ohnehin nicht ärztlich festgestellt worden ist, jedoch eine retrograde und anterograde Amnesie, für die das soeben Ausgeführte gilt.

Soweit nach den Gutachten von Dr. GG. und Dr. QQ. weitere Diagnosekriterien der PTBS angeblich nicht erfüllt sind, verweist das erkennende Gericht auf die überzeugenden, ausführlichen Stellungnahmen des Sachverständigen OO. zu diesen beiden Gutachten im Rahmen seines Gutachtens, denen es sich vollumfänglich anschließt und zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung absieht, da die Stellungnahmen des Sachverständigen OO. zu den Gutachten der Dres. GG. und QQ. insoweit im Tatbestand wiedergegeben sind. Auch wird hier verwiesen auf die Ausführungen der Sachverständigen Dres. LL. und MM. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 04.04.2014 zum Gutachten des Dr. GG., die mit den diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen OO. übereinstimmen.

Die Sachverständigen LL./MM. und OO., denen das erkennende Gericht gefolgt ist, haben darüber hinaus die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges zwischen der unfallbedingten Einwirkung auf den Körper und die Seele der Klägerin und der PTBS sowie der hierdurch bedingten schweren depressiven Episode im Sinne der maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die erkennende Kammer aus eigener Überzeugung anschließt, aufgrund ihrer Aktenauswertung und der jeweiligen psychiatrisch-gutachterlichen Untersuchung der Klägerin mit überzeugenden Gründen stichhaltig bejaht. Auch hierbei haben sich sowohl die Dres. LL. und MM. (in ihrer ergänzenden Stellungnahme) als auch Herr OO. ausführlich und überzeugend mit dem abweichenden Sachverständigengutachten des Dr. GG. vom 30.10.2012 auseinandergesetzt und Herr OO. hat sich zusätzlich mit dem zwischenzeitlich eingeholten Gutachten des Dr. QQ. vom 24.07.2015 sowie den von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. NN. auseinandergesetzt. Auch hier wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Tatbestand verwiesen.

Ergänzend hierzu und zu dem weiter oben Ausgeführten begründet das erkennende Gericht den Umstand, dass es den Gutachten des Dr. GG. und des Dr. QQ. nicht zustimmen konnte, des Weiteren wie folgt:

Dem Sachverständigengutachten des Dr. GG. muss ganz grundsätzlich seine Widersprüchlichkeit entgegengehalten werden: Mit "erheblichen Inkonsistenzen und Inplausibilitäten in Verbindung mit dem psychopathologischen Befund" begründete der Sachverständige zunächst, dass eine "unfallreaktive Störung von Krankheitswert" nicht vorliege, um an späterer Stelle dennoch zu argumentieren, dass die Klägerin zwar ein körperliches, aber kein seelisches Primärtrauma erlitten habe. Inkonsequent zu beiden Feststellungen bezeichnet Dr. GG. in seiner "Zusammenfassung" eine "depressive Anpassungsstörung" als Unfallfolge, obwohl es nach seinen eigenen Feststellung ja keine unfallreaktive Störung von Krankheitswert und kein seelisches Primärtrauma gegeben hat, auf deren Boden sich die Anpassungsstörung hätte entwickeln können.

Der Sachverständige Dr. QQ. hat es sich recht einfach gemacht und sich dem Sachverständigengutachten des Dr. GG. angeschlossen sowie der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. NN. vom 19.05.2014 (fehlendes A-Kriterium der PTBS), denen das erkennende Gericht schon aus den oben dargelegten Gründen nicht folgen konnte. Die Angaben der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen QQ. entsprachen den Beschwerden der Klägerin, wie sie sich auch aus den ihm vorgelegten Akten ergaben. Diese hat Dr. QQ. indes nicht ausgewertet, sondern sich auf die "ausgeprägte negative Antwortverzerrung bei der Beschwerdevalidierung entsprechend dem Bericht des Herrn EE. vom 21.05.2012 berufen und selbst gar von einer "sehr bewussten Aggravation bzw. Simulation" gesprochen. Zum Beleg für die Richtigkeit seines gutachtlichen Ergebnisses hat der Sachverständige, ohne sich als berufener Facharzt entsprechend dem Gutachtensauftrag mit dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand auseinanderzusetzen, lapidar "die Rechtsprechung" angeführt, aus der "ja mehrere Urteile bekannt [sind], die zum Inhalt haben, dass eine gutachterlich ausgewiesene Aggravation als Beweisführungshindernis anerkannt wird." (hierzu inhaltlich sogleich).

Soweit Dr. NN. und mit ihm die Beklagte gegen die Sachverständigengutachten der Dres. LL. und MM. und des Herrn OO. ganz grundsätzlich einwenden, dass diese die gebotene Beschwerdevalidierung unterlassen hätten bzw. es unterlassen hätten, die andernorts durchgeführte Beschwerdevalidierung in ihre Beurteilung einzubeziehen, ist dieses Argument nicht geeignet, Zweifel am Aussagewert der Sachverständigengutachten der Dres. LL. und MM. und des Herrn OO. zu schüren:

Die von Dr. NN. in diesem Zusammenhang aus der Publikation "Diagnostik der Beschwerdevalidität" (Hg. Merten und Dettenborn im Auftrag der Sektion Rechtspsychologie im BDP e. V.) zitierte Textstelle von Merckelbach, wonach in zahlreichen Studien nachgewiesen worden sei, dass Experten, die sich allein auf die klinische Exploration stützten, in ihrer Unterscheidung zwischen aufrichtig antwortenden Menschen und solchen, die die Unwahrheit sagten, nicht besser als per Zufall abschnitten, bezieht sich nicht auf die sozialmedizinische Zusammenhangsbegutachtung psychiatrischer Erkrankungen Unfallverletzter, sondern auf die forensische Begutachtung einer Straftat Angeklagter und betrifft hierbei die Frage der Vortäuschung einer Amnesie, um einer Bestrafung/Verurteilung zu entgehen. Ungeachtet des unklaren objektiven medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntniswertes der "zahlreichen Studien" sind diese keinesfalls auf die hier vorliegende Begutachtungssituation übertragbar!

Soweit Dr. NN., für die zwingend notwendige Durchführung von Beschwerdevalidierungstests plädierend, den in der Zeitschrift "Der medizinische Sachverständige" veröffentlichten Artikel "DSM-5: Bedeutung für die Begutachtung" des Verfassers Stevens zitiert, handelt es sich um die Kritik des Verfassers an der Stellungnahme der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) vom 28.01.2011, sowie an den "von ihren führenden Mitgliedern" (Stevens wörtlich) zur Anwendung von Beschwerdevalidierungstest in der Psychiatrischen Begutachtung und zu Begutachtungsstandards bei PTBS in den Zeitschriften "Versicherungsmedizin" und "Nervenarzt" 2010 und 2009 veröffentlichten Artikeln. Die DGPPN habe hierin, so Stevens, als Argument gegen die angestrebte Validierung psychiatrischer Diagnosen behauptet, keines der (Beschwerde- und Leistungs )Validierungsverfahren sei geeignet, das Vorhandensein einer psychischen Erkrankung nachzuweisen oder zu widerlegen und deshalb seien diese Verfahren nutzlos.

Tatsächlich dient die Stellungnahme der DGPPN vom 28.01.2011, verfasst von Dressing/Foerster/Widder/Schneider und Falkai, nach deren eigener Angabe (siehe Anfang und Ende der Stellungnahme) dazu, einer "missbräuchlichen Anwendung" (dem unkritischen Einsatz ohne hinreichende Beachtung der grundlegenden Anwendungsvoraussetzungen und ohne genügende Diskussion der Limitation der Methodik) von Beschwerdevalidierungstests entgegenzutreten, mit denen Gerichten und Versicherungen von Beratungsärzten und Psychologen "suggeriert" werde, dass damit objektive wissenschaftliche Methoden zur Feststellung von Simulation und Aggravation zur Verfügung stünden und wendet sich damit ganz explizit gegen die Darstellung Prof. Stevens: Die Autoren der Stellungnahme der DGPPN führen aus, dass Verdeutlichungstendenzen der mehr oder weniger bewusste Versuch seien, den Gutachter vom Vorhandensein der geklagten Symptomatik zu überzeugen, was in der Begutachtungssituation ein durchaus "normales" Verhalten darstelle. Wie häufig Simulation und Aggravation in der Begutachtungspraxis in Deutschland tatsächlich vorkämen, sei auf dem Boden empirischer Forschung nicht zu beantworten. In einer bis dato (2011) unüberholten Studie von Foerster aus dem Jahr 1984 hätten neurotische Rentenbewerber eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer psychischen Gesundheit und sozialen Kompetenzen weitgehend unabhängig davon gezeigt, ob ihnen eine Rente gewährt oder versagt worden sei. Dieses Ergebnis spreche gegen eine hohe Prävalenz von Simulation in der Begutachtung neurotischer Probanden. Mit einem Beschwerdevalidierungstest könnten weder Aggravation noch Simulation objektiv nachgewiesen werden, wie dies indes eine deutsche Stichprobe bei Gutachtenprobanden (Stevens et al. 2008) in Beschwerdevalidierungstests nahelege. Die Ergebnisse dieser Studie belegten aber keineswegs, dass in Deutschland die Hälfte aller Gutachtenprobanden (nach "Stevens et al. 2009" sollen es gar bis zu 70 % der Untersuchten sein, die aggravieren; Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, aa0, Seite 126; Anm. d. Verf.) versuche, den Gutachter zu täuschen. Bei der Begutachtung depressiver Syndrome sei der schwerpunktmäßige Einsatz von Beschwerdevalidierungstests kritisch zu sehen. Bezüglich der Begutachtung posttraumatischer Belastungsstörungen habe die DGPPN in einer früheren Stellungnahme bereits darauf hingewiesen, dass es keine Hinweise dafür gebe, dass Simulation und Aggravation bei diesem Syndrom häufiger aufträten als bei anderen psychischen Störungen und dass eine "Objektivierung" der PTBS-Symptomatik durch den obligatorischen Einsatz von Simulationstests bei den PTBS-Begutachtungen weder möglich noch sinnvoll sei. Grundsätzlich gelte: Es gebe bisher in der Begutachtungspraxis in Deutschland auch keinen Konsens darüber, welche und wie viele der zahlreich verfügbaren Tests sinnvollerweise zum Einsatz kommen sollten. Solange die Auswahl der Beschwerdevalidierungstests dem Belieben des Gutachters überlassen bleibe, könne der Einsatz solcher Tests auch kein Qualitätsmerkmal eines sozialmedizinischen Gutachtens oder gar ein einzufordernder Standard sein.

Die Stellungnahme der DGPPN, laut eigenem Internetauftritt die "größte medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Fragen der psychischen Erkrankungen in Deutschland", die sich aus 9400 Ärzten und Wissenschaftlern für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde zusammensetze, die in Universitätskliniken, Krankenhäusern und ambulanten Praxen sowie in der Forschung arbeiteten, stellt nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts eine gewichtige Aussage dar, ohne von Prof. Stevens entkräftet werden zu können. Bestätigt wird die Stellungnahme der DGPPN durch die Autoren der Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen (aa0, Seite 126) zur Beschwerdevalidierung, in der diese explizit ausführen, dass eine `reine´ Simulation (bewusstes und ausschließliches Vortäuschen einer krankhaften Störung zu bestimmten, klar erkennbaren Zwecken wie zum Erhalt einer finanziellen Entschädigung oder anderer Privilegien) in der Begutachtungssituation nach stattgehabten Traumata eher zu den Raritäten (!) gehöre, und dass bei der Beurteilung von Aggravation (bewusste verschlimmernde bzw. überhöhende Darstellung einer tatsächlich bestehenden krankhaften Störung zu erkennbaren Zwecken) problematisch erscheine, dass von der bewusstseinsnahen Aggravation fließende Übergänge zu somatoformen Störungen bestünden. Die dargebotenen Symptome würden dann nicht (mehr) bewusst erzeugt, sondern entstünden im Rahmen eines unbewussten neurotischen Prozesses, dem Krankheitswert zukommen könne. Zu Verdeutlichungstendenzen in der Begutachtungssituation bestätigen die Leitlinie-Autoren, dass diese angemessen seien und nicht mit Simulation oder Aggravation gleichgesetzt werden könnten. Vielmehr handele es sich um den mehr oder weniger bewussten Versuch, den Gutachter vom Vorhandensein der Beschwerden zu überzeugen. Zunehmende Verdeutlichung könne auch mit einem desinteressierten, oberflächlichen Untersucher zusammenhängen. So hat es auch der Sachverständige OO. in seinem Sachverständigengutachten ausgeführt. Soweit in der genannten Sk2-Leitlinie im Anschluss an diese Ausführungen Beschwerdevalidierungstests genannt werden, beziehen sich diese auf das neuropsychologische Fachgebiet (Leitlinie aa0 Seite 128) und auf die neurokognitive Funktionalität des Probanden (siehe Leitlinie aa0 Seiten 54 bis 60); ganz explizit wird betont, dass auffällige Testwerte in Beschwerdevalidierungstests allein keine generalisierende Aussage über die Aggravation oder Simulation von psychischen Beschwerden oder beschwerdebedingten Beeinträchtigungen begründen.

Auch ergeben sich im Falle der Klägerin nach der Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte für einen "Versorgungswunsch", der sie zur Simulation oder Aggravation verleitet haben könnte; denn ganz im Gegensatz dazu ist sie von verschiedenen Stellen als Mensch beschrieben worden, der schnellstmöglich nach dem Unfall wieder ins Arbeitsleben zurückkehren wollte:

Im Bericht des Berufshelfers G. vom 01.09.2010 heißt es: "Mit der [ ...] Verhaltenstherapie bei Frau Dr. K. [ ...] habe sie am 24.08. begonnen. [ ...] Sie habe Frau Dr. K. gefragt, ob sie aus ihrer Sicht einen baldigen Arbeitsversuch befürworten könne. Frau Dr. K. habe ihr daraufhin geraten, mit einem Arbeitsversuch frühestens in drei bis vier Wochen zu beginnen." [ ...] Frau W. (Arbeitgeber) schilderte die Klägerin nach dem Unfall als zuverlässigen, liebenswürdigen Menschen und zeigte großes Verständnis für die aktuelle Problematik. Sie versicherte, dass Frau A. sich keine Gedanken um ihren Arbeitsplatz machen müsse. Man habe eine Übergangslösung gefunden und sei bereit, die Versicherte weiter zu beschäftigen und dies unabhängig davon, wie lange die krankheitsbedingte Fehlzeit noch andauere. Aus dem Bericht der Frau Dr. K. vom 08.10.2010 geht hervor: "Der schnell entstehend gute emotionale Kontakt hat zu Beginn der Therapie zu einer Stabilisierung geführt. Auch glaubte Frau L. noch, dass sie bald wieder arbeiten gehen könnte. Aber aufgrund der schweren Sehstörung und der psychischen Problematik halte ich eine Arbeitsfähigkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht für möglich. [ ...]" In der Gesprächsnotiz des Herrn G. vom 14.12.2010 über ein Gespräch mit Frau TT. (behandelnde Therapeutin in der Fachklinik Katzenelnbogen) führt dieser aus: "Die Vers. befindet sich dort seit dem 24.11. in stationärer Rehabilitationsbehandlung. Frau A. hat nun den Wunsch geäußert, trotz der noch bestehenden Probleme (Schwindel, Sehstörung) demnächst einen Arbeitsversuch zu unternehmen. Dies wird aus psychotherapeutischer Sicht unterstützt. Durch die berufliche Tätigkeit (Reinigungskraft) werde sie von ihren gesundheitlichen Problemen abgelenkt. [ ...]" Im Bericht der Fachklinik Katzenelnbogen vom 21.01.2011 heißt es: "Sie [die Klägerin; Anm. d. Verf.] hätte sich gewünscht, früher arbeiten zu gehen, aufgrund diverser körperlicher Beeinträchtigungen könne sie dies jedoch noch nicht." Aus der Gesprächsnotiz des Herrn G. vom 25.01.2011 über ein Gespräch mit der Klägerin am 21.01.2011 geht hervor: "[ ...] Trotz der fortbestehenden Beschwerden, Kopfschmerzen und insbesondere auch Schwindel, möchte die Versicherte möglichst bald einen Arbeitsversuch unternehmen. Nachdem ihre Nebentätigkeit als Reinigungskraft bei der Firma UU. GmbH in A-Stadt durch den Arbeitgeber gekündigt wurde, ist der Arbeitsversuch lediglich bei der Firma W. GmbH möglich [ ...]." Zu diesem Zeitpunkt allerdings begrenzte sich laut Frau Dr. K. die Einsatzfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf "unter 3 Stunden" und sie hatte der Klägerin deshalb Rentenantragstellung empfohlen. Dr. F. berichtete unter dem 23.03.2011: " [ ...] sehr labile Stimmung, viele Somatisierungen, der Optimismus, mit der Arbeit wieder beginnen zu können, hat sich wieder verloren, aktuell sehr niedergeschlagen und unsicher bezüglich der weiteren sozialen Prognose.

Angesichts all dessen vermochte es die Argumentation des Beratungsarztes Dr. NN. und der Beklagten auch aus diesen Gründen nicht, Zweifel an der Richtigkeit der gutachtlichen Feststellungen von Dr. LL., Dr. MM. und Herrn OO. zu säen. Der Klage war antragsgemäß stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG.
Rechtskraft
Aus
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